Dorpater Juristische Studien. Herausgegeben lls. I . ßngelmann, Nr. O. ßrdmann, Prof. der Universität Dorpot Prof, der !!»>«, Dorpat lls. H3. von Aohland Prof. der Univ. Fleiburg im Breisgau. Nanu I. Dsrpat. I n K u m m i s s i o n b e i E. I , K a r o w . ^ 8 9 3 . ,t. ^o3L0»isuc> IlbuZ^puN, -^ DpbßVi,. I. U»P1K 1893 r. ^ Etdiuclt bei 2. Matti«s«n in Doipac I n h a l t . Seite. I, Beiträge zur Strafrechtspflege in Oesel im XVI I I . Jahrhundert vou Oauü, ^'ur, K o n s t a n t i n B a r o n B u x h o e b e d e n 1 II. Nachträgliche E rö r te rung einiger F ragen i n Betreff des s, g . Gnaden - oder T raue r jah rs nach dem Gesetze fü r die Evangelisch- Lutherische Kirche i n Ruß land von HlnA, Huri« F e r d i n a n d S e r a p h i m , vereidigtem Rechtsanwalt i n M i t a u . . . . 105 III, Die wesentlichen Normen des Versicherungsvertrages von Oanä, Huris A l f r e d K ü h n 125 IV, Beiträge zur Kenntniß des Strafrechts während der schwedischen Periode in Livland von Oanä, Huri« W, v. B l a n cke nh a g en 247 V, Bemerkungen zur Praxis des Rigischen Bezirksgerichts in Erb- schaftssachcn von * * * . . 3 l5 Beiträge zur Strafrechtspflege in Oesel im X V l l l . Jahrhundert von Nauä. ̂ ur Eonstantin Baron Nuxhseveden. L i t e r a t u r . 1. D a s schwedische L a n d - u n d S t a d t r e c h t m i t den d a z u g e h ö r i g e n N o t i s u n d A l l e g a t e n. Ausgabe von 1700. 2. L i e f f l l l n dische L an d e s - O r d n u n g c n. Aus- gabe von 1709. 3. P e i n l i c h e H a l s g c r i c h l s o r d n u n g K a i s e r K a r l V. Ausgabe von Zoepfl. Ain le i tung Die vorliegende Arbeit vermag nur einen bescheidenen Beitrag zur Kenntnis der Strafrechtspflege auf der Insel Oesel im X V I I I . Jahrhundert zu liefern, da dem Verfasser nicht das vollständige Archiv des öselschen Landgerichts zur Verfügung stand, sondern blos ein ganz kleiner M Privat- besitz befindlicher Teil desselben. Der Zeit nach gehören diefe Acten dem X V I I I . Jahrhundert an, die älteste von 1709, die jüngste von 1794; erstere ist unvollständig, da das Urteil und ein großer Teil der Darlegung des Thatbestandes fehlt. Dieses ist um so mehr zu bedauern, als W. v, B l a n c k e n - Hagen feine Candidatenschrift „ B e i t r ä g e z u r K e n n t n i s des S t r a s r e c h t s L i v l a n d s " mit einem Hofgerichts- Doip. Iul. St. Ld, I, l urteil aus dem Jahre 1709 schließt. So hätte diese Arbeit als eine unmittelbare Fortsetzung der ersteren angesehen werden können, da Livland und Oesel in vielen Beziehungen, beson- ders was das Strafrecht anbetrifft, sehr viel Gemeinsames besaßen. Die zweit-lllteste Acte datiert bereits aus dem Jahre 1713, Allem Anschein nach haben in dem Zeitraum von 1710 bis 1713 keine Iuridiken stattgefunden, Oesel litt in dieser Zeit sehr durch den nordischen Krieg und die Pest, die stellweise das kleine Eiland ganz entvölkerte. Nach alten Neberlieferungen war damals „Alles eingestellt", und da aus dieser Periode gar keine Acten zu finden gewesen sind, so liegt die Vermutung wohl nahe, daß auch das Landgericht sich während dieser drangsalvollen Zeit aufgelöst hatte. Aus den Processen geht hervor, daß die gemeinrechtliche Praxis, wie auch die C.C.C. noch im X V I I I , Jahrhundert in Oesel in Geltung war. So wird in einem Injurienpro- ceß zwischen dem Capitain Peer Anton von Güllenstubbe und der Rittmeisterin von Vietinghoff, geb, Marg. Hedw. von Stackelberg vom Jahre 1722 das Werk: « ^ u r i s p r u - ( i e n t i l l Vy r 8 i o n i 8 A s r m Ä n i o a « von S t r u v e " an- geführt. I n einem andern Fall wird beim Urteil des „un- rechten erlaubten moäsrg.lninig inoulMtas tuteiae" Erwäh- nung gethan'). Der Einfluß der C.C.C. zeigt sich besonders bei den Strafen des Verwandtenmordes, jedoch werden die- selben in bedeutend milderer Form angewandt. I n der „Landgerichtsordnung auf Oesel", wie sie von den Hochgräffl. Herrn Commissarien Ao. 1650 den 13. Ju l i verfaßt worden", heißt es Punkt 11: „Die Urtheile sollen auff die Uhralte Land übliche Recessen und Gebräuche, auch auff allgemeine Kayserl, Rechte, weil das Gerichte darauff ,) Vgl. unten Mg, Teil Caft. II u. Sftez. Teil Cap. I, § 2. priviligiret, fundiret und gegründet worden", ferner Punkt 14: „ I n Hochpeinl, Sachen soll, wie vorhin, vermöge Caroli V Halsgerichts-Ordnung verfahren werden. Doch soll diese Ord- nung nach Gelegenheit der Zeit und vorlaufenden Fällen ge- bessert, gemindert und gemehret werden," Hieraus geht hervor, daß noch um die Mitte des X V I I . Jahrhunderts die „uralten landüblichen Recesse und Gebräuche" Giltigkeit hatten und daß das schwedische Recht, ebenso wie in Livland, wohl blos als subsidiäres Recht in Anwendung kam. Doch hat bereits das Hofgericht am Ende des X V I I . Jahrhunderts ein Urteil des öselschen Landgerichts dahin leuterirt: „daß nach denen auf Oesell introducirten Schwedischen Gesetzen und Ge- bräuchen" in diesem Falle geurteilt werden solle. Darnach muß also das schwedische Recht, im Gegensatz zu Livland, sehr bald nach 1650 in Oesel eingeführt worden sein, wo es noch bis Anfang dieses Jahrhunderts in einigen Punkten Giltigkeit hatte. Sehr auffallend ist es, daß das Landge- richt Ao. 1696 einen Incestfall, begangen in der Schwäger- schaft linsa «oUatoraUs, mit der Todesstrafe belegte, während dieselbe erst durch eine Verordnung vom Jahre 1699 auch für den luoestu» in prima aflinitati» Araäu liusas ooliats- lÄis angewandt werden sollte. Hier kann man zwei Gründe annehmen: Entweder war das schwedische Recht in Oesel schon so tief eingewurzelt, daß die Verordnung vom Jahre 1699 hier noch vor der Publication bereits bekannt gewesen war, oder aber das Landgericht hat sich hier einfach versehen, indem es diesen Fall als einen Inoestiis, begangen in der Schwägerschaft aufsteigender Linie (ein Weib hätte nämlich mit ihres Mannes Bruder Blutschande getrieben)') angesehen hatte. Das Hofgericht leuterirte dieses Urteil dahin, daß die Delinquenten vom Scharfrichter mit 15 Paar Ruten am l) B l a n c k e n h a g e n , Beiträge zur Kenntnis des Strafrechts Livlands, siehe weiter unten in diesem Bande. Pranger gestrichen werden sollten. Hieraus sehen wir, daß im Gegensatz zu Livland, wo das schwedische Recht erst unter der russischen Herrschaft zu seiner größten Ausdehnung ge- langte, dasselbe in Oesel bereits Ende des X V I I , Jahrhun- derts feste Wurzel gefaßt hatte. Vom Jahre 1733 an be- rufen sich die Acten bereits» auf Patente der russischen Regie- rung, So wird in einem Proceß wegen Kindesmord, das Regierungs-Plltent vom 18, Mai 1733 angeführt, nach welchem „die schwangere Person von Hebammen visitiret werden sollte," Auch werden die Pardons-Placate von den Jahren 1731, 1741 und 1763 erwähnt. Seit dem Erlaß des Ukases vom 6, April 1764, nach welchem die Versündigungen oontiÄ »sx- tuln nicht mehr für criminal gelten sollten, übergiebt das Landgericht sämmtliche Processe wegen Ehebruch und einfacher Unzucht den Kirchenvorstehern, Vom Jahre 1771 an werden die Kindesmörderinnen nach einem Ukas a. . 2) ih. C. VI , § , . ^ 1 die sich in Oesel noch keinen festen Wohnsitz angeeignet hatten (Spec, T, C, V I § 1), Nur beim Incest') und bei der Sodomie wurde auch über Einheimische diese Strafe verhängt, W. v. N lanckenh l lgen erwähnt in seiner Schrift, daß die Landes- verweisung nicht durch eine Geldstrafe erfetzt werden konnte und daß sich der Delinquent keiner Kirchensühne zu unter- ziehen habe. Das erstere durfte im X V I I I . Jahrhundert in Oesel auch nicht Platz greifen, während aber die Kirchensühne bisweilen bei der Landesverweisung dem Delinquenten wohl auferlegt wurde. I n den meisten Fällen hatte der Verbrecher nur „die Province Oesel" zu meiden. § 8 Die Vermögensstrafen. Beim Incest in entfernteren Verwandtschaftsgraden, beim einfachen Ehebruch und beim Stuvrum sind die Vermögens- strafen in gesetzlich bestimmter Höhe festgefetzt; nach dem Utas vom 6. April 1764 war für ein aäultsriuui yualiNoatuin 8 Rbl., für ein luluitei-iuin simpisx 4 Rbl., für die einfache Unzucht aber je nach Stand und Vermögen von jeder Person 2, ein oder ein halber Rbl, zum Besten der betreffenden Kirche zu zahlen. Bei den übrigen Delicten war es dem richterlichen Ermessen freigestellt, die Höhe der Geldleistung festzusetzen, ebenso auch bei der Umwandlung der Ruten- oder Gefängnis- strafe in eine Geldstrafe. ̂ ) Das Landgericht hat, was die Geld- strafe anbetrifft, in dieser Hinsicht durchweg stetss ehr milde geur- teiU.') Nur in einem Diebstahlsfall hat der Dieb über die gesetz- mäßige Strafe hinaus büßen^müssen,') Vom alten Wergelde ist in den Acten des X V I I I . Jahrhunderts so gut wie nichts mehr 1) id, C. IX, ß I. 2) Siehe bei N l a n c k e i i h a g en Neiträsse ß ö. 3) Spez. Teil C. VI I I . 4) id. C. VI, § I. 12 zu finden. Das einzige, was noch an dasselbe erinnern könnte, ist der Ausdruck „der Schmerzen wegen muß Beklagter dem Kläger Rtl. geben"'), dm ich nur in sehr wenigen Urteilen bei Körperverletzungen gefunden habe. An Stelle des Wergeldes ist überall eine Zahlung aä pios et pudlioos usu» getreten, deren Höhe sehr uariiren kann.') 8 5, Vie Ghrenstrafen. Die Acten des vorigen Jahrhunderts kennen eigentlich nach unseren heutigen Begriffen nur eine wirklich entehrende Strafe, nämlich das unehrliche Begräbnis, Die übrigen Strafen, wie das Stehen am Schandpfahl, die Ausstellung im Hals- eisen bei der Kirche „bei währender Predigt", die Kirchen- sühne :c. sind alle mehr beschämender Natur. Das unehrliche Begräbnis griff hauptsächlich Platz als Strafe des Selbst- mordes und bestand in dem Verscharren der Leiche durch den Scharfrichter im abgelegenen Busch oder Morast. War die Tat aber im Wahnsinn oder in der Melancholie begangen worden, so wurde der Selbstmörder zwar auf dem Kirchhof beerdigt, aber „norderfeits ohne Priester und ohne Ceremonie". Ein unehrliches Begräbnis erwartete auch die zu Tode ver- urteilten Delinquenten, als Folge der Todesstrafe. Von den beschämenden Strafen finden sich die Ausstellung im Hals- eisen und die Kirchensühne in den Acten auch als selbständige 1) Spec. 3 . C. I l , 2) N l a n c k e n h a g en meint, man sei noch in so weit bemüht ge- wesen, den Charakter des Wergeldes zu wahren, indem man dem, in dem- selben enthaltenen Gedanken der Genugthuung und des Schadenersatzes, Rechnung trägt und den Delinquenten zu irgend einer Geldleistung au den Kläger verurteilt. Das öselsche Landgericht hat vielleicht auch diese Absicht verfolgt, indem es den Schuldigen stets zur Tragung der Gerichtumtosten, wie auch dazu verurteil», dein Verletzten den verausgabten Arztlohn, :e. zu ersetzen. 13 Strafen, während das Stehen am Schandpfahl stets mit der Rutenstrafe verbunden ist. So wurde Ao, 1716 ein Weib verurteilt zu 10 Paar Ruten mit nachherigem Stehen am Schandpfahl „2 Stunden lang". Die Ausstellung im Hals- eisen kommt als selbständige Strafe bei der Gotteslästerung '), Gewalttätigkeit 2) und bei einigen leichteren Fällen des Ehe- bruchs vor, bei den übrigen Delikten, wie Diebstahl:c., wird sie stets mit der Rutenstrafe vereinigt, so daß sie derselben entweder vorausgeht oder nachfolgt. Bei einer Gottesläste- rung findet sich in einem Urteil die Strafe: „Er folle 2 Tagen in dem Kasten sitzen , . ." '), Worin dieselbe bestand, ist nicht zu ermitteln. Wahrscheinlich wird sie wohl gleichbedeutend sein mit der Strafe des „Stockes". Ueber die letztere schreibt M ü t h e l in seinem Werk: „Criminalrecht Livlands": „Die Kirchliche öffentlich beschimpfende Ausstellung ist eine doppelte: der Strafschemel und der Stock. Die letztere unterscheidet sich vom Strafschemel blos darin, daß sie statt derselben bei fremden Religionsverwandten außerhalb der Kirche, vor der Kirchenthür vollzogen wird, auch nicht mit der eigentlichen Kirchenfühne verbunden ist und darin besteht, daß solche De- linquenten beim Eingang der Kirche, während des Gottes- dienstes, auf einem Schandpfahl öffentlich zur Schau aus- gestellt waren." Die Kirchensühne traf fast jeden Verbrecher, nur mit Ausnahme des zum Tode Verurteilten. Nach den „Bausteinen Oesels"') gab es drei Grade der Kirchensühne: 1, Die „ r i g o r o s e ö f f en t l i che " Kirchenbuse. Der „llt>80lv6näu8" oder Poenitent mußte an 3 Sonntagen der erste uud der letzte in der Kirche sein und zwar auf einem I) Sft«. T. V. X 2> id. C, I I , 3) id. C. X, 4) S. 284. 14 Schemel im Hauptgange niederknieen oder „unterweilen" dar- auf sitzen. Nach der Predigt machte der Pastor von der Kanzel den Namen und das Vergehen des Poenitenten nam- haft und erklärte, daß er dadurch „Gottes Zorn über sich und samt Stadt und Land gezogen", warnte die Gemeinde vor solchen und anderen „Uebelthaten" und betonte hierauf, daß der Poenitent seine Sünde bereue, Besserung gelobe und die Gemeinde bitte, das ihr gegebene Aergernis zu vergeben. Am dritten Sonntage durfte „der Vüßer" vor dem Altare nieder- knieen, wo ihm der Pastor dann nach einer längeren Anrede seine Sünde vergab und erst am darauf folgenden Sonntag konnte er zum Abendmahl vorgelassen werden. 2, Die „einfache" oder „gewöhn l iche" Kirchen- fühne oder „ö f f en t l i che A b b i t t e " , Auch hier mußte der Poenitent der erste und der letzte in der Kirche fein, nahm jedoch nicht den Schemel ein, fondern stand im „äußersten" Kirchenstuhl, Nach der Predigt kündigte der Pastor ohne Namennennung an, daß ein Gemeindeglied Kirchenbuße thun werde und hielt dieselbe Anrede an die Gemeinde, wie bei der rigorosen Sühne, „Nach geendigtem Gottesdienste" trat der Poenitent in das Chor, „that dem Pastor nnd etlichen Aeltesten der Gemeinde" Abbitte und gelobte Besserung, wor- auf er zum Abendmahl angenommen werden konnte, 3, Die „geheime K i rchenbuße oder A b b i t t e geschiehet vor dem Pastor in Gegenwart der Aeltesten des Kirchspiels und gehöret für die, fo aus menschlicher Schwach- heit übereilt einen Fehler gethan, hernach aber sich mit Be- zeigung rechter Demuth, wahrer Bußfertigkeit und Anlobung rechtschaffener Besserung, vor das Predigtamt sistiren," Hier- auf wurde dann „der Büßer aä aosolutiousn et «arninu- nionSm" zugelasfen. Leider fehlt hier die genaue Angabe darüber, welche Verbrechen zu diefen drei Arten der Kirchenfühne competiren. 15 Seit 1668 konnte die Kirchenbuße auch durch eine Geld- leistung gelöst werden (Sp, T, C, IX . § 5), jedoch sollte dem Be- treffenden stets vorher „privatim im Beichtstuhl die Sache ge- höriger Maßen vorgehalten und exaggeriret werden, damit er in wahrer Erkenntnis und Reue sothaner ärgerlicher Sünde zur Absolution würdig und commissabel erachtet würde." I n den Acten beträgt die Geldleistung für den Edelmann und Bürger nicht mehr als 8 bis 1d Rtl., eine viel geringere Summe als die Kirchenordnung MF. 29, Cav. I X vorschreibt, nach welcher man sich das erste Mal mit 100, das zweite Mal mit 200 Thal, loskaufen konnte, das dritte Mal aber, „sollte man 200 Thal, zahlen" und doch der Strafbank nicht entrinnen können. Durch den Utas vom 6. April 1764 wurde die Kirchensühne in Oesel aufgehoben, an deren Stelle eine Geldbuße eingeführt wurde,') Oap. N. Wegfall der Strafen § 1 Rotwehr und Notstand. Von Notwehrfällen habe ich in den Acten nur einen gefunden, bei welchem aber leider das Urteil fehlt. Nach die- fem einen Fall zu urteilen, muß das öselsche Landgericht es mit der Notwehr sehr streng genommen haben, was aus den Fragen der Richter und dem genauen Zeugenverhör hervor- geht. Es handelt sich hier um eine culpofe Tötung, began- gen in der Notwehr von Carl Friedrich Steckelberg gegen den Amtmann Uhl. Der Thatbestand ist folgender: Am 22. August war bei Taggamois ein Schiff gestran- det, wohin sich der Amtmann dieses Gutes, Uhl, nebst dem Strandreiter Meisterfeldt, Lieutenant Fedor Sapegin und der „Tauchercompagnon" Carl Friedr. Steckelberg hinbegeben hat- I) Spez. Teil C. VI I I , 8 5>, 16 ten. Der letztere und Uhl begrüßten sich als alte Bekannte sehr herzlich, wobei Uhl diesem sogleich aus seiner Brannt- weinftasche „ein Schälchen" anbot, welches dieser mit Dank annahm. Als sie nun bis zur Dämmerung beim gestrandeten Schiff beschäftigt waren und sich darauf trennen wollten, so forderte Uhl sie alle nach Taggamois zur Nacht auf, damit sie am andern Morgen zeitig wieder ihre Arbeit fortfetzen könnten, welcher Einladung sie auch Folge leisteten. Nach dem Bericht der Stubenmagd Kert wäre Uhl mit seinen Gästen schon stark betrunken nach Hause gekommen. Hier hatten sie dann noch „friedsam zu Abend gegessen und sehr viel Punsch getrunken", so daß sie sich „mit schweren Häuptern zu Bette legten", wobei Steckelberg zwischen Meisterfeldt und dem „Kanzeleidiener" Kesselhut, der sich auch zu ihnen gesellt hatte, auf Stroh zu liegen kam, während Uhl und seine Frau „ in derselben Schlafstube in ihrem Ehebett" schliefen, „Wie nun das Licht ausgethlln gewesen," hatte Uhl mit Steckelberg ei- nen „geistlichen Discours" angefangen, wie Gott alle Krea- turen zu ihrem Glück und Unglück erschaffen u. s, w. und schließlich sich selbst verwünscht habe, „warum Gott ihn ge- rade hatte lassen geboren werden," — Als nun die Frau „ihnen zugeredet hatte", doch jetzt mit dem „Discours" auf- zuhören, „denn es wäre ja Schlafenzeit", fuhr Uhl sie heftig an und warf ihr vor, weshalb sie ihm das Reden verbiete und nicht dem Fremden, Auf ihre Erwiderung, daß sie dem Steckelberg das Reden ja nicht mehr verbieten könne, da die- ser bereits „feste schliefe," antwortete Uhl, er würde denfelben zu Tode prügeln. Hierauf hatte er sich schnell angekleidet, das Licht angezündet und Meisterfeldts Peitfche ergriffen, mit der er nun den fchlafenden Steckelberg „mit starken Hieben bearbeitete, wobei er auch dem Meisterfeldt eins übergezogen." Auf diefen Lärm war nun die Magd ins Zimmer gekom- men und hatte die Frau gefragt, was ihrem Manne fehle. 17^ worauf diese „vor Furcht zitternd" geantwortet, „er sei be- trunken und rase." Unterdessen war Uhl aus dem Iimmer gelausen und kehrte nach einiger Zeit mit zehn Bauern zurück, denen er, sobald er Steckelberg erblickt hatte, zurief: „Schlagt diesen Mörder tot!" Nun begann eine förmliche Jagd nach dem aus einem ins andere Zimmer sich flüchtenden Steckel- berg, bis er in einem Winkel mit dem Degen in der Hand sich zur Wehr stellte. Als hierauf Uhl mit einem dicken „Birkenholzscheit" auf ihn loskam, wollte Steckelberg den dro- henden Hieb „abparieren, wobei er aber mit dem Degen so ungeschickt in der größten Consternation handtierte, daß der Uhl in vollster Rage in denselben gerannt und sofort tot zu Steckelbergs Füßen gefallen wäre," Aus dem ganzen Verlauf des Processes, wie auch be- sonders aus dem Verbot, die Leiche des Uhl ehrlich zu be- graben^) gewinnt man den Eindruck, daß das Urteil des Landgerichts zu Gunsten des Steckelberg hätte ausfallen müssen. I n einem Urteil bei einem Verwandtenmorde aus dem Jahr 1769') wird erwähnt, daß der Mörder sich damit habe entschuldigen wollen, er habe aus Notwehr so handeln müs- sen. Es heißt in demselben . . . . „Delinquent hätte nicht nötig gehabt des unrechten erlaubten inoäsrHinini» inoulzmtas tu- tsias sich zu bedienen, um so weniger, als der Entleibte gar kein tödtlich Gewehr zu seinen atta^uen gebrauchet, hingegen In^uisitus unbesonnener Weise mit einem Messer, als einem tödtlichen Instrumentum sich opponiret. . ." Hieraus läßt sich nun entnehmen, daß, um in Notwehr seinem Gegner sich mit einem „tüdtlichen Instrumentum" zur Wehr setzen zu dürfen, der Ueberfall von demselben ebenfalls mit einem „tödtlichen Gewehr" geschehen müsse'). Ein Beispiel für das Notwehrrecht 1) Sft. T. C. I, § 4. 2) id. C. I> § 2, 3) id. C. I, § I. Dcrp. Iur, St. Nd. I. 18 bietet folgender Fal l : Aus Notwehr, um der drohenden Ge- fahr, von Kosta Hans mit dem Beile erschlagen zu' werden, zu entgehen, beginnt der jüngere Jahn den verzweifelten Ring- kampf, das für ihn Unheil drohende Beil aus der Hand des ergrimmten Gegners zu entreißen; nur aus Notwehr, um das Leben feines Sohnes zu retten, „besorgend, wann Inyuisiws das Beil aus oooisi Händen nicht losbekommen, würde der- selbe diefem gewiß das Garaus machen," versetzte der alte Jahn dem Hans den so „tödtlichen Schlag". Doch liegt hier in diesem Fall keine Notwehr vor, wie es aus dem Zeugen- verhör deutlich hervorgeht. Nach der Aussage eines „ocu- lairen Zeugen" hatte der Erschlagene diesen mit folgenden Worten sich zu Hülfe gerufen: „Kommt, kommt, sie werden mich noch tot schlagen," Und als Zeuge dahin gekommen war, „hätte er den nooisum mit des In^uisiti Sohn derge- stalt gefunden, daß dieser sich mit oeoiso wegen des Beils gerungen, und den Vater mit einem halben Iaunstaken, welcher am untersten Ende ein gut arm dick gewesen, dabei stehen gesehen." Testis hatte ihnen sofort zugerufen, sie möchten doch vom Streite ablassen und keiner dem andern Schaden anthun, worauf aber der alte Jahn dem Hans mit aller „tores" die betreffenden Schläge verfetzte. Ein zweiter Zeuge war des Erschlagenen kleiner Sohn, Märt, der bei der Schlägerei auch zugegen gewesen. Er referierte folgendes: Sogleich auf das Schreien der Schweine wäre der junge Hannemetza Jahn hin- gekommen und nach einiger Zeit auch des letzteren Vater, dem der erstere zugerufen haben fol l : „Vater, komm nur fort, Va- ter, es mag nun gehen, wie es wolle," und zum Grfchlagenen hätte er gesagt: „Dich soll ebenso der Teufel holen, gleichwie das Schwein da läge." Dieser hätte seinem Vater dann auch gleich einen Hieb mit seinem Beil auf die Schulter gegeben, worauf dieser zu schreien angefangen und Hülfe gerufen hatte, und erst darnach soll InqnisituZ sein Beil weggeworfen haben. 19 Auch wäre das Weib des jüngeren Jahn, Els, hinzugekom- men und hätte ihrem Schwiegervater gesagt: „Vater, was wartest du noch, er hat dich lange genug vexiret", worauf der alte „siebzigjährige Jahn dann zugeschlagen," Die Els leugnete wohl diese Worte gerade gebraucht zu haben, doch mußte sie eingestehen, daß sie „auf den Kosta Hans auch ge- schmähet und gescholten, wie denn auch ihr Vater nach dem gethanen Schlage auf den oocisum sehr zornig gewesen und ebenfalls gescholten," — Aus diesem Ieugenverhör läßt sich viel eher die Annahme folgern, daß hier eine wirkliche vor- sätzliche Tötung vorliegt, wie auch das Landgericht dieses an- genommen hat, als einen Exceß der Notwehr. Daher habe ich auch diesen Fall beim Totschlag näher erörtert'). Den Notstand betreffend habe ich in den Acten gar keine Fälle gefunden 2), § 2. Begnadigung. Schon in Schweden hatten die Könige zu besonderen Gelegenheiten sog, Pardons-Placate erlassen, die ihrer Bedeu- tung nach unsern heutigen Begnadigungsmanifesten entsprachen. So hatte noch Karl X I . am 28. Sept. 1675 bei Gelegen- heit des Krönungsfestes ein Pardons-Placat erlassen'). Die Acten des X V I I I . Jahrhunderts führen auch drei Pardons-Placate an, die von der russischen Regierung bekannt gemacht worden waren. Das erste Placat stammte aus dem Jahre 1731, von der Kaiserin Anna, das zweite aus dem Jahre 1741, bei der Krönungsfeier der Kaiserin Elisabeth er- lassen und das dritte aus dem Jahre 1763, von der Kaiserin Katharina I I . veröffentlicht. !) S. unten S. 28. 2) Vgl. N l a n c k e n h l l g e n , Beiträge, unter Notstand. ü) id, Begnadigung. Während nach dem schwedischen Placat von 1675 die qualificierten Verbrecher, wie namentlich die Gottes- lästerer, Verräter, Kirchendiebe, Mordbrenner, Sodomiten:c,, von der Begnadigung völlig ausgeschlossen waren, so schei- nen die russischen Placate einen weitgehenderen Begriff ge- habt zu haben, da z, N, nach dem Placat von 1731 auch ein Sodomit teilweise von seiner Strafe befreit wurde, (Sp, T. C. IX, § 2), Die beiden andern Placate werden beson- ders häufig bei der einfachen Unzucht und beim Ehebruch er- wähnt, wo sie die Delinquenten fowohl von der „weltlichen wie auch von der Kirchlichen Straffe" befreien. Das Par- dons-Placat von 1763 ist in einem Fall auch da ange- wandt worden, wo das Verbrechen (S, unten Incest) bereits 1762 geschehen war und erst 1765 vom Landgericht abge- urteilt wurde. Das Urteil desselben lautete: „Weylen vor Emanirung des Pardons-Placats solche Extrauagance geschehen, werden beide dimittiret unter ernstl, Verwarnung hinfuhr» vor dergleichen Sünde sich zu hüten," § 3. Gänzlich und teilweise aufgehobene Schuldfähigkeit. Die Acten unterscheiden während des X V I I I . Jahr- hunderts als Gründe ganz oder teilweise aufgehobener Schuld- fähigkeit : Taubstummheit, Trunkenheit, jugendliches Alter und Wahnsinn, ^,. Taubs tummhe i t , Es liegen in den Acten 2 Fälle vor, wo in dem einen Falle, einfache Unzucht enthaltend, vom Jahre 1720 die Perfon „taub uud stumm" bereits geboren war, in dem andern aber vom Jahre 1723 von der Person nur erwähnt wird, daß sie stumm gewesen und man sich mit ihr nur „durch Mienen" hatte verständigen können. I n beiden Fällen lautet das Ur- teil gleich: „weilen sie eine myserable Person, so solle sie von 21 der Straffe befreit werden," Das Wort „muserable" wird sich wohl nach dem damaligen Sprachgebrauch auf den orga- nischen Fehler der beiden Delinquenten beziehen, L. T r u n k e n h e i t , I n den meisten Fällen schützen die Delinquenten zu ihrer Entschuldigung die Trunkenheit vor, welche vom Landgericht aber sehr wenig bei der Fällung des Urteils berücksichtigt wird. So werden in den beiden Processen wegen Verwand- tenmord l) die Mörder doch nicht von der poena orclinaria befreit, obgleich sie die That nach ihrer Aussage „im betrun- kenen Muthe verübet hatten." I m zweiten Fall stellt es sich sogar aus dem Zeugenverhör heraus, daß der Delinquent in der That betrunken gewesen war, als er das Verbrechen begangen hatte, aber aufs Urteil übte es dennoch keinen Ein- fluß aus. Dagegen scheint das Landgericht bei leichteren Fällen, wie beim Stuvrum und Ehebruch, die Trunkenheit wohl als ein Grund der Strafmilderung angesehen zu haben, wie es uns folgende Urteile beweifen: „Weylen der Ehebruch im trunkenen Mute geschehen und die Hure die Gelegenheit ihme dazu gegeben, so solle er mit 10 Paar Ruthen gestraffet und zu zweien Sonntagen Kirchenbuße condemniret werden." — „Weylen nun die Marre von dem Assoka Thomas in der Völlerey stuviret worden und sie auch in ihrem beschonkenen Muthe nicht gut gewußt habe, was mit ihr vorginge, so solle sie von der Leibesstraffe befreiet und nur zur einfonntägigen Kirchen- fühne condemniret werden; der Thomas aber, weylen er weniger betrunken gewesen, wird zur gesetzmäßiger Straffe verurtheilet" ̂ ). 1) Sftez. T. C, I. 8 2. 2) Die gesetzmäßige Strafe beim Ehebruch betrug 15 Paar Ruten für den Adulter, 10 Paar für die Adultera und an 3 Sonntagen Kirchcn- jühne. 22 I n vielen Urteilen findet sich ferner die Ausdrucksweise: „Weylen nun Delinquent nicht vollen gewesen, so erhält er die gesetzmäßige Straffe," <̂ . J u g e n d l i c h e s A l t e r , Das jugendliche Alter ist vom Landgericht stets als Strafmilderungsgrund aufgefaßt worden, wobei auch nicht selten vollkommene Straflosigkeit? eintrat. Zum Tode ver- urteilt ist im X V I I I , Jahrhundert keine einzige jugend- liche Person, obgleich 1763 eine 18 jährige Person, Greet, in Munt« incsnäii ingimulati angeklagt war. Das Land- gericht verurteilte sie in Anbetracht ihrer Jugend, wie auch „weil sie ein dummes einfältiges Mensch sei" nur zu 30 Paar Ruten, die sie an 2 Sonntagen erhalten sollte. Ferner sollte sie „nach erlangten Erkenntnissen im Christenthum 2maliger Kirchenbuße sich unterziehen," I m Jahre 1730 wurde der 9 jährige Jahn, weil er einen Busch angezündet hatte „zu 20 scharfen Ruthenschlägen auf den Rücken und der noch jüngere Simmo zu 12 auf die posteriai-a verurtheilet," Es geht aus der Acte leider nicht hervor, ob der Vater oder der Ge° richtsprofos dem Simmo die Schläge zu erteilen hatte. Für gewöhnlich wurde die Züchtigung auf die „pnstsriora" vom Vater privatim vollzogen. Der Rückfall eines jugendlichen Delinquenten wird aber mit der pnena orclinaiia des Ver- brechens belegt, wobei noch die Kirchenbuße verschärft erscheint. So lautete das Urteil über ein begangenes Stuprum: „Weylen nun der Peter in seiner Jugend übermahlen ein so boshaftiges Vorhaben gezeiget und mit der Stuvrata zum zweiten Male Hurerey getrieben, so soll er vor diesmahlen der gesetzmäßigen Strafe nicht mehr entgehen und die IN Paar Ruthen erhalten, überdies aber eine 2 sonntägige Kirchen- sühne sich untergehen," 23 v. Wahnsinn, Der Wahnsinn kommt in den Acten des öselschen Land- gerichts nnr bei einem verübten Selbstmord vor, wo es dabei auf die Bestattung der Leiche ankam. Hatte sich der Selbst- mörder in einem Wahnsinnsanfall, oder wie es in den Acten heißt: „im Irrsinn oder Raserey" das Leben genommen, so durfte die Leiche wohl auf dem Kirchhof beerdigt werden, je- doch „norderseits und ohne Priester und ohne Ceremonie"'). I n einer Acte, die einen Brandstiftungsfall behandelt, wo der Delinquent des Verbrechens aber nicht überwiesen wurde, befindet sich ein Brief vom Landgerichtsassessor v. Aderlaß, der der Erbherr des Angeklagten war, ans Landgericht, in welchem der Absender bittet, den Bauern, „weyl er einiger Maaßen wahnsinnig und seinem Gesinde nicht vorstehen könne, bis auf weitere Verfügung in Arrest zu behalten," Das Land- gericht antwortete ihm darauf, daß der Bauer, da das ihm zur Last gelegte Verbrechen nicht nachgewiesen werden kann, frei gelassen wird und daß er seines Wunsches wegen sich an die Provincial-Cllnzelley wenden möge. Das Weitere hier- über ist leider in den Acten nicht vorhanden. > A n h a n g , Obgleich die Tortur nach einer Verordnung vom 1. Fe- bruar 1632 nur vom Landgericht vorgenommen werden durfte, so ist sie doch bisweilen auch von Privatpersonen angewandt worden. So ließ der Possessor eines Gutes seinem „Kleeten- diebe" glühendes Eisen um den Hals legen, um ihn zum Ge- ständnis zu bringen. I m Jahre 1761 wurden zwei Brand- stifterinnen auf den Befehl eines Majoren mit der Canschucke blutig geschlagen, „wenlen beyderseitige Aussagen nicht über- i ) id, C. i> § <>. 24 einstimmten" (G, Cap. VI I ) , Ueber den letzteren Fall be- schwerte sich das Landgericht beim Hofgericht, doch fehlt leider die Entscheidung des letzteren hierüber. Das Landgericht selbst hat nur in einem Fall den Delinquenten „scharf mit Ruthen streichen lassen", um ihn zum Geständnis zu bringen. Spezieller Teil. Oap. I . Herbrechen wider das Feben. 8 1 Mord und Totschlag. I n den Acten des öselschen Landgerichts variiren noch im X V I I I . Jahrhundert die Ausdrücke Mord und Totschlag mit einander. I n ein und derselben Acte wird derselbe Fall bald als eine Mordthat, bald als Totschlag bezeichnet, so daß es den Anschein hat, als ob der Unterschied dieser beiden Delicte dem Landgericht im verflossenen Jahrhundert noch un- bekannt gewesen wären. Jedoch ist dieses Ineinandergreifen der beiden Ausdrücke nur ein äußerlicher, dem damaligen un- genauen Sprachgebrauch zuzuschreibender Fehler, denn that- sächlich muß auch dem öselschen Landgericht die Tragweite dieser beiden Delicte genau bekannt gewesen sein, da demselben bei der Fällung des Urteil als Richtschnur die Landes-Ord- nungen und der Landlag gedient hat, in denen Mord und Totschlag auf Grund der C.C.C. scharf von einander ge- schieden werden. Letztere difiniert nach Art. 13? den Mord als eine vorsätzlich vorbedachte Tötung, den Totschlag da- gegen als die vorsätzliche im Affect begangene Tötung und straft erstere mit dem Rade, letztere mit dem Schwerte. Der 25 Landlag bestraft den Mord nach Tit, I X Cap, I : „es sei Mann oder Weibs-Bild, da eins das andre ermordet, hälts verborgen oder verscharrets, so soll der Mann mit Rade ge- straffet und das Weib verbrandt werden." Aus dem Land- lag pass, 433 aber geht hervor, daß die Strafe lebendig ver- brannt zu werden, in Schweden schon vor 1709 ganz abge- schafft worden war. Die dazu verurteilte Delinquentin wurde zuerst mit dem Schwerte enthauptet und darauf der Körper auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Leider habe ich in den mir vorliegenden Acten keinen einzigen wirklichen Mordproceß finden können, fondern nur solche Fälle, die einen Totschlag enthalten. Daher entzieht es sich meiner Beurteilung, in wie weit das Landgericht bei einem Mordproceß sich in der Straf- zumessung nach dem Landtag gerichtet hat. I n den Acten wird jede Tötungsart als kamiciäium bezeichnet, ohne näher hervorzuheben, zu welcher Rubrik der Tötungsverbrechen der einzelne Fall gehöre. Nur einmal findet sich der Ausdruck u.oini«iäiuln voluntariuin vor, welches eine Tötung bezeichnet, die „ohne Ursach" d. h. ohne vorher- gegangenen Streit, resp. Feindschaft begangen wurde. Den Totfchlllg bestrafte das Landgericht mit der Enthauptung durchs Schwert, wobei der Körper nicht auf dem Kirchhof be- stattet werden durfte, fondern für gewöhnlich auf dem Platze der Hinrichtung. I. Am 15. October 1713 wurde der Kusenömfche Bauer Hllnfo Iurna Peter beim Landgericht, welches damals gerade auf dem Gute Metzküll tagte, vom Pastor D. I . Rahr „we- gen einer begangenen M o r d t h a t an einem Lümmandaschen Bauern, Melo Willemi Oitt, dmuncirt und vor Gericht ge- stellt. Da die Inquisition nun nicht gleich vorgenommen werden konnte und das Landgericht in Arensburg auch nicht im Besitz, eines ordentlichen Gefängnisses war, so wurde der „ M ö rde r " fürs erste einfach frei gelassen, der Magistrat der 26 Stadt aber gebeten, „in Bälde" ein Gefängnis einzurichten,') Erst am 20, Mai 1715 wird der Possessor des Guts Kusenöm, Lieut. Mathias Schultz, wieder gebeten den „To tsch läger " zur Stadt zu senden, der dann auch am 29, Mai „an einem Block gebunden", mit Ketten an Händen und Füßen zur Stadt eingebracht wurde, wobei „der Possessor des Gutes sich schwere beim Landgericht beklagte", daß der To tsch läger während dieser Zeit die Umgegend „sehr molestiret und vielen Leuten häufig gedrohet habe", sie bei bester Gelegenheit aus dem Wege zu räumen, und „auch überdieß ein sehr boshaftig Leben geführet')," Der Thatbestand ist kurz folgender: Der Hanso Peter und Melo Oitt hatte beide „Ao, 1710 temz>c»l6 oonta^ions 3 Tage vor Weihnachten" an einem Block gearbeitet, „welches sie auff Lust unternommen", die Arbeit unter sich geteilt und gewettet, wer früher fertig werden würde. Als der Erschlagene nun als erster seine Arbeit be- endete, „hatte er sich ergötzet, worüber der Peter aber sich er- grimmete" und wäre hierauf ins Haus gegangen, um Bier zu holen. Beide hatten schon einige Zeit mit einander ge- trunken, als sich zu ihnen noch zwei Totengräben des Pest- 1) Nur sehr langsam konnte sich Ocsel von dem schweren, verhängnis- vollen Jahr HIN «holen. Was noch den schrecklichen Verwüstungen und Plünderungen der raublustige», alles vor sich her sengenden uud brcnnmden Tataren Stand gehalten hatte, das wurde uun der grauenvollen Pest, hin- gerafft, welche hier furchtbare Verheerungen anrichtete, so daß nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen „mir wenig Menschen in Ocscl übrig geblieben wären." I n dieser Zeit wnrde „Alles in Oesel aufgelöset"! auch die Ge- richtssitzungen sollen damals geschlossen worden sein. Daher kann man sich nicht wundern, dah Nrensburg 1713 noch kein neues Gefängnis besah. 2) Das neuerbllute Gefängnis muß an Raum ein sehr kleines ge- wesen sein, denn in der Acte heißt es: „Nachdem nun das neue Gefängniß, welches in den Räumen gar Nein, mit dem Wcibstück, das ihren Ehckeiln erschlagen, besehet war, ließ das Landgericht den Magistrat ersuchen einen andern anzuweisen, wo der M ö r d e r hingesetzet werden tonne, inmaahen diese beyde Delinquenten nicht zusammen zu setzen dieneten." Hanso Peter wurde dann in eine „im Rathhnusse liegende, ledige Vorratsbude unter guter Bewachung gesetzet". 2? kirchhofs gesellten, „denen der Oitt sogleich zugetrunken hatte". Peter aber verbot ihm „mit ihnen im Trinken sich zu meliren, weylen sie sich bis dahin vor solche seuchigte Leute gehütet hätten", Der „onoi«^»" aber hatte darauf nicht geachtet, sondern trotz des Verbots weiter mit ihnen getrunken, worüber sie beide schließlich in Streit geraten waren, „in welchem der Peter ein Beyl ergriffen und den aonisnm mit dem Rücken des Beyles zweimahle auf die Schulter und einmahle hinten auf den Kopf zur rechten Seite geschlagen, Oeoigu» wäre dann fortgegangen, aber wie er einige 100 Schritte uon Peters Gehöffte sich entfernet hätte, so wäre er plötzlich niedergefallen und als hierauf Peter, die beiden Todtengräber und noch ein Zeuge zum oo«i8U8 hingeloffen wären", so hätte dieser nur noch „etwas murmeln" können „bluthigen Schaum vor dem Munde habend und wäre alsobald gestorben", Peter, vom Ge- richt befragt, ob er den Oitt nur „des Ungehorsames" wegen er- schlagen hätte oder auch deswegen, weil dieser früher mit seiner Arbeit fertig geworden wäre, antwortete darauf, daß er sich auch „etwas darüber geärgert, daß uooisus früher fertig geworden, aber hauptsächlich des Verbohtes wegen, aber auch dieses wäre nur aus trunckenem Muthe und aus Zorn geschehen, weylen er wieder seinen Willen mit den Todten- Gräbern getruncken und sich vor der Seuche nicht mehr in Acht nehmen wollen, da sie sich ja eine geraume Zeit vor solche Leute gehütet und vor deren Umbgang Aengsten ge- habt hätten". Die Schwester des Erschlagenen hatte er erst nach dieser That geheiratet. Das Landgericht sällte folgendes Urteil: „ I n der von diesem Kayserl, Land Gerichte wieder einen Kusenomschm Bauern Hans Iurna Peter in punoto koinioiäij volunwrn «x attioiu aufgenommenen Inquisitions Sachen wird nach genauer Durchsuchung der Acten und sorchfllltiger Erwägung der Sachen Umbstände, Inquisiti selbst Geständnisses und der Eidl. abgehörter Zeugen Aussagen hie- 28 mit definitive vor Recht erkant: Demnach Inquisitus frey- willig zugestanden, daß er Ao, 1710 drei Tage vor Weih- nachten, wie er berauschet gewesen nach einiger mit seines jetzigen Weibes Bruder Melo Willemi Oitt gehabten Un- willigkeit und Wort Streit, weyl er mit den damahligen Todten Gräbern sich mit Umbgang und trinken meliret und seinem Verboht nicht folgen wollen aus erzürnten Muthe mit dem Rücken des Benies zwenmahle auf die Schulter und auch das dritte mahle auf den Kopf zur rechten Seite dermaaßen geschlagen, daß derselbe sogleich die Sprache benommen und von eben den Schlägen') , . , und Todes verblichen, Alß ist derselbe.,.,, wie der durch Gottl, und Weltl. Recht Verbrechen mit der darauf haftenden Lebens Strafe billig an- zusehen, w ie , , , . daß ihm das Haupt mit dem Schwerdte.,. . von dem Leibe abgelöset, der Körper hernach nebst dem Haupt in einen Sarg geleget und in loco Suvplicn begraben werde condemniret wird, V, R, W, 16. Jan, 1716')", I I , Den 19, Juni 1716 wurde von dem Gut Lüm- mandll ein alter Kerl Hannemetza Jahn nebst seinem Sohn Jahn nach ArenZburg eingebracht und wegen einer begange- nen M o r d t h a t vors Landgericht gestellt. Da aus dem Urteil auch der Thatbestand hervorgeht, so führe ich dasselbe hier gleich an: „ I n der wieder 2-en Lümmandasche Nauren Hllnne-Metza Jahn und dessen Vater Hanne-Metza Jahn in MULto begangenen Todtschlages an einem auch Lümmanda- 1) Die Punktierten Stellen sind in der Acte »erwischt. 2) Das Urteil war erst am IN, Jan 1710 gestillt worden, während die Veihniiolungeu bereits im Juni Monat 1715, abgeschlohen waren. Als Grund der Verzögerung führen die Acten an : „Weylen wegen einiger hier aufs Land gckmnmencn Groß Czarischen trouftpen, die meisten Parten nach Lande sich begaben, umb nach ausschreibung, ihnen Prowision anzuschaffen, übcrdeme auch die Pfingstsest oor den thüren standen, alß wurde das Ge- richt geHube«, in meynnng nach den geendigten ferien mit der Session zu continuiren". 29 schen Bauern Rosta Hans angestellten Inquisition erkennet das Kayserl, Land Gericht nach genauer Durchgehung der Acten" „hiemit vor Recht: Demnach wie Inquisitus I (Hannemetza Jahn der Jüngere) den Rosta Hans') wie selbi- ger mit dem Beyl aus ihn zugekommen sein soll, keinen Schlag mit seinem auch bey sich gehabten Beyle gegeben, noch sonsten auf keinerlei) Weise laediret gehabet, beständigst negiret, sondern vielmehr dabey beharret, daß Er umb sich vor des Erschla- genen mit den in beyden Händen gefaßten Neyle intendirten Ueberfalls zu retten, fein Neyl weggeworfen, dem Erschlagenen desfals, daß er ihm damit nicht fchaden möge, ins Beyl ge- griffen, und sich nur allein mit demfelben umb des nooisuni Beyl gerungen habe, Inquisitus I I dahingegen nicht läugnen mag, sondern geständig, auch dessen überführet ist, daß er den Rost« Hans mit einem von Hausse mit sich genommen halben Zllunstacken von Eschenholtz, eines armens dick, wie selbiger sich mit Inquisitus I des Beyles halber gerungen gehabt, auf den Vordertheil des Kopfes zur linken Seiten mit dem in beyden Händen gefaßten halben Zaunstaken und mit aller i'oroo dergestalt geschlagen, daß der Geschlagene vom selbigen Schlage in die Knie gesunken und zur Erden niedergefallen seye- auch wie der Geschlagene danieder gelegen, den andern Schlag auf die Schulter wiederholet habe, auch den dritten gleichmllßen gethan zu haben, nicht in Abrede fetzen kann, worauf sollt abzunehmen, daß Inquisitus I I solches muß aus einem wieder den oocisuin gehabten bösem und verbostem Gemüte ausgeübet habe und daher dieses nicht vor ein Un- glück und was Zufälliges zu erachten seye, Alß wird I n - quisitus I zwar von der Lebens Straffe, weyl er dessen, daß I) Der Streit war dadurch entstanden, das; in dem Hcuschlage des Rusta Hans die Schweine der beiden Delinquenten einige» Schaden angerichtet hatten und der erstere eine tragende Sau durch seinen Hund zu Tode hatte Hetzen lassen. 30 er den Rosta Hans zuerst mit der Platte des Beues soll ge- schlagen haben, nicht überführet worden, absolviret, jedennoch dafür aber dahin vertheilet, daß er sen pri in^ ^Fres^or an- zusehen, und durch das mit oooiso Unternommenem Ringen zu dem erfolgten Unglück mehr Gelegenheit gegeben, daß er an einem Sonntage durch den z»rc»l«»6n mit 20 Paar Ruthen nach geendigtem Gottesdienste im Anschauen der Gemeine ge- strichen, Inquisitus I I aber, daß ihm das Haupt durch den Scharfrichter vom Leibe mit dem Schwerdte gelöset, der Körper nebst dem Haupte nachdem in einem Sarge geleget und an einer absonderlichen Stätte außer dem Kirchhoft begraben werde, condemniret V, R, W,') Zu bemerken ist hier noch, daß um 1716 die Blutrache noch nicht ganz in Ver- gessenheit geraten war, was aus der Frage der Richter her- vorgeht, „ob nicht einige Bluthrächer vorhanden seyen, die vielleicht von der That etwas näheres oder mehreres zu be- richten wüßten". Als Antwort wurde ihnen mitgeteilt, „es seyen sonst keine vorhanden, alß des oeoisi Weib, die aber nicht bei dem Facto zugegen gewesen, sonsten des uuoisi kleiner Sohn von 9 bis 10 Jahren der zugegen gewesen )̂. § 2 Verwandtenmord. Aus den in den Acten des X V I I I . Jahrhunderts für begangenen Verwandtmmord dictierten Strafen kann man entnehmen, daß die C,C,C, ihren Einfluß damals noch nicht verloren hatte. I n erster Linie richtet sich das Landgericht wohl nach dem schwedischen Landtag, aber bei der Fällung 1) Oben S. 18, 2) I n einem Schreiben des Landgerichts an den Pastor D, I , Nähr heißt es -. „Mi t Heutig eingetumincuer Post hat das Erl, Kayserl. Hofgericht dem hiesigen Landgericht hintcrbracht, daß die hier anfs Leben sitzende De- linquenten nachher Pernau znr Ausstehung der dictierten Lebens Strafe aufs fordersllmbste sollen gebracht werden". 31 des Urteils innerhalb der verschiedenen Verwandtschaftsgrade greift er zur C,C,C., ohne jedoch deren Strafen in ihrer strengen Form anzuwenden. T>as einzige Recht, das beim Ver- wandtenmorde auch dessen Grade genauer bestimmt, ist das sächsische. Die Nonstiwtio IV, 3 des Kurfürsten August von Sachsen') bestimmt zunächst den Begriff der Verwandten ge- nau wie die C.C.C. und unterscheidet sodann in Bezug auf die Strafe zwischen a) dem an Ehegatten, Ascendenten und Descenten und d) dem an andern Verwandten (solchen, unter denen nach mosaischem Rechte die Eingehung der Ehe ver- boten ist) begangenen Morde. Für den ersten Fall setzt sie die Strafe des römischen oulous, eventuell die des Rades, für den andern Fall aber die Strafe des Schwertes. Da dem schwe- dischen Recht diese genaue Einteilung fehlte, so war es dem Landgericht sehr schwer, in den einzelnen Fällen die dazu fest- gesetzte Strafe zu finden. Die fchwerste Strafe war das Rädern oder auch „Radbrechen" genannt, bei dem die Strafe bald verschärft, bald gemindert werden konnte, je nach der Schwere des Verbrechens, So wurde beim Parricidium das Rädern noch zuweilen verschärft durch Kneifen mit glühenden Zangen, beim Brudermord, Vaterbrudermord lc, wurde da- gegen der Mörder für gewöhnlich zuerst enthauptet und dar- nach der Körper aufs Rad geflochten, Gattenmord ent- haltende Fälle habe ich in deu Acten zwei gefunden, von denen nur bei einem das Urteil vorhanden ist; in demselben wurde die Enthauptung durchs Schwert mit vorhergehendem Ab- hauen der rechten Hand angewandt, I. Der „Possessor des Gutes Taggamois" stellte am 15, Mai 1715 „das Weib Greet" vors Landgericht, welche ihren „Ghekerln" Toffri Hanfo Jürgen im Streit so verwun- det hatte, daß derselbe den zweiten Tag darauf infolge seiner I) Sch lc t ter , Th,, Constitutionen Kurfürst Augusts Umi Sachsen d. a. 1572, S. 317. 32 Wunden gestorben sei. Da der Thatbestand aus dem Urteil hervorgeht, so führe ich letzteres allein an, „ I n Peinl, an- gestellter Inquisitions Sachen gegen und wieder ein aus dem Taggamoisschen Gebiete gebürtiges Weibstück, des Nehme Tönnissens Tochter Greet, wegen vorsätzlich verübter Mord- that an ihrem Ghekerl, den Toffri Hanso Jürgen, wird vom Kayserl. Landgericht hiemit vor Recht erkandt: Demnach I n - quisitll dieses nicht in abrede setzen können, sondern freywillig zugestanden, wie sie den 2, May als am Donnerstag: Abend von ihrent Vater, dem Nehme Tönnis, beschoncken zurück und nach Hause gekommen sey. Sie durch den von I h r selbst er- regten Wortstreit und Zank auch wiederholt ihren Ehekerln, den Toffri Hanso Jürgen, dergestalt zum Zorne gereizet, daß er sie Bey den Haaren ergriffen, geschlagen und dreymahl zu Erden geworfen, auch daß sie nachgehends, alss sie ein Messer auf dem tisch liegen gesehn und solches ergriffen, zweymahl ihren Kerln aus zornigem und verdöstem Mute damit ge- drohet und endlich, wie er wieder auf sie losgekommen sei, zum drittenmal)! mit selbigem einen Stoß unter dem Nabel gegeben, so daß er davon gleich zur Erden gesunken, den Schooß voller Gedärme habend- und von dieser letalen Wunde des dritten Tages den Geist aufgeben müssen. Alfs ist I n - quisita desfllls indeme sie wieder die Göttl. und Weltl, Ge- setze sich hart verbrochen billig mit schwerer Leibes Straffe anzusehen und zu belegen; Wie sie hiemittelst dahin condem- niret wird, daß I h r die rechte Hand abgehauen, das Haupt vom Leibe mit dem Schwerdt abgelöset, nachgehends dieses auf dem Pfahl gestecket auch die rechte Hand daran genagelt, der Körper aber unter dem Galgen verscharret werde. V. R. W „8a1vll, taiNLn ässu^yi' 1I1n8tri» ä^lNstori I^utei'atioue". Arensburg 15. May, 1715. — G. von Preis, Landrichter.— Assessor F. O. v. Sass. Ass. Iobst u. Weimarn. — Vom Hofgericht wurde dieses Urteil bestätigt. 33^ II, Den zweiten Fall führe ich nicht an, weil der That- bestand desselben in den Acten sehr lückenhaft, wie auch das Urteil daselbst garnicht vorhanden ist. III. Der „Herr Actor olLciasu«-^ Polchow, übersandte am 9. December 1769 eine „Delinquenten-Specisication" von dem Herrn Pastor zu Wolde, I o h . Heinr. Schmidt, in welcher angezeigt wurde, „daß der i,nl>1i<>u« Neulöwelfche Bauer Rebbase Mär t seinen Schwager Matzperre Ad., einen gleich- falls Neulüwelschen Bauern auf feines Weibes Bruders Peters Hochzeit mit seinem Messer ermordet habe." Sowohl der Thäter, als auch das «l^oi-pus «l^ioti" wurden zugleich „mit eingesandt und der Thäter inhaftiret." Der Thatbestand ist in der Aussage des Weibes des Erschlagenen enthalten „ I h r Ehekerl hätte mit Rebasse Mär t und vielen andern Hochzeitsgästen auf vier Kopeken gewettet am Hochzeitsabend, daß er noch in der selben Nacht von des Brauts Vaters Hause, wohin er eben hinreiten wollte, ganz nüchtern zurück- kehren würde. Als ihr Kerl nun wirklich vor Morgens frühe heimgekehrt wäre, fo verlangte er die gewonnenen 4 Kopeken, die ihm auch ausgezahlt wurden. Rebbafe Mär t hatte aber seinen Kopeken wieder von ihm weggenommen, weylen ihr Kerl fehr besoffen gewesen wäre und sehr broutal sich ange- stellet, auch wollte Mär t sich zuerst noch erkundigen, ob oo- «ww aus des Brauts Vaters Hause mit gutem weg gekom- men wäre, da hätte sie, die als eine Weibsperson nüchterner gewesen als die andern, so angetrunken waren, und daher besser bemerken können, wie ihr entleibter Kerl den Märt , der auch stark berauschet gewesen, zuerst mit der Faust, hernach mit der Spießruthe und zuletzt mit der Dudelsackspfeife ge- schlagen habe, worauf der Mär t aufgesprungen war, und weyl sie befürchtete, daß dieser ein Messer in der Hand haben möchte, da er eben gegessen, habe sie den Waidla Metz um Hülfe gerufen und waren hierauf beide auf die Streitenden Dülv- Iur. st. »d. I. Ij ^ 4 losgestürzet, um sie von einander zu trennen. I n deni Augen- blick wäre ihr Kerl Ad todt vor ihre Füsse niedergefallen; auch wäre Alles das in der größten Geschwindigkeit vor sich ge- gangen," Nas Urteil lautete: „ I n Inquisitions Sachen des publique» Neulöwelschen Bauren Rebasse Märt wegen ver- übter Mordthat mit einem Messer an einem publique« Neu- löwelschen Bauren Metzperre Ad, seiner Schwester Mann, wird nach genauer Erwegung der Inquisitions Acten vom Kayserl. Land Gericht vor Recht erkannt: Obzwar Inquisitus wegen sothllner perpetrirten bösen That sich damit zu exculpiren ge- denket, daß er aus Übereilung und trunckenem Muthe, nach- dem der entleibte Ad ihm mit einer Spießruthe nachgehends mit einer Dudelsacks Pfeife geschlagen, da er eben, weyl er ge- gessen, ein Messer in der Hand gehabt und aufgestanden, ohne daß er einen Vorsaz gehabt ihn zu todten, fondern ihn nur von sich abwehren wollen, demselben tödtliche Wunden beigebracht, So mag ihn dennoch dieser Vorwandt nicht opituliren, aner- wegen Inquisitus, da der Entleibte ihn zuerst zu schlagen an- gefangen, worzu er ihm doch Anleitung gegeben, indem er ihm den einen Kopeken doch wieder zurückgenommen und da- durch ihn in Wuth gebracht sich reteriren können und nicht nöttng gehabt des unrechten erlaubten inoäeraiuiui» inoul- Mta« tuwia« sich zu bedienen, umsoweniger als der Entleibte gar kein tödtlich Gewehr zu seinen attaquen gebrauchet, hin- gegen Inquisitus unbesonnener Weise mit einem Messer, als einem tödtlichen Instrumenta, sich avponiret und von sich ge- stossen, wodurch es geschehen, daß der entleibte, wie die Ob- duction es belehret, mit vielen Wunden sogleich auf der Stelle seinen Geist aufgeben mußte und also Iuquisttus Ursache an seinem gewaltsamen Tode gewesen. Vei so gestallten Um- standen erkennet das Kayserl. Land Gericht vor Recht: daß Inquisitus nach der L, L, Tit. I X Cap, I von schweren Hals- sllchen und von Vorzüglichen Todt Schlägen Tit, X Cap. I I 35 wegen begangener Mordthat mit einer rixoui-eusou Lebens Strafe zu belegen sey gestellet, denn Inquisitus dahin, daß dessen Kopf mit dem Schwerdte durch einen Scharfrichter von dem Körper abgesondert, nach geschehener Dekollirung aber der ganze Körper auf ein aufgerichtetes Rad geleget und der Kopf auf ein Pfahl darüber gestecket und angenagelt werde, coudemniret " § 3. Kindesmord. Nottbeck führt in seinem Werk: „Die alte Criminal- chronik Revals" Seite 28 an, daß der Kindesmord, d. h. die Tütung eines unehelichen Kindes seitens der Mutter gleich nach der Geburt, im Gegensatz zur modernen milden crinn- nalrechtlichen Anschauung in früherer Zeit als Verwandten- mord (Mi'l'ioiäiuin) aufgefaßt und in Reval urkundlich schon seit dem X V . Jahrhundert mit dem Feuertode betraft wurde. Aber schon die C. C. C. führte im Art. 131 eine mildere Be- strafung ein, indem sie für den begangenen Kindesmord die Strafe des Ertränkens anstatt des grausamen Feuertodes ein- setzte, welche wiederum mit der Zeit, besonders seit dem Ende des X V I I . Jahrhunderts, in die Strafe der Enthauptung durchs Schwert überging. Mi t der Einführung der mildern Strafe für dieses Verbrechen scheint der Kindesmord auch von ge- richtswegen weniger streng verfolgt worden zu sein, was wohl die schwedische Regierung dann veranlaßt haben wird, ihre harten und grausamen „Kinder-Mords Placate" vom 23. Jan. 1680 und vom 15. Nov. 1684 zu veröffentlichen, die noch bis Anfang dieses Jahrhunderts Gültigkeit besaßen'). Damit nun dieselben'überall bekannt werden sollten, so mußten sie „zwey 1) Ich führe nur einiges aus dem Inhal t des zweiten Placats an, da dieses hauptsächlich eine Wiederholung wie auch Ergänzung des erste» 'st: „ . . . . Weyln aber sothane Personen, so diese Missethat begehen. 36 oder drey mahl in jedem Jahr vor- und abgelesen werden" und zwar nicht allein in der Kirche, „da die Jugend meist versammlet ist", sondern auch bei den Landgerichten"), Die Verheimlichung der unehelichen Schwangerschaft, die heimliche Niederkunft und die Verhehlung derselben nach der Geburt bilden hauptsächlich die Grgänzungspunkte des zweiten Placats zum ersten, Dr. W, O s e n b r ü g g e n erwähnt in seinem Werk: „Theorie und Praxis des est«, liu- und turländischm Criminlllrechts", daß das zweite Placat einen starken Con- trast zu den neuen Gesetzbüchern bildet, in denen meistens Ver- heimlichung der Schwangerschaft und Niederkunft als ein selbständiges Verbrechen garnicht vorkommt, daher müssen die in einem präsumierten KindeZmorde angeführten Requisite von Seiten der Praxis stets einer scharfen Controlle unter- worfen werden, da bei dem Fehlen eines dieser Requisite die poena m-dinai-in nicht ausgesprochen werden kann. Ich führe hier das Urteil des Landgerichts über einen derartigen Fall nimmermehr oder selten diesen Mord bekenne» «der gestehe» wolle», sonder» vorgeben, daß die Frucht entweder unzcitig, uui, in oder fort nach der Ge- bührt aus allerhand andern Ursachen, ohne ihre Schuld, todt geblieben, da- mit Unsern Nichtern aufs solchen Fall sicher gehen Numen, so daß sie weder zu gestreng noch zu gclind sothanc zwcifelhaftigc und dunkle Sachen Hand, thieren inu'gen. So haben Wir vor gut befunden, Unser voriges Vcrboht wegen des ifinder-Mords zu erneuern, solchen leichtfertigen Weibes-Stmte» zur Nachricht und Warnung, wie Wir denn auch hiemil solches Äund machen und untersagen, dan die Weibs-Person, welche sich solchergestalt durch un- zulässige Vermischung beschweret befindet, und solches vor der Gebührt nie- mand offenbahret, Einsamkeit bey der Gcbnhrt selbste» suchet, und nach der Gebührt es Uerheelet, derselben soll ihr Porgehen, vor des Todes Straffe »ichtes helfen, das, die Frucht todt geboren, oder nicht vollentommcn ge- nesen, insonderheit wenn die Frucht nicht, sobald sie zur Welt gekommen, vun ihr zum Vorschein gebracht, sondern ausf eine oder andere Manier anK dem Wege gelcget wird, fo daß man an den Gliedmaßen der Frucht merk- lich spühreu kann, ob dieselbe vollmlommen gewesen scy oder nicht." 2) N n d d e n b r o ck bemerkt hierzu iu seiner „Sammlung livlnndischer Gesetze", daß die Publication bei den Landgerichte» schon laugst außer Gc^ brauch gekommen sei. 37 an, in welchem diese Bemerkung Osenb rüggens Platz greift: „ I n denunciations Sachen des Herrn Pastons zu Iohannis, Peter Andrins, wieder ein Musicksches Bauer Mensch des Kauli Ianni Tochter Ingel, als ob sie ein u n - ehl ich K i n d i n o«c!u1to gebohreu und verschar- r e t , nach Maßgabe der geführten Inquisition findet dieses Kanserl, Landgericht vor Recht: Da die Inquisita Ingel we- der i h r e Schwangerschaf t ve rhee le t noch, nach Aussage derer abgehörten Leute, Ursache an dem un- z e i t i g e n Abgange des K indes gewesen, sondern diese Frucht, durch einen gehabten Schröcken, zu frühzeitig abgegangen, folglich kein i n l a n t i o i t l i n m ihr überführet werden könne, als wird selbige von sothaner Anschuldigung liberiret, die Herren Kirchen-Vorsteher aber angewiesen, nach hoher Ukase in dieser Sache zu verfahren ^), als den Herrn Pastor looi psi- resol-ipwni eröffnet werden soll. V. R. W, Arensburg 1. Febr, 1767", Der Kindesmord scheint übrigens im vergangenen Jahr- hundert in Oesel zu den selteneren Verbrechen gehört zu haben, denn ich habe in den Acten aus den Jahren 1716 bis 1775 nur neun Kindesmordfälle gefunden'), Das Landgericht 1) Nach dem Reg. Pat. vom Jahre 1765 hatte eine unverheiratete Perfon, die sich gegen das sechste Gebot versündigt, 50 Kopeken an die Kirche zu zahlen. 2) Am 6. Nov. 1716 wurde das „Weibstück" Birrith beim Landge- richt in punoto inwutioiäii angeklagt. Das Urtheil lautete: „ . . . . da sie ihre Schwangerschaft uerheelet, nachgehends und bei ankommenden Ge- burtswehen Keinem solches, obwohl sie Gelegenheit dazu gehabt entdeckt, vielmehr sich abseit gemacht, die Einsahmkeit bei der Gebührt gesuchet und also auch das Kind heimlich zur Welt gebracht, gleich nach der Geburt das- selbe in I h r altes Hembde gewickelt und bey Nächtlicher Zeit in einer Stein- kuje verstecket, sodah es von den Hunden ausgezogen und aufgefichen worden. Als ist sie billig der Sachen umbstände und Beschaffenheit nach mit der in öenen de An. 1680 und 1684 ausgekommenen Kindermordsplacaten, welche sie zu verschienen mahlen publiciren gehöret continenten Leibes Straffe an- zusehen und zu belegen. Wie sie denn hiemittelst dahin, daß ihr der Kops 38 hat sich in allen diesen Fällen ganz nach dem schwedischen Recht gerichtet und die Delinquentinnen zur Enthauptung durchs Schwert mit nachheriger Verbrennung des Körpers auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Seit dem 9. Sept. 1771 leuteriert das Hofgericht aber das Urteil des Landgerichts in- soweit, als es die Delinquentin „nach hoher Ukasen Bestim- mung" nach Sibirien verschickt. Thatbestand eines Kindesmordsfalles: Um Iohanni 1719 hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die unverheiratete neun- mit dem Echwcrdte vom Leibe gelöst, uachgcheuds der Rumpf und Kops auf einem Scheiterhaufen gclegct und zu Asche vcrbrandt werde condemnirct und verteilet wird; der angeschuldigte Stuprator aber, weil er Inquisita dazu keinen Rath gegeben von der ihm drob zukommenden Leibes-Straffc, außer der ihme wegen begangener Hurcrey competirendcn Rnthen-Straffe gerichtlich absoluiret wird." — Am 15. Dcc. 1758 fällte das Landgericht übec die Kindesmörderin Grect folgendes U r t e i l : „ . . . . Demnoch Inquisita ihre Schwangerschaft hartnäckig geleugnet und nur den, Cubjas Harriste Ado, der I h r Buhlcr gewesen, solche cintzig und allein Kund gethan, wie auch die Gebnrth des Kindes zu verhcelm gesuchct, welches sie in der Kaff Kam- mer, in ein alt Hemde gewickelt, versteckt hatte und wo dasselbe ersticket ist, so hat Inqnisita Greet sich wieder die Kinder-Mord-Placate de Ao. 108«, 23. Jan, uud 1N84, 15. Nov,, davon sie genaue Wissenschaft gehabt grublich vergangen und soll wegen ihres schweren Verbrechens dum Leben znm Tode dcrgestallt gebracht werden, das, ihr der Kopf mit dem Schwert vom Leibe gelöset und sodann Kopf und Rumpf mit Feuer verbrandt werden sollen, der Iöggischc Cubjas Harriste Ado aber, der mit ihr Ehebruch getrieben und deren Schwangerschaft gewußt und solche der Herrschaft nicht positive angezeiget und auf deren Befehl, nach derselben nicht genau sehen lassen, obgleich Inquisita Abends vorher ihm ihre Gcburts-Tchmerzen angezeiget und offenbahrct mit ,V Paar Rnthcn - Strafe, an Zweien Sonntagen am Kirchen-Prangcr Untergehung zweyer Sonntäigcr Kirchcnsnhne zu belegen ist " Urteil des Landgerichts in betreff der Kindesmördcrin Lehn ausIöhr: „ . . . . da sie ihre Schwangerschaft niemand offenbaret, in oooulto heimlich geboren, wobei das Kind durch Verblutung ums Leben gekommen, wehln sie dessen Nabelschnur nicht verbunden, so wird Inquisita nach Inhalt des angezogenen Kinder - Mords ° Placat und Cap, I I von schweren Halssachen L. L. dahin verurteilet, daß Sie mit dem Schwerte vom Leben zum Tode ge- bracht und darauf ihr Körper auf dem Scheiterhaufen verbiandt werden soll . . . . Arensburg 5. Jul i 1771." — Am 8. Sept. 1771 aber erhielt das 39 zehnjährige Marr is aus dem Tirimetzschm Gebiet schwanger sein solle und als Stuprator wurde des „Langen Heinrichs" Stiefsohn Ado ausgegeben. Am IahrmarktZtage auf dem Hof Tirimetz hatte der „Lange Heinrich" sie nun auf das Ge- rücht hin in Gegenwart vieler Leute gefragt, ob sie schwanger wäre, hinzufügend, wenn sein Sohn „daran Schuld wäre" so würde er es schon dazu bringen, daß sie „mit ein ander co- puliret werden sollten." Die Marr is hatte aber ihre Schwanger- schaft „hartnäckigst" verleugnet. Als darauf „umb die Roggens- Landgericht aus Riga ein Schreiben, in welchem das Hofgericht demselben mitteilte, daß die Delinquentin „nach Vorschrift derer hohen Ukasen nach Sibirien versandt werden müsse und an dem Tage ihrer Absenduug mit IN paar Ruthen geftäuvet werken soll . . , . " — Am 27, Nov. 1772 wurde die Kindesmördcnn Ann vors Landgericht gebracht, über die folgendes Ur- teil gefällt wurde : „ Da Inquisita ihre Schwangerschaft vor jedem vcrhcclet und nahe vor der Hufspforte, wo sie dnrch Geschrey das Hofs Volk herbey rufen und Hülfe haben können, das Kind am 26, Qctobr., als sie das Vieh des Abends nach dem Hofe getrieben, untcnuegens Weheu bc lommcn, auf der flachen Erde niedergesetzet, aus den Knieen liegend heim lich geboren und dasselbe, nachdem sie dessen Nabel Schnur mit einem Messer zerschnitten hatte, als dessen Herzen Bewegung aufgehöret, welches über- haupt sehr schwach gewesen, im Vichstall auf den» Heuboden versteckt, . . . so solle ihr vor der Todes Strafe nichts helfen, iu dem Cnv. I I von fchwe ren Hlllsfachen L. 3. denen Weibern die ihr Kind umbriugcn, die Strafe des Feuers zucrtandt wird, fo erkennet diefcs Kayserl, Landgericht für Recht, daß Iuquisita mit dem Schwerte vom Leben znm Tode gebracht und ihr Körper auf den Scheiterhaufen vcrbrandt werden, der Cavitaine aber ihr eigener Erbhcrr O. H. v. N,, der mit ihr Ehebruch getrieben aber die Ukasen mäßige Strafe für einfachen Ehebruch an der Kergelschrn Kirche erlegen soll . . . ." Dieses Urteil wurde aber vom Hofgericht geändert. Es Hecht in demselben : „ . . , . dahin oberrichterlicher gemildert haben, daß Iuquisita, da sie Ermordung des Kindes nicht in das gehörige Licht gesctzct, das Kin- der Mords Placat vom 15. Nov. i!>8i in Ermangelnng des zweiten von denen in diesem Gesetze vorgeschriebenen rsyuizitw, aus welchen das so- lilltum pracsumirct und bestimmet wird, das nämlich bic Inquisitin die Einsamkeit der Gcburth selbst gesuchct, auf gegenwärtigen Fall nicht aftftli- ciret luerdeu mag, von der Polin» mortis orämarin zu bcfreyen und nur mit 30 paar Ruthen au dreyen Tonntagen, jedesmahl mit 10 paar ge - strichen werden, einmalige Kirchensützne und einjährige Gefängniß Strafe, wo alsdann derselbe Erbherr ihr den erforderlichen Unterhalt zu reichen hat, untergehen solle . . . ." 40 Schneidens-Zeit Inquisita auf dem Felde der großen Hitze wegen gleichwie auch die andern Weiber und Bauer Mädchen" im bloßen Hemde gearbeitet hatte, so „wäre die Fau Assesso- rin von Lagerstiernll zu ihr getreten" und hatte sie gefragt, „wie sie von den andern Mädchen so dick vom Leibe wäre, worauf sie erwidert, ihr fehle nichts, auch wäre sie nicht dicker als die andern'). Acht Tage darauf wurde der Frau von Lagerstierna gemeldet, daß sich „die Leibes Beschaffenheit der Inquisit in sehr verändert habe," Sie ließ daher die Marr is rufen, „bei deren Anblick die gnädige Frau sich sehr entsetzet" und fragte sie, wo „sie das bei sich gehabte gelassen", worauf diese ihr „mit frecher Miene" antwortete, „sie habe nichts bei sich gehabt, noch wüßte sie von etwas," Hierauf war nun die Frau Assessorin zu ihr „herangetreten, hatte ihr die linke Brust ausgezogen, woraus aber keine Milch gekommen, weyl solche vorhero ausgemolken gewesen, darauf sie an der rechten Brust die Probe gethan, woraus dann die Milch häufig ge- floßen." Aber auch nach diesem „schlagenden Beweise" wollte die Kindesmörderin „anfänglich" nichts eingestehen, bis sie „durch heftige Drohungen der gnädigen Frau bewogen" schließlich alles bekannte. (Auf den Act der Geburt des Kindes gehe ich nicht näher ein, da derselbe im Urteil vollkommen enthalten ist.) Als die Richter die Delinquentin fragten, ob sie das Kind nicht „freventlich" umgebracht habe, so fteng sie an zu weinen, sagend, Gott und das Gericht möchten mit ihr machen, was sie wollten, daran wäre sie aber unschuldig und hätte sie gar keine Thätlichkeit an dem Kinde verübet, welches sie mit dem allsehenden Gotte bezeugen könnte," Sie führte 1) Den Abend darauf wollte die Frau Assefsorin der Marr i« „ im Hofe die Haube aufsehen", wogegen diese „sich sehr gesperret, erwidernd ihr fehl« nichts. Die anwesenden Weiber aber baten die Frau, diesmal sie noch von einer so großen Schande zu hefteten. Diese Sitte, durch unzulässige Vermischung schwanger gewordene „Weibspersonen" zu behanben und zu beschützen, wurde durch das Reg. Pat, vom 22. September 1804 verboten. 41 noch ferner an, daß der Amtmann auf Tirimetz, Gustav G,, im Jahre 1718 vor Mart in i in der Riege, „wo sie beyde gantz lllleine gewesen", sie, nachdem er noch die Thüren ver- riegelt hatte, mit Gewalt zu seinem Willen gebracht, „dieses auch später noch drey bis viermahl ausgeübet, wovon sie denn schwanger geworden"'). Das Urteil lautete: „ I n Peinlichen Sachen angestellter Untersuchung wieder eine unter dem publ. Gute Tirimetz gehörige Bauer Magd des Ufa Jürgen Tochter Marr is erkennet das Kayserl, Landgericht hiemit definitive vor Recht: Demnach Inquisita zwar dabey beharren wollen, daß sie zur Zeit der Geburth der Frucht nichts gewaltsames zu- gefüget, noch dergleichen Hände angeleget gehabt, wovon solches den Todt nehmen sollen. Iedennoch, da sie auch dieses nach unterschiedenen variiren zugestehet, daß als sie das Kind stehend zur Welt «gebracht und sie aus Furcht, es möchte Jemand darüber zukommen, sich eiligst umbgewandt, und nach einem andern Ort in derselben Kammer gesprungen, wodurch der Nabelstrang des Kindes abgerissen sey und sie beym Wieder- kommen an dieselbe Stelle, allwo das Kind gelegen, kein 1) Aus die Entgegnung des Gerichts, daß der Antmann Gustav G. „hoch und theuer geschworen" hat, sie nicht mit Gewalt zu seinem Willen gebracht zn haben, sondern cV sei mit ihrer Einwilligung geschehen, er̂ widerte die Marris, „Gewalt habe er allerdings nicht angewandt, doch nennet« sie das auch Gewalt, wenn ein starker Mann bey verriegelten Thüren von ihr solches verlangt, was sie eine junge schwächliche Weibsperson »hin doch nicht verhindern konnte auszuführen." Als nun um Iuhanni ihre Schwangerschaft bekannt geworden war, hatte der Amtmann sie gefragt, „ob es denn dergestalt mit ihr beschaffen wäre," habe die Marris geant' wort: „Was fragst du darnach, du weißt es ja wol, daß ich dergestalt bin", worauf er ihr „mit harten Worten" befohlen: „Du wirst dich nicht untere stehen auf mich zu bekennen." Er habe dann auch das Gerücht verbreitet, daß der Stiefsohn des „Langen Heinrich" Ado ihr Nuhler gewesen sei und „aus Furcht vor dessen Drohungen" habe sie schlichlich am Hof den Ado als Vater ihres Kindes angegeben. Auch soll der Amtmann dem Küster, der die Schwangerschaft der Marris beim Pastor anzeigen wollte, verboten haben, solches zu dcnunciren „ihm vorhaltend, er solle sich an keine Weiber- Reden kehren," weil man nicht wüßte, ob dergleichen „Svaracment wahr seien." 42 mehreres Regen und Ziehen des Leibes an demselben mehr bemerket, nur daß es annoch mit dem Fuße gezappelt; vor der Geburth aber nach vielen an ihr geschehenen Besprechen auch ihrer eigenen Mutter gethanenen Zureden stets ihre Schwangerschaft geleugnet, ferner bei der herannahenden Ge- burt heimliche Winkel zu derfelben gesucht, das Kind, obwohl sie ihre Mutter zur Hülfe haben können jedoch alleine stehends zur Welt gebracht, dasselbe durch nicht gebührendes Verbinden des Nabel-Stranges verwahrloseten und also die Haupt Ursache zu der Verbluthnng und desselben Tode ge- wesen, also auch nach der Geburth die todte Frucht verheelet und einen Tag und eine Nacht auf ihrer Spreu in Tüchern gewickelt liegend gehalten, nachgehends und bei Gelegenheit heimlich solches von da weg und nach einer alten Ofenstelle gebracht, daselbst etwas in der Erden verscharret und mit Steinen bedecket, auch bis zuletzt hartnäckiger Weise den Ort der Beseiteleguug des todten Kindes anders als wie es sich verhalten angewiesen. Als ist Inquisita ihrer vorsätzlichen gethanenen Bosheit und schweren Verbrechens halber andern zum Schreck und Warnung, ihr aber wohlverdienten Strafe billig mit der darauf gesetzten Leib- und Lebensstrafe anzu- sehen und zu belegen. Gestalten denn dieselbe dahin, daß ihr zuforderst das Haupt mit dem Schwerdte vom Leibe ab- gelöfet und nachgehends Kopf und Rumpf auf einen Scheiter- haufen geworfen und zur Asche verbrandt werde, verurtheilet wird. Dem Stupratori wegen seines Verbrechens Strafe vor- behaltlich'). V, R. W. Arengburg 1719, 26. November. W, A, Stackelberg, Landrichter. Unter der russischen Regierung wurden durch verschie- dene Regierungsplltente die unverheirateten Weibspersonen, bei 1) Das später über den Stuprator Vustav G. gefällte Urteil ist in den Acten leider nicht zu finden. 43 denen man „verdächtige Umstände bemerkete", der Obhut ihrer Verwandten oder der Hausherrschaften, Hauswirte :c, unter- stellt. So befahl das Reg, Pat. vom 18. Mai 1733 solche „verdächtige Personen durch Hebammen visitiren zu lassen und überhaupt ein wachsames Auge auf sie zu halten." Ferner schrieb ein Reg. Pat. vom 4. Ju l i 1785 vor, daß solche schwangere Personen mit Schonung behandelt, keiner Züchti- gung nnterworfen und mit keiner allzu schweren Arbeit an- gestrengt werden sollten. Für den Uebertretungsfall dieser Vorschriften wird „Herrschaften, Hauswirten :c. exemplarische P0LN8. ai'ditraria" nach dem Ermessen der Criminalgerichte gedroht. § 4. Culpose Tötung. Das schwedische Recht zählt die culpose Tötung nicht zu den mit der Cavitalstrafe zu belegenden Verbrechen, sondern es bestraft den Thäter nur mit der halben Mannbuße, im Gegensatz zu dem livländischen Ritterrecht, welches die volle Mannbuße oder „Wergeld" vom schuldigen Teil verlangt'). Diese Mannbuße hatte der Thäter dem Gericht zu zahlen, wobei er außerdem noch die Verwandten des Erschlagenen befriedigen mußte, was für gewöhnlich durch einen Vergleich mit denselben abgemacht wurde. Die Geldstrafe scheint aber nur den bevorzugten Ständen und den vermögenden Personen auferlegt zu werden, während die Bauern einer Rutenstrafe unterlagen, welche zwischen 6 und 25 Paar, je nach der Schwere der Schuld, schwanken konnte ^). Nach O s e n b r ü g - gen i»l»A. 79 soll aber die Praxis meistens den 158. Kriegs- 1) B u d d c n b l u c l bemcrlt hierbei in seiner „Sammlung der Ge- setze Lwlands" Mß. 199, daß an Stelle de« Wergeldes willkürlich Geld- strafen aä pio» usus gesetzt werden. 2) Csr, T i e s e n h a n s c n , Mitteilungen aus dem Gebiet baltischer Geschichte. 44 artikel als Richtschnur der Bestrafung culposer Tötung ange- nommen haben: „Geschiehet ein Totschlag nicht aus Vorsatz oder Willen jemanden zu töten oder zu verwunden, der Thäter hat aber dennoch Schuld daran, so ergehet die Strafe über den Thäter nach Befindung der Sache und deren Umstände, und nachdem er weniger oder mehr daran schuld hat, ent- weder mit Gefängniß, Geldstrafe, Gassenlauf oder dergleichen." Wie die Urteile des Landgerichts zu Oesel in Betreff der cul- posen Tötung ausgefallen sind, kann ich leider nicht beurteilen, da ich in den Acten nur einen derartigen Fall gefunden habe, bei dem aber wieder das Urteil nicht vorhanden ist. Den Thatbestand dieses Falles habe ich bereits oben') näher erörtert, da es aus demselben deutlich hervorgeht, daß der Angeklagte Carl Friedr. Steckelberg in reiner Notwehr ge- handelt hatte. Aus einem Schreiben des Landgerichts an den Superintendenten kann man entnehmen, daß der Leiche des Amtmanns Uhl, „weylen er selbst die meiste Schuld zu seinem Tode trug", kein ordentliches Begräbniß gestattet wurde. Dieselbe sollte „abseits von dem ordentlichen Begräbniß Platz der Leichen ohne alle sonst übliche christliche Ceremonie ver- scharret werden. ß 5 kasuelle Tötung. Schon die C. C. C. führt Art. 146 die casuelle Tötung als eine „ungeverliche Gntleibung" an. Die livländische Praxis hat, nach O s e n b r ü g g e n , sich in Netreff der ca- fuellen Tötung an den 159. Kriegsartikel gehalten, welcher lautet: „Ein gantz unversehener Totschlag aber, dabei gar keine Schuld mit unterlauft, wird ohne Bestrafung gelassen." Darnach hat sich auch das öselsche Landgericht in folgendem Fall gerichtet, nur mit der Ausnahme, daß es den Ange- 1) S. 15 bis 18. 45 klagten zu einer Kirchensühne verurteilte. I m Jahre 1720 hatten einige „junge Bauernkerle" in einer Riege nach ver- richteter Arbeit ihre Kräfte im Ringkampf gemessen. Da hatte einer von ihnen, der Metza Romelt, den alten Kafiko Märt, „der sich stets im Ringen überallen ausgezeichnet", auch zum Kampf aufgefordert, worauf der letztere eingegangen war. Nachdem sie nun einige Zeit mit einander gerungen hatten, fielen sie beide auf die harte Viele, wobei Romelt aber seinen Kopf „deromaßen an der Riegenwand befchädigte, daß er alsobllld Todes verblichen". Märt war sofort „halbverzwei- felt" zum Pastor gerannt und hatte diesem gleich sein „ihme passirtes Malheure" erzählt, dabei „hoch betheuernd", daß er nicht im Geringsten daran Schuld sei und „er tiefe Reue fühle", Das Urteil des Landgerichts liegt leider nicht vor, doch geht aus einem Schreiben desselben an den Pastor her- vor, daß er bloß zu einer Kirchensühne verurteilt worden war „weylen er eines so jungen Menschen Seele so frühe ausgelöschet und denselben so unvermuthet in den Himmel geschicket". § 6. Selbstmord. W, v, B lanckenhagen erwähnt in seiner Candidaten- schrift, daß alle Erkenntnisse in Selbstmordfällen, die ihm zur Verfügung gestanden haben, in Oesel gefällt worden sind und meistens aus dem Ende der schwedischen Periode datieren. So hatte das öselsche Landgericht in xuuoto proprioidii oaiiti-H Caspar Matzens Tochter Greeth geurteilt, daß „der Büttel Inquisitin abschneiden und im Busch verbrennen oder nach jetziger Praxis im Morast vergraben soll". Dieses Urteil wurde vom Hofgericht 1696 bestätigt. Aus diesem Urteil geht hervor, daß schon Ende des X V I I . Iahrhunders die Ver- brennung der Leiche eines Selbstmörders auf einem Holzhaufen nicht mehr angewandt wurde, wie es im Landlag z>^. 435 4« Cap. I V vorgeschrieben wird. Daselbst heißt es weiter, daß keiner, der sich selbst ums Leben gebracht, früher begraben werden darf, bevor nicht vom weltlichen Gericht darüber er- kannt worden ist. Infolge dieser Bemerkung im Landtag haben sich auch in Oesel die Pastoren stets ans Gericht ge- wandt und dasselbe befragt, wie sie eine aufgefundene Leiche, von der man „keine Wissenschaft hatte, ob die verwichene Seele dieses Körpers sich selbst entleibet, oder ob sie mörderich ums Leben gebracht", beerdigen sollten. Ferner ist im Land- lag Cap. I V „Von schweren Halssachen" angegeben, daß, wenn der Selbstmörder vorher „absinnig" gewesen, so daß er sich von keiner Gefahr zu hüten gewußt, foll er zwar „ in die Erde, jedoch außer dem Kirchhofe vergraben werden. Einen derartigen Fall aus Oesel erwähnt auch B l a n c k e n h a g e n in seiner Schrift: „ I m Jahre 1702 bestätigt das Hofge- richt das zur Leuteration eingesandte Urteil des öselschen Landgerichts „inhalt dessen daß Inquisita für eine die Ihrer Sinne, wegen der schweren hitzigen Krankheit und Raserei, nicht bemächtiget gewesen, erkandt und derselben Leiche der königlichen Kirchenordnung ge.näß auf dem armen Kirchhofe nordseits, ohne gewöhnlichen Gebrauch und ohne einige Cere- monie beerdigt zu werden, verurtheilt ist." Da B l l l n c k e n h a g e n unter den Hofgcrichtsurteilen in Riga nur in Oesel begangene Selbstmordfälle gefunden hat, fo müßte man daraus schließen, daß der Selbstmord im X V H Jahrhundert in Oesel sehr häufig vorgekommen seiu muß. Dieses scheint aber tm X V I I I . Jahrhundert nicht mehr der Fall gewesen zu sein, denn ich habe aus den wohl etwas lückenhaften Acten des vorigen Jahrhunderts nur einen der- artigen Fall gefunden'). I n Ermangelung des Urteils führe -1) I n dm „Bausteinen zn einer Geschichte Oesels" heißt es pass. 281: „Selbstmord kam in den Jahren 1605 bis 1710 nur selten vor, 7 Fälle in Lwlllnd und Oesel." 47^ ^ ich das Schreiben des Landgerichts an den Pastor zu Mohn an, in welchem das Gutachten des Gerichts über diesen Fall enthalten ist: „Wohlehrwürdiger und Wohlgelehrter Herr Pastor! Ew, Wohlehrwürden haben als Pastor zu Mohn mit dem Herrn Kirchenvorsteher Wilhelm de Zelle eine Denun- ciation vom 7, Januar dem Kayserl. Landgerichte eingesandt, welche am heutigen Tage eingekommen, daß ein teutscher Mann namens Steffelbeck, der freye Wohnung auf dem Hofe Gllnzenhof gehabt, in der Nacht zwifchen dem 4. und 5. Ja- nuar, nachdem er die Thür verfchlossen und den Schlüssel zu sich genommen, seinen Bauch mit einem Barbier Messer der- gestallt aufgeschnitten, daß seine Eingeweide ausgekommen, wie solches der Herr Pastor und mehrere Zeugen besichtiget, und noch von seinem eigenen Munde gehöret, an welcher Ver- wundung er die folgende Nacht gestorben ist, Demnächst die- selben von diesem Kayserl, Landgerichte wegen dessen Beerdi- gung die Anweisung erwarten wollen. Gleichwie nun zufolge der Kirchenordnung die gerichtliche vorhergängige Untersuchung des begangenen Selbstmordes in solchen Fällen nöthig und nach Vorschrift der Landesgesche es darauf ankömmt, wie der Selbstmörder ein gottloses Leben gesühret, in groben Sünden gestorben, oder ob er unsinnig gewesen; also findet dieses Kayserl, Landgericht und sieht sich dazu veranlasset Gw, Wohl- ehrwürden zurückzueröffnen, damit das cadaver von Ganzen- hoff weggeschaffet werden, daß in den Fall, da der Steffen- beck die That in Unsinn nnd Raserei begangen, er zwar auf dem Kirchhofe, doch ohne Priester und ohne Ceremonie, be- graben werden könne. I m andern Fall aber eines gottlosen vorschlichen Selbstmörders im abgelegenen Busch oder Morast unehrlich verscharret werden müsse. Der Herr Pastor wolle es also begehen lassen und von dem Geschehenen nach allen erforderlichen Circumstancien ausführliche Anzeige anhero thun. Göttlicher Obhut empfohlen. Arensburg 1??6, 10. Januar." § ?. Abireibung I n den Acten habe ich nur zwei Fälle gefunden, die über dieses Verbrechen handeln, deren Thatbestand aber sehr lückenhaft ist. I m ersten Fall handelt es sich um einen Ehe- bruch, in welchem der beleidigte Ehegatte dem „Adulter" vor- wirft, daß letzterer seinem Weibe Quecksilber angeboten habe, um die von demselben „herrührende Frucht" abzutreiben, was aber nicht bewiesen werden konnte. Beim zweiten Fall fehlt das Urteil vollständig. Es wird der Delinquentin hier vor- geworfen, ihre Frucht durch „ein fchweres Arzneimittel sich abgetrieben und dasselbe darauf im Ofen verbrandt zu haben." Aus den Delinquenten-Svecificationen der Pastoren, wie auch aus den Fragen der Richter geht hervor, daß diefes Ver- brechen im vorigen Jahrhundert in Oefel garnicht zu den selteneren gehört haben muß. So führt ein Pastor in seinem Schreiben an das Landgericht an: „ . . , , Da nun dergleichen Sünde sehr gemeine, daß sie heutzutage die Frucht suchen ab- zutreiben, und für den alleinwissenden Gott eine würkliche Mordthat und schwere Sünde begehen, so habe nun bitten wollen beim Kayserl. Landgericht es dahin zu bringen, daß Delinquentin möge bei Citation incarceriret, vielleicht, daß sie dadurch znr Bekenntniß möchte gebracht werden, ob sie abor- tiret oder verbotene Mit tel gebrauchet, die Frucht abzu- treiben . , . ," I n den Urteilen werden die Personen häufig davor gewarnt, ihrer Frucht Schaden anzuthun. So heißt es in einem derselben: „ - . - weyln dieselbe Schwanger war und man also sie nicht Bestrafen konnte, wurde sie wieder nach Land zu gehen dimittiret und dabey verwarnet, sich vor einer ferneren Vermifchung zu hüten, ingleichen sich in Acht zu nehmen, daß sie keinen Schaden der Frucht anthäte, weder mit Willen noch unverfehen." Bemerkenswert ist es, daß in einem Fall, wo die Delinquentin es selbst zugiebt, ihre Frucht durch häufiges Springen vom Boden einer Riege auf die 49 harte Steindiele abtreiben zu wollen, solches ihr aber nicht gelungen war, das Landgericht diesen Versuch mit keiner Strafe belegte, Oap. I I . Verbrechen wider die leibliche Unversehrtheit. Körperverletzungen unterlagen nach altlioländischem Recht keinerlei öffentlicher Strafe, sondern mußten alle, auch die schwersten, mit einer Geldbuße gesühnt werden'), Das öselsche Landgericht dagegen bedient sich in den Acten des X V I I I . Jahrhunderts beider Arten der Bestrafung. Neben der Geld- buße, die bei den Unvermögenden oft in eine Leistung von Victualien umgewandelt werden konnte, findet sich auch die Ruthenstrafe vor, die je nach der Schwere des Verbrechens bis zu 40 Paar verstärkt werden konnte. Die von der letzteren eximirten Personen hatten eine ihr entsprechende kleinere oder größere Geldzahlung zu leisten. Außerdem wurden die An- geklagten noch häufig zur öffentlichen Abbitte oder Kirchen- sühne, wie auch bisweilen zu der Strafe, im Halseifen bei der Kirche am Pranger zu stehen, verurteilt. Zum Schluß hatten die Verletzten das Recht, den von ihnen verausgabten Arztlohn lc, zurück zu verlangen. Zur bessern Kenntnis führe ich einige Fälle an. I. I m Jahre 1715 klagte Ulla Märt gegen feinen Stich söhn Jürgen, daß er „ I hn und sein Weib sehr geschlagen hätte." Das Urteil des Landgerichts lautete: . . . . daß aoon- 8lltu8 Jürgen an einem Sonntage mit 10 Paar Ruthen an der Kirchen Pfosten gestrichen einer Sontäglichen Kirchensühne untergehen, ^n,ss. 508 heißt: „vor Alters in Schweden selten ein Diebstahl begangen, also ist es auch mit so viel härterer Straffe angesehen worden," So ist z. B. das Abschneiden der Ohren oder Brandmarken der Wangen in Oesel im vorigen Jahrhundert garnicht vor- gekommen, wie auch der Diebstahl, begangen nach zweimaliger vorhergegangener Bestrafung nicht die Todesstrafe zur Folge hatte, fondern für gewöhnlich neben der Rutenstrase noch die Verurteilung zur publiken Arbeit bis „aus Lebetag". Ich führe hier das Urteil eines solchen Falles an: „ I n aufge- nommener Peinl, Untersuchung wieder des Padelfchen Bauern Matto Jürgens Knecht Thomas Inquisitum in puncto derer nach vorheriger wegen begangener Dieberey vollzogenen Be- ahndung aufs neu ausgeübten Diebstahls, wird nach Beprüfung desjenigen von ihm zugestandenen und Verhörung der Eigen- thümer von dem Kayserlichen Land Gericht vor Recht erkannt: Obwohl Inquisito, nachdem er wegen der vorher begangenen Diebstähle mit empfindlicher Leibesstrafe zu zweyenmahlen an- gefehen und beleget worden, gebühret hätte, folche fcharfe Züchtigung und Correction zu seiner Besserung dienen zu T>°rp. Zur. St- Nd, I, 5 66 lassen und aus Furcht vor dem Eyfer Göttl. und Weltl. Ge- setzen sich vor dergleichen schwere Verbrechen zu hüten, so hat er sich jedoch von seiner fortwährenden Bosheit dergestalt ver- leiten lassen, daß er die vorher ezercirte Dieberey wieder zur Hand genommen, und solche in schwerer Maaße, als zuvor geschehen, ausgeübet hat , , . . Wann nun Inquisitus durch Ausübung solcher Bosheiten seinen Nächsten so sehr beleydiget und seines Gutes ihn beraubet und mithin durch solches über- mässig Verbrechen wieder Göttl. und Weltl. Rechte sich schwer vergangen, so ist derselbe mit harter Leibesstrafe anzusehen und er zu 3l) paar Ruthen an 2 Sonntagen bey der Kirchen durch den Profosen gestrichen zu werden, nachgehends zur publiken Arbeit bey der nächsten Vestung bis ans Lebetag 8a1vl>. tllmsn I^yutei'lltinuL condemniret und vertheilet wird. V. R. W. Arensburg 1748, 5. May." I n demselben Jahr wurde ein anderer Dieb, „der berüchtigte Launato Iürge, wegen mehrfach begangener Dieberei „condemniret aller seiner Uebelthllten halber zu 20 paar Ruthen und 5 Monathen aä Fälle, in denen das Landgericht die Delinquenten wegen Diebstahl, verbunden mit Einbruch, zu Tode verurtheilte, habe ich in den Acten selbst nicht gefunden, doch geht aus einem Leuterationsurteil des livl. Hofgerichts über 2 vom öselschen Landgericht „ in puucto orinnuis kurti uill^ni ouin eikraotiauo" zu Tode verurteilten Diebe hervor, daß auch die Todesstrafe bisweilen beim qualificierten Diebstahl verhängt worden ist. Dieses Leuterationsurteil lautet: „Eines Kayserl. Land Ge- richts der Provintz Oesel in Inquisitions-Sachen wieder den publiken Pajomoisfchen Bauern Kurre Werre Michel und den publiken Körrustschen Bauern Sacka Tönnis Sohn Laratz in punota eriinini» turt i ma^in «nin «tkraotione, erfundenes Urtheil, welches Inquisitos mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht zu werden condemniret und daß das von ihnen 6? gestohlene und nicht restituirte mit 20 Rbl. 67'/, Copeken aus ihrem Eigenthums ersetzet werden solle verfüget, wird von diesem Kayserl, Hofgerichte, in Anleitung eines Hocherl. diri- girenden Senats-Ukase vom 4, IiHu8, hiemittelst dahin ober- richterlich leuteriret, daß Inquisiti an einem Sonntage öffentlich bey der Kirche mit 10 paar Ruthen gestrichen und auf ein Jahr mit Zuchthaus Strafe beleget werden in Ermangelung eines Zuchthauses aber ein Jahr publike Arbeit leisten sollen. V. R.W. Signatum im Kayserl. Hofgerichte auffm Schlosse zu Riga 1772, 20. Octobr." Die sonst in den Acten vorkommenden Strafen sind haupt- sächlich die Rutenstrafe, Geldbuße und Gefängnis für die von der Körperstrafe Gximierten. Nach der Strafordnung vom 18. Mai 1653 soll „die Buße dreymahl" so viel betragen, als der Diebstahl „geschätzet wird und der Dieb gebe außerdem dem Eigenthümer das Seinige wieder zurück." Diese Be- stimmung wird in den Acten garnicht eingehalten, obgleich sie sich stets auf diese Strafordnung berufen. I n ihnen beträgt die Geldstrafe immer nur den einfachen Wert des gestohlenen Gutes und bisweilen fällt sie sogar auch ganz weg. Nur in einem Fall hat sich das Landgericht vollkommen nach derselben gerichtet, jedoch müssen hier parteiliche Interessen mit im Spiele gewesen sein, denn das Strafgeld beträgt nicht allein das drei- fache, sondern es geht sogar über das vierfache hinaus. Der Fall ist folgender: Von der Frau „Cornette Riedelen geb. Sophia Dorothea Löffelbeinen" hatte die Frau Anna Wilhel- mine Mohnsohn, geb. Preuß im Jahr 1771 für 4 Rbl. Drell gestohlen. I m Urteil heißt es: „Es wird hiemit nach aus- drücklicher Vorschrift Cav. 3 not, 3. und Cap. V I I I not. a. von Diebstahl L, L. Beklagte dahin vertheilet, daß sie inner- halb 8 Tagen vom heutigen Tage angerechnet, die vor das gestohlene Stück Drell empfangenen vier Rbl. bei diesem Kayserl. Landgericht mit denen verwürkten 18 Rbl. Strafgeld und 4 68 Rbl, 48 Copeken Unkosten zusammen mit 26 Rbl. 48 Copeken baar und bey Vermeidung der Execution erlegen . . . " Nach dem Gesetz hätte die Delinquentin nur 20 Rbl. 48 Copeken zu zahlen gehabt. Vemerkenswert ist nach dem Landtag, daß „wenn Diebe am Leibe zu straffen, die drey doppelte Buße, deren sie schuldig erkannt worden, in sothane Straffe nicht mit eingerechnet werde, sondern die Leibes-Strafe allein nach Grüße des begangenen Verbrechens zu proportioniren sey." So wurde ein Pferdedieb im Jahr 1778 mit 20 paar Ruten bestraft und weil dieser dem Kläger auf keine Art im Stande war des Pferdes Wert zu ersetzen, so wurde er ihm „zur Leibes Arbeit für Beköstigung auf ein Jahr übergeben." I m Anfang des vorigen Jahrhunderts kommt noch die Strafe des Stehens am Schandpfahl vor; die Kirchensühne wird aber erst in den Urteilen von 1736 an erwähnt, was sehr auffallend ist, da die Landesordnungen dieselbe beim Diebstahl viel früher anführen. Seit 1743 an werden auch die Gerichtskosten vom Diebe verlangt, die bei dessen Freisprechung vom Ankläger be- richtigt werden mußten. Wieviel dieselben betragen konnten, zeigt gleich das erste Urteil: „ . . . .wurde beschlossen, daß Inquisitus 15 paar Ruthen empfangen und 75 Weiße zahlen als vor Schließung in Eisen, 8 Weiße vor dem Profofen, 24 Weiße der Soldaten Wache, 12 dem Landbothe und 16 dem Wita Jürgen vor dem, daß er 3 mahl feinethalben einge- kommen und feine Zeit verlohren, Arensburg 14. April 1743." Es findet sich in den Acten auch die Strafe der Landes- verweisung, die aber nur die fremden, in Oefel noch nicht eingebürgerte Perfonen, traf. So wurde einem Diebe, der schon „etliche Jahren" auf dem Lande als Knecht gedient hatte, 1720 im Urteil „angedeutet sich vom Lande zu begeben und fein Brodt anderwerts zu suchen." 1772 verbot das Landge- richt den Gebrüdern Rostock „als Fremden und Ausländern sich jemahls bey schwerer Strafe in diefe Provinz sehen zu 69 lassen," Offenes Geständnis und jugendliches Alter milderten die Strafe: 6 Mann hatten Korn gestohlen und waren nach ihrem „eignen Geständnisse gleiche Thäter und hätten eines Sinnes die Dieberey ausgeübet, bittend um Vergebung des Begangenen," Das Landgericht beschloß „weylen sie den Dieb- stahl geständig seyen, so sollten 5 zu 10 paar Ruthen, der 6, aber, als jüngster, zu 8.paar condemniret werden." Die an einem Diebstahl Betheiligten wurden nach einem „Königl. Brief an die Hofgerichte" vom 29. Ju l i 1698 geurteilt, wo- nach diejenigen, die vorsätzlich an einem Diebstahl teil nehmen „nach der Größe des gantzen Diebstahls bestraffet werden." Wenn sie aber „aus Zufall" zusammen kommen oder gezwungen werden, sich am Verbrechen zu beteiligen, so soll „der An- führer oder Urheber schärffer als die andern und zwar, wenn der Diebstahl groß ist, am Leben; die andern mit Interessenten aber mit Gassen-Lauff, Gefängniß oder dergleichen, nach dem, ob der Diebstahl groß ist, gestraffet werden." Auf diesen Königlichen Brief beruft sich das Landgericht im folgen- den Fall: Andres Solenius hatte am 9. Sept. 1767 aus einem Hause, in welchem er als Diener „engagiret war", mehrere Silbersachen, eine Uhr, wie auch 2 Flinten mit einer „Qullntite Schroot und Pulver" gestohlen. Einen Teil dieser Beute schenkte er seinem Freunde Jacob Romand, der nur zu- fällig Mitwisser des Diebstahls geworden war. Noch in der- selben Nacht verließen sie beide Oesel und begaben sich nach Dagden. Bald darauf kam Romand aber schon wieder nach Oesel zurück, wo er sofort „gefänglich eingezogen wurde", während es Solenius gelang, aus Dagden glücklich nach Est- land zu entkommen. Das Urteil in dieser Sache lautete: „Obzwar der begangene Diebstahl nach der Strafordnung von 1653 Lllndes-Ordnung MS, 92 mit der Lebensstrafe und um so viel mehr anzusehen wäre, als er von einem oomestiquen im Hause begangen worden, und danach auch Inquisitus 70 Jacob Romano als Complice von dem A, Solenius nun gleiche Strafe mit letzterem nach der L. L. von Diebstahl Cap. I I I not, a') verdienet zu haben scheint, so mag jeden- noch die Scherfe der Gesetze an ihn nicht ftatuiret werden, in Betracht dessen, daß er seinem beharrlichen Bekenntnisse nach nicht vorschlich, sondern da er von ohngefähr mit dem A. So- lenius zusammen getroffen auf dessen Zureden sich des Dieb- stahls theilhaft gemacht und von denen gestohlenen Sachen, in actis bereits speceficirten, nur eine Flinte und Uhre von dem Solenius bekommen und weil der Urheber und Hauptdieb A. Solenius sich mit der Flucht gerettet und die verdiente Strafe nicht an ihn vollzogen werden könne. Solchen nach erkennet das Kayserl, Landgericht dahin, daß Inquisitus Ja- cob Romand wegen seines begangenen in actis eingestandenen Diebstahls aus dem Hause des Herrn O. C. Hoffmann mit einer poen», extranräinaria dergestalt zu belegen, daß derselbe, nachdem er vom 6. Octbr. a, c. llequalursm «aroersZ ausge- standen, mit 15 paar Ruthen gestrichen und darauf, da er Ausländer und aus Finnland gebürtig aus dieser Provinz verwiesen werde.. , , V. R, W, 176? 29./XII. Carl von Poll, Landrichter. G. von Saß, Assessor; B. Nahmen, Secretair." Ebenso wie die Teilnehmer wurden auch die Hehler be- straft. So z. N. mußte der Bauer Selja Heinrich „als Hehler des Diebstahls nach Inhalt Cap. I I I not. a. „von Diebstahl" L, L. dem Willido Thomas, dessen zu 5 Rubl. moderirten Schaden vor Iohannis dieses 1772. Jahres bezahlen und wegen Verhehlung des Diebstahls und der Läuflinge mit 10 paar Ruthen abgestraffet werden." Nach dem Landlag Cap. X V MF. 520 sollte „Alles, was gekaufet wurde mit Mäklern und Zeugen gekaufet werden... die dafür stehen sollten, daß dasselbe rechtmässig erlanget sey, was er ihm erhandeln hilft." 1) Daselbst ist der „Königl. Nries ^n die Hofgerichtc" abgedruckt. 71 Waren nun gestohlene Sachen ohne Zeugen verkauft worden, so mußte der Käufer diefelben dem Eigenthümer zurückgeben. So hieß es in einem Urte i l : „ . . . die Wittwe Merbelt . . . folle das der' Polizey Ordnung zuwieder gekaufte Getreyde entweder in natura oder nach dem marktgängigen Preife in Geld bei diefes Kayserl. Landgerichts Kanzelley bei Vermeidung der Exemtion erlegen . . . " § 2. Kirchenranb. Nach der Strafordnung vom 18. Mai 1653 sollen alle „Kirchen-Diebe, die das erstemahl wenig oder viel stehlen am Leben gestraffet" werden. Der Kirchenraub scheint übrigens in Oesel im vorigen Jahrhundert zu den selteneren Verbrechen gehört zu haben, da ich in den Acten nur einen derartigen Fall gefunden habe, in welchem der Dieb aber freigesprochen wurde. I m Jahr 1771 war an einem Morgen die Lade in der Kirche zu Mohn „durchbohrt und bestohlen", gefunden worden. Der Verdacht fiel auf des „Kirchenkerls" Sohn, Peter, der deshalb sofort „zur Stadt" gefchickt wurde. Hier erbot er sich nun gleich seine Unschuld mit den „schwersten Eyden" zu beweisen und „warf dem Pastor vor", daß als dieser „seine Kleider hatte waschen lassen, so wären diese in der Kirche getrocknet worden, wobei aber die Kirchenthüren Tag und Nacht aufgestanden hatten und gewiß wäre der Dieb- stahl in dieser Zeit begangen worden." Das Urteil lautete: „Weylen, ungeachtet Peter aufs stärkste zugesetzet ward, der- selbe nichts bekennen wollte, so ward er auf freyen Füßen gestellt. . . ." 8 3 Schiffsraum I n den „Bausteinen zu einer Geschichte Oesels" heißt es Mss. 281: „Gegen das dem Heidentum entstammende barba- rische „Strandrecht" traten bereits Bischof Albert und die 72 öselschen Bischöfe Heinrich I, 1256 und Hermann v, Becker- hovede 1262 und 1277 auf. Doch trotz diefer und späterer Bischöfe Bemühungen erhielt sich der seeräuberische Sinn in den Nachkommen der einst so gefürchteten öselschen Piraten die ganze 300 jährige bischöfliche Periode hindurch. Auch in dem 86 jährigen Zeitraum, in welchem Oesel unter der Herr- schaft des entfernten, anderweitig beschäftigten Dänenkönigs sich so ziemlich frei bewegen konnte, währte das Unwesen fort. Ja selbst die stramme schwedische Regierung vermochte dasselbe nicht ganz auszurotten." Um nun diesem Unwesen endlich ein Ende zu machen, erließ die schwedische Regierung im Jahr 1676 speciell eine obrigkeitliche Verordnung für Oesel, die in einem Schreiben des Gouverneurs Siöblad enthalten ist, welches noch im Kirchenarchiv zu Kergel aufbewahrt wird: „Zur schlechten Renonwe dieser Provinz" sei bei einem Theile der Bevölkerung, besonders bei dem Landvolk „eine verboste, gott- lose Gewohnheit eingerissen", nämlich die Beraubung und Vernichtung gestrandeter Schiffe. Daher soll von allen Kan- zeln publiciert werden, daß „wenn jemand in Zukunft noch so barbarisch sein sollte, statt willfährig zu Hilfe zu kommen, wofür er laut Seerechten eine gebührende Belohnung er- warten kann, fondern sich zum Stehlen und Plündern der Verunglückten einfindet, der werde ohne alle Gnade als Räuber am Leben oder sonst exemplarisch bestraft werden'). Durch das Placat von 169? wurden die Strafen noch gewaltig für den Schiffsraub verschärft uud da sich in den Archiven Oefels keine einzige Verordnung mehr findet, welche sich auf den Schiffsraub bezieht, so kann daraus geschlossen werden, daß mit der Zeit die Begehung dieses Verbrechens in Oesel eine seltenere geworden war. Dieses wird wohl auch der Grund sein, daß ich in den Acten sehr wenig Fälle über den Schiffs- 1) Abgedruckt in den „Vaustemcn zu einer Geschichte Oesels" pa^, 282. 73 raub gefunden habe. Nach dem Placat vom 6, December 169? „Angehend die Gewalt und Räuberey, welche bey denen Schiff-Brüchen und Strandung der Fahr-Ieuge verübet wird" ') wird derjenige der „bey Tage oder Nacht" vorsätzlich falsche Feuer anlegt und dadurch einen Schiffsbruch oder eine Stran- dung erzielt hat „geköpfet und aufs Rad geleget und dem- selben zuerst sein bewegliches, darauf sein unbewegliches Eigen- thumb zur Ersetzung des Schadens genommen," Hatte er aber durch sein Vorhaben seinen Plan nicht verwirklicht und war das Schiff der Gefahr glücklich entronnen, so wurde er den- noch mit „sieben mahl Gassen Lauffen gestraffet," Wer aber gewaltsamer Weise von den gestrandeten oder ans Land ge- triebenen Sachen, so lange noch die Schiffsleute „das Gut bergen wollen und können", geraubt hatte, der sollte „am Leben gestrafft und aufs Rad geleget" werden, Stahl aber jemand etwas „heimlich von den Boots Leuten, der soll als ein Kirchendieb gestraffet werden," Sobald einer etwas wissent- lich vom gestrandeten Gut gekauft hatte „der follte drey doppelt büßen", waren die gekauften Sachen mehr wert als „60 Dahler", so mußte der Käufer „fein Leben lassen". Dieses Placat schließt mit den Worten: „ . , . doch wollen Wir in diesen Fällen Unser Recht der Geld-Straffe an des Verbrechers Eigenthumb in Gnaden nachgegeben und solches zu des Klägers Bezahlung, der den Schaden gelitten, gegönnet haben." Auf- fallend ist es, daß die Urteile des Landgerichts im X V I I I . Jahrhundert sehr viel milder ausgefallen sind, als dieses Placat es vorschreibt. Man müßte im Gegenteil annehmen, daß die Strafen für dieses grausame in früherer Zeit in Oesel so häufig vorkommende Verbrechen strict nach dem Placat von 169? festgesetzt werden sollten. Dieses läßt sich vielleicht nur daraus erklären, daß bei der Strenge des schwedischen Rechts 1) Cfr. Landes-Ordnungm pass, 331. 74 dasselbe in Oefel bei fast allen Verbrechen in milderer Form angewandt wurde, I . Am 12. October 1714 „Ließ sich bey sitzendem Ge- richte der Englische Commishaber Robert Skene anmelden, und brachte an daß, nachdem er so unglücklich gewesen und mit dem Schiff und Ladung von Wem nebst andern Sachen unter „Hunder Ort" gestrandet wäre, auch sich bemühet hätte, mit denen grüßten und schwersten Kosten theils Weine zu fal- viren; Er dieses noch erfahren müssen, daß boßhafte Leute, als der hiesige Weinkrüger I oh , G. Peltz mit Hülfe des zur Aufsicht bestellten Besuchers C. Lembachs heimlich weiße Weine wegzuführen sich unterstanden hätten," Das Urteil lautete: „ . . . nach dem de Ao. 1697 den 6. Nee. ausgegebenen Edict werden Inquisit i derer Sachen Umbstände nach dahin ver- theilet, daß Inquisitus I die 2 gestrandeten heimlich entführten Oxhofer Weine, weil er nicht in dem Vermögen auch den duplum aller zu erlegen, jedes Faß mit 20 Rtl . und die beyden Fäßchen Sirop mit 10 Rtl . an den Commishaber fogleich be- zahlen, die ihme desfals causirte 20 Rt l . Unkosten entrichten und des heimlichen Entstehens Colledirens mit denen Boots Leuten und verbotnen Handels halber 14 Tage, Inquisitus I I auch, weyl er gleichfals Unvermögen und mit keiner Geldbuße beleget werden mag, 3 Wochen gefänglich sitzen, condemniret, anbey zu dem Besucher und Strand Reuters Dienste un- tüchtig erkannt." II. Am 14. März 1730 klagte der Steuermann H. Diek, daß Carralsche Bauern von seinem gestrandeten Fahr- zeuge „ein groß Mast Segel und ein Fock Segel geraubet." Die Beklagten leugneten „überhaupt" auf dem Schiff gewesen zu sein und die Segel gestohlen, sondern in der „Modde" ge- funden zu haben, und obgleich der Kläger, wie auch seine Ieugen, behaupteten „wahrhaftig gefehen zu haben, daß beyde Beklagte nach dem gestrandeten Fahrzeuge hingefahren und die 75 Segel abgeholet, auch könne man ganz deutlich wahrnehmen, wie der große Mast mit Beylen abgekappet worden," so ver- urteilte das Landgericht die Beklagten doch blos zur Restitu- tion der beiden Segel, I I I . 176? war wieder ein gestrandetes Schiff bestohlen worden, da es aber bereits von der Mannschaft verlassen war, „das bewegliche Gut auch alles verauctioniret," so wurde dieser Fall nach dem Placat von 1697 als ein einfacher Diebstahl bestraft. § 3, Unterschlagung Die mit Heimlichkeit verbundene Unterschlagung und der Diebstahl wurden noch im X V I I I . Jahrhundert derselben Strafe unterworfen. Oap. V I I . Zie gemeingefährlichen Herbrechen. Brandstiftung. I n den Acten wird fast jede Brandstiftung, in welcher ein Wohnhaus angezündet wurde, als M o r d b r a n d be- zeichnet, ohne näher zu erklären, ob der Thäter die Absicht gehabt hat, mit der Brandstiftung auch Menschen ums Leben zu bringen oder nicht. Nach Buddenbrocks Ansicht be- zeichnet das Wort „ M o r d b r a n d " neben seiner wirklichen Bedeutung einen derart angelegten außerordentlich großen Brand, der viel Schaden verursachte, ohne daß dabei not- wendig ein Mord oder Totschlag auch nur beabsichtigt worden ist. Nur in sehr wenigen Acten wird der Mordbrand von der einfachen Brandstiftung unterschieden; wo dieses der Fall ist, da wird beim ersteren der lateinische Ausdruck „in zmuoto oi^lnini« inoenclii iusiniulati" gebraucht, die einfache Brand- 76 stiftung aber als «in puuoto «riuiiiii» inoonäii äolngi" be- zeichnet. I n den Urteilen herrscht ausschließlich das schwedische Recht. Auffallend ist es, daß ich in den Acten bis zum Jahr 1746 n u r Fälle gefunden habe, in denen Waldbrände vor- kommen, die meistens von jungen Bauerknaben angelegt worden waren. So klagte am 2, Juni 1730 der Major Math, Chr. v. Stackelberg wider des Kumi Marts Sohn Jahn, daß derselbe „Feuer in den Busch getragen und ein groß Theil davon eingeäschert sey, bittend, daß diese Bosheit bestraft werde." Der Jahn, 9 Jahr alt, gesteht dies That ein, wie auch, daß er im vergangenen Jahr mit einem andern Knaben, Simmo, der noch „jünger und kleiner" war, zusammen eben- falls einen Busch angezündet hatte. Das Landgericht verur- teilte den Jahn „zu 20 scharfe Ruthen Schläge auf den Rücken und Simmo zu 12 auf die postei-iora." Am 5. Juni dessel- ben Jahres wurden wieder zwei Knaben „als Buschbrenner" beim Landgericht angegeben, die beide zu „12 paar Ruthen nach der Predigt an einem Sonntage condemniret" wurden, der Vater aber, der seinen Söhnen das Verbrechen einzuge- stehen verboten hatte, mußte „die Unkosten vor dem Land Bothen und Profofen, zusammen 3'/- Carolin, erlegen." Nach der Verordnung von 1664 mußte jeder, der vorsätzlich „einen Wald oder Busch angezündet, mit dem Leben büßen." I n den vorliegenden Fällen wurden also die Delinquenten nur wegen ihrer Jugend zu einer „Leibesstrafe" verurteilt. Von 1746 an finden sich dagegen auch solche Fälle, in denen Wohnhäuser angezündet wurden. Nach dem Landlag Tit, IX . „Von schweren Halssachen", Cav. X I soll derjenige, der „eines andern Haus in Brand setzet und will beydes, sowohl das Haus als dessen Eigenthümer verbrennen und wird dabei er- griffen mit blafendem Munde und brennendem Brande," den dreifachen Wert des Schadens ersetzen und „darauf auf dem Scheiterhaufen verbrandt werden." Wird der Thäter aber 77 nicht auf der That ergriffen, so hat er binnen 6 Monaten allen Schaden zu erfetzen und außerdem eine Geldbuße von 40 Mark zu leisten. Wird einer aber unschuldig beim Gericht als Brandstifter verklagt, so unterliegt sein Ankläger der Geld- buße von 40 M. I n den Acten des öselschen Landgerichts werden die überwiesenen Delinquenten alle zur Enthauptung durchs Schwert mit nachherigem Verbrennen des Körpers auf dem Scheiterhaufen, die nicht überwiesenen zur Rutenstrafe verurteilt. Von der Geldbuße, wie von der Ersetzung des erlittenen Schadens ist in den Acten nichts zu finden; es liegt vielleicht der Grund darin, daß die Delinquenten hier nur unvermögende gewesen sind, und die Erwähnung des Schaden- ersatzes infolge dessen weggefallen ist. Ich führe nun hier den Thatbestand eines Falles an: I n der Nacht zwischen dem 17, und 18. Mai 1761 war das Pllstoratshaus auf Mohn „bey Nachtschlafender Zeit in Feuer aufgegangen." Da kein Grund vorlag zu glauben, daß das Feuer durch Unvorsichtigkeit entstanden wäre, so „war man geneigt anzunehmen, daß es durch eine boshafte Zu- thuung von Menschen herrühre." Der Verdacht fiel auch gleich auf eine frühere Stubenmagd, Ewa, die am Tage vor dem Brande einen Diebstahl auf dem Pastorat begangen hatte und noch in derselben Nacht daselbst gestohlen hatte. Sie wurde sofort ergriffen und mit ihrer Freundin, Liefo, die sie „der Mitwissenschaft beim Diebstahl" beschuldigte, zur Untersuchung auf das benachbarte Gut Tamsal gebracht, wohin sich der Pastor mit seiner Familie geflüchtet hatte. Hier nun ließ der Major von Heller, „weyl er glaubete, daß ihm solches als Offtcier competirte", der Delinquentin Ewa im Stall in Ge- genwart des Pastors Kellmann „mit der Canschucke einige Schläge geben, um von ihr ein Bekenntniß herauszubringen." Dieselbe gestand schon nach den ersten Schlägen ein, daß sie „das Pastorat" in Brand gesteckt und viele Sachen gestohlen 78 habe, unter denen „sich auch einige silberne Löffel befunden, die sie der Lieso abgegeben, die vom Diebstahl Wissenschaft haben solle," Als nun letztere diese Aussage in Abrede stellte, befahl der Major „weylen beider Aussagen nicht überein- stimimten, sie beiderseits, Ewa und die Lieso, neben einander auf der Erde niederlegen und hätte sie zuerst mit Ruthen auf dem bloßen Hemde durch feinen Denfchicken ivechfelweife schlagen lassen, mittlerweile ein Kerl dm Kopf, der andere die Füße halten müssen; weil die Lieso aber durch die Ruthenschlage nicht zum Bekenntniß zu bringen gewesen, so hatte der Den- schick mit der Canschucke umwechseln müssen und wären sie ebenso, wie mit den Ruthen, neben einander auf der Erde liegend, wechselweise an die posterior», geschlagen worden, bis endlich der Herr Pastor, der bey allem dem in der Her- berge zugegen gewesen es vor dienlich erachtete von der Strafe aufhören zu lassen," Ein Augenzeuge dieser Scene berichtete vor dem Landgericht, daß „die Gwa die Schläge mehr er- tragen habe und nicht so bluthig gewesen, wie die Lieso, welche wie ein Kessel Boden blau und gantz mit Bluth zugerichtet gewesen." Vor Gericht bestätigte Ewa ihre Aussagen, während die Lieso nur so viel zugab, daß sie von der ersteren wohl verschiedene Sachen empfangen habe, aber sie hätte nicht ge- wußt, daß es gestohlene gewesen wären, von den silbernen Löffeln wisse sie aber „wahrhaftig nichts, die Gwa müsse un- schuldig auf I h r bekandt haben," was letztere auch schließlich zugab. Das Urteil lautete: „Daß die in punoto «riminis il iosnäii 6olc»8i angeklagte Ewa mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode zu bringen und nachhero der Körper zu Asche zu verbrennen sey, Lieso aber, da sie zur Zeit ein säugend Kind an der Brust hat, allhier mit einem Klotz am Beine arrestl. zwdliks Arbeit ein halbes Jahr verrichte und als- dann noch 10 paar Ruthen Strafe zu erleiden habe, salva iLuterMono ans Hofgericht, zu dessen Verfügung auch die 79 zur Ungebühr von dem Herrn Second-Major Heller aus der Pernauschen Garnison vorgehabte Inquisition auf Tamfall hingestellt wird," Das Leuterationsurteil des Hofgerichts ist leider hier nicht vorhanden. Es liegt in den Acten auch ein Brandstiftungsfall aus dem Jahr 1794 vor, der aber sehr unvollständig sich erhalten hat, da hier nur die Aussagen der Zeugen vorhanden sind, aus denen man noch garnicht entnehmen kann, wie das Ur- teil ausgefallen sein mag. Ob in diesem Fall schon das russische Recht zur Anwendung gekommen, läßt sich aus diesem lückenhaften Material auch nicht erkennen. Kap. V I I I . Herbrechen gegen die ßheordnung. Ehebruch. AIs Richtschnur für die Strafen des Ehebruchs hat dem öselschen Landgericht die Strafordnung von 1653 vorgelegen, nach welcher beim einfachen Ehebruch der verheiratete Teil „80 Dahl. Silb. Münz", gleich 40 Rtl . Geldbuße, der unver- heiratete Teil „40 Dllhl." gleich 20 Rtl . erlegen soll. Beim ersten Rückfall wird die Strafe verdoppelt, deim zweiten ver- dreifacht nebst Landesverweisung bis auf 6 Jahr und „geschiehet es zum drittenmllhlen", so tritt die Todesstrafe ein. Was das Strafmaß, besonders die auf zu erlegende Geldbuße anbetraf, so haben die Richter in dieser Beziehung ungemein willkürlich gehandelt. Ich habe keinen einzigen Fall gefunden, in welchem die Geldbuße in ihrem vollen Betrage erhoben worden ist, geschweige denn, daß sie beim Rückfall verdoppelt, resp. ver- dreifacht wurde. Trotzdem citieren aber die Richter häufig diese Strafordnung. Sie haben vielleicht auch hier wieder Gnade vor Recht ergehen lassen, indem ihnen die ärmlichen Verhältnisse des kleinen Insellandes nur allzu bekannt waren 80 und dem entsprechend die Geldbuße von den Delinquenten in einem geringeren Grade verlangten. So war Gustav Magnus v. R, im Jahr 1715 „zum drittenmahlen des Ehebruchs halber" beim Landgericht verklagt. Er, als der nicht verheiratete Teil, hätte demnach nach der Strafordnung 60 Rtl, Geldbuße zu zahlen gehabt, während das Landgericht ihn nur zu „8 Rtl, dem Gericht und der Kirche ein gleiches zu büßen" verurteilte. Aus der Acte geht hervor, daß es diesmal nicht zur völligen Ausübung des Delicts gekommen war, aber trotzdem hatte R, nach dem Gesetz eine größere Geldbuße verdient. Bei den Unvermögenden betrug die gesetzmäßige Rutenstrafe sowohl für den verheirateten wie unverheirateten Teil 15 Paar für den Adulter, 10 Paar für die Adultera, Außerdem wurden sie noch zu einer Kirchensühne bis zu drei Sonntagen, je nach ihrer Schuld, verurteilt. Aber auch in der Erteilung dieser Strafe variieren die Urteile häufig von einander. So wurde im Jahr 1728 „der Coelljallsche Cubjas Herma Herm, da er zum andern, mal mit der Kaddri Unzucht getrieben und Ehe- bruch gebrochen zu 25 paar Ruthen, daß er heute 15 und zwar morgen 10 paar erhalte, auch zu 6 Sonntage Kirchensühne condemniret", während im Winter 1733 ein Bauer Kippi Ado, der mit einem und demselben Weibstück die Ehe „zum zweiten- mahlen" gebrochen zu haben verklagt war, nur 20 Paar Ru- then und zu 3 Sonntagen Kirchensühne verurteilt wurde. Beim zweiten Fall lag noch außerdem das erschwerende Moment vor, daß Adultera von dem Ado schon wieder schwanger ge- wesen, als sie die Strafe letztmahlen ausgestanden und sie es nicht schon damals eingestanden hatten." Für denjenigen Teil wurde die Strafe über das gefetzmäßige Maß hinaus ver- fchärft, der den andern zum Ehebruch verleitet hatte. So lautete im Jahr 1720 das Urteil in Betreff der Ehebrecher Pendi Mick und des Westi Nemo Tochter Marre: „Weyln die That von Seiten des Adulter im trunckenen Muthe ge- 81 schehen und die Hure ihme die Gelegenheit dazu gegeben, so solle er mit 10 paar Ruthen gestraffet werden und aä I'asto- rsm loci zu zweyen Sonntägiger Kirchen Sühne remittiret, Adultera dagegen solle mit 12 paar Ruthen scharf gestrichen werden," — 1726 war der Jochim Ioh. Stachel „ein beweibter Kerl" in zmuotn aäuiterii sinizilioiß angegeben. Ihm ward „angedeutet, daß er wegen dieses Verbrechen, da er die Kaddri 8ud 8pe mati-imouii geschwängert mit 20 paar Ruthen be- leget werde," Auf seine Bitte „selbige lösen zu dürfen", wurde ihm gestattet „die Leibes Strafe mit 10 Rtl. zu lösen," Hatte ein „Ehekerl" ein Mädchen mit dem Versprechen zu seinem Willen gebracht, daß er sie nach dem Tode seines gegen- wärtigen Weibes heiraten würde, so wurde seine Strafe ver- schärft und „außerdem ihnen mitgetheilet, daß folche Personen nie getraut werden dürfen." Strafmildernd, bisweilen auch vollkommen strafbefreiend wirkte die Verzeihung oder Für- bitte des betrogenen Ehegatten resp. Ehegattin. 1728 war der „Pastoratsknecht" Jahn und des Kirchenkerls Michel Weib wegen begangenen Ehebruchs denunciert. Die That war in der Nadestube geschehen, wo „das Weib sich zum Adulter geleget," Aoultera führte zu ihrer „Defension an, daß ihr Kerl wäre kränklich und fo wäre die Neiwohnung nicht in 6 Jahren geschehen," Sie wurde auf „ihres Ehekerls Anhalten, die gesetzmäßige Strafe ihr zu erlassen" nur zu 6 Paar Ruthen und zu 3 Sonntagen Kirchensühne verurteilt. 1730 waren „des Hennika Matzens Eheweib und dessen Schwester Sohn Jürgen ipso aotu im Ehebruch von ihrem Ehekerl ge- troffen worden," Der letztere bat „inständigst, daß sein Weib, als eine jugendliche Person von dem Gottlosen Jürgen würde verführet worden, mit keiner zu strengen Strafe möchte Be- leget werden." Sie wurde „od tavurein matriinoiüi mit 8 paar Ruthen gestrichen." 1735 bat ein Eheweib, welches „in der Volleren von dem Assoka Laratz vorlängsten stupieret D°ip. I m , St, Bd, I. <> 82 ' worden," daß sie von der Strafe befreit werde, „weylen ihr ' Ehekerl ihr das Verbrechen erlassen und sie wieder liebend angenommen, auch nachgehends mit ihr ein Kind erzeuget, wiedrigens sie zu besorgen habe, daß es dem Ehekerl wiedrig ^ und schwer genug fallen würde," Das Landgericht befreite sie auch von der Körperstrafe und verurteilte sie nur zur Geld- buße von einem Rtl., die sie „an der Karrischen Kirchen" zahlen mußte, Milde fiel das Urteil auch im folgenden Fall t aus: 1728 war der Kudjavaesche Cubjas Hinrich „ein Ehe- kerl" angegeben, mit einem „Weibstück Catharma Hurerey ge- triben zu haben." Gr führte an, daß er „von feiner vorigen Herrschaft gezwungen worden war ein alt Weib mit Kindern zu nehmen, welcher er aber nie beygewohnet, weyln sie sehr alt und keine Zähne mehr im Maule gehabet," Hinrich wurde deswegen nur zu 10 Paar Ruthen und „einer Sonntäglichen Kirchen Buße" verurteilt, 1735 kommt der erste Alimentations- fllll beim Ehebruch vor, wo der Adulter außer der gesetz- mäßigen Strafe und Kirchenfühne, die er abzubüßen hatte, dem Weibe noch zwei Loof Roggen und zwei Loof Gerste „zu des Kindes Unterhalt" reichen sollte. Als Ehebruch, nur milder gestraft, wurde auch der sog. ! Verlöbnisbruch, d, i. der Beischlaf eines Verlobten mit einer andern, angefehen. 1729 war der Perna Hannus vor Ge- richt citirt, weil er nach feiner Verlobung mit Marre „das Weibstück Ingel geschwängert" hatte. Von den Richtern wurde ihm „sein boßhaftiges Bezeugen" vorgehalten und „daß ! er so gut wie ein Ehebruch begangen, was jener auch zuge- stand"; auch wurde er überredet „doch lieber Stuvratam zu heurathen, was er aber negierte." Der Perna Hannus wurde >, zu 12 Paar Ruthen und zu 2 Sonntagen Kirchensühne con- demniert. Ob die Stuvrata auch einer strengern oder blos der gesetzmäßigen Strafe des Stuurum unterzogen wurde, geht aus der Acte nicht hervor. 1761 hatte des Schulmeisters 83 Weib Ed, „ in wehrender Verlöbnis mit dem Knecht Jürgen Unzucht getrieben und 5 Monat nach der Hochzeit sey das Hur Kind gebohren," Das Weib wurde, da „ihr Ehekerl das Vergehen ihr vergeben und ihr bereits wieder beyge- wohnet" von der Strafe diesmal befreit, aber „dafür ihre große Sünde scharf vorgehalten," der Knecht Jürgen erhielt aber die „behörige" Strafe. — Nach den schwedischen Kriegs- artikeln von 1683 Tit, 16, ß 96 wird es nicht als Ehebruch, sondern als einfache Unzucht bestraft, wenn ein Ehegatte den anderen verläßt und der Verlassene sodann „mit einer ledigen Persohn sich fleischlich vermischet und dabey keine Gewiß- heit vorhand, ob der Entlaufene lebendig oder tot sey; und dieses zwar ungeachtet zwischen den beyden noch keine gerichtliche Scheidung geschehen seye," So verurteilte im Jahr 1732 das Landgericht ein Eheweib, die von ihrem Gatten vor 3 Jahren verlassen war , ohne daß sie von ihm einige Nachrichten erhalten und „jetzt ein unecht Kind in Hurerey erzeiget" hatte, blos zu 5 Paar Ruthen und zu ein- maliger Kirchensühne, Es lag in den Acten nur ein Fall vor, der einen dop- pelten Ehebruch behandelt, in welchem aber der Beklagte frei- gesprochen und nur zum Ersetzen „derer Fiskalischen als auch der Kanzelley Unkosten, welche erstere auf 35 Rbl, moderiret, die anderen aber auf 19 Rt l . 2 Weisse gesetzt worden," ver- urtheilt wurde, Die Strafe des doppelten Ehebruchs war nach dem Landtag die Enthauptung durchs Schwert, Durch einen Ukas vom 6. Apri l 1764 hörte der Ehe- bruch auf criminell strafbar zu fein. Nach demselben wurde der einfache Ehebruch mit 4 Rubel, der doppelte aber mit 8 Rubel von jeder Person zum Besten der Kirche bestraft und die Verhandlung folcher Sachen gehörte feitdem zur Competenz der Kirchenvorsteher, 84 Oap. I X . Die Mnzuchtsdelicte. 8 1. Incest. Durch das noch im vorigen Jahrhundert geltende schwe- dische Recht wurden die Gränzen der Blutschande am weitesten gezogen und mit ihnen auch deren Strafe bedeutend verschärft. I n dieser Beziehung ruhte das schwedische Recht ganz auf der Grundlage des mosaischen, was deutlich aus einem „Königl, Brief ans Gothländifche Hofgericht" den 28. Sept. 1699 her- vorgeht: „Begehet einer im Verwandtfchafts-Grade Blutschande, der nicht ausdrücklich Levit. Cav. 18 verbohten steht, der büßt dafür 80 Dahl. Silb. Müntz." Während im X V I I . Jahrhundert nur auf den gefchlechtlichen Umgang zwifchen Blutsverwandten auf- und absteigender Linie die Todesstrafe stand, der Incest aber begangen zwischen Geschwistern, wie auch zwischen Verschwägerten ersten Grades in grader und in der Seitenlinie, nur die Ruthenstrafe und ewige Landes- verweisung nach sich zog, so wurde schon durch eine in den Lllndesordnungen verzeichnete Verordnung vom 1, August 1693 „die Fleischliche Vermischung in dem ersten und andern Grade" der Schwägerschaft in gerader Linie, wie auch zwi- schen Geschwistern mit der Todesstrafe belegt, welche durch eine neue Verordnung vom 17. November 1699 auch noch auf den Incest, begangen innerhalb des ersten Grades der Schwägerschaft in der Seitenlinie, bezogen wurde. Diese letztere Verordnung wurde aber durch eine russische „Reichs- justizcollegiums Resolution" vom 23. December 1769 aufge- hoben, welche verfügt, daß „der Incestus in primo aMnita- ti» Araäu lineae «nilatsi'ali« nicht mehr mit der Todesstrafe belegt werden sollte." Der geschlechtliche Umgang zwischen Geschwisterkindern wurde „mit 80 Dahl. Silb. Müntz" be- straft, waren dieselben unvermögend, so trat die Ruthenstafe ein. Nach dem Landtag ?»F. 91 lag kein Incest vor, wenn 85 ein „unverheuratheter Mann seiner vorigen Frauen Vater- Nruders oder Vater-Schwester-Mutter-Bruders oder Mutter- Schwester-Tochter (uxoris deinortuae Oonsobrinm, vol M> ti'uäain Äuiitinain vel iuatru6llm), die auch unbeheurathet ist, beschlafen, solches wird als Hurerey zwischen Fremden angesehen und darnach bestraffet," I n den Acten habe ich ver- hältnißmllßig wenig Falle über Blutschande gefunden, doch sind auch hier, — ähnlich wie in den vorhergehenden Abschnitten, dar- gelegt— die Strafen viel milder, als gesetzlich erlaubt, ausgefallen. I. I n einem Schreiben an den Cavitain Beyer von Weißfeldt wird folgendes mitgeteilt: „Es hat das Erl, Hof- gericht in Criminlll Sachen des Neuhofschen Bauern Reino perdi Hans wegen der mit seiner eigenen Tochter begangenen Blutschande, dieser letzteren halber dergestalt Leuterando vom 14, Nov. 1728 l,. p. verfügt, daß selbige nach allhie ausge- standenen Ruthenstrafe vom Lande weg und nach dem Per- nauschen Kreyse gebracht und an den Herrn Cavitaine ausgeliefert werden foll, mit beigefügtem Bericht, daß von der rigifchen Oeconomie dem Herrn Cavitaine schon damals eröffnet, wo- hin die Deliquentin weiter zu befördern sey," Aus welchem Grunde die Deliquentin nicht zur verdienten Todesstrafe ver- urteilt worden war, entzieht sich meiner Beurteilung, da in den Acten sonst nichts von diesem Fall enthalten ist'). II. I m Jahr 1765 waren der Kossi Laus und Pawli Tio vors Gericht berufen, „weyln er mit der Tio, als seiner Mutter-Schwester Bluthschande getrieben." Beide gestanden „im Jahre 1762 einmahlen sich fleischlich mit einander ver- mischet zu Habens". Das Urteil lautete: „Weyl vor Ema- nirung des allerhöchsten Pardon Placats solche Extravagance 1) Von» Vater der Deliqueutiu wird nur erwähnt, daß er „seine Strafe ausgestanden hat," Vermutlich wohl die Todesstrafe. 2) „Nebenbei hat das Gericht bemerkt, daß der Laus ein sehr ein- fältiger Menfch sey," 86 geschehen, so werden beyde dimitiret, unter der ernstl, Ver- warnung hinführo sich vor dergleichen Sünden zu hüten und an kastori loci geschrieben ihnen beyden, durch ernstlichen Vorwurf dafür zu warnen." I I I , 1775 war der Lahhentagfche Bauer Subli Toenu beim Landgericht «in puneto inoegwZ et infantioiäii insi- luulati" verklagt. Das Urteil fiel folgendermaßen aus: „ . . . hat das Landgericht vor Recht erkannt: Inquisitus Toenn hat nach seinem Geständniß mit seines Vaterbruders Witwe Trien seit vorigen Winters einem Jahre, bis Iohannis a. p. in fleischlicher Neywohnung gelebt und nachdem bei deren Lebzeiten ihre leibliche Schwester Mcckri vor Weyhnachten ». z). geheyrathet; darauf nachdem ein todtes Kind zwey Wochen vor Mar. Verl. u. o. auf feinem Haufes Boden sich vorge- funden, und er, daß solches von der verstorbenen Trien dahin versteckt, und daß er Vater von selbigem sey, sich überzeugt be- funden, dahero er in Ansehung des doppelten lueestus, als auch der Veranlassung und des Antheils an dem Intantioiäio die rigoreufe Lebensstrafe verwirkt zu haben scheint. Wann aber, was den fleischlichen Umgang mit feines Vaters-Bruders Witwe Trien belangt, solche «üb 8z>s matrimonii gefchehen und das Crimen auf Inquisiti, als eines einfältigen Menschen Seite gemildert wird, weil er um die Concession dieser Hei- rath angehalten und es nicht abzusehen, warum das Kayserl. öselsche Consistorium für ihn darin die zu erhaltende Dispen- sation bey Gin Erl. Hohen Reichs-Iustice Collegium nicht tentiret, bey dem andern Fall aber, daß er nämlich bei Leb- zeiten der Trien ihre Schwester Marr i geheyrathet, vermöge Eines Erl. Hochpreißl. Kayserl. Hofgerichts Rescrivti vom 3. Sept. 1771 keine höhere Strafe als von 10 paar Ruthen bey der Kirchen um so weniger Statt hat, als Inquisitus Toenn seinem Bekenntnisse nach von der verstorbenen Trien, mit welcher allen fleischlichen Umgang cefsiret, unter beragenden. 8? Gründen zu dieser Heirath persuadiret worden und sodann betreffend die Inculpation der etwaigen Teilnehmung an dem Kindermord, der Inquisiti Entschuldigung von seiner Un- wissenheit der Schwangerschaft als auch des abgelegten Kin- des, denen Umständen nach wahrscheinlich so wie seine an- fängliche Verheimlichung des versteckten Cadavers billig seiner Bestürzung zuzuschreiben, überdem aber auch, dessen Eheweib von ihm schwanger ihn zur Ehe behalten will und Vorbitte für ihn thut, Als erkennet das Kayserl. Landgericht für Recht, daß Inquisitus Toenn an einem Sonntage bei der Kielkond- schen Kirche mit 10 paar Ruthen gestrichen werde, darauf die Kirchensühne untergehen solle und von aller andern Strafe zu befreyen sey. . ." Arensburg 1775')." I V, 1785 den 16, September war der 21jährige Kangro Gustav, Caspers Sohn in puuoto incWtu» vors Gericht citirt „nebsten feiner verwittweten Stiefmutter Marre, mit der er das Nelictum begangen," Das Urteil lautete: „Nach- dem beyde Inquisiti laut ihrem beyderseitigen beharrlichen Bekenntniß die Sünde des Incestus dergestalt betrieben, daß der Gustav während feines unverheyratheten Standes die N Ich fübrc hier das Urteil des Hofgcrichts an i „Eines Kayserl iiand Gerichts der Provinh Desel in Inauisitions Sachen wieder den Pri- mat Lahhentagschen Bauern Subi Toenn in zwnoto iuoeztu» ot mlantioi- äii erfundenes Urteil, desmittelst Inquisitus dahin vertheilet worden, daß derselbe an einem Tonntage bey der Kiclkondschen Kirche mit 10 Paar Ruthen gestrichen und einmahliger Kirchensühne untergehen solle, will ein Kllyserl. Hofgericht ratioiw dcr Kirchcnsühne zwar bestätiget, in Ansehung der Ruchenstrafe aber dahin geschärft haben, daß selbiger mit 2N Paar Ruthen an zween Sonntagen jedesmahl mit 10 Paar bei der Kirchen ge- strichen werden solle, indem, obgleich der incsstu» nicht völlig erwiesen worden, Inquisilus doch eingestanden, daß er der verstorbenen Schwester seines Weibes und seines Vatcrbruders Wittwe Trine beigewotznet, daß das aus seinein Boden gefundene todte Kind von ihr und er Vater von selbigem seyn müsse, auch das Kind von seinem Weibe Marre genommen und heim- lich verstecket. Inzwischen ist die Ehe diescrhnlb nicht zu trennen. V. R. W. Riga 1775, 2U. May," fleischliche Vermischung 5—6 auch noch mehrere mahl, die sie sich nicht zu erinnern wissen mit gedachter seiner damals ver- wittweten Stiefmutter Marre verübet, und obgleich sie keine Erlaubnis sich zu ehelichen erhalten, dem ungeachtet nicht nur nachher, sondern auch, nachdem der Gustav eine andere geheirathet, diesen incestuösen Beischlaf viermahl wiederholet und sodann in diesem Delicto keinerley cireuiustÄiitia t'acti concurriren, welche als untissantss anzusehen wären, vielmehr beyde Teliquenten nicht wenig aggraviret, daß auf Seiten der Marre wegen einer Fruchtabtreibung der Verdacht nicht ganz gehoben, und noch minder von dem Gustav derjenige einer begangenen Sodomiterey, als welches Verbrechens wegen er schon vor 4 Jahren unter Inquisition gewesen und bloß durch sein Leugnen bei ermangelnden hinlänglichen Beweisen freigekommen: Als erkennet das Gericht dahin, daß beide Inquisiti die gesetzliche Cavitalstrase laut Placats vom 1, Aug, 1693 pass, der Landes - Ordnungen 562 ingleichen dem Cav, I I I § 1 not, d, L, L, Tit,: „Von Ehesachen" verwirket haben, Arensburg 25. Sept, 1785." Von 1719 liegt ein Fall der Blutschande vor, begangen von Geschwister-Kindern, bei welchem das Urteil sich leider- nicht erhalten hat, § 2, Sodomie. Aus den Acten gehen nur Fälle der soäniuiÄ ration« Fenoris hervor, keine aber der soäomia ration« «exus, unter der man zu damaliger Zeit die Päderastie verstand. Die »c>- äomia ratiaue Fensris muß in Oesel sehr häufig vorge- kommen fein, was aus den vielen Anklageakten entnommen werden kann, denn eine jede auch zufällig anstandswidrige Positur hinter einer Kuh oder Stute scheint den Zeugen derselben zu einer Klage beim Landgericht veranlaßt zu haben. Ich habe nicht weniger als 30 solcher Denunciationen in den Acten ge- 89 funden', von denen die meisten blos leere Anschuldigungen sind, in denen der Angeklagte völlig freigesprochen, der De- nunciant dagegen häufig zu einer Geldstrafe verurteilt wird. So wurde im Jahre 1771 „die Denunciantin wegen der ungegründeten Angabe und der leichtsinnig ausgebrachten ehrenrührigen Rede dahin vertheilet, die verursachten Kosten mit 1 Rbl, 30 Cop. baar zu erlegen mit der Verwarnung sich künftighin vor dergleichen Anfchuldigung eines oriniwis eapiwii» bey exemplarischen Ruthenstrafe zu verhüten," I m felben I l lh r wurde ein Lieutenant von Buencken „wen (wegen) einer leeren Anschuldigung außer zur Erlegung der Canzelley Gebühren noch zu 4 Rbl, Strafe" verurteilt. Nach dem Land- lag wurde derjenige, der „beim Verbrechen der Sodomie auf frischer That" ergriffen oder durch unstreitige Zeugen „mit Beistimmung des Gerichts" des Verbrechens überwiesen wurde, mit dem Tier zusammen „lebendig in. die Erde verscharret oder mit Feuer verbrennet." Aber schon vor 1709 war die Strafe in soweit gemildert worden, als der Missethäter vor- her enthauptet und darnach auf einem Scheiterhaufen ver- brannt wurde. Milder fiel die Strafe aus, wenn er nicht auf der That ertappt wurde; in diesem Fall fand die Ruthen- strafe statt mit nllchheriger Verwendung auf eine gewisse Zeit zu publiker Arbeit, Einer Kirchensühne mußte der Deliquent sich in allen Fällen unterwerfen, auch bei der Verurteilung zur ewigen Landesverweisung, was im X V I I . Jahrhundert in Livlllnd noch nicht der Fall gewesen war.') Nur wo der Deliquent zur Todesstrafe verurteilt wurde, fand keine Kirchen- fühne statt. Vor der Unterziehung der letzteren wurde der „Missethäter von neuem im Christenthums belehret und her- nach erst llbsolviret," Die Strafen des Landgerichts für das 1) Cfr. W, o. N l l l nkcnh l l gen 'K Abhandlung üb« das livl. Strafrecht in XVII, Jahrhundert. 90 in den Acten als „stumme Sünde" bezeichnete Verbrechen waren auch hier sehr milde. I n einem Urteil, in welchem der Angeklagte freigesprochen wurde, äußerte sich das Land- gericht folgendermaßen: „. . - - so wird Inquisitus hier nach der Richter Regel bei existirendem dunklen Bewandtniß, lieber einen Schuldigen loszulassen als einen Unschuldigen zu ver- dammen, freigesprochen," Ich führe nun einige Fälle an. Aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts liegen mir von den maßgebenderen Fällen leider nur die Hofgerichtsurteile vor. I> „Eines Kllyferl. Landgerichts der Province Oesel wieder des Abrofchen Bauern Ubstani Perto Knecht Jürgen in puuoto soäoiuia eröffnetes Urtheil, Inhalt dessen Inqui- situs dahin vertheilet worden, daß er, nach erlangter Wissen- schaft seines Christenthums, zu zween mahlen mit 10 paar Ruthen gestrichen, eine zweyjährige publique Arbeit in der Festung Bernau untergehen, nachgehends aber die Province Oesel auf ewig räumen, das Corpus Delicti anbeneben aus dem Wege geräumt werden solle, will das Kayserl, Hofgericht aus denen in actis sich befindenden Umstanden loutoi-auäc» dergestalt geändert haben, daß Inquisitus, wenn er zuförderst in seinem Christenthume genügsam unterrichtet worden zwey- mahliger Kirchensühne untergehe, sodann an zween Sonntagen jedesmahl mit 10 paar Ruthen gestrichen werde und vier- jährige publique Arbeit, welche jedoch in Rücksicht Ihro Kay- serl. Maj. jüngsthin emanirten Hohen Pardons-Placats und dessen § 3 auf 2 Jahre zu moderiren und festzusetzen ist, nach deren Verlauf Inquisitus aus ewig die Province Oesel zu meiden hiemittelst angewiesen und nach der Kayserl. Oeko- nomie sodann zutreffende Verfügung nach einem andern vu- bliquen Gute allhier in Lifland verleget werden wird. Uebri» gens das Corpus delicti, die schwarze Kuh betreffend, so bleibt es bey des Land Gerichts Spruche V. R. W. Riga 1731, den 31. Iu ly." 91 II. „Eines Kayserl, Landgerichts der Pronince Oesel wieder des Mohnschen Bauern Simmo Jahns Sohn Pert in punoto 8oä5 Specieller Teil 24 Cap, I. Verbrechen wider da? Leben 24 § I, Mord unv Todtschlag 24 § 2. Verwllndtcnmord 30 § 3, Kindesmord 35 ß 4, Culposc Tödtllng 43 ß 5, Cnsuelle Tödtung 44 § a. Selbstmord 45 § 7, Abtreibung , 48 Cap. I I , Verbrechen wider die leibliche Unversehrtheit . , , 49 Cap, I I I , Gefährdung von Leib und Leben 51 Aussetzung 51 Cap, IV, Verbrechen wider die persönliche Freiheit , . . , 53 § I, Störung des Hausfriedens 53 § 2, Störung des Landfriedens 56 Cap. V, Verbrechen wider die Ehre 58 Cap. VI , Verbrechen wider die Vermögensordnung . , , , 05 z 1. Diebstahl N5 § 2. Kirchenraub 71 z 3, Schiffsraub 71 § 4, Unterschlagung 75 Cap. VI I . Die gemeingefährlichen Verbrechen 75 Brandstiftung 75 Cllp, VI I I . Verbrechen gegen die Eheordnnng 79 Ehebruch 79 Cap. IX. Unzuchtsdelicte 84 § 1, Incest 84 § 2, Sodomie 88 § 3, Unzucht mit Kindern unter 14 Jahren , . , , 93 § 4. Notzucht 9« § 5. Stuprum 98 Cap. X, Verbrechen wider die Religion 101 II. Nachträgliche Erörterung einiger Fragen in Betreff des s. g. Gnaden- oder Trauerjahrs nach dem Gesehe für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Rußland voll U»ss iuris Ferdinand Seraphim» Vereidigtem Nechtsanwnltc in Nlitau, s 1, I n meiner im X I . Jahrgange der Dorvater juristischen Zeitschrift veröffentlichten Abhandlung über das s, g, Gnaden- oder Trauerjahr nach dem Gesetze der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rußland, der ein von mir ausgearbeitetes Rechts- gutllchten zu Grunde liegt, muhte ich es als meine wesentliche Aufgabe ansehen, die bisher kaum noch bearbeitete und viel» fach strittige Lehre vom Trauerjahr einer Revision auf Grund der umschlägigen Rechtsbestimmungen zu unterziehen, um an meinem Theile dazu beizutragen, die in dieser Materie ob- waltenden Schwierigkeiten und Zweifel zu lösen und eine correcte Anwendung der bezüglichen Rechtsnormen in der bis- her unsicheren und vielgestaltigen Praxis herbeizuführen. Die durch diese, ohnehin ziemlich schwierige Aufgabe ge- botene Beschränkung auf die Interpretation der in Rede stehenden, vielfach unvräcife gefaßten, mit ihrer Quelle, dem 106 Allerhöchst bestätigten Reichsrathsgutachten vom 11, April 1838 Nr. 11132, sowie unter einander nicht ganz übereinstim- menden Rechtsnormen, hat es denn mit sich gebracht, daß ich auf Fragen, die außerhalb dieser Aufgabe lagen, nicht näher einging. I n Folge dessen sind denn nach dem Drucke meiner abgedachten Abhandlung mir noch mehrere Fragen zur gut- achtlichen Beantwortung gestellt worden, die soweit sie nicht auf einem offenbaren Mißverständnisse der Ergebnisse meines ersten Gutachtens beruhten und daher durch den Hinweis auf diese Ergebnisse ihre Erledigung finden konnten und auch wohl gefunden haben, den Gegenstand der nachstehenden Er- örterungen abgeben. I n ihrer näheren Präcisirung sind diese Fragen folgende: 1) wenn, in Gemäßheit des Punkts ? des R, R, Gut- achtens vom 11, April 1838 und des dem correfpondirenden Punkt 6 des § 357 (22?) des Kirchengesetzes (Ausgabe vom Jahre 1857), die im Punkt 6 des R, R, G. v. 11, April 1838 und in dem correspondirenden Punkt 5 des 8 357 (227) des Kirchengesetzes (Ausgabe v, I , 1857) enthaltene Bestimmung über die Berechnung des Trauerjahrs sich ana- log auch auf die Prediger, welche das Pastorat verlassen, um ein anderes zu übernehmen, und auf den Nachfolger resp, die Prediger-Wittwen- uud Waisenkasse, welche in den Fällen des 8 358 (229) I. o. während der Zeit, wo erledigte Pre-- digerstellen unbesetzt bleiben, die Einkünfte des betreffenden Pastorats zu beziehen hat, erstreckt, w ie ist dies näher zu verstehen? und bis w a n n hat der Prediger, der das Pasto- rat verläßt, um ein anderes zu übernehmen, die Einkünfte des ersten Pastorats zu beziehen? 2) in wie weit hat der Nachfolger des bisherigen Pre- digers den zum Genusse des Trauerjahrs Berechtigten resp. 107 der betreffenden Prediger-Wittwen- und Waisenkasse für ver- schuldete Verminderung der monatlichen Einnahmebeiträge zu haften? und wie gestaltet sich in dieser Hinsicht das Verhält- niß zwischen den zum Genusse des Trauerjahrs Berechtigten resp, der betreffenden Prediger-Wittwen- und Waisenkasse einerseits und dem neuen Prediger andererseits? 3) in wie weit steht dem bisherigen Prediger respective seinen Erben, desgleichen den zum Genusse des Trauerjahrs Berechtigten resp, der betreffenden Prediger-Wittwen- und Wllisenkasse ein Anspruch auf Ersatz von Verwendungen a u f die Substanz des Pastorats, namentlich durch Bauten auf demselben, zu? § 2 , Für die Beantwortung dieser Fragen wird es erforder- lich sein, allem zuvor den I n h a l t des Rechts des Predigers am Pastorat und die N a t u r dieses Rechts näher zu erör- tern, was, bei der Dürftigkeit sowohl der gemeinrechtlichen als auch unserer provinzialrechtlichen einschlägigen Nestim- mungen im Einzelnen, mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Soviel ist unzweifelhaft, daß dieses Recht ein dingliches') ist und unser Provincialrecht^) qualificirt es als s, g. „Nutzungs- eigenthum", während das Obereigenthum nach Art,595 i. c der betreffenden Kirche, nach der ungenaueren Wortfafsung des Art. 945 1. o. aber der Kirchengemeinde zusteht °). Diese, theoretisch unhaltbare Unterscheidung zwischen „Obereigenthum" und „Nutzungseigenthum", die auf einer 1 > E ichh o r n , Grundsätze des KirchenrechtK Nd, I I , S, 743 fgr, 2) Thl, I I I , Art. 945. A) Vera,!, hierüber V. K u f t f f c r, Das unbewegliche Vernwgcu der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen Livlands im XXXVI I I . Ndc. der Baltischen Ntouatsschr. S, 452—471 u. 513—5««. De r n b n r q . Pan- dekten, 2 Aufl. Vd. I. § l>4. Note 2. 103 gänzlichen Verkennung des Eigenthumsbegriffs beruht, kann selbst dann zu praktisch nur wenig brauchbaren Resultaten führen, wenn das Prov,-Recht der Ostseeprovincen gewisse a l l g e m e i n e Rechte a l l e r N u t z u n g s e i g e n t h ü m e r aufführt und zu diesen rechnet: 1) das Recht, das Immobi l zu besitzen und gleich dem- jenigen Eigenthümer, der vollständiges Eigenthumsrecht hat, im weitesten Sinne zu nutzen, in soweit es ohne Nachtheil für die Substanz der Sache geschehen kann, 2) das Recht alle Eingriffe in den Besitz und das Gi- genthumsrecht, gleich dem Eigenthümer, durch die gesetzlichen Mittel abzuwehren und zur Verfolgung seiner Rechte sich ge- gen dritte Besitzer der Eigenthumsklage und der den Besitz schützenden Klagen zu bedienen'), 3) das Recht auf den Zuwachs'), 4) das Recht auf den im Grundstücke gefundenen Schatz ^). Denn da, außerdem im Art, 945 I. e. gedachten Nutzungs- eigenthum der Prediger an den Pastoratslanoereien und der Beamteten an den Amtswidmen, in der Anm, zum Art. 946 I. «. noch verschiedene sonstige Arten des s. g. Nutzungseigen- thums, wie z, B, das Grund- oder Erbzinsrecht'), der jetzt nicht mehr praktische, s. g, Erbpfandbesitz') und die Erbpacht °) aufgeführt sind, welche sich als Rechte des a l l e r v e r s c h i e - densten R e c h t s i n h a l t s ergeben'), so bleibt für alle Ar- ten des s, g, Nutzungseigenthums n u r das G e m e i n s a m e übrig, daß sie w e i t g e h e n d e d i n g l i c h e N u t z u n g s - 1) Thl, III. Alt. 947, 2) I, o, 949, 3) l. o, 950, 4) l. o, 1297—1307. 5) I o, 1539—1568, 6) I, e, 4131—4154, 7) Nrgl, hierüber C, E r d m a n n . System des Privatrechts der Ost' seeprovinzen Liv- Est- u, Curland Nd, I I , ß 115. 109 rechte des im U e b r i g e n verschiedensten I n h a l t s seien, und es liegt daher in der Natur der Sache, daß über- all da, wo es, wie z. B. hinsichtlich des Nutzungseigenthums der Prediger an den Pastoratsländereien, an näheren Bestim- mungen mehrfach fehlt, oft Zweifel darüber entstehen müssen, nach der Analogie welchen anderen dinglichen Nutzungs- rechts eine gesetzlich nicht entschiedene Frage zu beurtheilen ist? ja ob solche Anwendung der A n a l o g i e ü b e r h a u p t statthast erscheint und die Entscheidung nicht vielmehr auf anderem Wege zu gewinnen ist? 8 3. Zur Beseitigung dieser Zweifel wird man die dadurch l> e- d i n g t e geschichtliche und rechtliche Entwickelung des Nutzungs- rechts der Prediger an den Pastoratswidmen ins Auge zu fassen haben, daß das Recht der Prediger an dem Pastorate kein r e i n p r i v a t r e c h t l i c h e s ^i8 in r« Meng, ist, son- dern auf ö f fen t l i ch rech t l i chem T i t e l b e r u h t , ebenso wie das Recht der Beamteten an den Amtswidmen, daß vielmehr die Pastorate dem vocirten jeweiligen Prediger zu seinem Unterhalte A m t s e i n k ü n f t e aus den K i rchen- u e r m ö g e n , zu welchem das Pastorat gehört, zu gewähren, dauernd bestimmt sind, und daher mit Rücksicht auf die Er- haltung des Pastoratlandes für diese i h m gegebene dauernde Bes t immung dem jedesmaligen Prediger so- wohl P f l i c h t e n auferlegt, als auch Rechte gewähren muß, die bei anderen A r t e n des s. g, Nutzungseigenthums dem Nutzungseigenthümer nicht obliegen resp. nicht zustehen'). So darf z. A. der E rbpäch te r die Substanz des Grundstücks wesent l ich v e r ä n d e r n und haftet l e d i g - lich f ü r E n t w e r t h u n g desse lben, er darf ferner für 1» Darauf weiset auch E r d m a >i u !, o. Not, 6 mit Nccht hin. cf. uch E i c h h u r n I. o. S, 744. 110 die Dauer seines Rechts das gedachte Grundstück mit Hypo- theken, Servituten und Reallasten beschweren, sein Erbpfand- recht veräußern, vererben, darüber letzwillig verfügen, darf aber dagegen, wenn nichts Anderes verabredet ist, selbst den Ersatz der n o t h w e n d i g e n Verordnungen nicht verlangen und i n gewissen F ä l l e n ü b e r h a u p t gar keinen Ersatz von Verordnungen beanspruchen'). Der G r b p f a n d b e - sitzer ferner hat das Recht der unbe fchränk ten Ver - f ü g u n g über das Gut, dergestalt, daß er damit jede be- l i e b i g e V e r ä n d e r u n g vornehmen darf, ohne deshalb dem Verpfänder irgend verantwortlich zu sein, der nicht befugt ist, wegen etwaiger Deteriorationen des Guts durch den Grb- pfandbesitzer Einsprache zu erheben und überhaupt auf keine Weise sich in die Verwaltung des Guts mischen darf^). Ueberdies ist der Erbpfandvesitzer, der sein Erbpfandgut ver- erbt, berechtigt, dasselbe mit Hypotheken, Servituten und Reallasten zu beschweren, unter gewissen Voraussetzungen ohne Genehmigung des Verpfänders fein Erbpfandrecht in Eigen- thum zu verwandeln, auch, wenn nichts Gegentheiliges ver- abredet ist, fein Erbpfandrecht auf einen Dritten zu übertra- gen^) und ist endlich, ebenfo wie seine Erben und Rechts- nehmer, berechtigt, nach Ablauf der Pfandjahre bei Einlösung des Pfandguts erweislichen nothwendigen nützlichen Verwen- dungen, i n C u r l a n d f o g a r a l l e , v o n i h m n u r e i n - fach au fgegebenen , nicht auch zu be legenden , Verwendungen vom Verpfänder resp. dessen Erben und Rechts- nehmern ersetzt zu verlangen ^). D a s G r u n d - oder E r b - zinZrecht endlich, welches, hierin abweichend vom Erbpfand- 1) Thl. III des Prov,-Rechts, Art, 4142, 4149, 4150, 4141, 4153. 2) I. o, Art, 1547, 1548, 3> I, o, Art, 156a, 1552, 1554, 1555, 4) l, o, Art, 15,04, 111 rechte, ein auf keine Z e i t d a u e r beschränktes, daher aber auch vererbliches, dingliches Nutzungsrecht ist, gewährt dem Grundzinsner eben deswegen auch keinen Anspruch auf Ersatz von Verwendungen, begründet für ihn aber auch an- dererseits keine Verpflichtung zum Schadenersatz für Deteri- orationen'). Der Grundzinsmann muß aber jede von ihm beabsichtigte Veräußerung seines Grundzinsrechts dem Zins- herrn anzeigen, der bei einem V e r k a u f e ein binnen zwei Monaten auszuübendes Verkaufsrecht hat^). Der Grundzins- mllnn darf das G r u n d st ück selb st nicht mit Hypotheken, Servituten oder anderen Reallasten beschweren, wohl aber an auf dem Grundstücke von ihm aufgeführten Gebäude Servi- tuten und Hypotheken bestellen'), § 4 , G a n z wesen t l i ch a n d e r s , als diese r e i n p r i - v lltrechtlichen Arten des s. g. Nutzungseigenthums muß sich aus dem bereits angegebenen Grunde das dingliche Nutzungsrecht des jedweiligen Predigers am Pastoratslande gestalten. Sein Recht ist allerdings ein vielfach viel weiter gehendes, als das des Usufructuars, denn er erwirbt die Früchte des Grundstücks nicht erst durch Perception, fondern fchon durch Separation"), ihm gebührt der auf dem Pasto- ratslande gefundene Schatz °) und der Zuwachs, den das Pa° storatslllnd, z. B. in einer neu entstandenen Insel, erhalt°). 1) I, L, Art, 1324, 1325, 2) 1, «, Alt. 1327. 3) I, o, Art. 1329, 4) I. «, Art. 947, Anders beim usustruows cf, Art. 752 1. o, 5) 1, e. Art, 950. Anders beim usustruLtus nach gemeinem Recht und Art, 1210 I, «, 6) 1. o, Art. 949, Anders beim Nießbrauchs wo sich das Recht des Nießbrauches auf den Zuwachs n u r d a n n ers t reck t , wovon dieser mit der Hauptsache u n m i t t e l b a r v e i b u n o en ist, also nicht auch auf die neu entstandene Insel, cf. Art. 1209 I, o. 112 Aber sein Recht ist kein vererbliches, kein veräutzerliches son- dern auf seine Amtszeit beschränktes; er darf das Pastorats- land nicht mit Hypotheken, Servituten und Reallasten be- schweren, auch nicht während der Dauer seines Rechts; eben- sowenig daher die Substanz des Pastoratslandes wesentlich verändern, dieselbe auch nicht deterioriren, sondern ist ver- pflichtet das Pastoratsland i n S t a n d zu e r h a l t e n " ) , das Land gehörig zu bebauen, die inuentarienmäßigen Ge- bäude zu repariren, jedoch beschrankt sich das dies n u r aus m ä ß i g e A u f w e n d u n g e n und auf die laufenden Aus- gaben, welche regelmäßig Jahr ein Jahr aus, wenn auch in verfchiedenen Formen, wiederkehren: den durch Unterlassung solcher Aufwendungen geursachten Schaden hat er zu ersetzen ^), Aufwendungen v o n a u ß e r g e w ö h n l i c h e n D i - m e n s i o n e n , wie z, B. die Kosten einer H a u p t r e p a - r a t u r der inventarienmäßigen Gebäude und deren N e u - b a u t e n liegen jedoch dem Prediger n ich t ob, der aber wohl verpflichtet ist, die Anzeige der Nothwendigkeit solcher Hauptrepratur resp, Neubauten den Bauverpflichteten, — sei es, was selten vorkommt, der Kirche, wenn sie ein dazu be- stimmtes Capital besitzt, sei es, was in Curland das Regel- mäßige ist, nach speciellen Bestimmungen oder altem Her- kommen, den Besitzern der zur Kirche eingepsarrten Güter °), durch den K i r c h e n v o r s t a n d zu machen, widrigenfalls 1) Dies ergiebt sich nicht bloß aus der Analogie des U8U8truotu8 sondern auch schon aus dem Zwecke, dem das Pastoratsland gewidmet ist, cf, c»lch 8 !>44 (494) des Kirchengesetzes (Ausgabe v, I , 1857),' 2) Su ist es beim Nießbrauch« und es ist kein Grund vorhanden, gerade für das dingliche Nutzungsrecht an den Pastoratswidmen in dieser Beziehung etwas Abweichendes als Norm anzunehmen. 3) E i c h h o r n I, e. S. 748 u, 804, Note 18, Reglement für die Kir° chenvursteher, Oberkirchenvorsteher und Kirchcmnspectionen Eurlands §§ 170 und 171, ^ 1 ^ 3 er für den durch Unterlassung der Anzeige geursachten Sachen aufzukommen hat'). Entsprechend der den Pastoratswidmen gegebenen Be- stimmung, zum Unterhalt des jeweiligen Predigers zu dienen, ist mit dem Befitze des Pastorats nicht das Recht verbunden Krüge und Schenken zu halten, desgleichen nicht das Recht des Brandweinsbrandes und der Schenkerei, so wie mit der dem Pastoratslande gegebenen Bestimmung es andererseits auch zusammenhängt, daß die Prediger die zu ihrem Unterhalte bestimmten Ländereien zwar wohl verpachten dürfen, daß je- doch zur G ü l t i g k e i t der P a c h t v e r t r ä g e die Ge- nehmigung des betreffenden Oberkirchenvorsteheramts erforder- lich ist, eine Vergebung in Erbpacht oder auch nur in länger als 12 Jahre dauernde Ieitpacht nur mit Genehmigung des Ministers des Innern geschehen darf^). Dieses also näher charakterisirte Nutzungsrecht des Pre- digers b e g i n n t , wenn nicht nach dem Tode des V o r - gängers das Trauerjahr zu Gunsten der dazu Berechtigten Platz zu greifen hat, m i t dem Tage d e r I n t r o d u c - t i o n ' ) und endet 1) mit dem Tode des Predigers, 2) mit feiner früheren Ueberführung zu einer anderen Gemeinde und Introduction in das neue Amt, 3) im Falle der Nieder- legung feines Amts mit dem Tage der Eröffnung seiner Ver- abschiedung/), 4) mit der Entsetzung vom Amte. 8 5. Darnach ergiebt sich für die Beantwortung der ersten Frage (§ 1) Folgendes:' I m Falle der Erledigung eines Pastorats sollen bis zur Introduction eines Nachfolgers nach §§ 288 und 289 des 1) Kirchcngesch (Ausgabe v, I , 1857) § «21 l,?ü). 2) Thl. I I I des Prov. Rechts Art. 889 u, WO. 3) z 311 (178) des Kircheiigesetzcs (Ausg. v, I . 185>7), y I. «. § 30« (,67), D»ip. I»l. S». «d. I. ^ , 6 114 Kirchengesetzes, Ausgabe v, I , 1857, der Gottesdienst und alle geistlichen Verrichtungen durch einen vom Consistorium ernannten Vicarius oder durch die sämmtlichen Prediger des Kreises nach der Reihenfolge besorgt werden und müssen die erledigten Stellen in der Regel nach 4 M o n a t e n oder spätestens nach 6 M o n a t e n wieder besetzt werden. Bis dahin werden die A c c i d e n t i e n — von dem Falle, wo das Wittwenjahr Platz greift, abgesehen, — dem Vicarius resp, den der Reihenfolge nach die Amtshandlungen vornehmenden Predigern, die E i n n a h m e n vom Pas to ra te aber der Kirche zufallen müssen, da der betreffenden Prediger-Wittwen- und Waisenkasse, nach § 358, 1, 1. «., die Einnahmen vom Pastorate n u r dann zustießen, wenn durch den T o d des P r e d i g e r s die Predigerstelle erledigt ist, f a l l s a l s - d a n n das Pastorat über das T r a u e r j a h r h i n a u s vacant bleibt oder der verstorbene Prediger entweder keine Familie hinterlassen oder seine Familie auf die Vortheile des Trauerjahrs kein Recht hat, das den Prediger-Wittwen- und Waisenkasfen gewährte kenMcäuin aber, als ^us singulare, s t r i c te zu interpretiren ist. Nur f ü r den F a l l , wenn der Prediger wegen Alter, Schwachheit oder Krankheit seine Stelle niederzulegen ge- nöthigt ist, ist sein Nachfolger, nach § 301 1. «., verbunden, ihm V-, alln seiner Pfarreinkünfte zu überlassen, welche Ver- pflichtnng bis zum Eintritte eines Nachfolgers doch wohl der Kirche (durch den Kirchenvorsteher vertreten) obliegen wird. Für die Berechnung dieses ^ aber ist, insoweit es sich um die Einkünfte aus der Ernte und die sonstigen, — d. h, außer den Accidentien und der festen Gage in baarem Gelde, — dem Prediger gebührenden, aber zu verschiedenen Zeiten fälligen, nicht cafuellen, festen Leistungen handelt, wieder der 1, Januar als allgemeiner Termin anzunehmen, mit der Maaßgabe, daß der verabschiedete Prediger vom Tage der i h m e r ö f f - 115 neten Verabsch iedung ab nur V« der ebenso, wie beim Trauerjahre, nach den monatlichen Durchschnittsbeträgen be- rechneten qu, Einkünfte erhält, b is zum Tage der E r - ö f f n u n g seiner Verabsch iedung aber die Einkünfte nach dem vollen monatlichen Durchschnittsbetrage des be- treffenden Kalenderjahres, Dies Letztere gilt selbstverständlich auch für jeden Prediger, welcher aus anderen Gründen das Pastorat verläßt, um ein anderes zu übernehmen, b is zum Tage seiner I n t r o d u c t i o n i n das neue A m t und ebenso für jeden Prediger, der wegen Kränklichkeit seinen Ab- schied nimmt oder der seines Amtes entsetzt wird '), b i s zu m Tage der i hm e r ö f f n e t e n Verabsch iedung resp, b is zur Amtsen tse t zung , während ein vom Amte bloß suspendirter Prediger, der nach § 377 I, 84. Thl. I I I des Plov.-Rechts. 119 und Nachfolger im Amte handelt, gar keine recht l ichen Bez iehungen . Jeder Prediger erhält, gänz l ich u n a b - h ä n g i g v o n seinem V o r g ä n g e r i m A m t e , die Pastoratswidme zu seinem U n t e r h a l t e im Namen der Kirche, als Eigenthümerin, durch die V o c a t i o n und i n G e m ä ß h e i t derselben. I n dieser nicht vorgesehene Ersatzverpftichtungm gegen den Amtsvorgänger aber können dem Nachfolger im Amte nicht füglich obtrudirt werden. Ge- gen diesen kann weder der Gesichtspunkt der unrechtfertigen Bereicherung, nach der der negotiorum Fsstio') geltend ge- macht werden, — D ie Kirche ferner als Eigenthümerin der Pllstoratswidme würde für Meliorationen der Substanz, die an und für sich unter den Gesichtspunkt der impeusae ntilss fallen, also durch die die Substanz wesentlich verbessert, na- mentlich der Ertrag derselben vermehrt wird, m, E., ebenfalls dem bisherigen Prediger nicht ersatzpflichtig sein, weil solche Verwendungen d e r K i r c h e , als Eigenthümerin der Pastorats- widme, welche die dauernde Bestimmung hat, dem jedes- m a l i g e n P r e d i g e r den U n t e r h a l t zu g e w ä h r e n , nicht zu gut kommen, sür sie keine u n r e c h t f e r t i g e Bere i che rung enthalten würden, auf welchem Gesichts- punkte doch die Verpflichtung zum Einnahmeersatze beruht, wo der Ersatzanspruch nicht schon nach den Grundsätzen der ue- Mtiorum ASstia berechtigt erscheint. Insbesondere wird dieser Gesichtspunkt aber dann in die Augen springen, wenn die utile» irnpen8ll« in Erbauen nicht i n v e n t a r i e n m ä ß i - 1) Eine n e g o t i o r u m ^ « « t i u müßte eist nach den gewöhnlichen Rechts- liestimmungen über nsFo t . ß«8t io , u n a b h ä n g i g d a v o n , d a ß d e r n s ß o t i o r u m A 8 8 t o r g e r a d e d e r b i s h e r i g e P r e d i g e r g e w e s e n , begründet sein. E ine Thätigkeit des bisherigen Predigers n i c h t i n e i g e n e m I n t e r e s s e , sondern im Interesse seines k ü n f t i g e n Nachfolgers im Widmenbesitze, ungewiß w a n n dieser Nachfolger eintreten wi rd , u n t e r w e l c h e n V e r h ä l t n i s s e n und w e r derselbe sein w i r d , w i rd sich auch nicht leicht denken lassen. 120 g e r G e b ä u d e bestehen, D e n B a u v e r p f l i c h t e t e n , — sei es ausnahmsweise die Kirche, die einen dazu bestimmten Fond hat, seien es die Besitzer der zur Kirche eingepfarrten Güter, — liegen lediglich d i e H a u p t r e p a r a t u r e n und d i e N e u - b a u t e n der i n v e n t a r i e n m ä ß i g e n P a s t o r a t s g e - bäude ob. Sie können daher nicht füglich verpflichtet sein, ihre Zustimmung zur Aufnahme bisher nicht inventarien- mäßiger Gebäude in die Zahl der inventarienmäßigen Ge- bäude zu ertheilen und damit ihre Bauverpflichtungen über das einmal normirte Maaß zu vergrößern. Ja die Kirche wäre dazu, ohne besondere durch den Kirchenvorstand zu ex- portirende Genehmigung der Oberbehörden gar nicht e in - m a l berech t ig t ' ) , Aufwendungen für nicht i n v e n t a r i e n m ä ß i g e Ge- bäude würden auch nicht einmal unter den Begriff der i in- pensas iieosssariay fallen können. Vollends würde bei solchen Aufwendungen auch der Gesichtspunkt der n e ^ a t i o r u i n T e r t i a ausgeschlossen sein, weil die Umstände eben nicht dazu angethan wären, die gesetzlich postulirte Annahme zu be- gründen, daß der äaiuiuus n«Fatü, wenn er seinen Willen kundzugeben Gelegenheit gehabt, diese Art der Stellvertre- tung gebilligt hätte 2), § 8 . An den i n o e n t a r i e n m ä ß i g e n Gebäuden sind die Bauverpflichteten allerdings verbunden, d i e H a u p t r e p a r a - t u r e n und N e u b a u t e n zu besorgen, aber der jedes- malige Prediger ist verpflichtet, sich mit seinem bezüglichen Ansprüche an den Kirchenvorstand zu wenden, der seinerseits nur, nach vorgängiger Zusammenberufung der Kirchspielsver- sammlung, in Gemäßheit der von dieser darüber gefaßten 1) § 613 (467) des Kirchengesches, (Ausgab. U. I . 1857). 2) Thl. I I I des Prov,-Rechts, Art, 4423. 121 Beschlüsse, auf, wo erforderlich, nach eingeholter Bestätigung der Oberbehörde, die betreffenden Hauptreparaturen und Neu- bauten ausführen darf und gehalten ist, die mit Zustimmung der Kirchspielsversammlung zu repartirenden Beiträge zu den qu. B a u t e n und R e p a r a t u r e n festzustellen und letztere zu beaufsichtigen'). Auch dürfen die Kirchenvorsteher die qu. Bauten und Reparaturen, deren Kosten aus K i r chen- m i t t e l n zu bestreiten sind, wenn der Betrag 150 Rbl, über- schreitet, nicht anders, als mit Genehmigung des competenten Oberkirchenvorsteheramts, welches seinerseits die etwa noch er- forderliche höhere Erlaubniß einholt, ausführen ^). Nur wo unter den gegebenen Umständen s o f o r t i g e s u n m i t t e l b a r e s E insch re i ten des P r e d i g e r s sich a l s d r i n g e n d geboten e r w e i s e t , u m das Gebäude gegen ganz- l i c h e n R u i n , Z e r s t ö r u n g o d e r V e r l u s t zu s ichern, w ü r d e eine a l s b a l d i g e nacht räg l iche Anze ige h i e r ü b e r g e n ü g e n , um dem Prediger den Anspruch auf Ersatz der nothwendigen Verwendungen zu sichern, da dann dem Kirchenvorstllnde die Möglichkeit geboten wird, nach- t r ä g l i c h die erforderlichen obgedachten Schritte zu ergreifen und die Herbeiführnng der Gemehmigung des Baues zu ex- portiren, auch inzwischen schon die B a u t e n zu be- aufs ich t igen. Abgesehen von einem solchen D r i n g l i c h k e i t s f a l l e aber wird der Prediger daher n icht , den sonst vorgeschrie- benen Weg umgehend, v o n sich aus die in Rede stehenden Bauten und Reparaturen bewerkstelligen dürfen und vollends nicht, wenn auf fein betreffendes Ansuchen schon abschlägig beschieden worden, sondern hat so l chen fa l l s den Weg der Beschwerde bei der competenten Obrigkeit einzuschlagen. 1) 8 633 <487) des Nrchmgesetzes (Aiisgalie v, I . 1857). 2> I. e. 8 M8 (467). 122 Bei eigenwilliger Ausführung der qu. Bauten und Re- paraturen wird ihm ein Anspruch auf Elfatz feiner Verwen- dungen aber nicht zuzustehen fein, den er übrigens unter allen Umstanden nicht gegen f e i nen Nach fo l ge r i m A m t e zu richten berechtigt wäre. Das Einzige, was dem Prediger bei Verwendungen auf die Substanz zugestanden werden kann, ist demnach, von Dring- lichkeitsfällen bei impsn8llL u s c e s s a r i a n abgesehen, da er sich mit i^noi-antia juris nicht entschuldigen darf, lediglich das Ms toNsnäi, unter den Beschränkungen, denen dasselbe gesetzlich unterliegt. Dasselbe würde daher wegfallen, wenn durch die Wegnahme die Hauptfache schlechter wird, als sie vor der Verwendung gewesen oder wenn die Wegnahme dem Ver- wendenden keinen Vortheil gewährt, also auch dann, wenn ihm der Werth ersetzt wird, den der Gegenstand des jus tul- Isnäi noch vor der Wegnahme haben würde'). Bei iuipenga« ntilss und volupwllrias aber, die auf inventarienmäßige Gebäude verwendet worden, würde j e d e n f a l l s nur das ^U8 tolleuäi Platz greifen, da der Prediger es weiß, daß die- selben auf eine fremde Sache verwendet worden, er also auch nicht einmal in gutem Glauben sich befand^). § 9 . Das in den §§ 7 und 8 bezüglich der Ersatzansprüche des bisherigen Predigers wegen Verwendungen auf d ie S u b s t a n z des Pastorats Gesagte wurde aus den dafür angeführten Gründen in gleicher Weife für die zum Trauer- jahr Berechtigten resp. die Prediger-Wittwen- und Waisenkasfe zu gelten haben. Wenn die in §§ 7 und 8 in Betreff der 1) 3hl. I I I . des Plov,-Rechts Alt . 582 und 583. 2) Art. 772, 1. L. Die Beschränkung des Art. 1227 I. o. für den bloßen N i e h b r a u c h e r , der sich dns M tollsuäi vorbehalten haben muß, dürfte, a l s e i n e g a n z s i n g u l a r e , auf das Nutzungsrecht an der Pastoratswidmc n ich t anzuwendende sein. 1 2 3 ^ Verwendungen auf die Substanz gewonnenen Resultate als durch d ie ganze r e c h t l i c h e S t r u c t u r des dem jewei- ligen Prediger an der Pastoratswidme zustehenden dinglichen Nutzungsrecht gebotene anerkannt werden sollten, so wird sich aus den bisherigen Ausführungen auch ergeben, daß diese Re- sultate sich jedenfalls nicht durch einfache Anwendung der römischrechtlichen Bestimmungen über Ersatz von Imvensen auf den Substanz der Sache im A l l g e m e i n e n , worauf die Lehr- und Handbücher, in Ermangelung besonderer parti- kularrechtlicher Nestimmungen, zu verweisen, sich beschränken, noch durch die, zu allem Ueberfluße sehr controversen, häufig als maaßgebend bezeichneten, besonderen B e s t i m m u n g e n ü b e r den A n s p r u c h d e s N i e ß b r a u c h e r s a u f E r - satz der v o n i h m a u f den G e g e n s t a n d des u s u s - t ' r u o t u s gemach ten V e r w e n d u n g e n ' ) , haben ge- winnen lassen, sondern lediglich durch die Erwägung der b e s o n d e r e n N a t u r des dinglichen Nutzungsrechts der Prediger an der Pastoratswidme, und der sich aus der be- sonderen Natur d ieses N u t z u n g s r e c h t s ergebenden sachgemäßen Consequenzen. 1) Wie strittig gerade diese Nestimmungen über den Ersatz der auf die Substanz der Sache gemachten Verwendungen sowohl beim ususli-uotus, als auch bei der Emphyteuse gemeinrechtlich sind, wie wenig also damit, zumal für eine wissenschaftlich correcte Praxis, gedient ist, wenn schlechtweg diesbezüglich auf das Römische Recht auch für das Nutzungsrecht an der Pastoratswidme verwiesen wird, dasür liefert gerade die gemeinrechtliche ein- schlägige Literatur den besten Beweis, Ich verweise in dieser Beziehung u. A. bezüglich des ususlruotuF auf: V m i l H o f f m a n n , die llehre von den Servituten Bd. I § 48 S. 165; R u d o l f E l v e r s , Die römische Servitutmlehre S. 533 fgn. S c h o e n e m a n n , Die Servituten. 8 18 m t in«; D e r n b u r g Pandekten Vd. I H 248 in Nus; v. H o l z s c h u h e r Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts 2. Auflage Bd. I I . Kap, I I I S. 344, und in Betreff der Emphyteuse aus W i n d s c h e i d Pandekten 5. Auflage. Vd, I § 220 Note 1 und die daselbst Citirten; Ho lzschuher I, <>. Kap. IV S. 408 und die daselbst Citirten. III. Die wesentlichen Normen des Versicherungs- vertrages von Oan<3 juris Alfred Kühn. ^. E i n l e i t u n g . I. Horwort. Eine der interessantesten Erscheinungen im Rechtsleben der vorigen Jahrhunderte ist fraglos das Institut der Ver- sicherung, Der lebhaft aufblühende Handel des Mittelalters ließ das Bedürfniß nach einem Mittel, sich gegen die feind- lichen Naturgewalten und die mannigfachen, unberechenbaren Zufälligkeiten, die der immer weiteren Umfang gewinnende Ver- kehr mit sich brachte, schützen zu können,hervortreten. Dieses Mittel fand sich in der Assecuranz, Entstanden und groß geworden in der kaufmännischen Welt, hat dieses Rechtsinstitut eine freie und ungebundene Entwickelung durchgemacht. Lange Zeit, und nicht zu seinem Schaden, ist dasselbe freigeblieben von jeder Beeinflussung durch Gesetzgebung und Wissenschaft, Den auf diesem Gebiete nur spärlich vertretenen Schriftstellern fiel die Aufgabe zu, das Gegebene als etwas Fertiges zu ver- arbeiten ; zu keiner Zeit aber haben sie den Entwicklungsgang der Versicherung in nennenswerther Weise beeinflußt. Lange Zeit wußte die Doctrin nicht recht, was sie mit der Versiche- rung, diesem eigenartigen Kinde seiner Zeit, anfangen sollte; 126 immer wieder wurden Versuche gemacht, dieses Institut, mit dem man nun einmal rechnen mußte, in eines der geläufigen Fächer des römischen Rechts zu zwängen, und stets wollte dieser Versuch nicht so recht gelingen'). Erst allmählich ge- langte man zur Ueberzeugung, daß der unterdessen zu statt- licher Größe erwachsene Baum seine Wurzeln nicht bis ins römische Recht erstreckte, und daher auch nicht seine Kraft und seine Eigenheiten aus diesem habe, sondern eine ganz selbständige und Anspruch auf Originalität erhebende Erscheinung sein. Verhältnißmäßig sehr spät, erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang dieses, findet eine gründliche und auf der Höhe der Wissenschaft stehende Be- arbeitung des Stoffes statt 2), Epochemachend waren die Werke der Franzosen V a l i n (1760), P o t h i e r (1770) und namentlich E m e r i g o n (1782), der Engländer Wes kett (1787), P a r k (1791) und M a r s c h a l l (1802), des Floren- tiners B a l d l l s s e r o n i (1786), und vor Allem die Basis und der Ausgangspunkt der deutschen Assecuranzwissenschaft, Ne- neke'Z treffliches Werk „System des Assekuranz- und Nod- mereiwesens" 1805—10. Ist auch jetzt dieses letztere Werk in vielen Beziehungen veraltet und wegen der vielen Beispiele, Tabellen und praktischen Erörterungen nicht streng wissen- schaftlich, worauf Beneke als Kaufmann, der nur für das praktifche Leben schreiben wollte, garnicht Anspruch machte, so steht seine unendlich große Bedeutung für die deutsche Usse- curanzwissenschaft, die P o h l s in seinem 1832 erschienen Werke zu schmälern sucht, über allem Zweifel erhaben da, denn alle später erschienenen Werke über Versicherung bauen 1) ol, S l l N t e r n a , 1>, äs 2,886«,, S t raecha, äs 28»llo,. L. M o l i u 3 , äi8p„ ( E n d e m l l n n , Goldschm. Ieitschr. IX p, 319, 222), 2) of. Die Litemturübcrsicht B e n e k e - N o l t e zmss. IX d. I. Th,, G o l d s c h m i d t ' s System p ^ , 51 f., 0 i s n k » an i> MF, I I I ff. 12? sich mehr oder weniger auf der Grundlage dieser klaren und erschöpfenden Arbeit auf. War in der ersten Periode die Seeassecuranz Allein- herrscherin auf dem Gebiet der Versicherung, so gelangten all- mählich im 16. und 17, Jahrhundert auch die anderen Zweige derselben zur Ausbildung und Verbreitung, Lange Zeit hat die Doctrin sich nicht so recht an diesen noch für zu dunkel geltenden Stoff herangewagt, und erst um die Mitte dieses Jahrhunderts wurde der sog, „nichtmaritimen" Versicherung die gebührende Aufmerksamkeit zugewandt und eine wissen- schaftliche Durcharbeitung der einzelnen Zweige vorgenommen. Leider berücksichtigen die wenigsten Codificationen die „nicht- maritime" Versicherung'). Die große Mehrzahl der Bücher über das Versicherungsrecht hat nur bestimmte Versicherungsbranchen, vorzüglich die See- versicherung im Auge. Sie verfolgen meist practische Zwecke und bieten, da sie für Assecuradeure, Kaufleute, das ver- sichernde Publikum :c. bestimmt sind, viele Beispiele, praktische Winke, nationlllökononnsche Ideen. Die abstrakte Theorie, die Principien, deren Ausstuß und Anwendung alle Versiche- rungsarten sind, werden nur von einer Minderzahl beachtet und entwickelt. Und doch ist eine Klarlegung und Durch- llluterung der principiellen Grundlage der Versicherung so un- endlich wünfchenswerth und nothwendig. Noch haben wir keine allen Anforderungen der Zeit genügende Codification des nichtmaritimen Versicherungsrechts, und empfindlich zeigt sich der Mangel einer solchen gründlich ausgearbeiteten und detaillirten Gesetzgebung, Eine solche ist jedoch nur denkbar, nachdem die leitenden Principien des Versicherungsrechts von der Wissenschaft durch den Kampf der Meinungen von allen Seiten beleuchtet und klargelegt sind. I) et, Die Zusammenstellung i n G o l d s c h m i d t ' s System MF, 5o f. 128 Ausschließliche Bearbeitung principieller Fragen haben sich, wie schon gesagt, nur eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Werken zur Aufgabe gesetzt, doch wächst mit der neuesten Zeit erfreulicher Weise die Zahl der Schriftsteller, die sich an die Behandlung dieser etwas trockenen Materie gemacht haben. Sehr gutes ist auf diesem Gebiet von französischen Autoren geleistet worden'), die überhaupt der Versicherung die größte Aufmerksamkeit schenken; doch auch in anderen Ländern, so in England, Holland und Ital ien. Ganz Vorzügliches hat C, M a l s z in seinen Abhandlungen über principelle Fragen") der deutschen Wissenschaft geboten. I m übrigen sind mir von deutschen Werken nur eine Arbeit von C o h n und verschieden» in Zeitschristen zerstreute Aufsitze von E n d e m a n n , G i e r , J u s t , P a u l i , A d l e r , P r e d i l e , L a b a n d :c, bekannt y. Auch hat der Versicherungsvertrag wohl in allen Lehrbüchern des deutschen Privatrechts eine Stelle gefunden, und find dort die Principien, wenn auch natürlicher Weise nur in gedrun- gener Kürze, erörtert worden. Es liegt durchaus nicht in der Absicht dieser Abhand- lung irgend wie reformatorisch auftreten zu wollen oder we- fentlich neue Gesichtspunkte zu bieten; sie hat vielmehr nur die Intention die mannigfachen Controverfen über einzelne Fragen des Versicherungsrechts im Zusammenhang zu erörtern und die herrschende Ansicht über die leitenden Principien aus- zuführen und darzulegen. Besondere Berücksichtigung habe ich den Entscheidungen der verschiedenen Gerichtshöfe Deutsch- land's Rußland's und auch Frankreich's, soweit sie mir zu- gänglich waren, zukommen lassen. Was Rußland anbetrifft, so ist die Ausbeute, welche 1) «l. Die Littcraturübersicht b« <üi « i i a u o L ^ z». IV u, V I I ff. 2) Eine Monographie und mehrere Aufsätze im Goldschm, I , ol. weiter unten in dieser Abhandlung, 3) Vgl. weiter unten in dieser Abhandlung, 129 <^setzgebung und namentlich die Litteratur bietet, nicht allzu« bedeutend. Ueber die Ochtmaritime Versicherung finden sich im Swod der Reichsgesetze nur 2 Paragraphen, während die See- Versicherung in einigen 40 §§ erörtert wird. Selbständige Werke über das Versicherugsrecht giebt es nur drei, das eine von W i ° zen über die Seeversicherung, welches schon recht veraltet ist, und die beiden Bücher von S t e p a n o w und N o t k i n , von welchen das erstere die Theorie behandelt und völlig auf französischer Grundlage ruht, während letzteres sich mehr der praktischen Seite der Versicherung zuwendet, die einzelnen Zweige sehr ausführlich behandelt und sich namentlich durch Berücksichtigung der Senatspraxis ein Verdienst erworben hat. Die Senatspraxis hat auch in dieser Abhandlung an den ge- eigneten Stellen Erwähnung gefunden; leider sind die Ent- scheidungen auf dem Gebiet des Versicherungsrecht nicht sehr zahlreich und bieten im ganzen wenig neue Gesichtspunkte. Unser Provinzilllrecht und die einzige Sammlung von Entscheidungen hiesiger Gerichte, die Z w i n g m a n n ' s c h e , sind recht arm an assecuranzrechtlichem Stoffe. Das Provin- cialrecht weist nur 5 einschlägige Artikel auf, die nur die all- gemeinsten Umrisse ziehen und deren juristischer Werth theil- weise bestritten ist'). Von den rigaschen Stadtgerichten sind leider nur wenige Assecuranzsachen entschieden worden, so daß die Z w i n g m a n n ' s c h e Sammlung recht wenig bot. Durch die vorwiegende Berücksichtigung einer großen Anzahl von Entscheidungen hat es sich von selbst gemacht, daß die Materie, die vorzugsweise zur Beurtheilung der Rechts- sprechung gelangt, breiter ausgeführt ist, als andere principielle Fragen. Da die meisten vor Gericht ausgetragenen Streitig- teitig, um den Schadenersatz, um die Frage nach dem Inte- 1) So die Alt. 1419 (Pfandrecht an der Versicherungssumme) und Art. 43U0. (Dopftelvcrsichcnmg) vgl. weiter unten. Doi», Iu i , 2t, Bd, I. 9 130 reffe, um die Verletzung der Anzeigepfiicht sich drehen, so sind die dort anzuwendenden Principien^ ausführlicher erörtert worden. Natürlicher Weise kann von einer erschöpfenden Be- handlung des Stoffes nicht die Rede sein, man könnte über jeden Abschnitt eine selbständige Abhandlung schreiben; sondern es wird, wie schon gesagt, nur bezweckt eine zusammenfassende Darstellung der herrschenden Anschauung an der Hand der Codificationen und in besonderer Berücksichtigung der Rechts' sprechung zu geben. I I . Onellen und Mteratur. Fast sämmtliche Gesetzbücher enthalten mehr oder minder ausführliche Bestimmungen, welche das Assecuranzrecht regeln'), Beim Verfassen dieser Abhandlung sind folgende Codificationen benutzt worden: 1. 6«oHi> 33,«nno»7>, N3H. 1857 i . X § 2199, 2200. 2. 6»s>Ai> 3a,n«noni>, »3A. 1857 i . X I § 1227—1266. 3. Liv- Est- und Curländisches Privatrecht, 4. Das Allgemeine Deutsche Handels-Gesetzbuch. (Her. v. Bornemllnn, Waldeck:c,) Berlin 1862. 5. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. (Her. v. Mannkopff,) Berlin 1837. 6. Wetboeck v. Koophandel, Holländisches Handelsgesetzbuch v. I . 1838, übers, von Schumacher, Hamb. 1840. 7. Ooäiro äe «omeroi«. Spanisches Handelsgesetzbuch v. I . 1829, übers, v. Schumacher, Hamb. 1832. Die Bestimmungen des französisches «oä« 6e «ow«roe, des italienischen ouäioo äi «onuQyrolo, das Gesetz Englands, 1) ot, Go l i> schmidtz System, p, 50 f. 131 Amerikas und and. sind, soweit sie in anderen Büchern citirt waren, berücksichtigt worden. Was die Litteratur anbetrifft, (eine sehr reichhaltige Litteraturangllbe findet sich bei Stepanow MF. V—XVHI). so wurden für diese Abhandlung benutzt: I . Lehrbücher des deutschen P r i v a t r e c h t s . 1, O. S t o b b e , Handbuch des deutschen Privatrechts. 2. Aufl. Berlin 18885. 2, G. Bese le r , System des gemeinen deutschen Privat- rechts. — 4. Aufl, Berlin. 1885. Z, C. v. G e r b e r , System d. deutschen Privatrechts. — 10. Aufl. Jena 1870. 4, N l u n t s c h l i , Deutsches Privatrecht. — München 1854 I I . Lehrbücher des Hande ls rech ts . 5. T h ö l , Das Handelsrecht. — 5. Aufl. Leipzig 1876. ft. E n d e m a n n , Das deutsche Handelsrechts — Heidel- berg 1865. 7, G o l d s c h m i d t , System des Handelsrechts. — Stutt- gardt 1887. s. P o h l s , Darstellung des gemeinen deutschen und des Hamb. Handelsrechts Bd. IV . Hamburg 1832. I I I . S p e c i a l w e r k e . N, Neneke, System des Afsecuranz-und Bodmereiwesens. Hamburg 1805—1821. 10 Bene ke's System umgearbeitet v. Nolte. — Hamb. 1851. N. I . Wes ke t t . Theorie und Praxis der Assecuranzen, übers, v. Engelbrecht. — Lübeck 1782—1787 I I I . B. 12. H. Teck lenbo rg , System des Seeversicherungswesens. — Bremen 1862. 13. C. M a l s z , Betrachtungen über einige Fragen des V«r- sicherungsrechts. - Frankfurt a./M. 1862. 9* 132 14. L. E o h n , Der Versicherungsvertrag nach allgen»i««n Rechtsprincipien. — Breslau 1873. 15. E . T h i l o , Zur Geschichte und. Reform der Seever- sicherung. — Leipzig 1884. 16. L » u u « i , , Aoronovi» llovo«»ro oi'pzxonzm» «» p?eo«n»^ npany. — 0. Ns^evö^pr^ 1865. 17. O i e n k n o L , . , Oll«?'!, leopiu oipllxovzro ^oro»ovl>,. — ««»»l. 1875. 18. N o i >:» ni>, (!?i>llxaL»2is »«^ui,k0'r»i> no p^eoxollf 3ll««uoM'lSHl>e'l»7. — IlisLi, 1888. IV. Encyclopädien. 19. Holtzendorff, Rechtslexicon. — 3. Aufl. I I I Nt>. 1880—87 Leipzig. 20. B l u n t f c h l i - B r a t e r , Deutfches Staatswörterbuch B. X I Leipzig 1870. V. S a m m l u n g e n von Entscheidungen. 21. Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts, her. o. d. Rächen des Gerichtshofs. Stuttgart Nd. I—XXV, 22. Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen. — Leipzig B. I—XXI I . 23. S e u f f e r t s Archiv für Entscheidungen der obersten Ge- richte in den deutschen Staaten. — München und Leip- zig, B. I - X X X . Neue Folge I - X V . 24. p'kiueiii» rMNAHneliaro «aocnllionnaro Z,en3,p?»««n?» -l.0 1890. 25. V. Z w i n g m a n n . Civilrechtliche Entscheidungen der rigaschen Stadtgerichte. — Riga 1871—1885 B. I—VI I I . VI . Zeitschrif ten. 2S. Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, her. von Goldschmidt. — Erlangen B. 138 Insbesondere: «) P a u l i , Ueber die Anzeigepfiicht des Versicherten. Bd. I. l)) M a l s z , Studien über Versicherungsrecht VV. V I u. VIII. «) E n d e m a n n , Das Wesen des Versicherungsgeschäftes B. IX u. X. . Ä. D ie Seevers icherung . Bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts lag der Seehandel Rußlands fast ausschließlich in den Händen von Ausländern, Erst um diese Zeit machte sich das nationale Element geltend, Handel und Verkehr begann aufzublühen, und gleichzeitig zeigte sich auch immer lebhafter das Bedürfniß nach Regelung des Versicherungswesens auf dem Wege der Gesetzgebung'). Doch erst zum Ende des Jahrhunderts sollte sich dieser Wunsch realisiren. Zu der großen Zahl denkenswerther Neuerungen, mit denen die Kaiserin Katharina I I . Rußland beschenkte, gehört auch der Erlaß gesetzlicher Bestimmungen über die Seever- sicherung, wie sie sich in dem X . Buch des 1781 vromulgirten 7<:?»»7> «^lleisoillli'o L0A0X0M7L», finden'), durch welche die 1) V l u n t s c h l i u. B l a t e I , X I p. 36 ff. 2) E n d e m l l n n , G. g. IX z»»x. Wl ff, 3) B l u n t s c h l i u. N i l l t c r , X I p. 37 ff. 4) L l l y » l l i > . Anro», «opo«. e^pllXo». p»3- 3 ff. 5) No? « « nl>, z>»̂ , 2 t. O i ß N k i i o s ' K . MA, XX. 139 bis dahin geltenden Bestimmungen der Amsterdamer Assecu« ranzordnung abgelöst wurden'). Der Wille war allerdings besser als der Erfolg. Be- einflußt durch die damaligen deutschen Gesetze, stimmte die Verordnung wenig mit den Bedürfnissen und der Natur des russischen Handels jener Zeit überein. Eine Folge davon war, daß von der großen Anzahl der bald darauf auftauchenden russischen Versicherungsgesellschaften die wenigsten sich als lebensfähig zeigten und die meisten nachen kurzem Nestehen liquidiren mußten. Wie in den anderen Branchen der Assecuranz, gingen auch bei der Seeversicherung die baltischen Provinzen dem übrigen Theil des Reichs mit gutem Beispiele voraus. Bald nach Erlaß des ^eiani,» wurde in Riga 1783 eine See- assecuranzcompagnie gegründet, eine Aktiengesellschaft mit 110,000 Th. Alb. Grundcapital'). Die übermächtige Con- currenz ausländischer Gesellschaften und das geringe Capital brachte jedoch die Compagnie bald zu Falle'). Die zweite Gesellschaft bildete sich in dem erst vor kurzer Zeit gegründeten, aber schon rasch aufblühenden Odessa, im Jahre 1800'). An diese schloß sich eine ganze Reihe von Compagnien, die hauptsächlich ihren Sitz in Odessa und an- deren Häfen des fchwarzen Meeres hatten, doch begannen auch St. Petersburg, Moskau, ja sogar Archangel dem Beispiel der Schwarzmeerhäfen zu folgen"). Ein großer Theil aller diefer Gesellschaften hat es jedoch nur zur Statutenbestätigung gebracht oder ist nach kurzem, 1) B e n e t e , I zmß. 14. 2) ol. T h i l o , v»ß. 17 ff. und We 3 k e t t . N. I I I pax. M 3) I n der Folge 1856 wurde noch einmal der Versuch eine Gesell schuft in Riga zu gründen gemacht, doch blieb es bei der Statutenbestätigung. «l. N o i « l i n 7 > p»ß. X. 4) .I'opi'o»»« eipkxa»»« lcnuioz>»° II« ? « » » K p»8, I I . 5) N o i « » ll 1. p»8. II—XIV. ^ 4 0 ^ nicht allzu glänzendem Bestehen, ohne Sang und Klang ein- gegangen. Der Grund dafür lag einerseits in der im allge- meinen recht geringen Entwickelung des russischen Handels andererseits in der im Verhältniß dazu zu großen Anzahl russischer Gesellschaften. Die auf die einzelnen fallenden Prämien waren nur sehr gering, in Folge dessen führten einige umfangreichere Schäden sofort zum Ruin der betreffenden Gesellschaft. An- dererseits hielt es sehr schwer gegen die wohl ausgerüsteten ausländischen Compagnien Stand zu halten. An die Stelle des «^eian^ vom I . 1781, trat 1846 ein neues Reglement, der », welcher im <ü»oI,i> 3H«ouo«i> ?. X I Art. 1227—1266 wiedergegeben ist und für die nach diesem Jahre begründeten Gesellschaften Ver- bindlichkeit hat. d. D i e F e u e r v e r s i c h e r u n g ' ) . Was die Feuerversicherung anbetrifft, so gab es in Ruß- land bis zum I . 1786 außer einer „gegenseitigen Brandver- sicherungsanstlllt" in Riga, auf die wir später zurückkommen werden, keinerlei Assecuranz ° Institute, noch war irgend ein Schritt zur Anregung oder Regeluug auf dem Wege des Ge- setzes gethan. Was von Versicherung vorkam, wurde mit aus- ländischen Gesellschaften abgeschlossen, das Geld ging ins Aus- land, wodurch natürlicher Weise dem Nationalvermögen eine nicht geringe Schädigung zugefügt wurde. Dem fcharfen Blick der Kaiserin Katharina I I . entging dieser Mißstand nicht, und sie suchte nun nach Möglichtnt Abhülfe zu schaffen. Durch ein Manifest vom 1.1786 wurde der Befehl ertheilt bei der «loo^Mpeineunuli 3»«»ni>ls Lamci>' »ine sog. «npaxouan ZlleneAiiw«, einzurichten, welche Stein- gebäude und Fabriken in Versicherung zu nehmen hatte. Die l) ol. Ueberhauptlto 5«» ni> p.XIVff. auch i». 2l, 141 Versicherung von Steingebäuden im Auslande wurde gleichzeitig mit gewissen Nachtheilen belegt und einer Besteuerung unterzogen. Von diesem Manifest an datiren die verschiedenartigen Bestrebungen der Regierung, eine Versicherung von Staats- wegen einzuführen. Mehr als 40 Jahre dauerten diese frucht- losen Bemühungen und endeten schließlich mit der Zulassung der Privlltversicherung. Was jetzt in den modernen Cultur- staaten in vielleicht nicht allzuferner Zukunft liegt, nämlich die Verstaatlichung des Versicherungswesens, suchte Rußland schon im vorigen Jahrhundert einzuführen und brachte es natür- licherweife zu keinem Erfolge, denn kaum irgend ein anderes Institut hat es so nöthig gehabt, wie das Versicherungswesen, sich allmählig zu klären und frei vom staatlichen Gängelbande zu entwickeln. Das von Katharina I I . begonnene Werk setzte Kaiser Paul fort, indem er ein Gesetz erließ, kraft dessen bei der „Reichsassignatenbank" ein „Versicherungscontor" eingerichtet wurde zur Versicherung von Waaren. Sowohl die „Expedition" als auch das „Contor" hatten jedoch dürftige Resultate zu verzeichnen und wurden in der Folge aufgehoben. Ebenso mißlang der Versuch in den Hauptstädten auf Gegenseitigkeit beruhende fog. -Ii«>I,»<:ipi>î Feuerkataster einzuführen. Kaiser Nicolai nahm die Angelegenheit wieder energisch in die Hand. Seinem Scharfblick entging es nicht, daß hier von Staatswegen nichts zu machen sei, er bestätigte daher im I . 1827 eine Privatgesellschaft unter der Firma ^I'oceiüoilot; «TPHxcmos o6ill,s<:i'n«». Diese Gesellschaft, deren Wirkungskreis auf mehrere Gouvernements beschränkt war, wurde mit den weitgehendsten Privilegien auf 20 Jahre ausgestattet. An di«se Compagnie schloß sich im Jahre 1835 eine zweite, mit gleichen Privilegien für die übrigen Gouvernements. Das diesen Gesellschaften ertheilte Monopol verhinderte jede Con- currenz, aber auch jede Entwicklung des Instituts. 142 M i t dem 1.1847, als die Monopole abgelaufen waren, begann ein reges Leben. Ueber 15 Gesellschaften sind bis jetzt begründet worden und haben sich im Gegensatz zu den Seeversicherungsgesellschaften alle als existenzberechtigt erwiesen. Seit den 30-er Jahren bemühte sich die Regierung gegen- seitige Versicherungsanstalten in den Städten und auf dem Lande zu Stande zu bringen. So wurden im I . 1831 ver- gebliche Versuche gemacht zur Einführung städtischer gegen- seitiger Assecuranzvereine nach dem Muster der in Riga schon lange bestehenden. Schon im I . 1765 wurde nämlich in Riga, von den 3 Ständen eine, „gegenseitige Brandversicherungs- anstalt" für die innere Stadt gegründet'). Die Bestimmungen dieses Instituts weisen allerdings viele Mängel auf. Nur ein Theil des Taxwerthes sollte bei einem Schaden ersetzt werden, der Ersatz erfolgte mittelst Reparation und war daher nur langsam beizutreiben, der Austritt war unmöglich, die Ersatz- summe durste nur zum Wiederaufbau verwandt werden «, 1824 wurden verschiedene Mängel abgeschafft, was zur Folge hatte, daß 1850 alle Hausbesitzer zum Verbände gehörten. 1865 wurde der Verein durch ein neues Statut auf ganz moderne Grundlage gebracht. Schon 1804 war für die Vor- städte ein ähnlicher Verband gegründet worden. Der Versuch, die gleichen Einrichtungen damals in an- deren Städten Rußlands außerhalb der Ostseeprovinzen ein- zuführen, mißlang jedoch gänzlich. 1861 wurden der curländische und livländische Verein zur gegenseitigen Versicherung gegen Feuer auf dem stachen Lande bestätigt. 1864 wurde die «ii«^i««emk »o »3un»no!li> 3«»o«oln> ekpaxonam»» erlassen, welche nach Maßgabe der Landschafts- ! ) ol. d. Statut dieser Gesellschaft. 143^ Institutionen eingeführt werden sollte, und bis auf heute Geltung hat, 1864 wurde den städtischen Selbstverwaltungen gestattet, unter Aufsicht des Ministers des Inneren, gegenseitige Ver- ficherungsvereine einzuführen. Auch in den Gouvernements, wo die Landschaftsinstitution nicht eingeführt worden war, existirt seit 1866 eine obliga- torische Versicherung aller Gebäude der zum Bauernstande gehörigen Personen, So sehen wi r in der Jetztzeit das segensreiche Inst i tut der gegenseitigen Versicherung in allgemeiner Ausdehnung. o. D i e ü b r i g e n A r t e n d e r V e r s i c h e r u n g . Von den übrigen Versicherungsarten hat die Lebens- versicherung die größte Bedeutung. Die erste Lebensversiche- rungsgesellschaft constituirte sich im I . 1835') und es haben sich seitdem die meisten grüßern Compagnien der Lebensver- sicherung zugewandt. Was die Hagelversicherung anbetrifft^), so wurden auch auf diesem Gebiet die ersten Schritte in den Ostseeprovinzen gethan, 1831 constituirte sich eine „livländische gegenseitige Hagelversicherungsgesellschllft", welche sich jedoch bald auflösen mußte. 1854 entstand in Curland ein gleiches Insti tut, welches bis heute existirt, wenn gleich es mit großen materiellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. I m Uebrigen giebt es in Rußland nur noch eine Gesellschaft in Moskau, welche gegen Schäden durch Hagelschlag versichert. Die Entwickelung der übrigen Versicherungsarten ist kaum nennenswerth, namentlich, wenn man eine Parallele mit dem westlichen Europa zieht. 1) ol. OieiianoLi, MT. XXIl. 2) (.' I e I I n u o L 7, MF, XXII, N a I « uR1, paF. W, 144 v . Leitende Principien des Versicherungs- vertrages. I. Jer Hertrag. l . Begriff n»d jnriftische «atnr >es Versichernngs»ertr«ge». Wenn wi r einen Blick auf die Stellung im System werfen, welche sowohl Gesetzgebung als auch Doctrin dem Versicherungsvertrag gegeben haben, so sehen wir denselben fast überall unter den aleatorischen Vorträgen abgehandelt oder wenigstens durch die Definition zu denselben gezählt'). Diese Untersuchung wi l l sich nun gegen diese Anschauung, wenden und ihre Unhaltbarkeit nachzuweisen suchen'). Zwar muß zugegeben werden, daß bei einem Insti tut wie die Ver- sicherung, welches so sehr dem praktischen Gebiet des Lebens angehört und wenig beeinflußt durch die Wissenschaft feinen steten Entwicklungsgang genommen hat, es von nicht allzu großem Werthe ist, dasselbe unter dieser oder jener Rubrik des Systems abzuhandeln, doch entspricht einerseits der dem Versicherungsvertrag zugesprochene Glückscharakter nicht der Wirklichkeit, andererseits können von dieser falschen Prämisse flllfche Schlußfolgerungen gezogen werden'). Zum besseren Ver- ständniß des Grundes, weshalb allgemein die Assecuranz zu den aleatorischen Verträgen gerechnet wird und zur Rechtfertigung der entgegengesetzten Ansicht ist es nothwendig, die Stellung, der Gesetzgebuug und Doctrin historisch zu verfolgen. !) el. Pro», P i . Uecht Art. 435U, Pr. Ällg. Land-Rt. Th. I I 8 § 1934, 2) Nicht zu den aleatorischen Verträgen wird d. Vers, Vertrag g« rechnet u. And, von M a l 3 z „Betrachtungen" p»8. 5., G e r b e r , welcher- ihn neben der Bürgschaft zu besonderen „Geschäften zur Sicherung gegen Dünstige Nachtheile" rechnet. 3) Nie Anzeigepflicht wird z, B. u, L i chtenfels (ot. C o h n pa^. 44> aus der aleatorischen Natur der Versicherung gefolger», welcher Anschauung späterhin entgegen getreten werden soll. 145 Der Zweck der Assecuranz ist sowohl in den ersten An- fangsstadien, als auch in spaterer Zeit, bei den verschiedenen Arten derselben stets der ssleiche gewesen. Der Versicherte wollte gegen die Gefahr eines Unfalls gesichert sein, der Ver- sicherer wollte gegen Entgelt dafür einstehen. Das Geschäft war nach der Rechtsüberzeugung der Contrahenten auf nichts Anderes gerichtet, als auf Sicherung gegen die wirkliche Ge- fahr und Erstattung des wirklichen Schadens, Das immer dringender werdende Bedürfniß gegen die Nothlage und die materiellen Nachtheile, die durch einen Un- glücksfall verursacht wurden, eine kräftige Abhilfe zu schaffen, brachte es zur Entstehung der Assecuranz, Zweck und Bestim- mung derselben ist den status ^iio herzustellen, indem der Nachtheil beseitigt wird oder Mi t te l zum Ersatz des Schadens gewährt werden. Darüber hinauszugehen liegt weder ein Bedürfniß, noch ein sonstiger Grund vor. Es geht auch die Assecuranz von Hause aus nur auf Ersatz des wirklichen Schadens; derartige Bestimmungen finden wi r schon in der isländischen „Gragans", in den Bestimmungen der gegen- seitigen Portugisischen Seeversicherungsgesellschaft aus dem Ende des 14. Jahrhunderts'). Wenn es in späterer Zeit, namentlich im 17. Jahr- hundert dazukam, daß die ursprünglich abgemachte Summe und nicht der wirkliche Schaden, vom Versicherer zu prästiren war, so liegt hierin nur ein Mißbrauch, ein Auswuchs der wahren Assecuranz vor ' ) . I m Laufe der Zeit war es näm- 1) ol. G i e r , Vusch's Archiv N. ss. I MF. 410, 2) Diese Grundsätze haben nie die Bedeutung und die Dauer gehabt die Prof. E n d c m a n n ihnen M t (Goldschm. Z. !X MF. 30b ff,). Vgl. dagegen G i e r B. Arch. N. F. I ?. 404 ff. Siehe überhaupt die Ausführungen von Pros. E n d e m a n n G. Z, IX u, X nach welchen derselbe zum Schluß gelangt, bah die Versicherung ein Fixgeschäft werden müsse, gegen welche Anschauung die gcsammlc spätere Litteratur sich gewandt hat (s. weiter unten in dieser Abhandlung), DOIP. Iu». St, N>. >, 10 146 lich dazu gekommen, daß das Vorhandensein eines Interesses oder eines Auftrags für die Versicherungsnahme garnicht ver- langt wurde; der Beweis des Schadens wurde äußerst er- leichtert oder durch Vereinbarung einer bei eintretenden Un- fälle zu zahlenden Fixsumme gänzlich gespart'). Es kamen mit anderen Worten immer häufiger die sog, „Wettassecu- ranzen" vor, die sich vom Grundsatz der Assecuranz ganz entfernen und nichts Anderes als reine Wetten vorstellen. Diese Wettassecuranzen haben räumlich und zeitlich nur eine beschränkte Geltung gehabt. I n Frankreich kamen sie im 17. Jahrhundert vor, wurden aber durch die oi-äonnllnos äs 1a inarins vom Jahre 1781 unter Ludwig X I V . verboten. I n England existirten sie vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des nächsten. I n den übrigen Ländern, wo sie existirt haben, wurden sie bald auf gesetzlichem Wege beseitigt'). Es muß allerdings zugegeben werden, daß nicht nur das Bedürfniß nach Hülfe gegen Unglück und Noth zur Ent- stehung der Versicherung geführt haben, sondern daß auch das Spiel und Waggelüste der Menschen einen nicht zu unter- schätzenden Einfluß auf die Entwickelung des Instituts ge- habt haben. Die Entwicklungsstadien der Assecuranz fallen in die Zeit der Herrschaft canonistischer Lehre, Diese hatte unter anderen als Dogma den Satz aufgestellt, „peouuia psouniam pai'si-s Hau liebst" und damit die vollständige Sterilität des Capitals proclamirt. Sehr erklärlich ist es daher, daß das Capital, dem alle Wege zur Vergrößerung abgeschnitten waren, 1) S t r a c c h a gl, (>, L, M o l i n u s I, «, Nr. 8 ( V n b e m a n n G. I . I X p ^ . 30 So bei S t l a c c h a , L a u t c r n a ol, E n d c m a n >i G, Z, I X Mß, 818 ff, 2) L l l u t c i n a I Nr, 7 S t r a c c h n Nr, 1? ) A " d ° m a n n G. Z, >̂ >. . ?i ml. 1 i ( I X ? , 'ö22 sieh auch 3 ) U a u t e r n a I I Nr. 1 -4 ^ H o l t z c u d o r f s s 4) L, M o l i II u s äi8l>. 5»N? Nr, , 1 Nechtslez. I I I p. 1U80. 149 schllftliche Betrieb ist jedoch in der Neuzeit ein ganz anderer geworden. Eine andere Folge des Verschwindens der cano- nischen Grundsätze und Lehren war nämlich die Bildung von Capitalgesellschaften, Das Capital, welches bis dahin hatte brachliegen müssen, konnte wieder die natürlichen Wege zu seiner Vermehrung betreten und vereinigte sich vielfach behufs besserer Erreichung seiner Zwecke zu Gesellschaften ̂ ). Den Betrieb der Versichenmgsgeschäfte hat sich fast aus- schließlich die Cllpitalassocilltion angeeignet. Daß einzelne Personen, wie es früher stets, später noch häusig der Fal l war, als Versicherer auftraten, kommt in der Neuzeit fast garnicht mehr vor und hat sich auf vereinzelte Fälle bei der Seeasfecuranz beschränkt, Dieser thatfächliche Zustand ist von nicht zu unterschätzender rechtlicher Wirkung, indem der recht- liche Charakter der Versicherung dadurch ein veränderter ge- worden ist. W i r constlltirten schon vorhin, daß die Versiche- rung bei vereinzelten Geschäften auch bei größter Vorsicht und trotz der besten Wahrscheinlichkeitsrechnung durchaus zu den aleatorischen Geschäften gerechnet werden muß. Ganz anders liegen die Sachen, wenn eine Capitalfocietät die Ver- sicherung im großen Maßstabe und mit großen Mit te ln betreibt. Stellen wir uns auf den Standpunkt des Versicherers, so kann, da die Geschäfte nicht nach Ar t der übrigen Privat- verträge vereinzelt, sondern in sehr großer Menge in fort- laufendem Großbetrieb abgeschlossen werden, darin nichts Glückspielartiges gesehen werden. Es liegt hier ein kauf- männisches Unternehmen vor, analog jedem beliebigen anderen Geschäftsbetrieb, gegründet auf rationeller kaufmännifcher Be- rechnung und gesichert durch die Zuverlässigkeit der so ent- wickelten modernen Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. I) E n d e m a n n , Handelsrecht § 55 II und I I I . 150 Der einzelne Fal l als solcher ist irrelevant, er ist nur ein Glied der langen Kette von Versicherungsfällen; auf das End- resultat des ganzen Betriebes kommt es an, und dieses hat dieselbe Wahrscheinlichkeit des Erfolges oder Mißerfolges für sich anzuführen, wie jede beliebige andere Speculation oder irgend ein Geschäftsbetrieb, Die Ansicht, als ob von Seiten des Assemradeurs irgend ein Wagniß vorliegt, ist also durch- aus zu verwerfen. Betrachten wir nun die Lage des Versicherten, so zeigt sich Folgendes: Der Versicherte verlangt als Gegenleistung für die ge- zahlte Prämie nicht die zukünftige von ungewissen Zufällen abhängige Zahlung, sondern die unmittelbare und unbedingte Sicherstellung durch den anderen Contrahenten, Dieses wird ihm vom Versicherer fofort geleistet und es kann ihm in Folge dessen ganz gleichartig sein, ob es in Zukunft zur Zahlung kommen wird, oder nicht. I n dem Erwerb dieser unbedingten und sofortigen Sicherheit, daß der Schaden ein- tretenden Falles erfetzt wird, liegt, wie fraglos zugegeben werden muß, nichts Aleatorisches, Gegen die Anschauung, als sei die Leistung des Versicherers von vornherein unbe- stimmt und unsicher, wendet sich auch eine Erkenntniß des C a s s a t i o n s h o s D a r m s t a d t ' ) , in welchem sich folgender Satz findet: „ — die Zweifeitigkeit des Asfecuranzvertrages besteht vielmehr darin, daß die eine Partei, der Versicherte, eine Prämie bezahlt, die andere Partei aber die b e s t i m m t e Verpflichtung übernimmt, jene gegen den Verlust zu sichern, der aus einem zu befürchtenden Zufall erwachsen könnte," Jeder Contrahent hat also sofort einen seiner Leistung entsprechenden Vortheil, Der Versicherte erwirbt sofort eine absolute Sicherheit, I s t er z, B, als Kaufmann zugleich Haus- 1) S e u f f Archiv N, X l l l , Nr, 272 p ^ . 389. 151 besitzer, so genießt er, sobald er das Haus versichert hat, einen entsprechend größeren Credit, als früher. Ist eine versicherte Ladung für ihn unterwegs, so kann er sie verkaufen, als ob sie schon in seinem Speicher wäre, was im entgegen- gesetzten Fall wohl nicht möglich sein könnte. Der Versicherer erhält für die Leistung der Sicherheit eine genau entsprechende Gegenleistung, denn das Risiko, welches er in dem einzelnen Falle übernimmt, ist nur ein Vruchtheil einer großen Summe anderer Risiken und entspricht als solcher genau der von ihm selbst als richtiges Aequiualent berechneten Prämie. Wenn wir nun eine Definition des Versicherungsver- trages geben sollen, so müßte sie auf Grund obiger Erörte- rungen solgendrmllßen lauten: „Die Versicherung ist ein selbständiger bilateraler Ver- trag unter Lebenden, wodurch der eine Contrahent (Versicherte) gegen Zahlung einer Summe (Prämie) von dem anderen Contrahenten (Versicherer) die Sicherheit empfängt, daß dieser eintretenden Falles für den Schaden aus einer bestimmten Gefahr Ersatz leisten wird," Die meisten Codificationen und viele Schriftsteller stehen, wie fchon gefagt, noch auf dem Standpunkte, daß die Ver- sicherung zu den aleatorifchen Vertragen zu rechnen sei; da- gegen ist auch von mancher Seite dem Versicherungsvertrag eine selbständige Stellung angewiesen und ihm eine Definition gegeben worden, mit der die von mir aufgestellte im Allge- meinen übereinstimmt. Jedenfalls wäre es fehr wünschenswert!), wenn in nicht allzu ferner Zukunft eine größere Uebereinstimmung bei der Definition und der Stellung im System, erzielt werden könnte. 152 2. Arten der Versicherung. Die verschiedenen Arten der Versicherung, die der Ver- kehr und das Bedürfniß der Menschheit ausgebildet haben, beruhen alle auf den allgemeinen Principien der Versicherung, Da diese Abhandlung es sich zur Aufgabe gestellt hat, nur diese letzteren genau zu betrachten, können und brauchen wir nicht auf die einzelnen Arten näher einzugehen. Es ist eine ganz stattliche Reihe von Versicherungsarten, die schon ins Leben getreten sind, und man kann nicht sagen daß diese Reihe schon als abgeschlossen betrachtet werden kann, denn jede Vergrößerung und Veränderung des Ver- kehrs, jede Neugestaltung der Verhältnisse kann in der Zu- kunft eine neue Art entstehen lassen. Beispielsweise seien hier die Hauptarten ^ angeführt: 1) Die Seeversicherung, 2) die Feuerversicherung, 3) die Transportversicherung, 4) die Hagelversicherung, 5) die Viehversicherung, 6) die Rückversicherung, ?) die Credituersicherung, 8) die Hypothekenversicherung, 9) Versicherung gegen Krankheit, Erwerbsunfähigkeit :c. Es ist hier der Ort noch einige Betrachtungen der sog, „Lebensversicherung" zu widmen: I n neuester Zeit ist, gegenüber der herrschenden Ansicht ^), 1) ol, N l u n t s c h l i und B r a t e r , Staatslexicon X I p»3- 11 ff. E n d e m a n n G. Z, IX p ^ . 522 ff, X MF, 242 ff, 2) of, die Lehrbücher von V e s e l e r , G e r ö e r , E i c h h o r n , G e n g i e r , M a n r c n b i e c h e r , G o l d s c h m i d t , siehe auch V c - n e k c , M l l l s z , C o h n , G a r e i s in Holz, Arch. I I I . (ul. S t o b b e ?»3. 363). 153 von mehreren Schriftstellern') mit Recht die Behauptung aufgestellt worden, daß die Lebensversicherung garnicht zu den wahren Versicherungsverträgen gehören, fondern nur den- selben Gattungsnamen führe und theilweife auf ähnlichen I n - stitutionen beruhe. Es ist dieser letzteren Anschauung durch- aus beizupflichten, denn die Lebensversicherung unterscheidet sich von den übrigen Versicherungsarten namentlich durch folgende Hauptmomente: 1) Bei der Lebensversicherung handelt es sich nicht um Ersatz eines Schadens, 2) Die zuzahlende Summe ist von vornherein genau fixirt (Fixgeschäft). 3) Von einer Gefahr im Sinne des Assecuranzrechtes kann bei der Lebensversicherung nicht die Rede sein. Bei der Lebensversicherung liegt nur der Schein einer Unglücksvoraussetzung vor, denn es ist durchaus nicht noth- wendig, daß durch den Tod einer Person ein Schaden ein- tritt, vielmehr ist dieses ein ganz zufälliges Moment, Selbst- verständlicher Weise erleidet die versicherte Person durch ihren Tod keinen vermögensrechtlichen Schaden, aber auch für die Familie oder für eine dritte interessirte Person, braucht der Tod nicht den Charakter einer Schädigung zu tragen, ja es kann im concreten Fall sogar eine Verbesserung der Ver- mögensverhllltnisse eintreten, abgesehen von der Erlangung der Versicherungssumme, Man denke nur an die Fälle, wo eine Person ein hohes Alter erreicht, seine Familie nicht nur nicht unterstützt, sondern ihr sogar zur Last fällt, oder wo 1) S t u b b e § 1W ff, Laband G, Z, XIX p»ß. 045 ff. H i n - richs G. I . XX ?n«. N9 ff. P r e d 0 h l G, Z. XXII pax. 441 ff. A d l e i in der Ieitsch. f. R u, L. Recht I I pax. 40 ff. Endemann G, Z. X p. 272 ff, Th i i l HandelKiecht88N)(aleawrischeK Dailehn)Ert, des O. A. G. D resden von 14,/XII 18UN (G, Z, XXVI P»8- 352) Kauf einer Geldzahlung, 154 der Gläubiger das Leben seines insolventen Schuldners versichert. Von einem Schaden') kann also nicht stets die Rede sein, auch würde er garnicht in Betracht kommen, da die Höhe der vom Versicherer zu leistenden Summe im Voraus bestimmt ist, also von der Höhe eines etwaigen Schadens ganz unab- hängig ist. Der Versicherer leistet das Versprechen, eine be- stimmte Summe in einem bestimmten Falle zahlen zu wollen. Es liegt hier ein Summenversprechen, ein Fixgeschäft vor, welches bei der wahren Versicherung als dem Wesen derselben widersprechend, unmöglich ist. Der Tod ist auch keine Gefahr im Sinne des Assecuranz- rechtes, d, h. ein nachtheiliges Ereigniß, dessen Eintreten oder Nichteintreten ungewiß ist. Er ist unausbleiblich, und sein Nichteintreten unmöglich. Nur das „Wann?" ist ungewiß"). Da die Lebensversicherung in diesen wichtigen princi- piellen Fragen so entscheidende Unterschiede von der wahren Versicherung aufweist, kann sie nicht zur letzteren gerechnet werden, obgleich die allen geläufige Form, welche der Verkehr für dieLebensoersicherung beibehalten hat,>zu dieser Annahme verlockt. Von der ganzen Reihe von Geschäften, die unter der Bezeichnung „Lebensversicherung" zusammengefaßt werden °), z. B, die abgekürzte Lebensvers,, Renten-, Krankheits- und Unfallversicherung :c., wären nur die beiden letzteren als der Natur der Versicherung entsprechend hier in Betracht zu ziehen, denn hier handelt es sich doch wirklich um „Schadenersatz" und „Gefahr". I) Wie ihn viele Schriftsteller doch für jeden Fall annehmcn so B e s e l e r 8 I N Nr. 20, C o h n MF. 11 ff,, M a l s z Betr. paF. 28. 2> Prof. E n d c m l l n n spricht bei der Versicherung auf den Todes- fall von einem bedingten ZahlungKversftrcchen («l. G, I . X MF. 272 ff), der Tod ist abet doch nur Befristung, nicht Bedingung. 3) ol. M a l s z , Nctr, Mx . 21 ff. 155 Nach dem oben Ausgeführten gehört es also nicht in den Rahmen dieser Arbeit Natur und Inhalt der sog, Lebens- versicherung zu erörtern, 3. Die Form des Vertrages. I. Die Theorie ist im Allgemeinen darüber einig, daß der Versicherungsvertrag an sich keiner besonderen Form be- darf'). Die Art und Weise wie der Consens der Contra- henten festgestellt wird, ist theoretisch gleichgiltig und die schriftliche Abfassung des Vertrages nur für den Beweis der Existenz desselben von Erheblichkeit"). Von den meisten Particularrechten wird jedoch Schrift- lichkeit des Vertrages verlangt. So läßt z, B. die russische Gesetzgebung (^oAi> Znn. o. XI i . 2 ei. 1237) für die See- versicherung die Giltigkeit des Vertrages von der Existenz einer Police abhängig sein, während für die nicht maritime Versicherung die Schriftlichkeit nicht unbedingt nothwendig ist^), sondern nur als Beweismittel dient, jedoch nicht als ausschließliches ^Veia»^ 0 rop6oL. c6oM ei. l 1 ')^, Von den 1) S t 0 bbc § 197 pkss, 35«, Vcsc > er p ^ , 520, P ü h c s § 568, E n d e m a n n Handelsrecht ß 174, M a l s z Nctr, p ^ . 69, Auf dem^ selben Standpunkte steht die französische Theorie (ol, L i ' S N k u o ö i , p»F. 128, M a l s z W, Z, X I I I p ^ , 78>. 2) ol. Ert. v, O, A. W. B e r l i n v. 21./IV 1871 pass, 165> und wohl kein Fall angeführt werden kann, wo der Vertrag mündlich abgeschlossen ist, y C1 0 11 n, 11 0 n ' i , p»,^, 125> Ann», 8, — I n Ruhland muh bei Einzahlung einer Versicherung eine Stempelsteuer entrichtet werden, Zu- widerhandelnde unterliegen aber nur einer Geldstrafe, während in England z. B. die Bestimmungen viel strenger sind, da Urkunden über Versicherungen, die nicht aus Stempelpapier «ersaht sind, keinen Beweis für die Existenz des Vertrages liefern (L 11 U n n'«, pass, 64>, 156 anderen Codificationen stellen die Schriftlichkeit als Erforderniß auf z. B. das spanische Hand.-Ges,-Buch Art, 840, das Holland. Hand,-Ges.-Buch Art, 255, d, o«»1s äe ooin, Art, 332'), der italien, oocl. cli ooin, Art, 446'), das Zürich, G, B, § 1705 '). Auch nach dem Allg, Pr, L. R, I I 8 § 2064 ist die schrift- liche Abfassung des Vertrages unbedingt erforderlich; doch ist diese Bestimmung, wenigstens für die Seeversicherung durch das T>. H, G, B, als aufgehoben zu betrachten, da dieses im Art, 271 i>, 3, die Versicherung gegen Prämie als Handels- geschäft auffaßt, und im Art, 317 die Giltigkeit derselben von keinerlei Formalitäten abhängig macht. Diese Anschauung wird auch vom Reichsoberhandelsgericht in einer Entscheidung von 23,/I 1871 vertreten'). Mi t vollem Verständniß für das Bedürfniß des Handels und Verkehrs nach Freiheit von jeder Behinderung durch Formenwesen, hat das D. H, G, B, im Art, 788 für die Seeversicherung die Bestimmung getroffen, daß vom Ver- sicherer nur auf Verlangen des Versicherungsnehmers eine Police ausgefertigt zu werden braucht. I n der kaufmännischen Welt, die fast ausschließlich an der Seeversicherung betheiligt ist, ist in der That ein Bedürfniß vorhanden nach möglichst beschleunigtem Abschluß des Vertrages, unbehindert durch die Schwerfälligkeit der urkundlichen Abfassung, Ein Telegramm, ein Brief, die Maklernotiz oder mündliche Abrede, ist in den weitaus meisten Fällen der Modus zur Abschließung des Ver- trages'). Das D. H, G, N. hat durch die Aufstellung der 1) Der üuiäon äs 1a mm' ssestattete die mündlich« Versicherung «Ml l lsz G. g. XIII MF, 78), ' / 2) of. L i oi i l l i i o » ^ MS. 128, 3) S t o b b e § 197 pa^, 35N, 4) (!ntsch, d. R. O. H, G. Bd,V Nr, 2, pa^, 10. Dasselbe be- stimmt ei» Urtheil des A p p . Ger . B r o m b e r g el. G, Z. X I I I pax. 79. 5>, ul, W l l l K z Betr. paz, 7«, (Ueber „Telegramm" et, Entsch. d R. O, H. G. X MF, 378). 15? obigen Bestimmung gezeigt, daß es den Geist des Handels richtig erfaßt hat. Der ins Auge fallende Unterschied zwischen deni Stand- punkt des T>, H. G. B. und der russischen Gesetzgebung, welche gerade für die Seeversicherung die Schriftlichkeit als essentiell bezeichnet'), erklärt sich, abgesehen davon, daß die russische Codification aus einer I e i t stammt, wo man den Bedürfnissen des Verkehrs nicht sehr entgegenkam, auch da- durch, daß es in Deutschland verschiedene bis ins Detail aus- gearbeitete Codificationen des Versicherungsrechts giebt, wäh- rend Rußland eines solchen Vorzugs entbehrt und nur recht allgemeine Bestimmungen aufzuweisen hat, so daß es hier er- klärlicher und nothwendiger Weise sehr auf die vertragsmäßig fixirten Bestimmungen ankommt, I I . Wird der Vertrag schriftlich abgeschlossen, so wird darüber eine Urkunde ausgefertigt, in welcher alle wesentlichen Punkte und die gegenseitigen Verpflichtungen festgesetzt sind. Diese vom Versicherer ausgestellte und dem Versicherungs- nehmer einzuhändigende Urkunde führt den Namen Police sPolize, Polizza^'), Die Grundlage, auf welcher die Ver- sicherung abgeschlossen wird, ist die Absicht der Parteien und die Landesgesetze ^). Es ist durchaus nicht nöthig, daß in der 1) 0 L o A 1 , 3 8, tt, I . X I 2. o?. 1237, 2> Die Ausstellung einer Police verlangen sowohl die meisten Ge- setzgebungen, lsiehe oben) als auch fast sämmtliche Versicherungsbedingungen z, B, die „ a l l g c m. Ve rs . B e d i n g u n g e n " § 3 (G. g. X X p, 538» die „ B a l t i s c h c" z 16, die „ l i v l « n d i s ch e g e g e n s e i t i g e" ß 43, die „U o rs tad tisch e" Negl, 8 26, die „ I . russ ische" ß 60, die „ N a - deschda" 8 ">, der „ I a t o i " § 10, die „N ussisch e" § 50, die „Ros - s i j a" § 16, d, „H a g e l v e r s i ch e r, G e s, z 22, — Der Name „Police" ist wohl von „poliLLi'i" abzuleiten ( S t o übe). Ueber die Bedeutung der Police sür die Perfection of, unten den Abschnitt „Perfection". Ueber „Taxirte Police" siehe weiter unter in dieser Nbh. 3) N ü u n 'ii !! » «, ' i , X I , ' i , 2, e i . 1232, siehe auch ? 'k m. I ' p k w H, « k o o . /!,«,,i. 1877, Nr. 97, 35,6—1878 Nr. 131, 132—1880 Nr. 15. — Es können auch die Gesetze anderer Länder als Grundlage der Versicherung 158 Police das ganze Vertragsverhältniß dargelegt wird, sondern es genügt auch ein Hinweis auf die betreffenden Versicherungs- bedingungen oder auf die Gesetze, welche in Betracht kommen. Darüber, was nothwendiger Weise in einer Police ent- halten sein muß, lassen sich keine allgemeine Regeln aufstellen, da der langjährige Gebrauch in den verschiedenen Orten ein verschiedener ist, und die Particularrechte darüber differirmde Bestimmungen treffen'), Wohl ganz regelmäßig wird folgender Inhalt der Police verlangt: 1) Die Namen der Contrahenten, 2) die Versicherungssumme, 3) der versicherte Gegenstand, 4) das Interesse des Versicherten'), 5) die Höhe der Prämie, 6) Umfang und Art der Gefahr, 7) Unterschrift') und Datum. Für die Interpretation der Police gelten die allgemeinen Regeln über Auslegung der Verträge'), angenommen werden, falls sie mit den Reichsgesetzen nicht in Widerspruch stehen, «f. der E n t s c h e i d , d. ( I - I I S . « o m e p i , o ^ i > U. 8./VIII 1874 u. v. I . 1875 Nr. stl 8, z> i o n oi> Th, I PKF, 346). 1) ol, <ü ü o A?' 3 2 i l . ?, X I i . 2 e i . 123? np. 1, M g . Pr. L. R- ßß 2069, 8«, 94, !)7, 98, sp l ln . H. G. N, Art. 841, 844, 845, h o l t . H. O. B. Art. 250, 292, o o ä s äs o o m . Art. 332, 333, E n g l . P a r l a m . A c t e (25, Oes, I I I o, 44, siehe T e c k l c n b o r g P»F. 10l ff. 2> I n einer E n t s c h e i d u n g d, N, O, H, G. v. 28./IV 70 (N, X X Nr. 39 MF, 13Y) findet sich über die Angabe des Interesse in der Police folgender Satz: „Es genügt nicht etwa, daß der Versicherungsnehmer, das körperliche Object, welches der Gefahr ausgesetzt wird, dem Versicherer richtig bezeichnet. Außerdem muß der Versicherer über das Interesse, dessen Sichelstellung beab- sichtigt wird, in Gewißheit gebracht werden, of, auch weiter unten in dieser Abh, 3) Die nackte Thatsache des Fehlens der Unterschrift des Versiche- rungsnehmers, wenn im übrigen der Cunsens erzielt wurde, macht den Vertrag noch nicht ungültig. ? h m, l° p k « , K 8, e o, / I e n. 1870 Nr, 180, 4) Für das russische Recht 0 L o ̂ i> 3 8,«, i , X i , 1 o i , 1538 und 1539. ol. auch ?-b i i i . l > k « A , K «, e c, /!, o ll, 1878 Nr, 9«! u. E. v- O. A. G, V e r l i n v, 21,/IV 71, 159 Finden sich Unklarheiten oder Ungmauigkeiten, so sind diese Policen im Zweifel gegen den Versicherer, welcher die- selben oder die angezogenen Versicherungsbedinguugen redi- girt hat, auszulegen'). 4. Perfektion des Vertrages. Die Perfection des Versicherungsvertrages, als eines Consensualvertrages ^), ist mit dem Moment gegeben, wo eine Einigung des Willens der Contrahenten über die wesentlichen Punkte des Vertrages erzielt worden ist. Steht dieser Satz auch ganz unbestritten da, so hat doch die Frage, wann denn diese Einigung des Willens vorliege, zu verschiedenen Con- troversen Anlaß geben. Bei der Seeversicherung, wo der Modus der Eingehung des Vertrages ein einfacher ist und von der Ausstellung einer Police häufig abgesehen wird, läßt sich der Zeitpunkt des Consenses weit leichter constatiren, als bei der nichtmaritimen Versicherung'), Hier ist der Gang der Verhandlung viel complicirter, die Verschiedenheit der Fälle eine große, so daß eine Aufstellung von allgemeinen Regeln, wann der Consensus als vorliegend anzunehmen sei, ganz unmöglich erscheint, da nicht alle Falle unter diese Regeln subsumirt werden können. Zur Entscheidung der Frage nach der Perfection des Vertrages bei der nichtmaritimen Versicherung ist es noth- wendig, sich die A r t und Weise, wie gewöhnlich die Versiche- rung abgeschlossen wird, zu vergegenwärtigen. 1) Ln t s ch, d, N. O. H. G, Bd, III MF- 80; V, IV p ^ . 5,N, — k e r n e n , l ü o u k i a in Sach, Bulitschcw o, Nadeschda ( N a p i s n e i , I l>»3- 353). 2) Entsch. d. R, O. H. G. twn 28./V 18?« (N. XX Nr. 139, pÄss. 130) u, ? Hin, I' Pn,» Ä, k k o e. ss 6 ii. 1871 Nr. 122U :c, 3) ol, D, H, G. N, Art, 791. 160 Wer eine Versicherung zu nehmen wünscht, tritt mit der Gesellschaft direkt oder mit einem Agenten derselben in Ver- bindung und erhält ein Antragsformular. Dieses Antrags- formular, in welchem er seiner Anzeigepflicht zu genügen hat'), wird von ihm ausgefüllt und der Gesellschaft zugestellt. Die- selbe entscheidet sich darauf für oder gegen den Antrag, be- stimmt im ersteren Falle die Höhe der Prämie und übergiebt dem Antragssteller die Police gegen Entrichtung der Prämie, Es sind in der Theorie in Betreff des Zeitpunktes der Perfection drei verschiedene Anschauungen vertreten worden, Die Einen sehen ihn als mit dem Moment der Unterzeichnung der Police gegeben an^). Andere Schriftsteller lassen die Perfection durch die Uebergabe der Police an den Antrags- steller oder Benachrichtigung desselben über die Annahme des Versicherungsantrages eintreten^). Die dritte Anschauung steht auf dem Standpunkt, daß der Versicherungsvertrag per- fect sei vom Zeitpunkt der Annahme und Billigung der Police durch den Antragsteller'). Was die erste der vertretenen Meinungen anbetrifft, so liegt ihr offenbar die Anschauung zu Grunde, als sei der Versicherungsantrag eine Offerte seitens des Antragstellers, und die Unterzeichnung der Police eine Zustimmung zu dieser Offerte, so daß dadurch der nöthige Consensus erzielt würde. Gegen die Annahme, daß im Versicherungsantrage eine Offerte zu sehen sei, läßt sich einwenden, daß eine solche doch alle wesentlichen Punkte des Vertrages enthalten mußte, was in praxi beim Versicherungsanträge in den weitaus meisten Fällen nicht zutrifft. Denn bei der erstmaligen Versicherung — und eine 1) Ueber d, Anzeigepflicht, siehe weiter unten in dieser Abhandlung. 2) P o h l s § 651 pax, 533 fs,, «t, auch die s r a n z ö s. Schrift- steller ( C i s n a n o L i i pÄF. 151 >, auch d, O, A, G, D r e s d e n vertritt diesen Standpunkt in einem Urth. v, «>,/XII 18N« i« i ! 2 i > ?Äß, 167, lli«ll»20Vi> 152 und and. 4) U, and. M a l s z in O, g. XIII p, 77—94, M a l s z Betr, p, 73. 161 solche liegt in der Mehrzahl der Fälle vor — wird der An- trag nichts über die Höhe der Prämie enthalten, weil die Be- rechnung derselben für den concreten Fall, aus technischen Gründen sich begreiflicher Weise der Beurtheilung des An- tragsstellers entzieht. Da nun der Antrag nichts über die Höhe der Prämie, die doch fraglos zu den wesentlichen Be- stimmungen des Vertrages gehört, enthält, kann von einer Offerte nicht die Rede sein, also auch nicht von der Perfection durch Unterzeichnung der Police, Scheinbar anders liegt der Fall, wenn in dem Antrag, wie es bei der Erneuerung der Versicherung häufig vorkommt, eine bestimmte Prämie, etwa dieselbe wie bisher vrovonirt und vom Versicherer angenommen wird. Enthält der Antrag wirklich alle wesentlichen Momente, so müßte der Vertrag durch die Unterschrift auf der Police allerdings perfect werden, wenn das Factum der Unterzeichnung allein, ohne daß es zur Wissenschaft des Antragsstellers gelangt, dazu genügen würde. Allein dem ist nicht so. Ein Vertrag hat nach An- schauung Vieler, der ich mich anschließe, nur dann verbindende Wirkung, wenn die Annahme der Offerte dem Antragssteller bekannt gemacht worden ist'). Diese Anschauungen vertritt auch ein Urtheil des preußischen O b e r t r i b u n a l s vom December 186?'), in welchem es unter Anderem folgender- maßen heißt: „ — Hat der eine Theil seine Offerte schriftlich an den anderen gelangen lassen, und hat dieser seine Annahme schrift- lich erklärt, so ist in dem Moment, wo die Annahmeerklarung nur erst unterschrieben worden, der Vertrag noch keineswegs als perfect anzufehen, sondern die Perfection tritt alsdann erst ein, wenn der Annehmende die von ihm unterschriebene ,) «l. D. H, G, B, Alt, 321, 2, Bei M a l s z G, Z. XIII p2.x, W, D°lp. Iui. St, Bd, !. 1l Annahmeerklärung durch seine Veranstaltung an den Offe- renten hat gelangen lassen und diesem bekannt gemacht hat, weil nur dann erst der Letztere weiß, daß seine Offerten an- genommen worden, und daß sie beide einig geworden sind. So lange der Annehmende seine Annahme dem Antragenden noch nicht bekannt gemacht hat, hängt es noch ganz von seiner Willkür ab, seine, wenn auch bereits ge- und unterschriebene Annahmeerklärung zurückzuhalten und dadurch den Vertrags- abschluß hinauszuschieben oder ganz zu verhindern." Aus Allem dem oben Gesagten folgt also, daß die Unterzeichnung der Police ein für die Perfection des Ver- trages vollständig irrelevantes Factum ist. Läßt sich nun der ersteren Anschauung garnicht bei- pflichten, so hat die andere, daß der Vertrag durch die Ueber- gabe der Police an den Antragssteiler oder Benachrichtigung desselben von der Annahme des Antrages perfect werde, nur eine bedingte Richtigkeit. Enthält der Versicherungsantrag in der That alles zur Feststellung des Vertragsverhältnisses Nöthige, so liegt allerdings Perfection vor, sobald der An- tragssteller auf irgend eine Art von der Annahme des An- trags erfahren hat, fei es durch Auslieferung der Police oder durch einen Brief oder mündlich durch einen Agenten. Dieses betont ein Erkenntniß d. R. O. H, G. v. 13./II 1872'): „Es ist unbegründet und würde, wie mit allgemeinen Rechtsprincipien, so mit den Anforderungen des Verkehrs in fchneidendem Widerspruche stehen, wollte man auf einen voll- ständigen, alle Elemente des Versicherungsvertrages enthalten- den Antrag" (es handelte sich in dem gegebenen Fall um einen Prolongationsantrag unter den bisherigen Bedingungen), „mehr als ein bloßes „Ja" und dessen Erklärung an den erkennbar mit der Besorgung der Versicherung vom An- 1> B. V, Nr, 2? pÄjf, 114 163 tragsteller Beauftragten zur Perficirung des Vertrages verlangen," Fehlt aber ein essentielles Moment, z, B. die Angabe der Höhe der Prämie, so kann der Versicherungsantrag nicht als Offerte gelten. Dagegen stellt die Police allerdings eine solche vor und es bedarf nur eines Actes seitens des An- tragsstellers, durch den er die Billigung und Annahme der Police manifestirt, um den Vertrag verfect werden zu lassen. Dieses kann durch die Prämienzahlung geschehen; ist aber auch durch jede andere zustimmende Willensäußerung möglich. Man kann also sagen, daß in den weitaus meisten Fällen die Perfection des Vertrages mit dem Moment der Einhändi- gung der Police und der Billigung derselben, etwa durch Zahlung der Prämie, gegeben ist, doch kann dieses nicht als allgemeine Regel aufgestellt werden, da es Fälle giebt, wo der Consens schon früher erzielt wurde'). Die Versicherungsbedingungen, wohl aller deutschen Ge- sellschaften )̂ und der meisten russischen °), enthalten eine Be- stimmung ähnlich der folgenden: „Die Versicherung wird erst durch die gehörig geleistete Prämienzahlung verfect"'), Wie ist nun dieses zu verstehen? Sollte wirklich die Perfection, trotzdem vielleicht beide Kontrahenten über alle Punkte einig sind, vertragsmäßig bis zu einem späteren Zeit- punkt, der Prämienzahlung, aufgeschoben sein? Um die obige Bestimmung richtig zu interpretiren, 1) ol. d. E r k e n n t n i s ! d, R, O, H, G, v, 13./XII 1872 ; sieh« °"ch Busch Arch. N. F. II MF, 34l> f. 2) ? h in. I > ÄN «, ll » o o, / I e n, 1871 Nl. 1220 ; 1873 Nr, 11» 6ü, 3».«. i , XI 22 oi, 1241. li) N. V Nr. 27 pass, 117 ff. 165 Punkte des Vertrages einig sind; der Versicherer darf sich je- doch einseitig vom Vertrage lossagen, oder hört sogar ipso jure auf, gebunden zu sein, sofern die Prämie nicht rechtzeitig bezahlt wird. Der ersten Auffassung widerstreitet schon der Wort laut der Versicherungsbedingungen: nicht der Versicherungsvertrag wird durch die gehörig geleistete Prämienzahlung verfect, sondern die Versicherung, d, h, die Verpflichtung des Ver- sicherers, „gült ig". Sie widerspricht auch dem Interesse der Versicherungsgesellschaften, da sie den Versicherungsnehmer berechtigen würde, durch Weigerung der Prämienzahlung die Perfection zu verhindern oder dessen Auflösung herbeizuführen; sie kann daher nicht in diesem Sinn gemeint sein. Verträglich mit dem Wortlaut der „Versich,-Bedingungen" wäre die zweite Auffassung, Allein sie widerstreitet einmal der Natur des Versicherungsvertrages, als eines unbedingten Consensualvertrages, welcher nicht erst durch die Leistung des einen oder des anderen Theiles, sondern schon durch Willens- übereinstimmung zum Abschluß gelangt, zugleich der Natur eines zweiseitigen Vertrages, da der Versicherer durch Weige- rung der Prämienannahme die Perfection des Vertrages ver- eiteln oder dessen Auflösung herbeiführen könnte. Solche Un- gleichheit der Vertragsrechte, ein negotium olauäieaus, ist zwar rechtlich möglich, kann jedoch nur bei unzweideutiger gesetzlicher Vorschrift oder Uebereinkunft angenommen werden. M i t dem Zweck des Versicherungsvertrages und mit dem berechtigten Interesse des Versicherers ist nur die letzte Auffassung vereinbar. Der Versicherer w i l l die Prämie nicht creditiren. Er übernimmt die Gefahr nur unter der Bedin- gung, daß die Prämie rechtzeitig bezahlt werde; wird diefe Zahlung unterlassen, so wi l l er an den Vertrag nicht ge- bunden sein. Die Nichtzahlung der Prämie ist hiernach eine Ver- 166 letzung der dem Versicherungsnehmer aus dem p e r f e c t e n , b e i d e r s e i t s b i n d e n d e n Vertrage obliegenden V e r - t r a g s p f l i c h t , und sie b e f u g t , v e r p f l i c h t e t abe r n ich t den Versicherer, sich einseitig von dem Vertrage los- zusagen. So aufgefaßt, hat die betreffende übliche Claufel die Bedeutung einer i n der R e g e l r e s o l u t i v b e d i n g t e n Isx oc» mini 8 8 dr i l l . " Bei Gesellschaften, in deren Versicherungsbedingungen sich jene Clausel nicht findet, fällt natürlich Perfection und Haftung zusammen. I I . Die beteiligten Personen und ihr MchtsverhäNniß. l . Subjecte des Vertrages. Der eine Contrahent beim Vertrage ist der sog, „Ver- sicherer", d, h, die Person, welche die Gefahr übernimmt und die Sicherheit gewährt'), der andere Contrahent ist meist die Person, von welcher die Gefahr abgewandt werden soll, welche vom Versicherer die Sicherheit empfängt, der sog, „Versicherte"'), Häusig schließt aber ein dritter für den- selben den Vertrag ab') , so z, B. der Spediteur für den Eigenthümer der Waare, Diese dritte Person wird von manchen Schriftstellern auch als Versicherter bezeichnet, wo durch eine Unklarheit in der Terminologie herbeigeführt und Anlaß zu Irr thümerrn gegeben wird. Es würde sich daher empfehlen, dem Beispiele des D, H. G, B, Art. 785 zu folgen 1) Lsourum lkoel« — ^ssLoulatio — Assecuiant, 2) Ueber das Erfordernis; des „ I n t e r e s s e ' s " siehe weiter unten in dieser Abhandlung, 3) Ueber „V c rs i ch e r u n g sr cm d c r I n t c r c s s e n" siehe weiter unten in dieser Abhandlung, 167 und den dem „Versicherer" gegenüberstehenden Contrahenten als „Versicherungsnehmer zu bezeichnen. I n den Fällen, wo der vom Schaden Bedrohte selbst als Contrahent auftritt, wären der „Versicherte" und „Versicherungsnehmer" identisch. Was den „Versicherer" anbetrifft, so kommt in der Neuzeit als solcher meist eine Gesellschaft in Betracht; die Versicherung ist jetzt ganz allgemein Gegenstand des Großbe- triebs. Nur bei der Seeversicherung tritt zuweilen eine ein- zelne Person als Versicherer auf. Auf diese Fälle beziehen sich die Bestimmungen, die wir in einzelnen Gesetzbüchern finden, daß Makler, Dispacheure, Richter in Versicherungssachen :c. nicht Versicherer sein dürfen, Noch kann man diese Bestim- mungen für überflüssig ansehen, da denselben Personen so wie so die Uebernahme von Handelsgeschäften untersagt ist, und die Versicherung gegen Prämie als solche zu betrachten ist; wenigstens nach den Bestimmungen d, T>, H, G, N,"), Wo als Versicherer nicht einzelne Personen auftreten, wird die Versicherung entweder von Erwerbsgenosfenfchaften (Aktien- gefellschllften) oder von Gegenseitigkeitsgefellschaften betrieben. I m ersteren Falle ist der Zweck Grzielung von Gewinn, der Ueberfchuß aus den Prämien, welcher nach Zahlung des Schadenersatzes nachbleibt, wird als Dividende unter die Actionäre vertheilt. Die Gesellschaft hat zu ihren Contrahenten, den Versicherungsnehmern, keinerlei rechtliche Beziehungen, außer den aus dem Versicherungsvertrag entspringenden. N Allg, Pr. L, R, I I Tit, 8 z 1939 Hamburger Ass«,-Ordnung Tit, I I Art. 1 n, 2 Schweb, Assceuranz-Ordnung Tit, I I § 1 »Beneke N. I M3, 178 ff,) 2) Art, 271 Nr, 3, — d. « 8 0 ^ ^ 3 » «. X I e i . 1228, 1229 u, d, « o ä o äß o o m e r o s Art. 1 sehen nur die Seeversicherung als Handels- geschäft an, d. i t a l i e n , oo ä. ä i oom, Art. 2 u, d, H o l l ä n d, H, O, V. Art. 4 Nr, 10 zählen alle Versicherungsgeschäfte dazu, auch die gegenseitigen, wNhrcnd d, T>, H. G. V, die letzteren ausnimmt, ebenso ein U r t h . d. O. A. G, D r e s d e n U, U»,/I 7l ( S c n f f Arch. B, XX IX Nr. ,'i4). 168 Anders verhält es sich bei den gegenseitigen Versiche- rungsanstalten ^). Jeder Versicherungsnehmer wird so ipso durch das Factum des Eingehens eines Versicherungsvertrages mit der gegenseitigen Versicherungsanstalt, welche als juristische Person aufgefaßt werden muß'), laut Statut derselben auch Mitglied der Corporation^). Die Prämie zahlt er als Ver- sicherungsnehmer, dagegen nimmt er als Corporationsmit- glied Theil an Gewinn und Verlust der Gesellschaft'), Es seien an dieser Stelle noch einige Worte dem recht- lichen Charakter der sog, „Agenten" gewidmet, welche als Vermittler zwischen dem Publikum und den Versicherungs- anstalten dienen und beim Abschluß, sowie bei der Erfüllung der Versicherungsverträge eine große Rolle spielen, 1> B e s e l e r ß ! U! p, 5,28, E t u b b e 8 197 MF. 355,, M a l s z Vetr. MF, 9 f,, H i n r i c h s in G, Z, X X pNF. 419 ff. 2) Nach N c s e l c r ß l,N paß, 528 u, S t o b b e § 197 P, 355 f. ist jeder Versicherte zugleich Versicherer. Der Versicherungsnehmer tritt aber doch garnicht zu den übrigen Versicherten in irgend welche rechtliche Be- ziehungen aus dem Versicherungsvertrag, Er contiahirt nur mit der Cor- poration als juristischen Pcrsun, welche doch scharf von den einzelnen Mit- gliedern zu scheiden ist, ol, auch Entsch, o. R, O, H. G. Bd, VI I I Nr. 48 pass, 182 f, 3) ol. M a l s z Betr. pag-, IN, 4) Dagegen H i n r i c h s G. I . X X p»F. 419 ff. H. kommt nach sehr ausführlicher Abhandlung dieses Gegenstandes zum Schluß, daß bei der gegenseitigen Versicherung nur ein Gesellschaftsvertrag vorliege, weil ein wesentlicher Bestandtheil der Versicherung, die Prämie fehle. Die Leistung des Versicherer sei keine bestimmte, sundern durch Rück- resp, Nachzahlung variable. Dieses ist jedoch nur eine scheinbare Eigenthümlichkeit, da die Dividende, wie eben erwähnt wurde, von ihm nicht als Versicherungs- nehmer bezogen wird, sondern als Glied des Gcgenscitigtcitsvereins und er auch nur als solches zur Nachzahlung angehalten wird, die Prämie aber fest bestimmt ist. lol, die Statuten d. linländischcn gegens, F, Ä, V,, der rigaer voistädtischen u, städtischen Gesellschaften u, d, Moskauer gegens. Hagelvers. Gesellsch.) Bei den wenigen gegenseitigen Gesellschaften, wo der Schaden n a c h t r ä g l i c h auf die Mitglieder vertheilt wird, pro rata der versicherten Summe, muß man allerdings mit H i n r i c h s nur einen Gesellschaftsvertrag annehmen, da ein Versicherungsvertrag wegen Mangels des wesentlichen Begriffs der Prämie nicht vorliegt, ul, auch d. Ertenntn. d, O. A, G. M ü n c h e n v . lU./VIl > 870, Senfs Arch. XXVI I I . 169 Es ist sehr schwierig mit genauen, scharf abgegrenzten Linien die Stellung eines „Agenten" zu marquiren, welche Schwierigkeit auch bei der Berathung des D, H, G. B, dazu geführt hat, daß troß mehrerer desbezüglicher Anträge über den rechtlichen Charakter der Agenten nichts Bestimmtes ge- sagt worden ist'), I m Allgemeinen sind die Agenten als Mandatare zu betrachten, welche je nach dem concreten Fall zum Abschluß oder bloß zur Vermittelung der Versicherung befugt sind. Wie weit ihre Befugniß reicht, richtet sich nach der einzelnen Vollmacht'), Gin Erkenntniß d, R, O. H, G. v, 23./X 1872') sagt darüber ff: „Ein den Umfang der Bevollmächtigung nor- mirender Rechtsfatz existirt nicht. Die Stellung eines Ver- sicherungsagenten ist überhaupt nicht abstract präcisirbar." 2. Die Prämie. I, Die vertragsmäßige Leistung des Versicherungs- nehmers besteht in der Prämie'), welche je nach Ueberein- kunft in einmaliger Zahlung oder in Raten nach bestimmte« Zeitintervallen entrichtet werden kann und wohl stets in einer D P r o P , pkA, 103, AU, 1295,, 451«, 4631: siehe überhaupt M a l s z G. Z. X I I I p, «8 ff, 2) G a r e i s , Holtz Rechtster, I I I pax, 1080 ff. sieht in d, Agenten 3) B. V I I Nr, 99 MA, 373. 4) c: L. !, n «. X11 . 2 o?. 1227 NMN, P r o u i n c , - Recht I I I Art. 435N H, O. V, Art. 81«! A l l g . Pr, L. R. § ,934, 2U«s> lc. «. — A d l e r „Charakteristik d. Versich.-Prämie" g, f, R, u, L, R. I I 1875, p»F, 27 ff. M a l s z Studien G. Z, V I p. 305, S t o b b e ß 197 ? ^ . 355 :c. Was die Etymologie des Wortes anbetrifft, so leiten die Einen dasselbe von .y re twN" her, ( S t r a c c h a ot. A d l e r 1. «,) »oelcher Ausdruck ftüher vor- kam, so z. B. in Varcclona, wo die Prämie in den ältesten Zeiten „pi'ous Äs In, 8L8ursw8- hieh; Andere von »primo" weil die Prämie immer vor- ausbezahlt werden muß ( W c s t c t t I I p, 65), 170 Geldzahlung besteht'). Die Prämie soll ein Aequivalent für die Sicherstellung durch die Gefahrübernahme von Seiten des Versicherers sein und wird daher hinsichtlich des Eintrittes, der Art und des Umfanges seiner Wirkung ^ berechnet nach der Wahrscheinlichkeit des Schadens. Da der Versicherungs- vertrag ein zweiseitiger Vertrag ist°), bildet die Prämie ein wesentliches Element desselben, denn ohne Prämie würde kein Versicherungsvertrag, sondern ein Schenkungsversprechen für den Fall eines Schadens vorliegen. Unzweifelhaft braucht der Versicherungsnehmer die Prämie nur gegen Aushändigung der Police und Prämienquittung zu entrichten'). I I . Was die Art und Ie i t der Prämienzahlung anbe- trifft, so ist Folgendes zu bemerken: in der älteren Juris- prudenz stand der Satz fest, daß die Versicherung erst durch Vaarzahlung der Prämie zustande komme. Diese Anschauung fand auch Anerkennung in der Gesetzgebung; so traf z. B, die urdouanco cle In. marine v. I . 1681 im Art, 6^) die Be- stimmung, daß die Prämie fofort baar zu bezahlen sei. Der in Kllufmllnnskreisen so allgemein verbreitete Gebrauch des Creditirens fand aber auch bei der Versicherung immer mehr Eingang, namentlich bei der Seeversicherung und in der Neuzeit 1) Nach dem Pr. Allg, ll, R, kann die Leistung der Versicherungs- nehmer, außer in Geld, auch in anderen erlaubten Vortheilen bestehen, 2) l i n d e m a n n in G, Z, IX pass. 541 X P2F, 24!, :zi4 (auch T h l l l , Handelsrecht § 297) nimmt fälschlicher Weise an, dafz die Prämie nach der vollen Versicherungssumme berechnet werde und daher gewöhnlich zu hoch gegriffen sei, weil nur der wirkliche Schaden erseht werde, und diese Elsaßsumme fast immer niedriger sei, als die Versichcnmgssnnimc, dem ist aber nicht so; die Prämie wird nicht nach der Versicherungssumme, sondern nach der Wahrscheinlichkeit der wirklichen Gefahr berechnet, (ol, Busch Arch, N, F, I p, 425,, 3) ? h in. l i> » M g. ic k o o. / I , 8 n. 1882, Nr, 44 u, 98. 4) D. H. G, V, Art, 816, Lu tsch , d. R. O, H. G. v. I3./II 1872 C. M a l s z in G. Z, V I pilss, 377 X I I I p ^ , !»'> ff, § 3 d, „allss, Vcrsich. Beding," iu dem Sinne auch. 172 VersicherungZbedingungen eine Bestimmung etwa in der Art, daß die Prämie seitens des Versicherungsnehmers zu zahlen sei, ohne eine Aufforderung durch die Gesellschaft abzuwarten' Wenn die Gesellschaft gleichwohl Zahlungsaufforderungen er- gehen oder die Prämie erheben läßt, so soll dieses keine Ent- schuldigung für die Säumigen sein. Trotz dieser bestimmten und klaren Erklärung, welche sich auch in fast allen französischen Policen befindet, wird die spätere periodische Prämie von einer constanten französischen Rechtssprechung'), auch bei gegentheiliger Bestimmung in der Police, als Holschuld (äette ^uüi-adik!) bezeichnet, weil durch die ganz allgemeine Ueblichkeit diese Prämie einzucassiren der betr, Claufel in den Versicherungsbedingungen derogirt sei. Hier- gegen haben die Gesellschaften stets, jedoch vergeblich, den Ein- wand erhoben, daß der Versicherungsnehmer, dem ja die Versicherungsbedingungen bekannt sind, vertragsmäßig auf diese Einrede verzichtet habe, Diesem Standpunkte der französischen Rechtssprechung gegenüber, hat die deutsche Praxis^) mit Recht die Ansicht vertreten, daß die spätere Leistung einer periodischen Prämie allerdings in Anbetracht des allgemeinen usus eine Holschuld sei, falls nicht in die Versicherungsbedingungen auf das Un- zweideutigste das Entgegengesetzte bestimmt worden ist. Es ist auch kein Grund einzusehen, weshalb der vertragsmäßig stipulirte Wille der Contrahenten von den Gerichten nicht anerkannt werden sollte, IV. Nach der herrschenden Ansicht steht der Grundsatz I ) Entscheidungen des P a r i s e r C a s s a t i o n s h o f e s d e s A p p c I - H o f e s V o r d ea ur,, ol, G, Z, X I I I M 8 - U<> ff, und O. I . X X p»F, 2«<>, 2> Vrt, d, R, O, H, G. v. 4,/ IV 1873 (B , I X 371 ff.) d, , h a n d e l s - G e r , N ü r n b e r g M , Z, X I I I p»ß. 97) «f. auch G a r e i s in Holtzen» dorff's Rechtster,, I I I pass, «088, S t o b d e § 197 u, 3«, 173 fest, daß die Prämie untheilbar ist. Dieses ist mit der Be- schränkung zu verstehen, daß eine Verminderung der Dauer der Gefahr keinen Anspruch auf Rückgabe eines Theiles der Prämie begründet. Da die Gefahr jederzeit in ihrem ganzen Umfange eintreten kann, kommt die Dauer derselben nicht in Betracht, sondern nur die Thatsache, daß sie zu laufen be- gonnen hat. Diese Anschauung ist sowohl von der Gesetzgebung (D, H. G. B. Art, 902 Pr, Allg, L, R, § 2122. Holl. H, G. B. Art, 636 «odt, ä« oom, Art. 351 «.) als auch von Theorie und Praxis anerkannt worden'). Wird die Versicherung da- her aus irgend einem rechtmäßigen Grunde vor der Zeit auf- gelöst, so kann der Versicherer die Prämie voll und ganz beanspruchen, sofern nur die Gefahr zu laufen begonnen hat ^), Ist der Vertrag auf mehrere Perioden abgefchloffen worden, und soll die Prämie für jede einzelne entrichtet 1> M a l s z G, Z, V I Mss. 878 ff,, S t o b b c § 107 pass, 360, E n d e in a n u Handelsrecht pass, 830, W e s t e t t N pnss. 67, 0 i 6 i i 2 - nou i> 107 :c. E n g l i s c h e E n t s ch e i d u n g e n (bei Wcskett I I pass, 11 4 Nr. 7 und 1 l), E r t. d, F r i e d e n K g e r i ch t s z u L » o » (G, g. X I I I p, 95), Die Vcrsichcrungsbcdinguiigcn mancher russischen Gesellschaften er- kennen den Grundsatz der Ilntheilbarkeit der Prämie nicht an, so z, B. der „Iator" § 14, „ I . Russische" z 82, „Rossija" ß 13 :c. Ebenso einige Codi- ficatiouen z. B. «oäs äs oom. Art, 356, ooäie, äioom, iw l , (Oioii»iio»i> PÄF. 1<>9), <ÜL0gi, ü»«. X I i , 2 e i , 1257, in dem sie die Bestimmung treffen, daß wenn ein Schiff für die Reise hin und zurück versichert ist, und die Rückreise nicht zu Stande kommt, der Versicherte ein Recht ans Er- mäßigung der Prämie haben füll. Es ist dieses eine Durchbrechung des Princips der Untheilbarteit der Prämie, die wühl ihren Grund in Billig- tcitsriicksichten hat, denn juristisch ist sie nicht zu rechtfertige«, da die Hin- und Rückfahrt e ine uersicherte Reise darstellen, und der Versicherer, nachdem die Gefahr einmal zu laufen begonnen hatte, ein Recht auf die volle Prä^ mie hat. >of. L i i n u n i , paß, 85, <ü i>c ! i i k i i oL i , pass. 169 und die dort citirtcn f r a nz ö f i f ch e n S ch r i ftst e l l c r,) 2) D. H, G, N, Art, 815 A l l g, P r . L. R. W 2003, 26, 41, 54, 2122, 27, 44, 18, ol. auch „N a d e s ch d a" § 9 „v o rs täd t i schc g e - g e n s e i t i g e " Negl, 7 Inst, § 32, 174 werden, so hat der Versicherer, falls die Versicherung früher aufgelöst wird, nur ein Recht auf die Prämie derjenigen Pe- riode, während welcher die Sache Gefahr lief'), V, Es wäre hier noch der Fall zu besprechen, wo die Gefahr für den Versicherer garnicht zu laufen begonnen hat, wie solches stattfindet, wenn das Unternehmen aufgegeben oder nur ein Theil der versicherten Sachen der Gefahr ausgesetzt gewesen ist, T>a eine Leistung des Versicherers in diesem Falle nicht vorgelegen hat, kann der Versicherungsnehmer die von ihm gemachte Zahlung der Prämie zurückfordern Mistorno) ̂ ). Es wird jedoch aus Billigkeitsrücksichten ein verhältnißmäßiger Abzug zu Gunsten des Versicherers gemacht, dessen Höhe von den meisten Particularrechten festgestellt worden ist^), 3. Das Interesse. I, D a s I n t e r e s s e a ls Gegenstand der Ver- sicherung und Beschaf fenhe i t desselben. Außerordentlich lange Zeit hat sich die juristische Wissen- schaft in dem Irrthum bewegt, in der versicherten Sache den 1) M n l s z Studien G, Z, V I paß, 373 ff, 0 i o n a n a » i> IN? und die dort citirtc f r a n z ö s i s c h e D o c t r i n . Jede dieser Perioden soll als selbständig für sich bestehende Versicherung, während welcher der obige Grundsatz volle Geltung hat, angesehen werden. Nach der Anficht Uon M a l K z !, «, soll für den Fall, daß bei einer mehrjährigen Versicherung die Prämien für die ganze Zeit voraus bezahlt werden und der Schaden vor Ablauf d, Vcrsicherungszcit eintritt, nicht die Existenz einer Gesammtvrämie angenommen werden, sondern es muß ein verhältnißmäßiger Theil retournirt werden, und eine Ausnahme von der Regel der Untheilbarkeit der Prämie angenommen werden. 2> Ä e n e t e - N l l l t e I Mss. 334 ff., W e s k e t t I I paß. 67, G e r b e r F 203, E n d e m a n n Handelsrecht p ^ . 831 «. :c. N, H, G. N. Art, 899—902, Nl lss. P r , L, R, ߧ 2333-45, 2,40, 2!41 lc, «l. aber d, ?Äm. I'ps.K, «nee, ^6 i i , 1888 ^» 73. 3) D, H. G, N, Art, 899 P r, A, L, R, 8 2334, Cüa^i. Zaic, X I i , 2 07, 1256, H o l l , H, G, N, Art, 635, o o ä s äs o o m , Art, 349 ic. 175 „Gegenstand" der Versicherung zu erblicken'), und man kann sagen, daß dieser I r r t hum auch jetzt noch nicht ganz ge- schwunden ist, sondern daß in den meisten Laienkreisen, ja auch hier und da in der Doctrin und Praxis diese irrige Anschauung anzutreffen ist ^), Hervorgerufen ist sie durch den Doppelsinn des Wortes „Gegenstand", welches sowohl „Object" als auch die i-ss bezeichnen kann. Erst in diesem Jahrhundert hat die richtige Ansicht, daß nicht die „Versicherte Sache" sondern das „Interesse" Gegenstand der Versicherung sei, immer mehr Boden gewonnen, und ist jetzt als allgemein herrschende und anerkannte anzusehen °). Das „Interesse" gilt also als versichert; nur der darf Versicherung nehmen, der ein Interesse hat, daß eine gewisse Sache eine bestimmte Gefahr bestehe. Denn hätte der Ver- sicherte kein Interesse, so würde er keinen Schaden leiden, falls der Unfall eintritt, und Ersatz des Schadens ist der Zweck der Versicherung, Gr würde durch die Entschädigungs- summe bereichert werden, während die Versicherung nie einen 1) N e u etc I Cap. 1, P o h l s § 552 (spricht ab« auch schon vom Interesse), T e c k l c n b o r g p, 39, B l u t s c h l i § K i i ic, S p l l n. H a n d, G. B, Art, 848, P r, A l l g , L a n d . R, § IN52 ff, ic, 2) So ist in der russischen Doctrin diese Anschauung zu finden, na- mentlich bei (! i « i i k i i o u i> pÄF. 15, dessen ganze Lehre auf dem Satz basirt, das; der körperliche Gegenstand das Object d, Vertrags ist, ol, auch N 0 i « i i 2 i> pkF. 92 ff. I n der Praxis vertritt diesen Standpunkt noch z, B. O, L. G, H a m b u r g in der Entsch, Senff Archiv N, F, X I I I und XV; Nr, 56 resp, 269. 3) D. H. G. V. Art. 782, 785, P r o t o c , S. 3132 : „Als eigent- licher Gegenstand der Versicherung soll das Interesse des Versicherten, nicht die Sache selbst betrachtet werden," 6 ü o H i> 3 »,«. XI ' i . 2 o i . 1235 ä> H o l l , H. G. B. Art. 250, 253 - N cn e ke - N o l t e I pax. 17 ff. 35 ff, E n d e m a n u G. Z. IX p ^ . 545, G e r b e r ß 202 pass, 547, — C o h n am a. O. M a l s z G. g. VI I I paß. 369 ff,, XI I I pax. 418 ff. Denselben Standpunkt vertritt eine constante Praxis d. R. O. H, G. z, B. Entsch. v. 23./I 1872 (N, V Nr. 1 paß. 9), ebenso d. R e i c h s g e r i c h t s z. V. Entfch. v. 11./XII 1884 (Senff Arch. X Nr, 226), ebenso die Rechtssprechung wohl sämmtlicher Gerichte 176 Vermögensvortheil schaffen darf, Das erste Grforderniß, das Object der Versicherung, ist also das Interesse, Um die An- nahme, daß die versicherte Sache Gegenstand der Versicherung ist, zu widerlegen, braucht man nur die Folgerung aus dieser Voraussetzung zu ziehen. Nach der herrschenden Anschauung ist die Doppelversicherung unzulässig'); andererseits gilt die Versicherung des dinglich Berechtigten neben einer solchen des Eigenthümers für möglich und erlaubt^). War nun wirklich die versicherte Sache „Gegenstand" der Versicherung, so mußte, falls z. B. ein vom Eigenthümer versichertes Haus auch vom Hypothetargläubiger versichert wurde, eine Doppelversicherung vorliegen, und es käme auf einen unlöslichen Widerspruch hinaus. Nimmt man dagegen das Interesse als Gegenstand der Versicherung an, so liegt eine Identität des Gegenstandes bei mehrfacher Versicherung, also Doppelversicherung, in dem angeführten Beispiele durchaus nicht vor, da das Interesse des Eigenthümers und eines dinglich Berechtigten sich durch- aus nicht decken, sondern, wie weiterhin gezeigt werden foll, recht augenscheinlich divergiren können. Von welcher Beschaffenheit muß aber dieses Interesse sein, wodurch wird dasselbe begrenzt? Das Interesse muß, wie es der Art, 782 d. D. H. G. B, ausdrücklich betont, ein in Geld llbschätzbares, also civilrechtliches sein°). Ein bloßes wissenschaftliches oder Kunstinteresse würde also nicht zur Ver- sicherungsnahme berechtigen. Gin eintretender Schaden muß für den Versicherten einen VermögenZnachtheil nach sich ziehen. 1) Die Twftpelversicheiung verbieten unter And, z, B, d. D. H. G, B. Art, 7U2 0 V o « 7, 38,«, X I ' i , 2 o i , 1260 P r u v. Recht I I I Art, 4380 lc. siehe überhaupt weiter unten in dieser Abhandlung. 2) Unter And. Entsch. d. R, O. H, G. v. N./IV 1875 (B, XV I I Nr. 19 P8A. . 22) nufstellt, nicht recht durchführbar und viel zu umfassend zu sein. Er sagt (1. o.): „Versichert kann nur derjenige sein, dessen Vermögen von einer !D°lp. Zur. St. Ve, >, l 2 ^ 7 8 ^ „Die Bestimmungen des Art, 783 (d, D, H, G, B,) sind zwar nicht in dem Sinne zu verstehen, daß wegen einer j e d e n Forderung an einen Rheder oder Ladungseigenthümer See- versicherung genommen werden könne, weil j e d e r Gläubiger ein Interesse daran habe, d a ß k e i n V e r m ö g e n s o e - st a n d t h e i l f e i n e s S c h u l d n e r s v e r l o r e n gehe. Vielmehr sind versicherbar nur solche Forderungen, zu deren Deckung nach de r A n s c h a u u n g des V e r k e h r s ein den Gefahren der See anvertrauter Gegenstand ausschließlich oder doch zunächst bestimmt ist, welche also mit diesem Gegenstand in e i n e m b e s o n d e r e n Z u s a m m e n h a n g (als Schiffs- schulden, Pfandforderungen u, f. w.) stehen, und bei welchen eine p e r s ö n l i c h e Haftung des Schuldners, entweder g a r - n i c h t oder doch erst in z w e i t e r Linie in Betracht kommt. Die Gefahr, um deren Uebernahme es sich bei der Ver- sicherung handelt, besteht mithin nicht in der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ü b e r h a u p t , sondern vielmehr in dem Ver- lust eines b e s t i m m t e n , denSeegefahren ausgesetzten Deckungs- mittels gerade für die c o n c r e t e Forderung." (A, X V Nr, 40.) I s t nun das Interesse Gegenstand des Vertrages, fo be- darf es natürlich bei Eingehung desselben des Consenses der Contrahenten über diefen wesentlichen Bestandtheil des Ver- trages, Es ist also erforderlich, daß das Interesse als Gegen- stand des Vertrages in der Police genau bestimmt und an- geführt ist '), Oefahr bedroht, dessen Vermögen durch den Eintritt einer Gefahr benach- theiligt ist," Nach dieser wenig markirten Definition müßte auch der Chiru- graphargläubiger zur Versicherung von Sachen seines Schuldners zugelassen werden, da sein Vermögen durch die Beschädigung derselben entschieden be- nllchttznlig werden kann, und doch erklärt C u h n M^, 22 dieses für unzulässig. 1) P r o t, zum D, H, G. V. S, 3122. Dasselbe betont auch eine Entsch. d. R. O, H. G. v. 24./X 1874 (N. XV Nr. 40 pnS, 122>, 179 Um das oben Gesagte zusammenzufassen, muß das I n - teresse, um als versicherbar zu gelten, ein in Geld abschätzbares, unmittelbares sein und in der Police angegeben werden. I I I . Die Versicherung fremder Interessen Was die Frage, ob nur ein eigenes oder auch ein fremdes Interesse versichert werden kann, anbetrifft, so steht die heutige Wissenschaft auf dem Standpukte, daß fehr wohl fremde I n - teressen mit oder ohne Auftrag versichert werden können '). Diese Anschauung ist früher nicht getheilt worden, doch blieb der Doctrin schließlich nichts Anderes übrig, als voll- endeten Thatfachen des Verkehrs Rechnung zutragen und ihre wissenschaftliche Rechtfertigung zu versuchen. Unstreitig stand von jeher fest, daß fremde Sachen ohne eigenes Interesse nicht für eigene Rechnung versichert werden dürfen '). Tiefes zuzulassen, wäre ein unstatthaftes Legalisiren des Spielgelüstes gewesen und hätte die schlimmsten Confe- quenzen nach sich gezogen. Andererseits scheute man sich auch die auftraglofe Versicherungsnahme für fremde Rechnung als berechtigt anzuerkennen, wegen der mancherlei Gefahren, die damit verknüpft sind. So bestimmt z. N. das Allg, Pr. L, R, °) in den 8§ 1945: „Wer für fremde Rechnung Versicherung nimmt, muß dazu mit Vollmacht oder Auftrag versehen sein, widrigenfalls die Versicherung ungiltig und die bedungene Prämie verfallen ist," und in dem § 1950: „So wie jeder 1, D, H, W, B, Alt, 785,, 78«, H o l t . ,h. G. B, Art, 265, M a l s z G. Z, VI I I pass, 374 ff., C u h n paF. 23, Tocklenl> o r g pkF. 25 ff. u. And, Entsch. d. O. A, G, K i e l (Scuff. Arch. V I Nr, 18u> ?c, 2) ? h m. r p » m «. I ! » o o, / I , o i i , 1884 Nr, 1 l3 Entfch, d, A. G, C e l l e v . 17..XI 187, (Scuff.Arch, N. X X V I Nr, 175). 3) Ebenso d, Nän i schc A s s e c u r a n z u r d n u n g Art, 4, (N c - neke - N o l t e B, I pax, 158) ol. auch M a l s z G, g. V I I I pa^. 374 ff 12* 180 ohne Vollmacht im Namen eines Anderen geschlossene Ver- trag durch desselben nachher hinzukommende Genehmigung zu Kräften gelangt, so findet ein Gleiches auch bei dem Ver- sicherungsvertrag statt." Der Allg, Pr, L. R. steht also ganz auf dem römisch-rechtlichen Standpunkte des Mandats und der negotiorum gestio. Jene Grundsätze des römischen Rechts genügten aber in keiner Weise den Bedürfnissen des Verkehrs. I n kaufmänni- schen Kreisen war es schon seit langer Zeit üblich, Versicherung für fremde Rechnung ohne Auftrag zu nehmen, indem der Vertrag einfach „für Rechnung wen es angeht" abgeschlossen wurde. Die Jurisprudenz sah sich schließlich genöthigt, diesem fest eingewurzelten Usus Rechnung zu tragen, zumal man ein- sehen mußte, daß Bestimmungen, ähnlich dem § 1950 d. Allg. Pr. L. R., für das practifche Leben gänzlich unbrauchbar waren. Denn es ist klar, daß für den Fall des Eintritts des Unfalls die Ratihabition nie ausbleiben würde; daß anderer- seits die nachträgliche Genehmigung bei glücklich überstandener Gefahr durchaus nicht als sicher anzunehmen ist, jedenfalls sehr häufig zu Streitigkeiten führen würde. Auch der Versuch in der Art einen Ausweg zu finden, daß verlangt wurde, die Ratihllbition muffe eintreffen, solange der Schaden noch nicht eingetreten ist '), war nicht haltbar, da der Interessirte meist viel zu spät von der VersicherungZnahme erfährt. Das Princip, welches das Holländische H. G. B. Art. 265, und nach dessen Vorgang auch das D. H. G. B. Art. 786, angewandt haben, um aus diesem Dilemma herauszu- kommen, ist ein deutschrechtliches. Denn nach deutschem Recht können Verträge auch zu Gunsten solcher, die beim Abschluß nicht mitgewirkt, rechtsverbindliche Kraft haben. D, D, H, G. 1) 38,«. X I 1, 2 er. 1235 ist die austragliche Versicherung nichtig. 2) Beispielsweise führ» M a l s z G Z. VI I I die Versicherung fremder Pelze durch Kürschner, zur Reparatur abgegebener Sachen durch Hand- werker ,c, an, ol auch d. sscucrucrsich, Vcd, d, „ R o s s i j a " § 14. 182 heit; diese hätte er erst, wenn der Schuldner die Entschädi- gungssumme dazu verwenden würde, das Haus wieder auf- zubauen, in welchem Falle ja das Pfandrecht wieder auflebt'), Dazu kann er aber weder von der Versicherungsgesellschaft, noch vom Hypothekargläubiger gezwungen werden. Erstere hat nur die Entschädigungssumme zu leisten, kann ihm aber keine Vorschriften in Betreff deren Verwendung machen; dem Gläubiger steht keine Klage zu Gebot, mit der er den Aufbau des Hauses mit der Entschädigungssumme ver- langen könnte, um auf diese Art die dingliche Sicherheit wieder zu erlangen. Wil l sich der Hypothekargläubiger gegen Schaden decken, so muß er selbst Versicherung nehmen. Es ist also wohl ganz unbestreitbar, daß die dinglich Berechtigten ein selbständiges Interesse haben und daher be- rechtigt sind dasfelbe zu versichern^). Wie wenig identisch dieses Interesse mit dem Interesse des Gigenthümers sein kann, ja daß es Fälle giebt, wo sie gänzlich auseinander gehen können, zeigt ein sehr instructives Beispiel bei M a l s z (G, Z, V I I I . i>. 382): An einem alten, baufälligen, höchstens 8000 Gulden werthen Haufe in Fraukfurt a,/M, haftet ein Nießbrauch, Dieses Haus steht auf einem Grundstück, welches, in eine sehr nothwendige Verbindungsstraße umgewandelt, dem Eigenthümer eine halbe Million einbringen würde. Die freie Verfügung 1) L, 35 D. a 8 p18 n 0 r 1 b u 8 s t i i X p. ftn, 1) L, 2! D. a s p l ß n o r , ao t , (13, 7>, 2) Es ist dieses auch allgemein anerknmtt, ol. ? 'b m, I' p ».« n. N k c o . / I ,L i i , 187!» Nr. 128 !88<>, Nr, 13 Vntsch, d. N, H, G. von U./IV 1^75 (N, XI I Nr. 19 Mß. 05, Entsch. d. O, N, G. D r e s d e n Febr. iW!.,X 1871 (N, XV pass. 122) siehe auch oben in dieser Abhandlung, 184 den Untergang der verpfändeten Sache, härt das Pfandrecht an demfelben von selbst auf. Hatte jedoch eine Versicherung der verpfändeten Sache stattgefunden, so wird die im Falle gänzlicher oder theilweiser Vernichtung derselben gezahlte Afse- curanzsumme von dem Pfandrecht ergriffen, falls nicht in den Statuten der bezüglichen Affecuranzgesellschaft etwas anderes bestimmt ist," Die in diefem Artikel vertretenen Grundfätze finden wir in mehreren Urtheilen hiesiger Gerichte naher be- leuchtet und entwickelt, so in einen App, Crk, des Rigaschen Raths'), wo es in den Motiven heißt: „Wenn der klagenden Bank in der That nur ein F a u s t p f a n d an d e m C o n n o s s e m e n t bestellt worden ist, so würde ihr ein Anspruch auf die Versicherungsfumme und damit auch auf die Police nicht zustehen, — Wenn da- gegen die Existenz eines der klagenden Bank zustehenden Pfand rech ts an der zum Theil untergegangenen L a d u n g des Schiffes angenommen wird, so ist in Hinblick auf den Art, 1419 die klagende Bank allerdings als zur Klage auf Herausgabe der betreffenden Police berechtigt anzusehen. (Es folgt der Wortlaut des Art, 1419), Der Vordersatz des Ar- tikels nun ist wohl so zu verstehen, daß das P fand rech t an der v e r p f ä n d e t e n Sache sich auf die F o r - d e r u n g , au f die Ve rs i che rungssumme er st reckt, wonach der Pfandgläubiger berechtigt wäre, diefe Forderung durch die Contractsklage geltend zu machen (Art, 1466 1. o.) d, h. den Versicherer auf Auszahlung der Versicherungssumme zu belangen. Der Schlußsatz des allegirten Artikels dagegen beschrankt das dem Pfandgläubiger eingeräumte Klagerecht gegen den Assecuradeur auf den Fall, daß nicht die Statuten der Asse- curanzgesellschllft etwas Anderes bestimmen, gewährt also der 1> Von 19,/!II !«N9, Nr, 205«, , N a t h s v, l,/II >884 ( Z w i n g . Eutsch, N. V I I MF. 105) „das; falls die Polieebedingungen Bestimmungen treffen, daß Arreste auf die Versicherungssumme nicht ange- nommen werden, dieses mit dem Pfandrecht an der Summe nichts zu thuu hat," ^ I n dem Nrk. U. I I S c c t i o n d. ü a u d v u g t e i g c r i ch t s v, 4./II 1882 (Z, L. N. V l I pass. 107) „daß der Gläubiger Anspruch auf Be- friedigung der noch n ich t f ä l l i g e n Forderung aus der Versicherung^ summe hat, wenn das als Hypothek bestellte Haus abgebrannt ist." — Lt. auch d. A p p el, Erk, d, N a t h s U. 3„./XI ,884 , „ R u s s i s ch e" ß 5>l>, «f. auch M a l s z !. o. — in dem Sinne auch „ N a l t i s ch e" § 3!», „ I a k o r" ß 25>, „R o s s i j a " 8 37. 186 auflebt, der Pfandgläubiger volle Sicherheit hat. Andere Ge- sellschaften wahren fein Interesse dadurch, daß sie den Pfand- gläubiger direkt aus der Entschädigungssumme befriedigen'), oder die Auszahlung an den Eigenthümer von der Zustimmung desselben abhängig machen ^). Alle diese in Gesetzgebung und Praxis, sowie in den Bestimmungen der betr, Gesellschaften vertretenen Grundfätze, das offenbare Nestreben den Pfandgläubiger fo sicher als möglich zu stellen, seine Forderung so entschieden zu bevor- zugen, sind an sich ganz vortrefflich und billig. Sie entspringen wohl sehr vernünftigen staatswirthschaftlichen Motiven, doch ist nicht abzusehen, wie sie juristisch gerechtfertigt und begründet werden follten. Wie soll ein dritter zu einem Vertrage, den der eine Contrahent über sein Interesse mit dem anderen abgeschlossen hat, in derartige Beziehungen treten tonnen, daß er für sich Vortheile daraus ableitet? Wir wollen die Irrthümlichkeit der obigen Anschauung dadurch darzuthun versuchen, daß wir die Gründe, die dafür angeführt zu werden pflegen, einzeln widerlegen. Häufig und hauptsächlich wird als Grund für das Recht des Pfandgläubigers auf die Entschädigungssumme die An- wendbarkeit der Regel „pretinin gnoosäit in loouin ry i" auf diesen Fall angeführt. Man muß sich jedoch hüten, diese Regel allgemein und in jedem Fall anwenden zu wollen. Dieses wird auch in einem Erkentniß des Reichs-Gerichts vom 17,/VI 1884') betont: — „daß insbesondere der Satz „pro. tiuln 8u«oo6it in loeum rei" in dieser Allgemeinheit und auf 1) „V u rst äd t isch c g e g e n s e i t i g e " ß 27, Erst nach Befriedi- gung der Pfandglnuniger wird der Rest dem Versicherten ausgekehrt, Re- glement 8 3»l, !)2, „ I , R u s - sisch e" § 83, „N o s s i j a " § 20 a, :c. 3> Entsch. d. N. O. H. G. a, 2 U, P. A, L, R, wonach die Entschädigungssumme 190 Noch viel weniger als der Käufer, ist der Pfandgläubi- ger berechtigt, Ansprüche auf die Gntfchuldigungsfumme zu erheben. Wie sollte sich auch ein d ing l i ches Recht des Pfandgläubigers construiren lassen auf die Leistung aus einem o b l i g a t o r i s c h e n Vertrage, bei welchem er gar nicht mit- gewirkt hat, einem Vertrage der von dem Versicherungsnehmer abgeschlossen ist, um sich, sein Interesse vor einem Schaden zu schützen, der i h m aus einer Gefahr erwachsen könnte. Ein rechtliches Band, welches die Police an die ver- sicherte Sache knüpft, läßt sich nur finden, wenn man von der falschen Voraussetzung ausgeht, daß in der Sache, nicht in dem Interesse der Gegenstand der Versicherung zu sehen ist. Besondere Verdienste um die Klarlegung dieser Frage und Zurückweisung der obigen falfchen Anschauung hat sich das Reichsgericht durch wiederholte ausführliche Behandlung dieses Stoffes erworben'). I n einer Entscheidung desselben vom 17./VI. 1884') heißt es: „Der Satz, daß das Pfandrecht, welches der Klägerin an den abgebrannten Gebäuden zustand, ohne Weiteres kraft Gefetz sich auf die Versicherungsgelder mit erstrecke, läßt sich nach gemeinem Recht nicht begründen. Der Anspruch auf die Versicherungssumme beruht auf dem persönlichen Vertrage zwifchen dem Versicherten und dem Versicherer, Hat der Eigenthümer eines Hauses einen Versicherungsvertrag abge- schlossen, so versichert er das Interesse, welches er daran hat, stets dem jeweiligen Eigenthümer ausgezahlt werden muß. Dieselbe ju- ristisch nicht haltbare Ansicht vertritt eine ? 'k m, I ' p 8, m «, X » e o. ^ o n, 1883 Nr. 116 in dem dieselbe die Versicherung als Pertinenz d, versicherten Sache ansieht. Entgegengesetzt lautet allerdings eine spätere Entscheidung v. I . 1880 Nr. 13, 1) En tsch , d, R e i c h K g e r i c h t v, 20,/XII I «7« ). 2) Entsch. d, R, G, V, X I I I. c-. 1i)1 ^ daß das Haus die Gefahr des Unterganges durch eine Ieuers- brunst bestehe. Der Besitz des Hauses ist lediglich die Ver- anlassung für den Abschluß des Vertrages, das Abbrennen desselben die Thatsache, durch welche die Bedingung, an welche die Verpflichtung des Versicherers geknüpft ist, existent wird. Aus welchem Rechtsgrunde nun der Hypothekengläubi- ger Rechte aus dem zwischen Pfandschuldner und dem Ver- sicherer abgeschlossenen rein obligatorischen Vertrage sollte ableiten können, ist nicht erfindlich," Dieser Ansicht haben sich die obersten Gerichtshöfe Ruß- lands, Deutfchlands, auch Frankreichs angeschlossen, und die- selbe ist wohl als ganz allgemein herrschend anzuerkennen'). Es steht also, um die oben entwickelten Anschauungen noch einmal kurz zusammenzufassen, sowohl dem Eigenthümer, als auch dem dinglich Berechtigten frei, ihre durchaus nicht congruenten Interessen gesondert zu versichern. Nie aber darf einer von beiden irgend welche Beziehungen, Rechte und An- sprüche aus der Versicherung des Anderen für sich herleiten 4. Die Anzeigepflicht. Es ist ein allgemein anerkannter assecuranzrechlicher Grundsatz, daß für den Versicherungsnehmer eine „Anzeige- pflicht" besteht 2), Es wird darunter die Verpflichtung ver- 1) ?>k iii, I > » « A , K » o o , ^c . i i , I88N Nr, 13 . P a r i s e r C a s s a t i u n s h o f (G, Z, VNI MF, 38<>). — A l l g . P r, L, N, Th, I Tit, 20 § 309, „das Pfandrecht des GläubigerK erstreckt sich jeduch nicht auf die für ein solches Schiff gezeichnete Versicherung," — M a l s z G. g, VII I p, 284 ff, X I I I p. 430 ff. P a r d c s s u s , T r o f t - l o u g O. Z, VI I I I. o. <ü? « i i ». n n v i> pklss. 1,',7, 2» D. H, G. N, Art. 810^15.. A l l g. P r, L. R. ß 2W1 ff. 2024, 202« ff., 2l18, 2120, 212U ff,, 315>7, 2158, 2101. 0 L 0 Hi> 3 a «, X I 1, 192 standen, dem Versicherer alle Thatsachen, Umstände oder Nach- richten, welche für die Entschließungen desselben und die Beurthei- lung der Gefahr irgendwie wesentlich sind, genau anzugeben. Von einer Anzeigepflicht des Versicherers ist nirgends die Rede, und ist eine solche auch wohl nicht recht denkbar, da die einzigen praktischen Fälle, wo von einem Verschweigen wesentlicher Thatsachen durch den Versicherer die Rede sein kann, z. N, die Kenntniß der wohlbehaltenen Ankunft des Schiffes oder des Friedensabschlusses bei einer Versicherung gegen Kriegsgefahr, unter den Gesichtspunkt des Dolus fallen und aus diefem Grunde Unverbindlichkeit des Vertrages nach sich ziehen'). Um die Anzeigepflicht theoretisch zu rechtsertigen, ist von verschiedenen Schriftstellern eine Reihe von Gründen für die- selbe angeführt worden, doch kann die von ihm entwickelte Anschauung nicht getheilt werden. Die Einen )̂ folgern die Anzeigepflicht aus der aleatorischen Natur des Vertrages, aus welcher sich die Verpflichtung ergebe, alle relevanten That- fachen, welche fchon zur Zeit der Eingehung des Vertrages vorhanden und bekannt sind, anzugeben. Es muß jedoch, wie schon früher ausgeführt wurde, die aleatorifche Natur des Vertrages geleugnet werden. Andere erklären sie aus der Nothwendigkeit, einen richtigen Maßstab für die Berechnung 2 oi . »> H ü l l . H. G. B. Art. 25,1, L o ä e ä s o o m . Art. 848 :c. — S t u b b e S 197 MF. 859 ff., N e s e l c r ß l1<> V. N l u n t s ch l i ß 140 5, M a l s z Vetrnchtungcn p ^ . 28 ff,, G- Z. X I I I pax. 10, ff., L o h n paß, 43 ff., P e r b e r 8 203 pass. 551, E n d e m a n n H. R. 8 174 p. WO, „ M g . Vers, Äed," ß 4, „ V a l t i s c h e" 8 20, „ I . Russ ische" ß 79, 85, 87. ^ ,N l ldcshda" § 4, 7, 12, 15, , . I a k ° i " 8 14, „Russische" §7«, 90^-92, „ R o s s i j a " §20, 44, „ L i v l an d isch e qessens." §4«, „ V o r - s tad t i s ch e" I n st r. § 14, 32 Rcgl. tz 27—29, „ S t ä d t is ch e g e g cn s." § 12, 14, „ M o s k a u e r H a g e l " ß 29, 49. 1) N e n e t e ' N o l t e I I p»F. 3 f. 2) z. B. U i c h t e n s e l s «f. C o h n paß. 44. 193 der Prämie haben zu müssen. Es ist dieses jedoch ein so äußerliches Moment, welches nicht den geringsten Schluß auf das Wesen und den Umfang der Anzeigepflicht ziehen laßt, daß dieser Ansicht wohl nicht beigetreten werden kann, C o h n sieht den Grund für dieselbe in der Pflicht der Gewährleistung, wie sie sich bei allen onerosen Geschäften findet '). Von anderer Seite wird die Anzeigepflicht gefolgert aus der beim Versicherungsvertrag besonders weitgehenden Ver- pflichtung zu Treu und Glauben'), wie sie z, B. d, Allg, Pr, L, R. § 2024 statuirt. Muß auch unbedingt zugegeben werden, daß eine solche Verpflichtung vorhanden ist, so können doch durch die Aufstellung einer solchen Pflicht dem Umfange der Anzeigepfticht keine fest markirten Grenzen gezogen werden. Die richtige Ansicht ist meiner Meinung nach die von M a l s z ' ) vertretene: Der Versicherungsvertrag, als ein Con- sensualoertrag, bedarf zu seiner Gültigkeit genaue Ueberein- stimmung des Willens der Contrahenten über alle wesentlichen Punkte des Vertrages. Die Gefahr, um deren Uebernahme durch den Versicherer es sich bei diesem Vertrage handelt, ist zweifellos ein sehr wesentlicher Bestandtheil desselben. Durch die Anzeige soll dem Versicherer das Mittel zur richtigen Schätzung der Gefahr, welche ohne dieselben in einem ganz anderen Licht erscheinen würde, an die Hand gegeben werden. Wird nun irgend ein Umstand, durch welchen die Natur der Gefahr geändert wird oder durch welchen dieselbe näher cha- rakterisirt ist, verschwiegen, so ist der Consens der Paciscenten nicht vorhanden, da jeder von ihnen eine andersgeartete Ge- fahr im Auge hat. 1) p»A, 18. C u h u fühlt selbst ,r. St. Vd, I, 1 ^ 194 Aus dieser Begründung der Anzeigepflicht folgt logischer Weise, daß die Verletzung derselben den Versicherer von seiner Verpflichtung gänzlich befreit, und die Ansprüche des Ver- sicherungsnehmers erlöschen. Es wäre noch der Umfang der Anzeigepflicht in Betracht zu ziehen, I, Was die subjective Ausdehnung der Anzeigepflicht anbetrifft, so ist Folgendes zu bemerken: ll) Unterläßt der Versicherungsnehmer eine der Natur der Sache nach erhebliche Mittheilung, so kommt seine etwaige bona. Käu« garnicht in Betracht, Es kommt garnicht darauf an, ob die Anzeige absichtlich oder nur aus Versehen unter- blieb, sofern er nur Kenntniß von der verschwiegenen Thatsache hatte'). Das O, A, G. Lübek, welchem eine große Anzahl von Assecuranzfällen zur Beurtheilung vorgelegen hat, fagt in einem Erkenntniß vom 21,/V, 1855:^) „Es kommt auf die dona 6äe8 des Versicherten und seiner Beauftragten, sobald der unangezeigt gebliebene Um- stand für relevant zu erachten ist, ebensowenig etwas an, als entgegengesetzten Falles auf deren maln, üdo»." Eine beson- 1> 2 , H, G, P, ^<»—!2, 813, Prot. E, 3145», 3,'.0, H o l l, H, « , V, Art, -','»,, W n r t e in b, V n t w, Ar«, 133, A l l g . P r, U, R, § 202«̂ , Cunstllntc Praxis d, O. A, G, U ü b c ck sichc P a u l i in G, Z, I p. 370 ff, M a l s , ; in G. Z, XI I I 102 ff, O, H 0 f - ^ , M a n n h c i m U. I2./XI ! A>7, K r c i s g e r i c h t S t e t t i n 2!!,,'XI 18<>9 ( M a l s z !, 0,) S t 0 bbc l; ,07. 5, M a l 3 z Vetmcht. § 8, N e n c k e I I I M3, !55, ?c. D o l u s ««langen d, Z ü risch er C i v i lss c sc tzb, ß 1717, S c h w e i z e r H, G. G, tz 32<> (G, 8^ X I I I I. 0) Ebenso d, R. O, h, O. sz, B. X I pass, 272) nnd O, L. G. I e u a Entsch, Uon ,3,/IV 1882 (Seuff. Arch, N, F, VI I I Nr, 59) indem sie die Anzeigeftslicht aus der Verpflichtung zu Treue und Glauben folgern, und eine rigoristifche Auslegung d. Vcrficherungsbedingungen als dein Wesen des Versicherungsvertrages fremd erachten. 2) P a u l i Anzeigepfücht G. I , B, I, ^.95 dere Pfiicht Erkundigungen einzuziehen, kann dem Versiche- rungsnehmer nicht auferlegt werden'), d) Es ist irrelevant, ob die unterlassene Anzeige dem eigentlich Versicherten oder dessen Bevollmächtigten zur Last gelegt werden muß ^), Es ist auch dieses eine Consequenz der Erwägung, daß die Anzeigepflicht nicht etwa blos einen ethischen Charakter, sondern den Zweck hat, dem Versicherer Alles zur Kenntniß der Gefahr Nöthige anzugeben. I n einer Entsch, von O, A. G, L ü b e k v, 30,/V, 1849') heißt es: „ — Ebensowenig kommt es hier in Betracht, ob der eigent- lich Versicherte oder sein Hlanäatu», durch den die Assecuranz geschlossen worden, die Schuld an der unterlassenen Anzeige trägt," Ueberläßt also der Versicherte einem Anderen, sei es der Agent oder ein Dritter, die Beantwortung der an ihu gestellten Fragen, so nimmt er die Gefahr einer unrichtigen Angabe auf sich, denn er «ersetzt die Gesellschaft in den I r r - thum, daß die Richtigkeit dieser Antworten von ihm aner- kannt w i rd ' ) , 0) Die Anzeigepflicht ist dadurch begrenzt, daß Umstände, die dem Versicherer bekannt sind oder als bekannt vorausge- setzt werden dürfen, nicht angezeigt zu werden brauchen '), 1) P r u t , z, D, H, G, B, S, 31!,',. E n t s ch, d, N c i ch s - G c r, v, 2«i,/X ,«8! (N. VI I pass, 3). 2) D, H. O, N, Art, 810 und 811, T t u b b e § 197 pax. 3!>», Ent, d, O. Huf , « e r , M a n n h e i m v, I2./XI 18N7 d. O, A, G. L U - b e ck uon 8C/V 1849 ?c, iä,t G, I , I paß. 3?«',, 3) M a l s z « . Z, XI I I p ^ . U«, 4) Vntsch, d, N, O, H, G. U, 19,/XI 1872 (B, VII I I pllss, 5>'>), u, v, Kl./III 187,', (B, X I I I ? a ^ 20), l>) D, H. « , B. Art, 812, 813, E ii t s ch, d, N, O, H, G, >,', 17,,Is 1872 (B, I I Nr, '> pn,F 33 ff,, v, ,3,/XII ,872 (N, VII I Nr, 5>7 p. 231 ff,1 Dun 23,/XII 1873 lB, X I I Nr, 58 pNS, I7»1 ff.) „die dloßc Thatsache, das; eine Nachricht in den Tchiffahrts berichten der Zeitungen mitgetheilt worden ist, genügt ,wch nicht, um Kenntniß des Versicherers von denselben an^i nehmen," ol, E n t s ch, d, R, O. H. G, v, 29,/I 1875 PllF, l!48), 2) ol, unter And, „ I , N u f s i s ch e" 8 87, „R 0 f s i j a" ß 14. „N a ° d e f h d l l " § 12, 1b ?c, 3) „ I , Ru fs i sch c" § 8U, „V 0 r st « d t i f ch c gea, ens," Inftr . i; 32 u. And, „A l l g , Ve rs , Ne d." l; 4, 4) „Ru fs i sche" § 75, „Al lss, V e r s , V e d , " § 4 u. And, 5>) „R ussische" ß 70, „A l l g. V c r s, N e d," § 4 :c, <>) „ A l l g , P r , L. R," § 1055, 2«>41, « L N s s ^ «»,,:, X I ' i . 2 er, 1236 IIP, 7) Eutsch, d. R e i c h s - G c r, U, 21./II 1883 X I I I p ^ 100) ueilangt dagessm Cnusalne^ts). 19? ^ 21./XII, 1884') sagt: „Die Verschweigung eines wesentlich auf die Beurtheilung der Gefahr influirenden Umstandes be- wirkt die Nichtigkeit der Assecuranz auch dann, wenn er den wirklich eingetretenen Unfall weder herbeigeführt, noch ver- größert hat," Der Grund der Nnverbindlichkeit liegt auch hier in dem Maugel des Consenfes, und aus diesem Grunde kommt es auf spätere Ereignisse garnicht an, o) Es ist bestritten, ob die Anzeigepflicht durch die fog. „Fragebogen" begrenzt ist oder darüber hinausgeht ^). Diese Fragebogen, welche in einigen Branchen der Versicherung vor- kommen, sollen zur Erleichterung und Vereinfachung des Ge- schäftsbetriebes dienen, nicht aber soll dadurch behauptet wer- den, daß der Versicherer durch Aufstellung einer bestimmten Zahl Fragen, die natürlicherweise auf das Genaueste zu be- antworten sind'), auch auf die Wissenschaft anderer von ihm nicht berührter, jedoch im concreteu Falle relevanter Tliat- 1) el, G, ^. XIII pl^, N«, 2) Das erstere behaupten HI a l s z Vetr. p ^ , 3'< ff„ G, Z, XI I I p, MK ff,, du' letztere Anschauung wird von L o h n pnß' l>l und in einem Erkenntnis! d, Q A, <>>, Lübeck lG, ^, X I I I p ^ , l«'9 f,) vertreten, !!> Eine unvollständige »nd darum ungeuügcüoe Beantwortung der in der Dcelnration reicht hin, nni die Assecuranz »»verbindlich zn mnche». Entsch, d, R, O, H, G, u, M. I I I 1^7,', (B, XVI I I Nr, )!>,!!, 2>,' l l, H, G, B, Art, 293, Z ü r i ch er, V i v. G, B, 5 1728, 2!», E t u b b e l; i>»? pllF, »,',9, W a l s z Netr, MF. 4!», G. Z, XI I I WF. I M ff, (5 c> h n Mss, ',U ff, — Line Reihe von Entscheidungen des S e n a t s , d, R, l ) , H, G, :e. - - Versichcrungsbedingungen nn'hl nllcr Gesellschaften. 2) cl. auch Z w i n g m a n n Entsch, VI I lia^- ll5> Aftftel, Crk d, Raths v, 12,/X 1884, of. „ N a l t i s ch e" § 20, „« i U l ä n d i s ch c sscsscn s." ß 46, „ I , R u s s i s ch e" § 8<>. „ I a t o r" 8 > l , „N n d c s l, o a" § 7, „R o s f i j a" 8 '̂ ^ lc, siehe auch Aum, I, 3) Es kommen hier, wie M n l s z Vctr, paß, '>> anführt, t rG der gleichen udcr geringeren Feuersgefnhrlichkcit, andere Gesichtspunkte für die Veuitheilung der Gefahr in Betracht! Sind die Nachbarn umsichtige Leute ^> Befinden sich im selben Raum fehr wcrthvullc Sache», an deren Rettung man zuerst denken wird ? Kann die Gesellschaft etwas zur Rettung beitrage', wenn sie die Nelegcnheit der Sachen nicht weiß?c. 199 Interesse des Versicherten soll vertragsmäßig gegen eine be- st i ul m t e Gefahr geschützt werden. Wird nun die Gefahr im Laufe der Versicherung der Art nach eine andere, so muß der Versicherte, sobald er davon Kenntniß erlangt, dem Versicherer davon Anzeige machen, gleichgültig, ob die Größe der Ge- fahr die gleiche blieb oder gar verringert wurde; denn die Gefahr, gegen die ursprünglich Versicherung genommen wurde, ist nicht mehr vorhanden, und gegen die wirklich vorhandene ist nicht versichert worden. Es kommt deshalb auch garnicht darauf an, ob der Versicherte dolos oder culpos die Anzeige unterließ, oder ob die Veränderung mit oder ohne sein Zu- thun geschah '). Die Versicherungsbedingungen der «leisten Gesellschaften zählen eine Reihe von Fällen nachträglicher Veränderung der Gefahr auf, in welchen eine Anzeige stattfinden muß. Einer der am häufigsten vorkommenden Fälle ist der Wechsel der L o c a l i t ä t der versicherten Sachen"), Das N, O, H, G, hat in einem Grk, v, 13,/XII. 1870 (Bd, I. Nr. 45 Mz;, 154) diese Frage folgendermaßen beleuchtet: „Auf welche Aufbewahrungsräume der versicherten Mo- bilien die Versicherung sich erstreckt, ist in jedem einzelnen Falle nach den getroffenen Verabredungen, insbesondere nach 1) N l l g , P r , 3, N. ß 2117, 2>5>7, 2!«>I. Diesem allerdings strengen nber folgerichtigen Standpunkte will die Praxis in Uielcn Fällen (so z, B. d, N. O. H. G. in mehreren weiterhin angeführten Entscheidungen) nicht beitreten. Has Nestreben, das oft hintangesetzte Interesse des Ver- sicherten zu wahren, ist gewiß sehr anerfcunenswcrth, buch läßt sich wohl d. R, O, H, G. in erwähnten Fällen allzusehr durch Nilligkeitsrücksichten leiten, 2) A l l g , P r . L, R, 8 ^ , 7 , 2! 58, ? I, m, I"p. t v»o« . / I « n . I8U7 Ar. 227, ( tntsch, d, N, O. H, G, von l3,,XII 1870 (B. I Nr, '!,', M8- I5>'!); von !,/IV 1878 (B, IX Nr, II!» pn,ss. , „Bal t isch e" z 20 L, ,.V orstädtischc n, c - Nenseitisse" Iustr, 8 14 d, ü) ol. auch Entsch, d, R, O. H. «. von ,-!,II 1872 (N. V Nr. 27 M3- 120). 201 „Allerdings steht es bei dem Versicherer vertragsmäßig zu präcisiren, was er unter Feuersgefährlichkeit und deren Vermehrung verstanden haben will. Hat er dieses aber unter- lassen, so kommt es nicht darauf an, was er und andere Versicherer regelmäßig für feuergefährlich ansehen, sondern nur darauf, was nach der r e g e l m ä ß i g e n An fchauung des V e r k e h r s dafür zu gelten hat. Was insbesondere die V e r m e h r u n g der F e u e r s g e f ä h r l i c h k e i t im L a u f e der Vers icherung anlangt, so darf nicht verkannt werden, daß ein allzustrenger Maßstab den Interessen des Ver- sicherten sowohl, so wie dem Zweck und Wesen des Ver- sicherungswesens zuwiderlaufen würde. Aus dem Wesen des Versicherungsinstituts folgt keineswegs, wie wohl behauptet worden ist, ( M a l s z Netr, p. 42 ff. E n t w u r f e ines Handelsgesetzbuchs f ü r W ü r t e m b e r g Art, 486, 487, preußischer E n t w u r f Art, 352, 355 E n t w . nach b ü r g e r t , Gesetzbuchs f ü r B a y e r n Art, 823) daß jede o b j e c t i v e Erhöhung, ja auch nur Aenderung der Gefahr, den Vertragsgegenstand ändert und die Versicherung aufhebt. Vielmehr geht principiell die ohne Zuthun des Versicherten eintretende Gesahrserhöhung auf Rechnung des Versicherers," Der in dieser Abhandlung vertretene, von der Anschauung des R, O, H. G, abweichende Standpunkt, ist schon früher erörtert worden (M^. 199 und Anm, 1), Andere Umstände, welche eine Aenderung der Gefahr und damit eine Anzeigepflicht bewirken, sind z, B, Wechsel der Eigenthumsverhältnisse'), Verpfändung der 1, ? 1, III, I' p n n Z, k n, e u, / I o n, 487« Nr, l« Nr, 15, 8 w i n q m a n n Eittsä,, N. VII p, 418, A l l q, P i. L, N. § '2108, „P a I - tisch c" 8 W ll. „N a d c s l, d a" tz 7 ä, „ I a t o r" ß ,4 a. „N uss, j a" § 20 », 202 versicherten Sache'), Verpachtung ), Umbau'), Abweichung von der Reiseroute durch ein Schiff (Deviation) ^), anderwär- tige Versicherung ') ?c. Bei unterlassener Anzeige erlöschen die Verpflichtungen des Versicherers vollständig; fand dagegen eine Anzeige statt, so stipuliren die meisten Versicherungsbedingungen für die Gesellschaft das Recht, entweder vom Vertrage zurücktreten zu dürfen, oder denselben fortbestehen zu lassen, wobei die Prämie entweder dieselbe bleibt oder erhöht wird") , Manche Gesellschaften') fordern, daß die Anzeige schriftlich gemacht werden muß und an die Verwaltung zu richten ist, und knüpfen an die Nichtbeobachtung dieser Form den Verlust aller Ansprüche. Z u dieser Frage hat ein Urtheil d. O, L, G. Carlsruhe u, 30 . / I I I 1886") Stellung genommen: „Bei Auslegung von Versicherungsverträgen gestattet die Ilona Las» nicht, den Versicherungsnehmer selbst dann seiner Rechte verlustig zu erklären, wenn er zwar der Sache nach, aber nur nicht in der vorgeschriebenen Form seiner Ver- pflichtung zur Erstattung der erforderlichen Anzeige nachge- 1) Entsch. d, R, O. H, G, Nr. 31 i>, 92, ? I. in, I', K. / I , i,x,W Nr. !3, „ V a l t ische" 8 20 d, „ N a d e s h d a " § 12, „ J a kor " § 1^d. „ R u f s i j n " 8 20 d, 2> „A a l t i s ch c" tz 2< > c. „N a d c s!, d a" l< , 2, „ I a k u r" § 1 le. „R u s s i i a" ^ 2"<>. 3) „ B a l l i s c h c " § 20 f „ Ä a d e s l , d a" 8 7 l». „ I n k o i " l; , 1 f, „R u s s i j a " li 2!>f, l> ol. D. H, G. B. Ar!. «17 f. s? ü n/i-i> 2 !l « o n, X l ' i . 2 ui , !25>l»n. ^ V n t f c h . d. R e i c h s - O l ' r . U. !,.V 1^0 (N. XXV Nr. 23 paß-, !!17, F r l l n z ü s i s c h c N echtssPre ch u n q (Nt a l 3 z Velr. p, !2) belrachtet die Deviation stets sttr unzultißiss , „^ ' " ss > i" " l? 20 8. ol. auch W n l s z G. Z. X I I I paF. !23ff. <>> z. V. „ I , Russ ische" ß 82, „B a l t ! s ch e" 8 20, „ I a k o r" ^ 14, „N adeshda" l̂ 7 ?c. 7, „Bal t ische" § 20, „ I a t o l " ß 14 :c. 8) O. 8. XXXV M5 25»3 f. 2 0 ^ ^ kommen. Auch läßt es sich ebensowenig rechtfertigen, wenn man unter allen Umständen die Anzeige an den Agenten der Anstalt als diese nicht verpflichtend ansehen wollte. Die Ver- sicherungsgesellschaft würde ihrerseits gegen Trene und Glauben handeln, wenn sie sich, ungeachtet der ihrem Vertreter ge- machten Mitthei lung, auf die Nichtbeachtung einer Form seitens des Versicherten zu dem Zweck berufen wollte, um dessen Versicherungsanspruch entgegenzutreten," I I I . Der Schaden. 1. Das Schadenserfllhprineip. Ihrem innersten Wesen nach soll die Versicherung — wie dieses schon der Name besagt — ein Mit te l sein, um einen durch äußere Ereignisse herbeigeführten Vermögensnach- theil ganz oder theilweise wieder auszugleichen. Durch die Eingehung einer Versicherung soll nur die Deckung des wirk- lichen Schadens, nie aber eine Bereicherung erreicht werden'), Ein Erkenntniß des C a s s a t i o n s h o f e s D a r m s t a d t (Seuff. Arch, X I I I Nr, 272 ?. 389) sagt über diefen obersten Grundsaß der Versicherung Folgendes: 11 Ällss, Pr , i.', N, 8 I W ü , 1934, P r o u i n c i e l l c s P r i v. :»>, Ar t . 4859, H o l l, H, G, N, B , Ar t , 24), Ech^» 2 t r n c ch a 4) sngt ,,^88L0ui'iltu» no» «zuaurit l uen i i» , ^«ä a^ i t NL in äümno «it." 2 t l ' bb (! 8 > ^'' p̂ ^-'^' V c s c l c r 8 1,<> p. 2'»?, G c r b o r § 202 M x . ' ' ' !" ' P " h l o I V i i ' " 2 ?c, „ A l I g, V l' r s, B c d . " l; 7, „Dk> Vcr- sichcruug s»ll üicht zu cincm Gewinn fiihrcn, ihr Mcmisser Zweck ist Ersatz des Schadens." Beinahe wörtlich dasselbe „V a ! t i s ch c" ß ^!4, „V >,' r - städtische >1 c ss e » s e i t iss c" Instr, 8 2 l , Negl. K >, 32, „ I a l u i " § 2 l , „ N a d e s h d a " § >^, „ N o ss > j a" s l « , „ I . N uss is ch e" § 59, 102, „ N u s s i s c h e" § U»3 ,c. 204 „Der Natur des Assecuranzvertrages entspricht es, daß nur der wirkliche, nicht der vermuthliche Schaden vergütet wird, da er von dem Grundsatz beherrscht wird, daß der Ver- sicherte keinen Verlust erleiden soll, aber auch keinen Gewinn davon tragen," Dieser Zweck stand schon bei den ersten zaghaften Schritten, die das neue Institut der Nssecuranz in das prak- tische Leben machte, sest; wir finden von Anfang an bei der Versicherung den Grundsatz des Schadenersatzes stets betont. So spricht das alte, aus dem Anfang des 12, Jahrhunderts stammende isländische Gesetzbuch, die Gragans, beim Capitel der genossenschaftlichen Versicherungsvereine, von der „Schätzung des Schadens" und vom „Ersatz des Verlustes"'), I n den Bestimmungen einer von Papst Alexander I I I . 1155 bestätigten Vereinigung von versicherungsartigem Charakter heißt es u, A,: „ui8 llntoin I'68 8ua,8 ainisLlit in integrum I'08titua- tur^)." — Auch, als das Assecuranzwesen einen großen Aufschwung nahm, nachdem dasselbe in Italien und Spanien festen Fuß gefaßt hatte, findet sich der Grundsatz, daß nur der wirkliche Verlust ersetzt werden darf, stets hervorgekehrt und praktisirt, so in der Ordonanz von Barcelona, in den Nestimmungen der ersten Seeversicherungsgesellschaft zu Lissa- bon, in den Florentiner Statuten:c,"), Dieses allein richtige und practische Princip hat, weil der Natur der Sache entsprechend, bis auf die Jetztzeit stets und allgemein Geltung gehabt. Wenn zeitweise, namentlich im 17, Jahrhundert sog, „Wettassecuranzen" vorkommen, bei I» es, Busch A l'ch, N, ^ . B. I, pa,F, 4l<»: siehe oben in dieser Abhandlung, 2j 2 t u b b e § 19? p. :!,',4 Anm. 4. 3) N u s chA v ch. Mg, 412 f, i t u d c m a n n G, Z, IX p ^ , 525>. 4> N u s ch A r ch. Äl, ss, V. I, pÄ3. 4I5> f, (! n d e m a n u G. Z, IX pag'. :l!̂ 5 u, ll, a. O. 205 denen der Beweis des Interesses und des Schadens überhaupt nicht gefordert, oder doch sehr erleichtert wurde, so waren das temporäre Mißbräuche, Ausnahmen von der Regel, welche diese nicht über den Haufen werfen können. Sie wurden auch bald von einsichtsvollen Gesetzgebungen, als den Principien des Assecuranzrechts widerstreitend und keinem praktischen Bedürfnisse entsprechend, unterdrückt'). I n neuerer Zeit hat Pros, E n d e m a n n 2) gegen das Schadenersatzprincip anzukämpfen und den Nachweis zu liefern versucht, daß die Assecuranz weiter nichts als ein suspensiv bedingtes Iahlungsversprechen ist. Seiner Meinung nach handelt es sich bei der Ver- sicherung um ein reines Geldgeschäft, es muß nicht der Schaden erfetzt, fondern eine im Voraus bestimmte Summe ausgezahlt werden, mit anderen Worten: die Assecuranz sei ein Fixge- schäft, Doch ist seine Anschauung durchaus vereinzelt geblieben und ist sowohl von der Theorie als auch von der Praxis mit großer Ginmüthigkeit, als dem wahren Wesen der Ver- sicherung nicht entsprechend, bekämpft und verworfen worden °), Besonders schlagend hat G i e r (Busch Arch , N, F, I . pax. 494—456) hie E n d e m l l n n ' s c h e Theorie widerlegt und nachgewiesen, daß sie vor allen Dingen durchaus nicht der Natur der Assecuranz entspricht, dann aber auch, daß schwere sittliche und volkswirthschaftliche Schäden die Consequenz der Realisirung dieser Theorie wären. Denn nicht den Schaden !) I n F r a n k r e i c h Ui^I durch die Oräonniinoo äs 1a marins Ucrlwten, in ,h 0 l l a n d !7 l-l, E n g l a n d 171<>, 2 chwedc n 175U, I n D e u t s c h l a n d sind Wettasscmranzcn nie üblich gewesen. B » s ch A r ch, N. F. I. p, !I5), 2) I m G, Z, N, IX u, X „ d a s W c s c n des V ers ich e runn , s - Geschäft 3", H a n d e l s r e c h t § 174. 3, M a l s z O , 3, XI I I . L o h n p ^ . W ff. 2 t 0 b b e § 197 > Cunstante PraM d, N, O. H. G.; siehe z>^. M3 dieser Abhandlung Um», l . 2 0 6 ^ ersetzen, sondern eine fixe Summe auszahlen, mag nun das Haus im ersten Jahre der Versicherung oder nach 20 Jahren abbrennen, heißt einfach zur Brandstiftung') anreizen, eine Prämie auf dieselbe setzen, Denn was wäre verlockender, als ein schon baufällig gewordenes Haus im Werthe von 10,000 Rbl,, das aber für 20,000 Rbl, versichert ist, in Brand zu stecken und so die Möglichkeit zu haben, sich ein neues aufbauen zu können. Außerdem müßte die Höhe der Prämien bis aufs doppelte steigen, da bei der Berechnung derselben nicht der wahrscheinliche Umfang des Schadens, sondern die fixe Summe, die ja stets ausgezahlt werden müßte, in Betracht käme, und dadurch die Versicherung für Manchen unerschwinglich würde. Der moralische Schaden und der Geldverlust wären unter der Herrschaft der Endem ann'fchen Theorie beträchtlich; sie hat jedoch, wie gesagt, nirgends Anklang gefunden, und das Schadenersatzprincip ist allseitig als einzig möglich und richtig anerkannt. Keine Uebereinstimmung herrscht in der Theorie in Ne- treff der Frage, ob nur der positive Schaden oder auch der entgangene Gewinn versichert werden kann. Die Codifica- tionen nehmen einen uerfchieoenen Standpunkt ein. I n dem französischen') und dem spanischen') Handelsgesetzbuch findet sich die Ansicht vertreten, daß nur das äamnum sinsr^eu» versichert werden dürfe, daß eine Versicherung des luoruin L688llN8, des gehofften oder sog, „imaginären" Gewinns durch Handelsconjunktur, die Nichtigkeit der Versicherung nach sich ziehe. Diese Maßregel ^ schon die oräonnanoe äs 1a ina- 1) Die schon uhnehin verbreitet genug ist. So sind z, B, in K ö n i g - reich S a c h s e n , wu die Schadensseststellung eine recht laxe ist, unter allen Vrandfnllcn der in d, „Landesbraudcassc" versicherten Gebäuden, Brand- stiftungen gewesen 48U<>—67°/„, 1«<>7—5,!!'7„ 18N«—<>4°/», MW—70"/„. 2) lloäL äs c o m . Art, 347 («l. T e c k l c n b c r g MA. 56), :,, S p a n . H. G. V. Art, «N. 20? rins v, I , 1681 untersagt die Versicherung des gchofften Ge- winnes ') — dankt wohl ihre Entstehung der früher von der Doctrin gehegten und damals nicht ganz ungerechtfertigten Furcht, daß hinter einer solchen Versicherung sich allerhand Geldspeculationen verbergen können, die dem Wesen des Asse- curanzgeschäfts fremd sind und verhindert werden müssen. I n der Jetztzeit liegen jedoch die Verhältnisse anders, das Interesse läßt sich stets constatiren, die wirkliche Höhe des entgangenen Gewinnes muß in jedem Fall erwiesen werden. Es ist eine Forderung des gesteigerten und wohl- organisirten Verkehrs, ein Fortschritt zu Gunsten der Freiheit desselben, die Versicherung des „imaginären Gewinnes" frei zu stellen, wie es in Deutschland'), Holland'), Rußland') und bedingungsweise auch in England und Nordamerika") geschieht. Auch die Theorie hat mit Recht die Zulässigkeit der, fast nur in der Seeassemranz üblichen Versicherung des gehofften Gewinnes anerkannt"). Läßt man die Grundsätze vom „Interesse" und dem „Ersatz des wirklichen Schadens" gelten, so muß man folgerichtiger Weise auch die Versicherunug des „imaginären Gewinnes" zulassen; auch würde ein Ver- bot wohl ziemlich vergeblich sein, da in dem Falle Handel und Verkehr der Doctrin den Gehorsam auffagen würden. 1) P o h l s I § 55,9 Mß. 93, 2) D a s P re i i ß , S e c r c c h t v, I . 1727 ( P o h l s I, o,) verbot noch der Versichern»«, d, imag, Gewinns d, Al lss. P r, ll, R, 8 1091 ge stattet schon dieselbe. I n H a in b u r ss u, V r c m c n üblich (ol. T c c k l e n b o r a, pass, '> ,̂ (>2, <>3. Auch in D. H, G, V, ist ihre Rechtmäßigkeit an erkannt Art, 783, 8o5>, 3) H o l l , H, G. V. Art, 01b. 4) 0 n, .'! n, K, XI ' i , 2 e i . 12l!4, 7, Nach dcr alten „ S c h i f f a h r t ? - o r d n u n ss" Art. 201 als „falsche Vcrsichermia" verboten (P ö h l s p. 117), 5)) of. TccNenborss pass. (>l̂ f. 6) B c n c l e - Ä l o l t c I pa^. >»1 ff. 298 ff, P o h l s § b',8, Teck - l e n b o r 8 Mß, 5>" u, a, a, O, W a l s z Vctr, p»3. 54. G. Z, V I z>. 378 f. N c s c l c r § 11N not. !», G c r b e r § 202 not. l> :c. 208 Natürlicher Weise muß der Versicherte, um den Ver- sicherer in Anspruch nehmen zu können, den wirklichen Um- fang und die Höhe des ihm entgangenen „imaginären Ge- winns" gegebenen Falls beweisen. Denn der Gewinn wird versichert unter der Voraussetzung, daß er wirklich existire, keine Versicherung aber ist stichhaltig, wenn es sich erweist, daß er nicht existirt hat'). Ueber die Voraussetzung der Ver- bindlichkeit des Versicherers sagt ein Erkenntniß des Reichs- ger ichts v, 23,/III 1881 2) Folgendes: „Bei der Versicherung auf imaginären Gewinn bildet die steigende Conjunctur in Bezug auf dm Werth der Waare zwar die regelmäßige Veranlassung, bezw, Voraussetzung, aber nicht den Gegenstand des Vertrages, indem der Versicherer nicht dafür einzustehen hat, daß der zu erwartende Gewinn auf alle Fälle realistrt werde, fondern nur infoweit hierfür aufzukommen sich verpflichtet, als das Bestehen der von ihm übernommenen Gefahren der Seereife die Vorbedingung zu der erwarteten höheren Verwerthung der Waare bildet. Aus der Natur diefes Interesses, als des von der Ankunft der Güter am Bestimmungsort erwarteten Gewinnes, ergiebt sich, daß, wenn die Waare den Bestimmungsort nicht erreicht, mag sie auch eine Beschädigung nicht erlitten haben, der Ge- genstand der Versicherung als total verloren gelten muß, indem die Voraussetzung der vortheilhaften Verwerthung der Waare — die versicherte wohlbehaltene Reife (vergl, Kommissions- protoc. 3402) — weggefallen ist, und daß nur ein etwa bei dem Verkauf der Waare im Nothhafen erzielter Gewinn auf die Versicherungssumme in Anrechnung gebracht werden mutz (ck. Art. 783, 866, 883 d, T). H, G, B,). Ebenfo mutz umgekehrt bei der Versicherung des ima- y Neneke - N o l t e N, I pass, 29«, 2) Entsch, d, Re ichs ° Ger . N. IV Nr, 9 MF. 38 ff. 209 ginären Gewinns ein Totalverlust als ausgeschlossen gelten, wenn die Güter als solche, nicht etwa blos ihre Trümmer oder ihre Bestandtheile nach Zerstörung ihrer ursprünglichen Beschaffenheit, den Nestimmungsplatz erreichen," Auch bei der Versicherung des imaginären Gewinns muß der Versicherungsnehmer ein unmittelbares, in Geld ab- schätzbares und in der Police angegebenes Interesse an dem erhofften Gewinn haben'). Der Gläubiger eines Handels- hauses, dem vielleicht sehr viel daran liegt, daß seinen Schuld- nern eine Specullltion gelingt, darf dennoch den erhofften Ge- winn nicht versichern, weil das Erforderniß der direkten Con- nexität mangelt. 2. Versicherungssumme und Versichernngswerth. Versicherungssumme und Versicherungswerth sind Be- griffe, die in Theorie und Praxis häufig nicht scharf geschieden, sondern sogar verwechselt werden'). Eine nähere Präcisirung dieser beiden Begriffe, welche für die Lehre vom Schaden von Wichtigkeit sind, ist deshalb nicht als unnütz anzusehen. Unter „Versicherungssumme" ist die Summe zu verstehen, welche die Grenze der Verpflichtung des Versicherers angiebt, und schon bei Eingehung des Vertrages festgestellt wird°). Es ist der Höchstbetrag, den derselbe gegebenen Falles zu zahlen gewillt ist, aber nicht in jedem Falle, denn nach dem Schadenersatzprincip muß der wirkliche Schaden ersetzt 1) H u l l ä n d i s ch c s H a n d e l s . G. B. Art. , D, H. G. N, Art, 8U5, 2> z, V, iu einem Urtheil d, H, A, G. N ü r n b e r g v, i l , / I I 180? (O, Z. X I I I P»F. 45«, ff,) 3> D, H, G, V, Art, 844 0 v o / i i > 3 k « , X I ' i . 2 o i . 1A>2 ot. mich 1248, 12,'>3. Erkenntniß d, O, A. G. D r e s d e n (G. Z. X I I I MS. 4»!2) ^ „ N ad csh d a" Art. 24, „die Cmnftagnie zahlt in keinem Falle mehr, als die versicherte Summe," „ B a l t i s c h e" § 38 Anm., „ I . Nuss i s ch e" tz !»0, „ I a t o r" § 2,', Mm, , „R o ss i j a" 8 ^ ' Ann«, :c. Der«. Zur, Hl, Vd, I, l ' l 210 werden, nicht aber eine fixe Summe'), Deckt sich die Höhe des Schadens mit der Versicherungssumme, so ist diese zu entrichten; stellt sich der Schaden aber höher als die Versicherungssumme, so bezeichnet diese die Maxi- malsumme bis zu welcher der Versicherer sich verpflich- tet hat, und dadurch wird das Schadenersatzprincip einge- schränkt. Der Versicherungswerth, der Werth des versicherten Ge- genstandes zur Zeit der Eingehung des Vertrages, braucht durch- aus nicht mit der Versicherungssumme sich zu decken; er kann dieselbe übersteigen'), so daß nur ein Theil des Interesse bis zur Höhe der Versicherungssumme versichert ist, Gs soll aber nach der herrschenden Ansicht nicht niedriger sein als die- selbe , da sonst eine Ueberversicherung vorliegen würde. Dieser Werth der versicherten Sache zur Zeit der Eingehung des Vertrages braucht natürlich durchaus nicht identisch zu sein mit dem Werth zur Zeit des Eintritts des Schadens, dem sogen. „Unfallswerth", Der Versicherungswerth, falls er überhaupt in der Police erwähnt wird, beruht auf der meist nur an- nähernden, garnicht den Anspruch auf Genauigkeit erhebenden Schätzung eines Kontrahenten'). Dieses ist durchaus erklärlich. 1) ol. Entsch. d, R. O, H. G. von >5!./II 1^72 lV, V, Nr. 27 MF, 122): „Die Versicherungssumme bezeichnet nur die äußerste Grenze der Ersatzpflicht, ohne den Versicherten des Beweises des Versicherungs- werthes, d, h, seines Interesse zur Zeit der Versicherung, sowie nach ein- getretenem Unfall zu entbinden. 2) Nach einigen Gesetzen muß d. Versicherungswert!,) die Versiche- rungssumme übersteigen, damit der Versicherte einen Theil des Risico selbst trage. So bestimmt z, V, d, S p a n. H, G, B. Art, 853, daß von den Sachen des Caftitä'ns >/„ unversichert bleiben sollen; nach Art. 85i4 kann nur ' / , des Schiffsweithes versichert werden. 8) «l. Entsch, d. N i e d e r g e r i c h t s zu H a m b u r g von 20./V 1868 (G. g, XI I I MF. 455 siehe auch „Baltische" z 8 u. and. 211 da im Falle des Schadeneintrittes nicht diese Schätzung, son- dern der „Unfallswerth" und der auf Grund desselben er- mittelte wirkliche Schadensbetrag für den Ersatz desselben maß- gebend sind. Noch giebt es Fälle, wo der Versicherungswerth, der nach beiderseitiger Übereinkunft der Contrahenten bei Eingehung des Vertrages, als Maßstab für den Ersatz des Schadens gelten soll, im Voraus taxirt w i rd ' ) , um den Beweis des Schadens zu sparen, wobei natürlich der Gegenbeweis eines größeren oder geringeren Umfanges des Schadens nicht aus- geschlossen ist'). Es hat den Schein, als ob Uebereinkünfte dieser Art , sog, „taxirte Pol icen')", den Vertrag zu einem Fixgeschäft, im Sinne der von Prof. E n d e m a n n vertre- tenen und von der heutigen Wissenschaft verworfenen Theorie'), stempeln, doch ist dem nicht so. Die taxirten Policen kommen nicht sehr häufig und fast ausschließlich in der Seeassecuranz vo r ° ) ; dieses hat seine triftigen Gründe, Was in taxirten 1) D, H, O, V, Art, 797, V e n e t e - N o l t c I paß. 822 ff, u, and. 2) Vei wesentlicher Uebersctzung der Taxe oder bei Irrthum ol. D, H. G. B, Art, 797, T c c k l e n b o r g p ^ , 112 f, P o h l s pax 222 3) I m Gegensatz zu „Offenen Policen", wo nicht der Versicherung? - werth taxirt, sondern nur die Versicherungssumme angegeben ist, D, H. G, B. Art. 707, T e c k l e n b o r g Mß. l 15. 1) I n G. g. IX u. X ; «f. oben in dieser Abhandlung, 5) Entsch. d, R, O, H. G. U, >3.,II 1872 : „Taxirte Policen sind in der Binneiwersicherung nicht üblich, und bedürfen unzweideutiger Uebereintnnft." Entsch. d, O. L, G, K i e l Uon 3,111 l.885, (Tcuff Arch. N. F. X I Nr. 5« pn«. ; M a l s z Vetr, 28 T e ck ^ l e n b o r g pa^, Il5>, P o h l s Mx, 222. — Irrthümlicher Weise nimmt der N igasche R a t h in einem A p p e l , U r t h e i l v, 18,/XI 188'> s Z w i n g m , Lutsch. VI I I MS. 181) die Existenz taxirter Policen für die nichtmaritime Versicherung an und meint in einem Falle, wo ein ronli- rendes Flachslagcr versichert wird: „ I n einem Rechtsstreit mit seinem eigenen Contrahentcn, der beklagten Gesellschaft, muß dem Kläger vielmehr die vertragsmäßige Feststellung des Werthes als Beweis dieses Werthes angerechnet werden," Tcr Nath läßt nur einen Gegenbeweis, daß der 14' 212 Policen versichert wird, sind meist der Schiffskörper (das sog. Casco) oder andere Sachen, die keinen Marktpreis, sondern nur einen Liebhaberwerth haben, z, B, Kunstsachen, Antiqui- täten lc, '), Von einem Fallen oder Steigen des Werthes, wie es z, B. bei einer Fabrik, einem Waarenlager stets möglich ist, kann hier wohl bei der Beschaffenheit der versicherten und der meist kurzen Dauer des Risiko, nicht die Rede sein. Wie sollte man auch die Abnutzung eines auf der Fahrt unterge- gangenen Schiffes berechnen und beweisen? Wenn nun auch von der Berechnung und dem Beweis des Schadens abge- sehen wird, so wird dennoch die betr. Versicherung durch eine taxirte Police kein Summenversprechen; denn bei einem solchen wäre der anerkanntermaßen zulässige Gegenbeweis )̂ wider- sinnig und es wäre nicht einzusehen, warum der Beweis des Interesse gefordert wi rd ' ) . P o h l s hat durchaus Recht, wenn er sagt:') „Nie kann die Taxe bewirken, daß die oberste Regel des Assecuranzvertrages, die nämlich, daß der Ver- sicherte gegen Schaden gesichert worden, aber nicht gewinnen soll, dadurch aufgehoben werde." 3. Ueberversicherung und Doppelverslcherung. I . Ueberversicherung. Eine Ueberversicherung liegt, wie allgemein angenommen wird, dann vor, wenn die Versicherungs- summe den Werth des Gegenstandes zur Zeit der Ver- sicherungsnahme übersteigt, wenn also die Versicherungssumme höher ist, als das versicherbare Interesse. Die Unzulässigkeit Werth niedriger sei, seitens der beklagten Gesellschaft zu, nimmt also das Vorhandensein einer tazirten Police an, welcher Anschauung jedoch nicht beigepflichtet werden kann, — Eine ähnliche Ansicht vertritt auch ? tz m. I > Ä M H . llkco, / I s i l , 18«1 N« 118. 1) «t. § 2 „A l l g e m. V e i s i ch e r u n g s b e d i n g u n g e n," 2) «f. Mß>. 211 Anm. 3 dieser Abhandlung. 8, D. H. G. N, Art, 88N, 782 u. and. 4) pÄF. 220. 213 der Ueberversicherung, mag sie nun durch einen Assercuranz- vertrag entstanden sein oder dadurch, daß die Summe bei mehreren Assecuradeuren genommenen Versicherungen den Ver- sicherungswert!) übersteigt, ist allseitig anerkannt'), und sind die Folgen, jenachdem ein Dolus vorliegt oder nicht, ver- schieden. I m ersteren Falle soll der Vertrag ungültig sein, im letzteren Falle wird nur eine Ungültigkeit in wn tum, so- weit die Versicherungssumme den Werth zur Zeit der Ein- gehung des Vertrages, den sog, Versicherungswerth übersteigt, festgesetzt'). Jedoch findet doch nicht allzu selten, namentlich von Seiten der Versicherungsgesellschaften, die Ansicht Ver- tretung, daß nicht nur im Falle eines Dolus, sondern bei jeder Ueberverstcherung die Verbindlichkeit des Versicherers als aufgehoben zu betrachten ist'). Muß nun auch unbedingt zugegeben werden, daß eine dolose Ueberversicherung eben wegen des vorliegenden Dolus ungültig sein muß, und daß es durchaus zweckmäßig und den Verkehrsforderungen angemessen ist, bei einer dona üäe zu hoch angesetzter Versicherungssumme dem Ueberschuß eine recht- liche Wirkung abzusprechen, so bleibt doch die Frage offen, ob es nicht über das Ziel hinausgeschossen ist, durch die nackte Thatsache der Ueberverstcherung den Bestand der ganzen Ver- sicherung vernichtet sein zu lassen. I s t dieses wirklich eine Maßregel, die der Natur der Sache entspricht, ist es nicht I) ol, B e n e k e - N o l t e PNL, 223 d, I, B „ S t o b b c 8 1U7 P8ß, 357 f., E n d e m a n n H, R, pax, 82? f„ M a l s z Betr, MF. 50 ff. I u s t in Licbenhaar'3 Arch. XV p ^ . 233 ff, 0 1 o i i », noL i> p. 12« ?c, 2> D, H. G. V, Art, 790 „Soweit die Versicherungssumme den Ver- sicherungswert!) übersteigt, hat d, Versicherung tcinc rechtliche Geltung," Auch in H a m b u r g , E n g l a n d , A m e r i k a ol, P r, A l l g , L. N. 8 199«, I98U, H o l l , H, G. N. Art, 253, M a l 3z Betr. p»8- 57. 3) Nach D ä n i s c h e n und Schwed ischen Gesetzen ( M a lKz Vetr. Mß, 57), Nach dem C. ü, 3 «. ic, X I i , 2 oi , 1235 sogar mit Crimi- nalstillfc belegt! ol, auch „ N a l t i s c h e " tz I5, „V orst äd t i sch c g eg en s," § lU d. Inst, „ N u s s i j a " 8 >̂ ' " , 214 vielmehr ein Princip, welches für das versichernde Publicum höchst unbillig und lästig ist, ohne sich aus dem Wesen des Versicherungsvertrages rechtfertigen zu lassen; widerspricht es nicht vielmehr dem Zweck des Instituts, den ganzen Anspruch des Versicherungsnehmers von der Gnade und etwaigen Cou- lanz des Versicherers abhängig zu machen, für den Fall, daß jener ganz ohne dolofe Absicht den Werth der Sache höher angegeben hat, als er in Wirklichkeit ist, so daß die Ver- sicherungssumme den Versicherungswerth übersteigt? Is t die- ser Versicherungswerth wirklich ein so wichtiger Factor in der Assecuranz, daß er dazu bestimmt sein muß, ein für den Be- stand der Versicherung ausschlaggebendes Moment zu sein? Der Zweck der Versicherung ist Ausgleichung des durch äußere Gingriffe zu befürchtenden Veimögensnachtheils, Ersatz des etwaigen Schadens, Um den wirklichen Schaden ersetzen zu können, ist es von der größten Wichtigkeit, den Werth zur Zeit des Unfalls, den „Unfallswerth" genau zu bestimmen. Nach diesem, nicht nach dem Versicherungswerth, richtet sich die Höhe des Schadenersatzes, indem ein zweites, ebenso wichtiges Moment, die Versicherungssumme, für die Berech- nung desselben in Betracht gezogen wird. Aus dem Verhältniß der Versicherungssumme zum „Un- fallswerth" läßt sich dann feststellen, in welchem Umfange das Interesse durch die Versicherung gedeckt ist, und ob eine volle oder nur verhältnismäßige Vergütung des Schadens stattzu- finden hat ') . Versicherungssumme und Unfallswerth sind alfo die ausschlaggebenden Factoren, nicht aber der meist nur von dem einen Contrahenten aproximativ festgesetzte Versicherungs- werth 2), der mit der Versicherungssumme garnicht übereinzu- stimmen braucht, wodurch seine Irrelevanz ganz deutlich an- 1) et, weiter unten. 2) ol. p»S, 210 dieser Abhandlung, 215 erkannt wird. Daß der Werth der Sache äe i'aow ein gerin- gerer ist, als der angegebene Versicherungswerth, daß die Versicherungssumme höher ist, als der thatsächliche Werth, sällt bei dem Ersatz des Schadens — und darauf läuft das ganze Versicherungsinstitut hinaus — nicht im Geringsten ins Gewicht; der Versicherungswerth kommt bei der Berechnung der Grslltzsumme garnicht in Betracht, sondern ausschl ieß- lich der Werth zur Zeit des Unfalls. Der Versicherungs- werth hat in der Assecuranz eigentlich nur die Bedeutung, durch annähernd richtige Schätzung des Werthes der Sache die Versicherungssumme feststellen, und nach dieser und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts und Umfangs des Schadens die Prämie berechnen zu können. Es ist nicht recht ersichtlich, warum man einem Factor, der eine so untergeordnete Rolle spielt, eine so schwerwiegende Bedeutung zulegen wil l ' ) . Die Kenntniß der wirklichen Höhe des Versicherungswerthes kann nach dem, was wir eben über die gänzliche Bedeutungslosig- keit desselben gesagt haben, nicht eine derartige Wichtigkeit haben, daß ein geringes unverschuldetes Ueberragen der Ver- sicherungssumme über diesen factifchen Werth eine so harte Folge, wie die Vernichtung des ganzen Entschädigungsan- spruches, nach sich ziehen muß. Mi t Recht sagt I u s t ^ ) „Ein weit näheres Interesse als der Versicherer an der Kenntniß des Versicherungswerthes, hat gewiß der Käufer an der Kenntniß des wahren Werths der Waaren, Dennoch be- rechtigt aber den Käufer der Umstand allein, daß er die Sache über ihren wahren Werth hinaus bezahlt hat, noch keineswegs zur Anfechtung des Vertrages." 1) Dieses künstlich« Aufbauschen der Bedeutung des Veisicherungs- wcrthes scheint nur nuch zu dm vielen Mitteln und Clause!« zu gehören, durch welche sich die Gesellschaften gegebenen Falles von ihrer Verbindlichkeit zu befreien bestrebt sind. 2) S i e b e u h a a r ' s Arch, XV p»F, 245>, 216 Meiner Meinung nach muß man auf Grund obiger Er- örterungen annehmen, daß die Gesetzgebungen und Bestim- mungen, welche an das einfache Factum der Ueberversicherung Ungültigkeit des Vertrages oder gar criminelle Strafbarkeit knüpfen, darin viel zu weit gehen, und daß diese rigorosen Principien dem Wesen der Versicherung fernliegen und elimi- nirt werden sollten. I I . Doppelversicherung. Unter einer Doppelversicherung ist die nochmalige Versicherung des vollen Interesse gegen dieselbe Gefahr und auf dieselbe Zeit zu verstehen'). M i t großer Uebereinstimmung haben sowohl die verschiedenen Par- ticularrechte 2), als auch die Versicherungsbedingungen säst sämmtlicher Assecuranzgesellschaften') die Doppelversicherung als unzulässig erklärt und ihre Verwerflichkeit anerkannt. Auch die Theorie und Praxis") hat sich auf den Standpunkt ge- stellt, daß die Doppelversicherung, da sie zu einer Bereicherung des Versicherten führen würde, dem Wefen und den Princi- pien des Versicherungsvertrages widerstreitet und daher als ungerechtfertigt nicht zu dulden sei. Die Folge der Doppelver- sicherung ist die Ungültigkeit des betr. Vertrages, Befreiung des Versicherers von der Entschädigungspflicht, wobei er trotz- dem ein Recht auf die Prämie hat. Nach russischem Rechts 1) D. H. G. B. Arch, 782. 2> P r o v . P r , N. Art. 4360. „derselbe Gegenstand darf nicht doppelt oder mehrfach zum vollen Preise versichert weiden, vielmehr ist, wenn solches geschehen, nur der erste Vertrag gültig." (? 2 a ^ i> 3 » «. X I i . 2 o i , 12t«, T>. H. G. V. Art. 792. 'A l l g . P r. L, N. § 2000, H o l l . H G. V. Art. 277 :c. 3, „ U l l g . V e r s . V e d." § 4, „ B a l t i s c h e" § 15, „ I . R u s - f i sche" 67, „ I a k o i " §89 , „ R o s s i j a " § I5>, „U o rst ä d t isch e g e g e n s," Instr. ß 10, „ l i v l c i n d . gegen s." H 7, „R ussische" § 5>2 4) N e n e k c « N o l t c I, pax. 8 23 ff,, S t o b b e § 197 pax. 358. J u s t Eiebenh. Arch. XV p l«. 22!i ff. M a l s z , E n d e m a n n H. N. pax. 827 s. :c. p tz iii. 1° p. N. ^ , 1878 ^ 48. 1879 ?i» 80 :c. 5) o 2, 32«, XI ei. 1260. 21? zieht die Doppelversicherung sogar eine criminelle Strafe wegen Betruges nach sich. Es ist jedoch dieser herrschenden Ansicht nicht ganz un- bedingt zuzustimmen, und der Gültigkeit der dort vertretenen Anschauung ein begrenzteres Gültigkeitsgebiet zuzuweisen. Unbedingt muß daran festgehalten werden, daß nie und in keinem Fall der Versicherte aus der zweiten oder weiteren Versicherung Zahlung erhalten darf, denn das wäre ein Ver- stoß gegen den wichtigsten assecuranzrechtlichen Grundsatz, daß die Versicherung nur die gänzliche oder theilweise Ausgleichung des Schadens bezweckt, nie aber zu einem Gewinn führen darf'), wie es der Fall wäre, falls die Entschädigungssumme von verschiedenen Seiten mehrmals entrichtet würde. Auch ist durchaus dem beizustimmen, daß das Zulassen der Dop- peluersicherung eine wirthschastliche und moralische Gefahr in sich bergen würde, da durch die Möglichkeit, sich auf diefem Wege einen Vermögensvortheil schaffen zu können, ein großer Anreiz zur Herbeiführung des Unfalles, Mangel an Diligenz und zu betrügerischem Vorgehen gegen die Versicherungsge- sellschaften geschaffen würde. Zugestanden nun, daß die dolose Doppelversicherung, die eine mehrfache Entschädigung im Auge hat, fraglos unzu- läfsig ist, und daß die Freigebung der Doppelversicherung ohne Zweifel sehr viel Nachteiliges im Gefolge hätte, so fragt es sich doch immerhin, ob aus dem Verbot der Doppel- versicherung durch die meisten Codiftcationen ein Rückschluß zu ziehen ist, daß dieselbe der Natur der Versicherung wider- streitet, ob die betr. Bestimmungen in den Versicherungsbe- dingungen zu den nawralides negotii zu rechnen sind? Der Grundsatz, daß die Versicherung nicht zur Bereicherung führen darf, braucht garnicht verletzt zu werden; man denke sich nur den 1) ol, paz, 203 f. 218 Fall, daß der betr, Versicherte durchaus nicht die Absicht hat, eine mehrfache volle Entschädigung zu beanspruchen, sondern nur den einen Versicherer auf Zahlung belangen wi l l ; er be- zweckte mit der mehrfachen Versicherung nur sich für den Fall sicher zu stellen, daß er aus einem beliebigen Grunde von dem einen Versicherer im Schadensfalle keine Entschädigung erhalten würde. Es wäre dieses eine Art indirecte Ver- sicherung der Zahlungsfähigkeit des einen Versicherers, und in der That hat z, B, in England, wo die Versicherung der Zahlungsfähigkeit des Versicherers nicht üblich ist, die Praxis sich auf den Standpunkt gestellt'), daß eine Doppelversicherung sehr wohl möglich ist, doch nur e i n m a l i g e Zahlung, be- liebig von welchem Versicherer, verlangt werden darf. Auch kann nicht eingewandt werden, daß das Erforderniß jeder gültigen Versicherung, ein versicherbares Interesse, mangele, denn ein solches liegt zweifellos vor, wenn der Versicherte, in der Befürchtung eventuell keinen Schadenersatz zu erhalten, eine llnderwärtige Sicherung diefes Interesse sucht, um sich für jeden Fall sicher zu stellen. Es liegt principiell gar kein Grund vor bei der Versicherung nicht ein ähnliches Verhältniß anerkennen zu wollen, wie es bei mehreren Bürgen oder bei mehreren Gesamtschuldnern vorliegt und wissenschaftlich ge- rechtfertigt wird. Die hier entwickelten Ansichten sind schon früher von Just" ) vertreten worden, ohne in der Wissenschaft Anklang gefunden zu haben. Neuerdings hat sich das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 17,/XII 1880') ganz strickt zu dieser Anschauung bekannt, und in klarer und überzeugender Weise sich gegen die Lehre von der absoluten Unzulässigkeit der 1) «f. <ü? 6 II Ä H oL 1, MA. 124 NUt, 8. 2) T i e b e n h a a r ' s AIch, XV M?. 225 ff, iy Entsch, d. Re ichsger ich ts N. VI p»8. 177, 219 Doppelversicherung gewandt. I n der bezüglichen Entscheidung heißt es folgendermaßen: „Positive Vorschriften hat das gemeine Recht betreffs der Doppelversicherung im Bereich der Binnenversicherung überhaupt nicht. Mi t der seerechtlichen Doppelversicherung hat zwar das D, H. G, B, Art, 792 ff, sich eingehend beschäftigt, und es ist dabei von deren principiellen Nnzulässigkeit ausgegangen. Eine analoge Uebertragung auf die verschiedenen Arten der Binnenversicherung, insbesondere der Feuerversicherung, er- scheint jedoch bedenklich, da nicht mit Sicherheit erkennbar ist, ob sich der Gesetzgeber bei Adoption jenes Princips nicht durch Gesichtspunkte hat leiten lassen, welche sür die eigen- thümliche Seeversicherung ausschließlich maßgebend sind, Ge- sichtspunkte, die zum Theil ganz außerhalb des civilistischen Gebiets liegen können und auf Zweckmäßigkeitsgründen und auf Rücksichten des öffentlichen Wohls beruhen. Abgesehen von den seerechtlichen Bestimmungen des D, H. G, B, ent- hält aber das gemeine Recht positive Bestimmungen in Ne- treff der Doppelversicherung nicht. Der Richter sieht sich daher auf das verwiesen, was nach allgemeinen Grundsätzen für sie aus der rechtlichen Natur des Versicherungsgeschäftes selbst, namentlich bei der Feuerversicherung, zu folgern ist. Aus dieser laßt sich nun zwar ableiten, daß eine zweifache Versicherung nie den Zweck und den Erfolg zweifacher Vergütung desselben Schadens haben kann, nicht aber die Unmöglichkeit, daß zwei Schuldner für die Leistung der einfachen Vergütung existiren, und sich zwei Versicherungsgesellschaften zum Ersatz eines und desselben Feuerschadens verbindlich machen. Ein solches Ver- hältniß mehrerer Schuldner ist vielmehr an sich im gemeinen Recht anerkannt und unter dem Gesichtspunkt der Solidar- obligation aufzufassen. Unter diesem gestaltet es sich denn so, daß der Versicherte von jedem seiner Versicherer Befriedigung suchen kann, die Leistung des einen aber den anderen von 220 seiner Pflicht befreit. Es ist nicht ersichtlich, warum eine ver- tragsmäßige Festsetzung dieser Art gerade auf dem Gebiete des Versicherungsrechtes unhaltbar sein sollte. Namentlich ist der Mangel eines rechtlichen Interesse nicht als Gegen- grund anzuführen. Das Interesse des Versicherungsnehmers, für seine Entschädigungsforderung zu seinem ersten Schuldner noch einen zweiten hinzuzugewinnen, obwohl es erstere nur einmal geltend machen will und darf, liegt klar zu Tage, T>ie Möglichkeit aber, sie ungerechtfertigter Weise gegen jeden von beiden zur Geltung zu bringen, und die in dieser Mög- lichkeit liegende Versuchung zu unredlichem Mißbrauch kann zwar zum gesetzlichen Verbot der Doppelversicherung Anlaß geben, ohne solches aber nicht zur Annahme ihrer absoluten Unzulässigkeit und Ungültigkeit führen," Man sieht, welch' ein Unterschied zwischen den Bestim- mungen des OnoZ,7> 33,K02«Li>, nach welchen die Doppelver- sicherung mit Criminalstrafen bedroht wird, und dieser libe- ralen und auf streng wissenschaftlichen Basis beruhenden An- schauung des Reichsgerichts besteht. Dieser principiell so wichtigen Entscheidung des obersten Gerichtshofs Deutschlands hat sich in der Folge auch ein anderes Gericht, das B e r l i n e r K a m m e r g e r i c h t , in einer Entscheidung v, 1/V 1884') angeschlossen; es ist wohl anzunehmen, daß in nicht zu ferner Zeit eine allgemeine Adoption der Anschauung des Reichsgerichts erfolgen wird für Fälle, wo keine positiven Bestimmungen von Landesge- setzen oder andersartige vertragsmäßige Stipulationen dem entgegenstehen. 4. Beweis und Ermittelung des Schadens. Wer in einem Rechtsstreit eine Forderung gegen seinen Gegner vorbringt, muß seine Berechtigung dazu beweisen, N T e u f f c r t s Arch. N, X I t>. N. F. Nr. 217 paß. 339 f. 221 Dieser processualische Grundsatz findet natürlich auch im Asse- curanzrecht Anwendung, wie ausdrücklich von den meisten Codificationen anerkannt worden ist'). Am bündigsten und klarsten betont diese Pflicht der „revidirte Hamburger P lan" °) (Art, 131): „Wer Schaden fordert, muß beweisen, daß er Schaden gelitten," Der Versicherte muß vor allen Digen beweisen, daß er Schaden erlitten hat. Da eine Versicherung ohne Interesse nicht gestattet ist, muß dieses Interesse bei der Schadenforde- rung nachgewiesen werden °). War die Versicherung für fremde Rechnung genommen worden, so muß das Interesse des be- treffenden Auftraggebers oder dessen „den es angeht," nach- gewiesen werden. Sodann ist der Versicherte verpflichtet, den Nachweis zu liefern, daß er S c h a d e n erlitten hat. Es muß alfo von ihm bewiesen werden, daß die versicherte Sache auch wirklich der Gefahr ausgesetzt gewesen ist'), der Schaden und der Um- fang desselben °), Der Beweis, daß die Sache in der That der Gefahr ausgesetzt gewesen ist, gegen welche die Versicherung genommen wurde, wird je nachdem, ob eine Seeversicherung oder eine nicht maritime vorliegt, ein verschiedener sein. Bei der See- 1) « L « 6 1, « n,«' XI ' I , 2 oi, 1245 T. H, G, B, Art. 886 bis 889 A l l g , P r. L, R. § 2169, H o l l. H, G, B. Art, 850, 651, S p a n . H. G. B, Art. 877, 878, L o ä s äs o o in. Art, 344, »88; auch in H a m - b u r g , B r e m e n , Encz land , A m e r i k a , (T e ckl en b or ss pn,ß>, 4!>s>, 62, «5, 66), 2) T e c k l e n b o r g MF, 456. 3) Entsch, d, R, O, H, G, v, I3,/II 1872 (B, V. Nr, 27 p, 122, D. H, G, V, AN. «88, CLoA1 , 3 n. tt, XI i , 2 er. 1245 ol, auch p^ . 8U f. f, 4) D, H, G, V. Art, 88«. — ? Ä ui. ll I I6, « o « ß p i . <ü ^ H. v, 31./VII 1875, 4, ^ 6 N , Np, <üen, uon 80,/III 1875 ftlapieue^ M8- 35ti) ? Ä UI, r p. I i k0. ^ y li, 1869 ŝ° 116, 5) D, H, G, B, Art. 886. — Entsch, d, R, O, H. G. v, 27./X 1874 l « i, i . (! .V ZI- 27./XI 1878 (U » pi ' siioi< p. 355), 2) Eu z, N, der „R ussische n" § 98. „Jedenfalls nmß der Ver- sicherte das erforderliche Zeugniß der OrtZobrigkeit vorstellen, in welchem die Ursachen möglichst angegeben, durch die der Brand ueianlaszt." 3) Das der Brnnd z, V, durch einen Schornsteinbrand, und nicht etwa durch ein Erdbeben jwofür die Gesellschaft <§ 102» nicht aufkommen wollte I entstanden ist. 4) N. H. G. B. Art. 822. 0 «a ^ i> 3 »x . X I i , 2 o i . 1244, P r o v . P r , R. Art, 4862, A, P. L, R, z 21N4, — ? « m , I > . K. g , 1874 Nr, 2I',1; 187«! Nr. 859; 1877 Nr, 197. — „ A l l g . V e r s . B c d . " 8 6 d, „ B a l t i s c h e" § 27, 4<>, „ N a d e s h d a " § 28, 25. , . I ll l o l ' ' § 1«. 80. „ I . Russ ische" § 94, „ R o s s i j a " § 27, 44. „Russ i sche" 8 96, „ V o r s t ä d t i s c h e n e g e n s," Instr. 8 18, 82. 223^ (welche Folge nach den Versicherungsbedingungen die unter- lassene Anzeige haben soll). Die Aufstellung derartiger I r ist- bestimmungen, z. B. der Anzeige des Unfalls, Beschaffung eines Polizeizeugnisses, Aufstellung einer Schadensberechnung innerhalb einer bestimmten Zeit, ist wohl nicht als Bedingung oder dergleichen, wo die Verletzung derselben den Rechtsver- lust nach sich zieht, aufzufassen, wie es die Assecuranzgesell- schaften stets interpretirt wissen wollen. E in Erkenntniß d. R, O, H, G, vom 4,/ IV. 1871 >) sagt hierüber Folgendes: „Eine,rigoristische und lediglich den Wortlaut beachtende Interpretation der sog. Policebedingungen (es handelte sich um die Verpflichtung zur Anzeige des Brandes binnen 24 Stunden) würde dem Zweck der Versicherung, wie dem ver- nünftigen Willen redlicher Paciscenten gleichmäßig widerstreiten." Die gedachten Bestimmungen müssen vielmehr als Vor- verpflichtung zu der dem Versicherten vertragsmäßig oblie- genden Diligenz (ok. Pr. A. L. R. § 2024) aufgefaßt, und deshalb eine Verwirkung des Entschädigungsanspruches nur von einer Verschuldung des Versicherten bei Nichterfüllung der betr. Bestimmungen abhängig gemacht werden^), wie es auch 1) Entsch, d, N. O. H. G. N. I I Nr. MF, 183. 2) ol, die Entscheidmiss des S t u t t g a r d t e r O b er t r i b un a l 3 V. 7./II 1872 p»,^, dieser Abh, und die andern dort angeführten Urtheile :c. Auch der Art. 43N2 d. P r o v, P r. R. welcher folgendermaßen lautet: „Ereignet sich der Schaden, wofür die Entschädigung versicher! worden ist (?), so muß der Versicherte dem Versicherer ungesäumt davon Anzeige machen und ist ihm für allen Nachtheil, der aus seiner Säumuiß entsteht verant- wortlich," besagt ganz klar, daß die unterlassene Anzeige nicht so ipso die Vcrwirkung des Entschädigungsanspruchs zur Folge haben so», sondern nur Ersah des Schadens aus diesem Säumniß. Aus dem gleichen Standpunkte steht das D. H. G. B, Art. 822. Doch wäre es andererseits wieder zu weit gegangen, wollte man auch bei verschuldeter Unterlassung der Anzeige nur eine derartige wilde Folge eintreten lassen. Durch ein weiteres Hinaus^ schieben der Anzeige aus grober Nachläßigteit, braucht noch kein wirklicher Schaden entstanden zu sein, und doch müßte in einem solchen Fall dem Versicherten wegen versäumter Diligenz die Entschädigungsberechtigung al^ gesprochen werden. 224 in dem oben angeführten Erkenntniß d. R, O, H, G, betont wird. Nicht aber darf diefe Folge in jedem Falle eintreten'). Nach gefchehener Anzeige muß der Versicherte binnen einer bestimmten Frist dem Versicherer eine Schadenberechnung zukommen lassen unter Beibringung der nöthigen Belege und Beweises, Was die Versäumniß dieser Frist anbetrifft, so gilt auch hier das oben Gesagte, daß nur ein Verschulden des Versicherten den Versicherer von seiner Verbindlichkeit befreit °), — I n Betreff der Schadensberechnung treffen die Versicherungs- bedingungen der meisten Gesellschaften') die Bestimmung, daß der Versicherte binnen 8 Tagen ein Verzeigniß und eine Werth- llngabe der verbrannten, beschädigten, abhanden gekommenen Sachen, als auch der unversehrten einsenden müsse. Die Nicht- erfüllung oder nicht g e h ö r i g e Erfüllung dieser Pflicht soll dabei den Verlust des Rechts nach sich ziehen. Es würde zu offenbaren Ungerechtigkeiten führen, wollte man derartige Be- stimmungen nach dem buchstäblichen Sinne derselben auslegen. Eine Uebersicht über den ganzen Schaden und eine genaue Berechnung desselben ist in den meisten Fällen bei einer so kurzen Frist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, es muß 1) Eine Anzeige binnen 24 Stunden ist, wie d, O, L, G, K i e l in einer Entsch. v. N./III 1883 (Seuff. Arch, N, F, IX Nr. 45, pass. 77) aus- führt, z, B, in dem Falle nicht nöthig, falls die Person, der die Anzeige ge- macht werden mußte, beim Unfall zugegen war, 2) D. H, G. N. Art, 886. „Der Versicherte hat, um dm Erscch eines Schadens fordern zu können, eine Schadensberechnung dem Versicherer mitzutheilen." O o ä s cls o o m , Art, 383 lTccklenborg pu,ss. 45,2), Siehe auch „ B a l t i s c h e" § 27, „ N a d e s h d a " § 26, „ I a k o r" tz Kl, „R o s - s i j a " § 27, „ I . Russ ische" ß 97 ic, — p Ä m. I > . N li, o c. ^. « i i , 188« Nr. 83. Erk, d. O, A, W. O l d e n h n r g (S e u f f. Arch. XVI I I Nr, 131 p»3. 214). 3> Krankheit des Versicherten ist bei Versäumniß der Frist ein Ent- schuldigungsgrund, ol. Uith, d. O. L. G. K i e l U. 25,/I 1883 <2 euf f . Arch. N. F. IX Nr. 46 M3, 77 s,) 4) „ N l l I t i s c h e " § 27, „ I a k o r" § 30, „ R o s f i j a" § 27, „ A l l g . V e r s . B e d," § 11 :c. 225 daher auch hier an dem Erfordernis; einer Schuld seitens des Versicherten festgehalten werden. Dieses ist von den meisten Gerichten auch anerkannt worden'), I n einem Avpel-Urtheil des rigaschen Raths v. 18,/IX 1885 heißt') es: „Die Fassung dieses § („Iakor" § 30) giebt nicht dem mindesten Zweifel darüber Raum, daß der Verlust des Ent- schädigungsanspruches nicht schon dann eintritt, wenn sich die Angaben des Versicherten als objectiv unrichtige oder nicht gehörig nachgewiesene herausstellen, sondern erst dann, wenn die Unwahrheit der Angaben dem Versicherten als Schuld angerechnet werden kann, d, h, wenn derselbe arglistiger Weise und wider besseres Wissen unwahre Angaben gemacht hat," Es genügt also, daß die Angaben des Versicherten, wenn sie auch unverschuldeter Weise nicht ganz genau sind, als Basis für die fernere Schadensregulirung dienen können. Diese vorläufigen Berechnungen unterliegen sodann der Prüfung durch die Bevollmächtigten der Gesellschaft'). Gt- waige Differenzen werden dann entweder durch einen Com- promiß, die sog, Regulirung'), oder falls diese zu keinem Endresultat führt, auf gerichtlichem Wege entschieden. Es ist ganz allgemein von der Praxis anerkannt worden °), 1) Nur die duwsc Ucbersekmia, der Werchangabe zieht den Verlust des Entschädigungsanspruches nach sich, Entsch, d. R, O, H, G, L e i p z i g uon 3,/VI 1«7' ( S e n f s , A r ch, X X V I Nr. 7, >, ? tz in, I" p. ll n, « <-. Non , 1872 Nr. 11<>8 (»ni' lnii i i, p»F, 287, 238), of. auch die Entsch, d. S t a d t g e r i c h t e zu F r a n k f u r t a,,M, u. B e r l i n (M a l s z G. Z. XI I I pass- -IM f,), 2) Z w i n g ,n a nn , E n t s ch e i d u n q e n B, VI I I pa^- 178, Z) ?'b m, I > . 1̂ »oc, .'l e n, !8»!9 Nr, «; 1871 Nr, 85>9; !8?I! Nr, 1-l, 219, 12«' ; 1879 Nr, 271, 4) el, „ B a l t i s c h e" ß 30, „ I a t o r" 23, „ I , N ussische" l; 100, „ R u s s i ! a" § 80, „R ussisch c" § 99, „V o r st ii d t i s ch c c, c ss c n s," Iustr, 8 20. 5) Cntsch. d, R, O, H, G, V. V Nr, 27 p ^ . 121, A p p e l . - U r t h e i l des r i g , R a t h s (Zwingm, Entsch, VII I pass, 178) v, 18./IX Dcrr, Zur 2t. Bd, ', ^ ^ 2 6 daß in karn der Beweis der Existenz, des Werths, insbe- sondere der Quantität der untergegangenen oder beschädigten versicherten Objecte, nicht mit der im Civilproceß üblichen Strenge zu sordern sei'); daß es vielmehr dem billigen richter- lichen Ermessen überlassen werden kann, ob der gelieferte Nach- weis als überzeugend und genügend angesehen werden darf. Der Beweis wird, je nach den Verhältnissen, ein ver- schiedener sein. I n der Seeversicherung kann er, wie das D. H. G. B. Art. 888 beispielsweise anführt, durch Besich- tigungs-, Abschätzung^- und Versteigerungsurkunden °), Kosten- anschlag'), Sachverständige') :c. geführt werden. I n der nichtmaritimen Versicherung kann der Nachweis des Schadens geliefert werden durch Urkunden °), Zeugenaussagen °), Sach- verständige') und Gid°). Ueber die Zulässigkeit des Eides sagt eine Entsch. d, R. O. H. G. v. 13./II 1872') ff.: „Auch 1885>, Erk, d, O, A, G, W i e s b a d e n vom 9,/IX 185,1 (Seuss. Arch, XI I I Nr. 272 M8 . 390), U r t h . d. O. L. G. K i e l v, 3,/I!I lWb «Seusf. Arch, N, F, X I Nr. 5<> p. 89), siehe auch eine Reihe von Entsch, G. Z, X I I I (s, 403 ff.). ,) I n diesem Sinne sagt d. O, A, G. L üb e ck (S e ns f, N r ch, XX I I I Nr. 132 MF. 21<>): Es liegt in der Natur der Sache, daß bei Forderungen aus einem Versicherungsvertrag, nicht in allen Fällen ein strenger Beweis des Schadens, namentlich der Gröhe desselben «erlangt werden kann, daß vielmehr die gewöhnlichen Grundsätze über Beweisführung hier erhebliche Ausnahmen erleiden müssen," 2) Ein Erk. O, A, G, Lübeck v, 20,/III 47 (Ecu fs , Arch. I I I Nr, 122) betont die Editionspflicht aller, nicht nur in des Versicherungs- nehmers, sondern auch des Ordrcgcbers Besitz befindlicher, aus die Versiche- rung bezüglicher Urkunden. 3> <ÜLs>Hi, ZK« , X I ' i , 2 o i . 1245. 4> Idiäsm. ü) Entsch, d. O, N, G, O l d e n b u r g (Scufs. Arch. XX I I I Nr. 181 pax. 214). Nr. N!' , l878 Nr. 94, 1879 Nr, 155>, A m t s g e r i c h t M a g d e b u r g G. Z. XI>I 4<>7 u. and. ebenda. 3) ? h i i i . 1̂ l>, Ka^, 3027). Dasselbe läßt jedoch der Paciscirfreiheit der Contrahenten vollen Spielraum und will nur bei Mangel von bezüglichen Stipulationen den Art, 803 angewandt wissen. Das D. H. G. B. ist durch diese Einschränkung des von ihm aufgestellten Princips entschieden einem Bedürfniß des Verkehrs nachgekommen, denn in garnicht so seltenen Fällen steht für den Versicherten in der That der Werth, den die versicherte Sache im Bestimmungsort haben würde, auf dem Spiele'). 1) T c c k l e n b u r n , p ^ . 117, 2) Dieses wird auch in den P i o t u c. p»F, 3031 ausdrücklich aner- kannt. — Ulan denke sich z. N. den Fall, daß zu einer Festlichkeit allerhand Sachen, die an Ort und Stelle nur für 40M Rbl, zu erhalten sind, aus dem Ausland, wo sie blos 20NY Nbl, wcrth sind, verschrieben werden und 229 Abgesehen von diesen seerechtlichen Bestimmungen, steht aber wohl ganz allgemein fest '), daß für die Berechnung des Schadens der Werth zur Zeit und am Ort des Unfalls als Grundlage dienen muß, 5. Ersatz des Schaden. Ist die Höhe des Schadens durch gütliche Übereinkunft oder auf dem Wege des richterlichen Verfahrens fixirt wor- den, so fragt es sich, in welchen Grenzen der so berechnete Schaden dem Versicherten vergütet wird. I n Betreff der Berechnung und Feststellung der Ersatzsumme herrscht jedoch keine Uebereinstimmung, EZ ist neuerdings von Cohn ^ der Versuch gemacht worden, eine neue Theorie, auf die weiterhin eingegangen werden soll, zu vertheidigen, doch ist dieser Ver- such schon von Pros, Lab and (G, Z, X I X ) als mißglückt bezeichnet worden, und diese Theorie hat keinen Anklang gefunden. Was die Versicherungsgesellschaften anbetrifft, fo gehen die meisten von ihnen von der irrthümlichen, jedoch für sie vortheilhaften Anschauung aus, daß die Sache, nicht das I n - teresse, Gegenstand der Versicherung sei. Eine richtige, den Verkehrsforderungen wie den Grund- sätzen der Asfecuranz gleichmäßig entfprechende Berechnung der Ersatzsumme findet sich, falls man stets daran festhält, unterwegs untergehen. Um die Sachen rechtzeitig zu schaffen, muffen sie an Ort und Stelle mit 4000 Rbl. bezahlt werden, die Entschädigung be- trägt aber, entfprecheud dem Werthe im Abgangshafen nur 2000 Rbl. Fraglos kommt doch hier für den Versichernngsnchmcr der Werth im Be- stimmungshafen in Betracht. 1) L t o b b c 8 i<»7 p»K. Z',7, E n t s ch, d. N e i ch s g e r i ch t s v. 2 /X 188!» (XXIV Nr, 87 pax. 18,',), E r t. d. H. A. G, N n r n b e r g v. '28,, V 1869 (Neuss, A r ch. N, XXV I I Nr, !71>, „ A l l g , V e r s . - N c d . " tz 7, „ N l l l t i s ch c" § 35>, 36, „R nss i s ch e" K ,03, „N a d c s h d a" § 20, Z0 ic,, „R o s s i j a " K 34, „ I . R uss i s ch e" § 103 :c. 2) C o h n , der Versicherungsucrtrag pass. 28. 230 daß das Interesse, und nicht die Sache als versichert ange- sehen werden muß, und daß die Versicherung nie zu einer Bereicherung führen soll. Es soll in Folgendem versucht werden, die bunte Reihe der verschiedenartigsten Fälle des Schadenersatzes, wie sie das tägliche Leben bietet, in möglichst übersichtlicher Weise anzu- ordnen und die Anwendung der eben erwähnten Grundsätze zu veranschaulichen. Es wären folgende Fälle'in Betracht zu ziehen: I, De r W e r t h der vers icher ten Sache ist zur Z e i t des U n f a l l s derselbe g e b l i e b e n , w ie er zur Z e i t der E i n g e h u n g des V e r t r a g e s war. Es ist dieses der für die Berechnung des Schadens einfachste Fall, welcher aber in praxi nicht fehr häufig vorkommt'), Es kann nun das Interesse 1. Vollntlslchelt sein. Hier deckt sich der Nersicherungs- werth, die Versicherungssumme und der „Unfallswerth". Da das volle Interesse versichert ist, muß der Schaden in vollem Umfange erfetzt werden ^), mag nun ein a) t o t a l e r Ve r lus t der Sache zu verzeichnen sein oder nur ein b) p a r t i e l l e r Ver lus t oder Schaden vorliegen. Es kann aber auch blos eine 2. theilmise Utlstchllunz genommen worden sein. Da hier nur ein Theil des Interesse versichert ist, kann auch nur ein entsprechender Theil des Schadens vergütet werden °). Ist 1) Ueber T a z i r t e P o l i c e n siehe p»,^. 211 dieser Abh, ol, auch O L o « i > Z 8, n, X I i , 2 o i . 1248; ?-k in, 0 N 0 , ll « n. <ü x «- «um 27./XI 1873 (Ukpisnck paß. 350), 2) „ I . Russ ische" § 90, „ B a l t i s ch e" ß 38, „3t o s s i j a " § 36, „ I a t o r" § 25, „ R u s s i s ch e" § 104, „ V u r s t ä d t i s c h e" Instr. § 2b. 3) Zur Verechnung des Schadens kann folgende Proportion dienen: Werth zu Zeit deK Unfalls: Versichertes Interesse — Schaden: Ersatzsumme. 231 z. B, ein Schiffskörper im Werth von 15,000 Rbl, für 10,000 Rbl, versichert, so muß bei li) t o t a l e m Ver lus t des Schiffes nur die Summe von 10,000 Rbl, ausgezahlt werden, entsprechend dem durch die Versicherung gedeckten Interesse'), Es darf andererseits beim d) p a r t i e l l e n V e r t u st oderSch ad en, wenn z, B, der Schaden nur 9000 Rbl, beträgt, nicht mehr als 6000 Rbl, bezahlt werden. Da V, des I n - teresse versichert sind, kann auch nur eine Summe, die V» des Schadens entspricht, als Schadenersatz erlegt werden^). Wenden wir uns jetzt zum zweiten möglichen Fall: I I , De r W e r t h zur Z e i t des U n f a l l s ist ge- r i n g e r a ls zur Z e i t der E i n g e h u n g des Ver - t rages , Dieser Fall kommt wohl am häufigsten vor, namentlich in der nicht maritimen Versicherung, wo die Dauer des Ri- siko in der Regel eine längere ist und die versicherten Gegen- stände ihrer Natur nach einer Entwerthung durch Abnutzung, Alter, ungünstige Handelsconjuncturen, Systemwechsel, Mode :c. unterliegen'). Es wäre eine Verletzung des Grundsatzes, daß die Ver- sicherung nicht zur Bereicherung der Versicherten führen darf, wollte man die Werthminderung, gegen welche ja garnicht Versicherung genommen wurde, bei der Feststellung der Schadenshöhe garnicht in Betracht ziehen. Ist nun die Höhe des Schadens unter Bezugnahme auf die entwerthenden Um- 1) 1l,, 10,0M. 3, ol. „V a I t i schc" z 3Ü, „ I a k o r" § 22, „R n s s i j a " z 34, „ N a d c s h d a " § 11, 232 stände fixirt worden, so berechnet sich die Höhe der Ersatz- summe folgendermaßen. Ist das Interesse 1, V»ll versichert, so muß der Schaden in seinem ganzen Umfange ersetzt werden'). Da der versicherte Gegen- stand durch irgend welche Umstände minderwerthiger gewor- den ist, entspricht das Interesse des Versicherten nur dem ef- fectiven Werth zur Zeit des Unfalls, und es kann nur eine gleiche Summe als Ersatz beansprucht werden. Hat z, N, ein Fabrikant seine Maschinen im Werth von 20,000 Rbl, für diese Summe auf 5 Jahre versichert, so kann er bei einem li) t o t a l e n V e r l u s t , der etwa nach 4 Jahren eintritt, falls der derzeitige Werth als blos 16,000 Rbl, betragend ermittelt wird ^), nur diefe Summe als dem wirklichen Schaden entsprechend, bean- spruchen^). Tritt ein d) p a r t i e l l e r Ve r lus t oder Schaden ein, verbrennt z, B, '/, der zur Zeit des Unfalls 16,000 Rbl, werthigen Maschinen, so wird, da das 1) Dasselbe bestimmen „ B a l t i s ch c" H 38, „R o s s i j a" Z 36, „ V o i s t ä d t i s c h c " § 25>, „ I a I o r" ß N , „N uss is ch e" ß U«—105 „ I , Russische" tz !»<», 2) Eine billige Rechtssprechung muß, wie M a l s z G. Z, V I p. 38! niit Recht betont, nicht in allen Fällen bei Ermittelung der Schadenshöhe den Verkaufswerth als Maßstab für die Berechnung annehmen, denn nicht durch diesen Werth wird häufig der wirkliche Schade« dargestellt, I u dem erwähnten Beispiele können die Maschinen einen Verknufswerth von bloß 12, 3W., gerecht und billig wäre, 3) Ki,«X><» : U,,«!M — Ui,O0U : x (— 10M»«»), 233 gesllmmte Interesse versichert war, der Schaden von 400« Rbl, voll vergütet'). Ist das Interesse nur 2, teilweise uelßchert worden, so stellt sich die Berechnung der Ersatzsumme nicht ganz so einfach und unbestritten dar. Betrachten wir zuerst den Fall des ll) t o t a l e n Ver lustes, Hier muß natürlich, da die ganze versicherte Sache untergegangen ist, der versicherte Nruchtheil des Interesse voll ausge- zahlt werden. Ist ein Waarenlager im Werth von 15,000 Rbl, für 10,000 Rbl. versichert worden, und betrug der Werth desselben zur Zeit des völ- ligen Unterganges 12,000 Rbl,, so waren ursprüng- lich V, des Interesse, zur Zeit des Unfalls aber ^ desselben durch die Versicherung gedeckt, und es müssen, da ein Totaluerlust zu verzeichnen ist, diese 7, voll ersetzt werden ̂ ), Verständlicher Weise ist es nach der Interessentheorie sehr wohl möglich, daß durch Verminderung des Werthes aus einer theil- weisen Versicherung eine volle Versicherung werde, während dieses nach der Theorie, daß die Sache versichert ist, unmöglich ist. Ist ein Waarenlager im Werth von 16,000 für 12,000 Rbl. versichert 1) 16,000 : 10,000 — 4000 : x (— 4000). 2) Nach der Proport ion 12,000 : 10,000 — 12,000 : x (— I0,0>X>), Diese Ansicht vertritt „ I , N u ss i s ch e" § U0, !»1, welche Gesellschaft über- haupt stets nus dem richtigen Standpunkt steht. Dagegen sehen „ N a - d e s h d a " tz 1!», 22 nnd „ V o r st ä d t i s ch e" 8 2,'> d. Ins t r . d i e S a c h e als versichert an. Nach dieser Theorie müßten, da in dem öden angeführten Beispiele ihrer Wmiunss nach ^ der Waaren versichert sind, bei einem Herabgehcn des Werthes auf 12,000 Rdl , nur -/,, der Waaren, also nur solche für 8000 M l , als versichert gelte», und bei Totalverlnst diese Summe ersetzt werden nach der Proport ion 15>,000 : 10,000 — 12,000 : 8000, Unklar ist die Fassung d, 5 38 d, „Valtischen" ; ß 3U d, „ R o s s i j a " ! 8 25 d. „ I a l o r". Sie lassen eine Auslegung nach beiden Leiten zu. 234 worden, und ist der Werth zur Zeit des völligen Unterganges auf 12,000 Rb l gefallen, fo muß, da das ganze Interesse gedeckt ist, die Summe von 12,000 Rbl , ' ) und nicht 9000 Rbl , ' ) ausgezahlt werden, wie es geschehen müßte, falls man V» der Sachen als versichert annehmen wollte. Betrachten wir noch als letzten Fal l das Beispiel, daß der Werth bei theilweiser Versicherung unter die Höhe der Versicherungssumme sinkt, daß z, B, ein Haus im Werth von 4000 Rbl, für 3000 Rbl. versichert ist und zur Brandzeit einen Werth von 2000 reprä- sentirt, so dürfen bei gänzlicher Vernichtung des Ge- bäudes zwar nicht 3000 Rbl,, die ganze Versicherungs- summe, ausgezahlt werden, weil die Versicherung in dem Falle zur Bereicherung führen würde, wohl aber müssen die 2000 Rbl,, trotzdem es sich ur- sprünglich um eine theilweise Versicherung handelte, voll ausgezahlt werden, weil zur Brandzeit das ganze Interesse durch die Versicherung gedeckt war'). Falsch wäre es aber, dem Versicherten eine Ent- schädigung von blos 1500 Rbl. zukommen zu lassen, wie es geschehen mußte, falls man '/,, der Sache als versichert ansehen würde'), Es kann auch nur ein l>) t h e i l w e i s e r V e r l u s t o d e r S c h a d e n ein- getreten sein. Da die Versicherung zu keinem Ge- winn führen darf, kann nur der verminderte 2, 12.000 ,000 : >2,000 — 12,000 : U000, 3) 2000 - 2000 - - 200« : x (— 2000), 1) So nach der Anschauung d. „N adeshda" ß 22. „V o rs täd - t ische" H 25, Hier stellt sich die Proportion folgendermaßen: 3000 : 2000 ^ 2000 : x (— 15,00), 235 Werth zur Zeit des Unfalls bei der Berechnung des Schadens in Betracht kommen. Andererseits darf, da nur ein Theil des Interesse durch die Versicherung gedeckt ist, nur ein entsprechender Bruchtheil des wirklichen Schadens vergütet wer- den '), I s t also ein Waarenlager im Werth von 15,000 Rbl, für 10,000 Rbl, versichert, so sind allerdings zur Zeit der Eingehung des Vertrages '/,, des Interesse gedeckt. Sinkt aber der Werth des Lagers durch ungünstige Conjunctur auf 12,000 Rbl, '), so sind durch die Versicherungssumme von 10,000 R b l . , nicht mehr V „ sondern V, des Interesse gedeckt. Entsteht also durch eine Feuers- brunst ein Schaden von 6000 Rbl., so muß, da ^ des Interesses versichert sind, eine Entschädi- gung von 5000 Rbl , ausgezahlt werden. Auch hier kann aus einer theilweisen Versicherung eine volle werden. M a n denke sich den Fal l , daß ein Haus im Werthe von 7500 Rbl, für 7000 versichert ist, und der Werth zur Zeit des Bran- des auf 6000 Rbl, gesunken ist. Da jetzt das Interesse durch die Versicherungssumme gänzlich ge- deckt ist, so muß ein eventueller Schaden von 4500 Rbl, voll vergütet werden"). 1) Dieselbe Anschauung vertritt „ I , Nussische" § 90, 91, 2) 12,000 : 10,000 — ,M> : 4 (M sp, 39), Das Resultat wäre also dasselbe, nur wenn man von der Annahme aus' ginge, daß eine Quote der Sache versichert sei, welche Annahme aber Uvn C o h n verworfen wird, da er stets nur das Interesse als versichert gelten lassen will, — Auch d. „ N a d c s l , d a" § 22, „V o r s t ä d t i s ch e" § 2b gelangen zu dem Resultat, daß nur 4000 Rbl. auszuzahlen sind. 3) <>000 : 6000 — ll>00 : x (— 4,'>00>. Das Interesse beträgt hier in der That nur <>000 Rbl., da das Haus nur diesen Werth reftrciscntirt. 236 Es ist noch ein dritter Fall möglich: I I I . Der W e r t h zur Z e i t des U n f a l l s ist e in g r ö ß e r e r , a l s er zur Z e i t der E i n g e h u n g des V e r t r a g e s war. Es sind diese Fälle im Ganzen nicht sehr häufig und finden sich fast ausschließlich bei der Versiche- rung von Waarendepots, roulirenden Lagern :c. Das Interesse kann bei Eingehung des Vertrages 1, n«ll verfichtst gewesen sein. Durch das Steigen des Werthes wird aus der vollen Versicherung stets eine theilweise. Betrachten wir zuerst den Fall, daß ein ll) t o t a l e r Ve r lus t zu verzeichnen ist, da durch das Steigen des Werthes nur ein Theil des I n - teresse durch die Versicherung gedeckt ist, kann auch nur ein entsprechender Theil des Schadens vergütet werden. Ist z, B, ein Waarenlager im Werthe von 15,000 Rbl, für diese Summe ver- sichert, so ist das gesammte Interesse versichert. Steigt nun aber im Laufe der Versicherung der Werth auf 20,000 Rbl,, so ist nunmehr nicht das ganze Interesse durch die Versicherung gedeckt, sondern nur ^ desselben. Aus der vollen Ver- sicherung ist also eine theilweise geworden. Um das ganze Interesse sicher zu stellen, hätte noch eine ergänzende Versicherung auf 5000 Rbl, ge- nommen werden müssen. Geschieht dieses nicht, so hat der Versicherungsnehmer das Risiko, daß ein Theil des Interesse unversichert bleibt, auf sichz u neh- Nllch der C 0 h » ' schen Theorie und der Anschauung der „N a d e s h d a" K 22 und der „V o r st ä d t i s ch e n" § 2'> ist die Proportiiw folgende : 7500 : 7000 — 45,00 : X (— 4200). 33? men, Gr erhält also in diesem Falle nur V, des Schadens, also 15,000 Rbl, ersetzt'). Die versicherte Sache kann auch von einem d) p a r t i e l l e n V e r l u s t o d e r S c h a d e n betrof- fen sein. Auch hier kann, da nur ein Theil des Interesse versichert ist, nur für eine entsprechende Quote des Schadens Ersatz gefordert werden. I s t ein Waarenlager im Werth von 10,000 Rbl, ebenso hoch versichert, und befinden sich zur Zeit des Unfalls für 15,000 Rbl, Waaren darin, fo kommen, falls der Schaden 6000 Rbl. beträgt, 4000 Rbl . zur Auszahlung/), da von dem früher voll versicherten Interesse nunmehr blos V? durch die Versicherung gedeckt sind. Auch in diesem Fal l hätte der Versicherte, um ganz sicher zu gehen, eine ergänzende Versicherung nehmen müssen. Is t des Interesse nur 2, theilmise Ntlßchelt, so verringert sich dieser Bruch- theil dadurch, daß der Werth der versicherten Sache steigt. I s t ein Lager im Werth von 15,000 Rbl, für 10,000 Rbl, versichert worden, so sind bei Eingehung des Vertrages V» des Interesses gedeckt; steigt der Werth der Waaren auf 1) 20M0 : 15,000 — 20,000 : x l— Il>,000>. Auch nach der Theurie, daß die Sache, nicht das Interesse versichert ist, erhält der Versichertc die ssleiche Summe, duch nur aus dem Grunde, weil die Vcrsichcrungssnmmc (in diesem Falle 15>,000 Rbl,) die äußerste Grenze der Verpflichtung des Versicherers angiebt. Eigentlich mußte der Versicherte, da die ganze Sache versichert ist, auch 20,000 Rbl, erhalten, 2) l,'),000 -10,000 — «000: x (— 4000) — ebenso „ I . R u f sisch e" §90, Nie „ N a des!, da" H 21, 22, „V o r st N d t i s ch c" § 25 wechseln hier Plötzlich ihr System und bestimmen, daß die Entschädigung im Verhältnis; der Versicherungssumme zum Werth am Tage des Unfalls stattzufinden hat, also in diesem Falle 4000 Rbl., während Nach der Theorie, daß die Sache als versichert anzusehen ist, <>00N Rbl. zn zahlen wären, da die ganze Sache versichert war. C o h n pass. 37 ist wenigstens conseqncnt und stellt die Propurtwn folgendermaßen 10,000 - 10,000 — «WO - x <— 600U). 238 20,000 Rbl , , so ist nur noch die Hälfte des Interesse ver- sichert. Es hätte auch hier, um den sww» <̂ uo wieder herzu- stellen, einer nachträglichen ergänzenden Versicherung bedurft. Bei ll) t o t a l e m V e r l u s t der Sache muß, da nur ein Theil des Interesse versichert ist, ein entsprechen- der Theil des Schadens, in diesem Falle 10,000 Rbl , ' ) , ersetzt werden. Ebenso wird beim d) p a r t i e l l e n V e r l u s t ode r S c h a d e n nur eine dem versicherten Theil des Interesse ent- sprechende Quote des Schadens vergütet. Beträgt in dem oben angeführten Beispiele die Höhe des Schadens 6000 Rbl,, so gelangt, da nur das halbe Interesse versichert ist, die Summe von 3000 Rbl, zur Auszahlung/), Es ist sehr verständlich, warum die meisten Gesellschaften in ihren Versicherungsbedingungen der Theorie huldigen, daß nicht das Interesse, sondern die Sache Gegenstand der Ver- sicherung ist, oder so wenig präcise Bestimmungen aufstellen, daß eine Deutung, sowohl nach der einen, als nach der anderen Richtung, möglich ist; denn sie fahren bei einer der- artigen Berechnung am allerbesten. Diese Tendenz, durch Auf- stellung scheinbar harmlofer und doch die Berechnung der Er- satzsumme wesentlich influirender Bestimmungen, ihren eigenen Vortheil auf das Neste zu wahren zum Nachtheil des die Sachlage nicht sofort durchschauenden versichernden Publi- cums, offenbart sich am deutlichsten bei dem in einigen Ver- sicherungsbedingungen °) festgestellten Modus des Schadener- 1) 20.000 : 10,000 ^ 20,000 : x (— 10,000), 2) 20,000 ! 10,00s) - - «000 ! x (— 3000) nicht aber 4000 Rbl,, wie C u h n PÄF. 8!» annimmt, nach der Proportion 15,000 :10,000 — 0000 : x (-- 4000), 3, „ B a l t i s c h e " z 38, „ R o s s i j a " § 3«, „ I a k o r" §25, „ N a - d e s h d l l " § 21 u, 22, „V orst « d t i sche" § 25, 239 satzes bei theilweiser Versicherung, Es findet sich dort die Bestimmung, daß bei theilweiser Versicherung nur ein ver- hältnißmäßiger Ersatz des Schadens stattfindet; andererseits wird festgesetzt, daß, falls die Versicherungssumme geringer ist, als der wirkliche Werth am Tage des Unfalls, der Schaden nur im Verhältniß des wirklichen Werthes zur Versicherungs- summe ersetzt werden soll. Dieses klingt ganz harmlos, und man kann wohl annehmen, daß die große Mehrzahl der Ver- sicherungsnehmer sich nicht darüber klar ist, daß diese Inconse- quenz, mit der einmal die Sache, das anderemal das Interesse als versichert angenommen wird, eine Benachtheiligung des ver- sicherten Publikums zur Folge hat. Ich möchte diese Benachtheili- gung der Versicherungsnehmer an verschiedenen Beispielen, die schon früher in den geeigneten Stellen angeführtwurdenMustriren: Entschädigungssumme. AK 3 Es wird jedoch ge- zahlt. 10,000 V, der Sache 15,000 10,000 12,000 12,000 ol.II2l l 8000 gilt als ver-sichert. 12,000 '/> der Sache 16,000 12,000 12,000 12,000 9000 M t als ver-«k. 11 2 H sichert. 2000 '/« der Sache 4000 3000 2000 2000 «k.II2a 1500 gilt als ver-sichert. 5000 °/, der Sache 15,000 10,000 12,000 6000 of.II2d 4000 gilt als ver-sichert. 4500 " / , . der Sache 7500 7000 6000 4500 ef.II2d 4200 qilt als ver-sichert. Auch 400(» Rbl. gezahlt werden. Auch 30M des Inter- 3000 esse gilt als versichert. 15,000 10,000 20,000 6000 of.III 2d Anderenfalls müßte4U00 Rbl. gezahlt werden. Versicherungs- summe. Werth zur Zeit des Unfalls. Schaden, 240 Man sieht aus der obigen Tabelle, welche Mißstände durch eine derartige, nur allzu häusig von den Gesellschaften beliebte Berechnung der Grsatzsumme hervorgerufen werden. Natürlich erwiedern die betr, Gesellschaften, daß ihren Con- trahenten ja die Bestimmungen der Versicherungsbedingungen bekannt waren, daß dieser Modus der Berechnung vertrags- mäßig festgesetzt sei, volenti uon ät iu^urill; aber wie gesagt, die wenigsten Contrahenten sind sich ganz klar über die Be- nachtheiligung, die ihnen durch diese Bestimmung zugefügt wird. Es ist daher sehr wünschenswert!), daß in den Nersicherungs- bedingungen aller Gesellschaften der assecuranzrechtliche Grund- fatz, daß das Interesse und nicht die Sache als versichert angesehen werden muß, Anerkennung finde, damit auf diefer Basis eine Regulirung des Schadenersatzes stattfinden kann. Durch Auszahlung der Entschädigungssumme tritt der Versicherer in die Regreßrechte des Versicherten ein, gegenüber der Person, die den Unfall verursacht hatte, indem er die Entschädigungsklllge gegen den Schadensurheber von sich aus anstellen kann, ohne daß es dazu einer Cessio« bedarf'). Dieses Recht, das meist vertragsmäßig in den Versicherungs- bedingungen") stivulirt ist, folgt aus der Natur der Sache, Es würde eine ungerechtfertigte Bereicherung des Versicherten darstellen, wollte man ihm gestatten Schadenersatz vom Schul- digen zu verlangen, nachdem er durch den Versicherer für den Verlust voll entschädigt worden ist. Sowohl Gesetzgebung') 1) Entsch. d, S t u t t c , a i d t er O b er t r i b u >i a l s vom 1»,/III 1867 (Senfs. Arch, X X I Nr.'?,>)), Vntsch, d. S t a d t g e r i c h t s F r a n k - f u r t a,/M. v, ,',./VI 18<>7 . H, G, B. Art. 808, A l l g , Pr , ü. R, 8 22!,',, 2277, H o l l , H, G. B, Art. 284. 241 als Praxis') untersagen deni Versicherten, nachdem er vom Versicherer Entschädigung erhalten hat, die Geltendmachung des Regreßrechts als Verstoß gegen die Regel, daß die Ver- sicherung zu keinem Gewinn führen darf. 6. Verlust des Entschädigungsanspruches durch Zeitablauf. I n den Versicherungsbedingungen wohl sämmtlicher Ver- sicherungsgesellschaften ') und in den meisten Codificationen ') sind darüber Bestimmungen getroffen worden, daß, falls nicht die Entschädigungsansprüche des Versicherten binnen eines ge- wissen Zeitraumes') nach dem Unfall entweder rechtsgültig von der Gesellschaft anerkannt oder mittelst vollständiger Klage vor das ordentliche Gericht gebracht worden sind, dieselben als erloschen gelten sollen. Der Grund für eine derartige Bestimmung ist leicht zu ersehen. Die Möglichkeit, eine ge- naue Berechnung der Schadenshöhe mit detailirten Einzelheiten zu formiren und dieselbe mit den nöthigen Beweisen zu be- legen, wird durch ein Hinausschieben der Regulirung immer mehr und mehr erschwert. Andererseits wächst auch für den Versicherer mit der Zeit die Schwierigkeit die Richtigkeit der Berechnung zu prüfen, Gegenbeweise zu liefern, und die Mög- lichkeit Momente, die denselben von der Haftung gegenüber dem Versicherten befreien würden, zu übersehen. Eine Ent- 1) ?tzi i i . I > . 1^3,0«. / Ion . 1882 Nr. 44 und die dort citirten Urtheile. 2) „ A l l g. V ers, - V c d," Z ,3, „ V a l t i s c h e" § 4<> d, „ I a t o r" § 30,5>. „ I . N u s s i s c h e " § N,',, „ R o s s i j a " 8 44 d. :c. of. auch ? 5 m. 0«i i<. C, nS p, 4. 5 !! 51 o n . / I L N, I I p. O o i i , v, i(), VI 1^7? (5l»s>. 76ii«i> pass, 353) — ? '!; in, I ' p, K » oc. ^ o i i , I8?8 X? 132 ; 1880 ^« 18«,, 3) D. H. O. V, Art, 910, H ü l l . H, ftz, B. Art, 743, S p a n tz. G, V, Art . 997 :c. 4) 3 Niuuate, üicistcus U Wo»,, nuch 1, 2, ,') Jahre u. and. Dor,. Zur. Et, Vd. I. u> 242 scheidung des Obertribunals in Stuttgardt v, 7./II 1872') läßt sich darüber folgendermaßen aus: „Die Vorschrift hat augenscheinlich dm Zweck die Ver- schleppung der Feststellung des vom Versicherten erlittenen Schadens und die damit verbundene Verdunkelung des That- bestandes zu verhindern, indem sowohl der Versicherer, als auch der Versicherte ein Interesse daran hat, daß zu einer Zeit, wo wegen des Naheliegens des beschädigenden Ereignisses die Beweismittel bezüglich des vom Versicherten erlittenen Scha- dens sich leichter beschaffen lassen, die erforderlichen Schritte zur Feststellung der Entschädigungsumme gethan werden," Es liegt also im Interesse beider Contrahenten, der Ge- sellschaft sowohl, als auch des red l i chen Versicherten, die Schlldenliquidation in nicht allzu ferner Zeit eintreten zu lassen, und es ist diesem Bedürfniß seitens der Mehrzahl der Codi- ftcationen Rechnung getragen worden durch Feststellung einer kürzeren Zeitfrist für das Erlöschen der Ansprüche aus Versicherungsverträgen 2), als die sonst fixirte gesetzlche Ver- jährungsfrist, Was die Natur der in den Versicherungsbedingungen getroffenen Bestimmung anbetrifft, so sind die Ansichten darüber getheilt, indem sie als vertragsmäßige Abkürzung der Ver- jährungsfrist, andererseits als Resolutivbedingung, aber auch als Fixirung der Folgen der Verletzung der vertragsmäßig festgesetzten Verpflichtung zur Diligenz aufgefaßt worden ist, 1) 0f, S e u f f , Arch, N, XXVI I I Nr. 101 MF. 280 f, — siehe auch Entsch, d. R, O. H, G, v, 24,/IV 1871 , Üntsch, d. R. Q, H, N. V, 18/1 1873 (B, VI I I Nr, I M paß. 408 f,) 2) Nns D. H, G, N. Art, !»ü» setzt die Frist auf 5 Iahrc fest. Ebenso d. Holl. H, G. B, Art, 743, S p a n . H, « . B. Art, !»N7. 0 o ä e äy eon i , Art. 432 ( T e c k l c n b n r g pa^, 471), Kürzere Fristen gelten in H a m b u r g und B r e m e n 1'/,^2 Iahrc (Teck l cnbu rss z>, 472), I n R u ß l a n d läuft, falls keine dem entgegenstehenden vertiasssmäßigen Bestimmungen getroffen sind, die gesetzliche Veijährunsssfrist von 10 Jahren ol. p k in, rz , , i c i l o o. / I , o i i . 1878 ^ i 132. 243 Gegen die Auffassung als vertragsmäßige Abkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist haben sich wiederholt Ent- scheidungen der obersten Gerichtshöfe Teutschlands gewandt'), Der Ausdruck Verjährung, welcher in den betreffenden Be- stimmungen der Versicherungsbedingungen vorkommt, ist nicht recht am Platz und wohl zu unterscheiden von dem, was ju- ristisch als Verjährung bezeichnet wird. Bei der Verjährung im technischen Sinne des Wortes entsteht durch den Ablauf der Zeit oder durch Nichtgebrauch der Klage eine Praesumption für die Nichtexistenz des Klagerechts oder für die gehörige Erfüllung der gegenüberstehenden Verbindlichkeit^). Eine Verjährung in diesem Sinne können die betr, Ver- sicherungsbedingungen garnicht im Auge haben, namentlich in Ansehung der Gründe, welche zur Aufstellung dieser Straf- bestimmungen geführt haben. Die Verpflichtung des Ver- sicherten ist, wie ein Erkenntniß d, R, O, H, G, u, 18,/I 1873') betont, „nicht nach den Gundsätzen über Klagever- jährung, sondern einfach nach dem Vertragsrechte und nach dem vernünftigen Willen, welchen die Contrahenten bei Ein- gehung des Vertrages mit einer solchen Bestimmung haben verbinden können, zu beurtheilen," Aber auch der von vielen preußischen Gerichtshöfen') adoptirten Anschauung, als ob es sich hier um eine Bedingung handelt, kann man nicht recht beistimmen. Am ungezwungensten und der Natur der Sache entsprechendsten scheint mir die 1) Vrk , d, R. O, H. G. U. «,,1 1878 (V, V I I I Nr, 100 MF, 409 f,> E r k, des O b e r s t e n G e r i c h t s h o f s f ü r B a y e r n v, 11./VII 187l> (S e il f f. Arch, N. F. I Nr, 178), E r k. d, O b e r t r i b u n a l s i » S t u t t g a r d t r,, 7./II 1872 ( T e i l ff. Arch, XXVI I I Nr. 1U, p. 280 f,) 2) M a l s z G, g X I I I pnß, 478 f, 8) Entsch , d. M. O. H, G. V. VI I I Nr, 100 pass. 410, 4) G. Z. XI I I p. 479, B e r l i n e r O b e r ! r i l> ,l na l , A p p e l . G e r . N r o m b c r g :c. Gegen die Ausfasfunc, als Bedingung wendet sich eine E n t sch. d. R, O, H, G, U. 25../I I87I » 244 vom S t u t t g a r d t e r O b e r t r i b u n l l l ' ) und von M a l s z 2) vertretene Ansicht, daß die dem Versicherten auferlegte Verpflichtung als ein Ausfluß der von diesem dem Versicherer vertragsmäßig zu prästirenden Sorgfalt ist. Nicht in dem Ablauf der Zeit, sondern in dem vertragswidrigen Verhalten des Versicherten ist der Grund seines Rechtsverlustes zu sehen. Von dieser Voraussetzung ausgehend muß man zu dem Schluß gelangen, daß nicht schon die nackte Thatsache der Nichterfüllung der dem Versicherten auferlegten Verpflichtung den angedrohten Rechtsverlust nach sich zieht, sondern daß nur eine verschuldete Versäumniß, deren Vorhandensein in jedem Fall festgestellt werden muß, eine solche Folge bewirken kann. Gegen eine, den Bedürfnissen des Verkehrs nicht entsprechende und nach der hier vertheidigten Natur dieser Bestimmung, juristisch nicht zu rechtfertigende strenge Interpretation der „Verwirkungs- clausel" haben sich die obersten Gerichtshöfe Deutschlands ge- wandt'), da eine solche rigoristische Auslegung der betr. Bestimmung dem Zweck des Versicherungsinstituts und dem vernünftigen Willen der Contrahenten widersprechen würde. Zu derselben Anschauung bekennt sich das O b e r t r i b u n a l i n S t u t t g a r d t in einer Entscheidung v. ?./H 1872'), indem es sich wie folgt ausfpricht: „— Die Nichterfüllung jener Verpflichtung innerhalb der vertragsmäßigen Frist enthebt den Versicherer nicht unter allen Umständen feiner Verbindlichkeit aus dem Versicherungs- vertrag, sondern nur dann, wenn die Nichterfüllung eine Ver- letzung der vertragsmäßigen Sorgfalt des Versicherten enthalt. Ist daher die Nichteinhaltung.der festgesetzten Frist dem Ver- 1) Seuff. Arch. XXVIII I. «. 2) I n W. Z. XIII pax. 478. 3j D. R. O, H. G, Bd. II, IV, VIII. Der O b cr st e G e i i ch t s - Hof fü r B a y e r n , ol. M^. 243 Anm. 1 u. an and. Ort. 4) Seu f f Ar ch. XXVIII I. o. 245 sicherten nicht znr Schuld zurechnen, was übrigens der Letztere gegenüber der sich auf die Vertragsbestimmungen berufenden Versicherungsgesellschaft zu beweisen hat, so kann von einem Verlust des Anspruchs des Versicherten keine Rede sein. Jene Frist läuft somit nicht gegen den Versicherten, so lange das von diesem nicht verschuldete Hinderniß der Geltendmachung seines Anspruches gegen den Versicherer nicht beseitigt ist." "'"'^v/V/V/^/VVVV'^^''—.'' I n h a l t . Seite. ^, Einleitung 125» I, Vorwort 125 II, Quellen und Litteratur 180 III, Geschichtlicher Ueberblick 134 1. Aeußere Geschichte 184 2. Geschichte der Versicherung in Rußland , . , . 138 ». Die Seeversicherung 138 d. Die Feuerversicherung 140 o. Die übrigen Arten der Versicherung , . , 143 L, Die leitenden Principien 144 I. Der Vertrag 144 1. Begriff und juristische Natur des Versicherungs- vertrages 144 2. Die Arteu der Versicherung 152 3. Die Form des Vertrages 155 4. Die Perfectimi des Vertrages 159 II. Die betheiligten Personen und ihr Rechtsverhältnis; , , , 1V6 1. Subjecte des Vertrages 1U6 2. Die Prämie 1ü9 3. Das Interesse 174 4. Die Anzeigeftflicht 191 III. D e r Schaden 203 1, D a s Schadencrsatzprincift 203 2, Versicherungssumme u n d Vcrsicheruussswerth . . . 209 3, Uebervcrsicherung u n d DopftelUersicherung . . . . 2 1 2 4, B e w e i s u n d (Ermi t te lung des Schadens . . . . 220 5, Ersatz des Schadens 229 «68tu8 angesehen werden folle, gerechtfllmbst fürzuschreiben, damit solche Scntentien daralifch desto fester fundiren können. Womit:c, den 19. Dec, 1691." Ferner berufen sich einige Urtheile, gleich obigen Schrei- ben auf die gemeinen Rechte, auch des römischen Rechtes in Gestalt der lex Cornelia geschieht Erwähnung'). Von den deutschen Particularrechten scheint besonders das sächsische seinen Einfluß bis nach Livland geltend gemacht zu Habens, und mit demselben sind wohl auch Carpzow's Anschauungen hierher gedrungen. Sehr bedeutend ist der Einfluß der Kirche auf das Strafrecht, welchem sie ein religiöses Gepräge aufdrückt. Das Verbrechen erscheint, außer als Auflehnung gegen Gefetz und Recht, als Sünde gegen Gott, die Strafen als Mittel zur Versöhnung der beleidigten Gottheit. Wie solches in 1) Siehe § 20, Anhang, 2) Ebenda. 251 den Urtheilen mit den Worten, „und also wider Gottes Ge- bot . . , gehandelt", „um die geärgerte Gemeine zu versöhnen", Ausdruck findet und im I I . Kindermordsplacat d, a, 1684, wo es heißt: „und Gottes Zorn, der über Land-Reich, wegen sothaner groben Mißhandlungen gehet, versühnet und abge- wendet werden möge." Auch finden sich in den Urthei- len Hinweise auf das mosaische Gesetz, das von solcher Wichtigkeit war, daß es als Anhang dem schwedischen Land- recht in deutscher Uebersetzung angefügt war. Endlich ist noch als characteristisch für die damalige Zeit die Freiheit des Richters bei Zumessung der Strafe anzuführen. A l l geme ine r T h e i l . § 2 I . Zie Strafen. Als Zweck der Strafen tritt neben der beabsichtigten Versöhnung mit der beleidigten Gottheit und der Aufrechter- haltung des Friedens am deutlichsten die Vergeltung für die stattgehabte Rechtsverletzung und die Abschreckung hervor, was sich aus den häufig in den Urtheilen angewandten Wor- ten „ihm selbst zur wolverdienten Strafe und andern zum Exempel oder Abscheu", ergiebt. Grausamkeit kann dabei den Strafen im Allgemeinen nicht vorgeworfen werden, ja es zeigt sich das Bestreben die strengen Strafen der C. C. C. zu mildern, und ganz befondere Theilnahme erweisen die Richter dem jugendlichen Verbrecher, den sie durch mildere Strafe, Ermahnungen, Vorstellungen und Bedrohungen zu erziehen uerfuchen. An der Hand der weiter unten berück- sichtigten Criminalfälle gelangen hier einzelne Arten der To- des-, Körper-, Freiheits-, Vermögens- und Ehrenstrafen zur Besprechung. 252 § 3, ll. Die Todesstrafe. Bedroht wurden mit der Todesstrafe: Mord, Todt- schlag, Kindesmord, Verwandtenmord, einfacher Ehebruch be- gangen zum 4, mal, Bigamie, Incest innerhalb bestimmter Verwandtschaftsgrade, Sodomie und Notzucht. Die am häufigsten vorkommende einfache Todesstrafe ist die Enthaup- tung durch das Schwert oder Beil, Das Ertränken ist blos in einem Fall des Kindesmordes, (cf, ß 18,) als von der C. C. C, hierfür festgesetzte Strafe erwähnt. Die Strafe „des Feuers" in Gestalt der Verbrennung bei lebendigem Leibe, wie die C. C, C, und der schwed, Landlag sie für So- domie anordneten, hat hier nicht stattgefunden, wenigstens nicht als Strafe für die in dieser Arbeit behandelten Ver- brechen, Das Rädern oder die i>uca rota«, auch Rade- brechen genannt, kommt beim Verwandtenmorde zur Anwen- dung und ist zu den qualificirten Todesstrafen zu rechnen. Ausgeübt wurde sie bald von oben, bald von unten auf, in letzterem Fall foll, in Deutschland wenigstens, unvermerkte Erdrosselung vorausgegangen sein («f. Henke p«F, 422), Qualificirt wurde die einfache Enthauptung bei befonders schwerer Begehung der mit ihr bedrohten Verbrechen, durch nachheriges Verbrennen der Leiche des Verbrechers zu Asche, Flechten derselben aufs Rad, Ausstellung des Hauptes auf den Pfahl, oder auch durch dem Enthaupten vorhergehendes Abhauen der rechten Hand und Reißen mit glühenden Zan- gen, Letztere Arten der Schärfung hatten die erstgenannten, stets zur Folge, Das Flechten aufs Rad wurde nur bei männlichen Ver- brechern exemtirt, während die weiblichen an Stelle dessen verbrannt wurden. Aus den Ort der Exemtion kam es in sofern an, als in einigen besondern Fallen die Enthauptung in laou äslioli 253 stattfinden sollte. Die Todesstrafe konnte nicht in eine Geld- leistung umgewandelt werden. § 4, d. Körperstrafen. Die Körperstrafen wurden bei fahrlässiger Tödtung, Ehe- bruch, Incest in entfernteren Verwandtschaftsgraden, einfacher Unzucht:c. angewendet. Die am häufigsten executirte Strafe dieser Art, war die Ruthenstrafe, Sie bestand im Streichen mit Ruthen, wobei 2—3 Hiebe mit jeder Ruthe als ein Paar gerechnet wurden. Die geringste Strafe betrug 5 Paar Ruthen und griff bei einfacher Unzucht, für den weiblichen Verbrecher Platz, die höchste betrug 80 Paar, sie wurde aber nicht an einem Tage executirt, sondern in Zwischenräu- men von 8—14 Tagen, Die Ruthenstrafe scheint nicht nothwendig eine entehrende gewesen zu sein, wol aber war sie es, wenn sie vom Scharfrichter executirt wurde, sonst konnte, sie vom Hofesexecutor, Gerichtsprofos, und bei Kindern vom Vater vollzogen werden. Auch kam es auf den Ort der Exemtion an, als welcher bald der Platz vor der Kirche, vor dem Rathhllufe, der Schloßhof und bald der Schand- pfahl angeführt werden. Der Gassenllluf, der in der Strafordnung von 1653'), als Strafe des Ehebruch's erwähnt wird, scheint nicht ange- wandt worden zu sein. I n einem kgl, Rescript d, a, 1690 wird die Umwandlung des Gassenlaufs in die Ruthenstrafe ausdrücklich genehmigt. Die Landesordnungen enthalten außer dieser, noch mehrere Bestimmungen über die Berechnung des Gassenlaufs, doch wie bereits bemerkt, scheint derselbe hier nicht in Anwendung gekommen zu sein^), diese Bestimmun- gen sind daher auch nicht berücksichtigt worden. 1) cf, Lief, Landcs-Qrd., S, <>2 ff, 2 ) M ü t h e > , Handbuch des livlcindischm Kriminalrechts p«,^, 52. 254 Andere Körperstrafen, die sogenannten verstümmelnden Strafen, wie z, B. das Abhauen der Hand oder das Reißen mit glühenden Hangen, kommen nur als Nebenstrafen zur Verschärfung der Todesstrafe vor. Nach den berücksichtigten Urtheilen scheint die Körperstrafe in der Regel blos dann angewandt worden zu sein, wenn der Verbrecher unvermögend war. So leuterirt z, B. das Hofgericht ein Landgerichts- Urtheil, welches die Delinquentin nur zur Ruthenstrafe con- demnirt hatte „dergestalt, daß im Fall sie bey Mittel sein die ruten mit gelde lösen sollen," Sie war demnach haupt- sächlich Umwandlungsstrafe, wobei die Berechnung der Ruthen- hiebe in Geld, sehr schwankte und die Richter wol meist nach freien Ermessen berechneten, indem sie dabei die Verbrechens- gattung, die Art der Ausübung des Verbrechens, die Körper- liche Constitution des Deliquenten u, s, w. berücksichtigten, Weibspersonen wurden in der Regel mit weniger Ruthenhiebe als Mannspersonen für das gleiche Verbrechen gestraft. Auch wurde die Ruthenstrafe nie an einem fchwangeren Weibe executirt, Ueberhaupt konnten nur Bauern derselben unter- zogen werden, § 5 o. Die Freiheitsstrafen. Als solche sind hier Gefängnißstrafe bei Wasser und Brod, Verwendung des Verbrechers zu öffentlichen Arbeiten und die Landesverweisung anzuführen. Auch diese Strafen werden in der Regel im Urtheil erst in 2, Linie angedroht, wenn der Verbrecher kein Vermögen hatte, nur die Landes- verweisung macht hiervon eine Ausnahme, Bei der Um- wandlung der Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe scheinen auch keine bestimmten Regeln gegolten zu haben. So wurden z, N. bei culposer Tödtung in einigen Urtheilen 100 Thl. Schwed. der tägl, Arbeit auf einer Festung während Jahr und Tag gleich gerechnet, während 40 Thl, bei Tödtungsfällen 255 ähnlicher Ar t in 16 Wochen Arbeit „ in Eisen" auf einer Festung umgewandelt wurden. Die Verwendung des Ver- brechers zu öffentlicher Arbeit scheint auch nur bei Bauern angewandt worden zu sein. Denn Mich, Steinberg, der jedenfalls kein Bauer war, wurde für Tödtung in trunkenem Zustande zu 3 Monaten Gefängniß oder 150 Rthl,, und der wolmarsche Schuster Phil ip und die Anna Steger wurden für einfachen Ehebruch in 80 refp, 40 Rthl. oder 3 Wochen resp, 12 Tage Gefängniß bei Wasser und Brod verurtheilt, obgleich die Strafordnung von 1653 festsetzte, daß, im Fal l der Insol- venz, der Verbrecher zur öffentlichen Arbeit benutzt werden und falls keine solche gefunden wurde, die Ruthenstrase resp, der Gassenllluf eintreten sollten. Besonders schwer scheint die Gefängnißstrafe, die „ i n in-oknuäitHto tkurr is« stattfand, gewesen zu sein, mit ihr und nachheriger Landesverweisung wurde ein Notzuchtsversuch belegt. Die Landesverweisung hatte mit der Todesstrafe das gemeinsam, daß sie nicht durch eine Geldstrafe ersetzt werden konnte, und der zur ewigen Landesverweisung verurtheilte, sich der Kirchensühne nicht unter- ziehen mußte. I n Bezug auf Zeit und Raum unterscheidet man, einerseits die ewige Landesverweisung von der zeitlich beschränkten, und andrerseits die Verweisung aus dem ganzen schwed, Reich von derjenigen aus einer bestimmten Provinz oder einem bestimmten Districte. Bei den Sittlichkeitsverbrechen hatte die Landesverweisung besonders den Zweck, die betref- fenden Verbrecher von einander zu trennen. I n solchem Fal l wurde das Zusammenkommen der betreff. Personen, an sich, ohne daß sie anderweitig delinquirt hatten, mit Strafe bedroht. I n einigen Fällen scheint die ewige Landesver- weisung die Todesstrafe ersetzt zu haben, namentlich wenn der Verbrecher von Adel war und eigentlich seinLeben verwirkthatte'). 1) of. weiter unten. 256 H 6. cl. Die Vermigensftrafen. Die Vermögensstrafen wurden, in gesetzlich bestimmter Höhe, hauptsächlich beim einfachen Ehebruch, Incest in ent- fernteren Verwandtschaftsgraden und einfacher Unzucht, an- gewendet. I m Uebrigen wurden diese Strafen in der Negel in erster Linie angedroht und war es 'im Allgemeinen, mit Ausnahme der eben genannten Fälle, dem richterlichen Er- messen anheimgestellt, die Höhe der Geldstrafe, z, B, bei cul- poser Tüdtung, und die Umwandlung derselben in eine Frei- heits- oder Körperstrafe festzustellen. Diese Freiheit des Richters entspricht der Praxis in Deutschland, wo die Nam- bergensis gegen die Gewohnheit peinliche Strafen durch Geld ablösen zu lassen ankämpfte, indem sie dieses Recht den Ge- richten gänzlich entzog und es auf den Landesherr« übertrug') Diese bequeme Art der Rechtssprechung hat sich hier beim Mangel gesetzgeberischer Thätigkeit länger erhalten. Es ist sogar durch die Unuollständigleit der schwedischen Gesetze ge- wissermaßen diese Praxis anerkannt, wenigstens bestärkt wor- den. So bestimmt z. B, die Strafordnung von 1653, daß der Ehebruch mit 80 Dahl, S,M, belegt, oder, im Falle der Unvermögenheit, der Verbrecher zur öffentlichen Arbeit benutzt werden soll, ohne genauer das Verhältniß der Arbeit zur Geldstrafe zu bestimmen. Aus späterer Zeit finden sich in den Lllndesordnungen einige Bestimmungen über die Umwand- lung der Geldstrafe, doch reichten diefe nicht aus. So wird dem Dörptfchen Hofgericht auf seine Anfrage unter dem 13. Jan, 1690 geantwortet, daß arme adlige Personen, die die Geldstrafe nicht erlegen können, für 100 Dhl. S.M, 6 Wochen in Haft gehalten werden sollen, „an einem solchen Orte da man den Adel zu inhaftiren pflegt." Eine kgl. 1) H ä l s c h n e r , Geschichte des bmndenburg-preuh, Strafrcchts S, 87, 257 Resolution vom 30, Mai 1tt98 bestimmt, wie die Geldstrafe, von 8 Dhl, S,M. und darunter, umgewandelt werden soll. Zunächst soll die Züchtigung keine „sonderliche Schande" nach sich ziehen, ferner sollen, wenn der Verbrecher zur Arbeit ge- braucht werden kann, 9 Öre S.M, pro Tag abgerechnet wer- den (32 Öre machen 1 Dhl.). Die gewöhnlichen Gefangencn- gelder, im Betrage von 3 Öre täglich, sollen ihm aber zum Unterhalt gereicht werden. Bei mangelnder Arbeit, oder Unfähigkeit des Verbrechers zu derselben, sollte er ins Gefäng- niß gesetzt werden und für 24 Stunden oder einen Tag 20 Öre S,M, abgerechnet werden. Bei „merklicher Arg- und Bosheit" oder Rückfälligkeit, sollte der Delinquent der Ruthen- strafe unterzogen werden, wobei 3 Schlage mit einem Paar Ruthen gegen 2'/z Dhl, S,M, gerechnet werden sollten. Endlich sei hier noch die Zahlung des Wergeldes erwähnt, die in einigen Urtheilen aus dem Anfang der schwedifchen Periode angeführt ist. I m ersten der angeführten Urtheile ist gesagt, „daß der Knabe billig hart zu strafen sei . . . wann aber die gem. Recht in Iiuius inocli «asiliuZ solutionem v«riFeIäi verordnet , , , So wird er in Anerkennung seiner Jugend mit der poen akoiniciclii oi-dinaria verschont und zur Ruthen- strafe verurtheilt , . . Der Vater aber soll an statt des Wergeldes der Kirchen 300 Rthl, straaf erlegen und eine Abbitte thun und ein ehrlich Negräbniß ausrichten." Hierin spiegelt sich nun der Uebergang des Wergeldes in eine Zah- lung ad z>io8 st pndli«c>8 iimis. Der Knabe wird wegen seiner Jugend in eine außerordentliche Strafe uerurtheilt, weil aber das gemeine Recht soint. veriF8 ^uäioiklidu» ?rovinoiali3 ^luäioii Disti'iotu» ?llriiovi6n»i8. Die 14. ^ussuLti /Viiuo 1642 auf dem Hauß Karckus g, g,') Thomas Hinricson oontra Philip Buchams seinen Sohn Philip peinlich geklagt, daß er 8 Tage vor Iohannis Klägers Sohn von 12 Jahren mit ein Brotmesser im Hals zur lincken seit eingestochen, davon sein Sohn alsbald gestürtzt und todes ver- fahren, bat das Beklagter hinwieder nach peinlicher art möchte gestraffet werden. Peinlich Beklagter Philip ein Knab von 13 Jahren wil das factum, nicht gestehen, sagt sie haben unter einander ihr 3 Kinder gespielet, einer hinder dem ander her gelauffen und haben beede, Klägers Sohn und Beklagter ein bloßeß messer in der Hand gehabt, Beklagter sey aufm bäum I) Aus «nein Vandc: „Deutsche und schwedische Handschriften be- rühmt« Manner", Wanusci, fol, Besitzer C. v. Mtmar-Kerw. Orig. Papier, 8 Seiten sol, Siegel. 269 gelausten, der Entleibter aber gefallen und in sein eigen messer, welchen er in der Hand gehabt, gestürtzt, hierauf ge- rüsten, Ach helft mich. Ach helft mich. Da Beklagter vom bäum abkommen, hab er befunden, daß der entleibter Knab sich in sein messer, welches er in der Hand gehabt, selbsten eingefallen, von welcher wunde er kurtz hernach gestorben. Peinlich Klager Thomas Hinricson und sein weib fagen beede, das ihr Sohn, der entleibter Knab sich nicht in sein messer gefallen, besondere er sey von Beklagten durch einen vollen stoeß, den er ihm in den gurgel zur linken seit, so lang sein messer gewesen, gegeben, umbs Leben bracht worden, beruffet sich in diesem auf des webers Sohn Peter, welcher mit bey diefer thaet gewesen und alles angesehen. Der Zeuge Peter ein Knab von 10 Jahren ist darbey gewesen wie diese thaet geschehen, zeuget ein daß der Beklag- ter Philip Buchams Sohn deß Klagerß Hinrichson seinen Sohn Thomas ohn ursach im Spielen einen stoeß am Halß gegeben, davon er alß balt gestürtzt und kurtz darauf thodes verbliechen, "leßtis, der Knab Peter, dem Beklagter das Zer- brochen messer vorgezeuget und ihm ermahnet, er solte es nur nicht verleugnen, den der Knab wahr durch sein Hand und stoeß ums leben kommen, Beklagter bleibet darbey, daß der Entleibter sich selbsten in sein eigen messer gefallen, "lestis Peter des Webers Sohn, sagt es sey nicht anders geschehen, wie er vor erzehlet, den sie haben anfangs mit blasen messer spielend einer hinder dem ander hergelausten. Indem ist der Beklagter kegenst dem Entleibten ergrimmet und hab einen vollen stoeß von vorn ihm dem Entleibter in den haltz ge- thaen, davon der Entleibter thodes verblichen, Beklagter ist mit bedrauwung der rutten hart ermahnet worden, die Wahrheit zu bekennen. Worauf er den bekent, daß er zwar dem Entleibten das blosse messer an den hals gesetzet, der Entleibter aber hatte mit der Hand selbst drauf 270 sich den messer in den hals geschlagen. Der Zeuge sagt ihm beständig unteraugen, daß Beklagter es gethaen und das er dem Entleibten einen vollen stoeß gegeben, davor er umbs leben kommen, Beklagter gestchets entlichen das ers gethaen und das er dem entleibten Knaben gleich es Zeuge erzehlet gestossen und das der Entleibter durch sein saust und stoeß umbs leben kommen. Solche sein bekentniß hat er in Kegenwart des Klägers und seiner Eltern revetiret und wiederholet. Bat nebst sein Eltern, weiln er dennoch ein Kind, man nach der Scharffe des rechtens mit ihm nicht verfahren möcht, denn es wehr alles ohn fortsaetz und willen, den Knaben zu thöten von ihm geschehen. Auf interposition guetter leute haben des entleibten Kna- ben Eltern als peinliche anklägere sich ihrer habenden action wieder den beklagten Knaben begeben und sich erkleret weiln peinlich Beklagter noch ein Kind und Minderjähriger, als wehr ihnen mit des Kindes bluet nicht sehr gedienet, wan sie nur als benachbarte mit des Beklagtens Eltern in friede leben möchten und daß ihrem entleibten Sohne von des Beklagtens Eltern ein ehrlich begrebniß geschehen möchte. Hierauf peinlich Klügere nebst des Beklagtens Eltern an einander getreten sich die Hände geboten und friedlich mit einander zu leben angelobet, Weilen ex aoti» oi'iiuinaMu» und des i» Mnota iio- inioiäii peinlich beklagtens Knaben Philip Buchem seines alters ins 13. Jahr bekentniß wegen des an einem Knaben Thoms Hinricson seines alters 12, Jahren begangenen thoetschlages erhellet, daß beklagter Knabe zimlicher Massen excediret, danen- hero sein malitia, welche sein aewwin suppliren thuet billicher hart zu straffen, Wan aber die gemeine recht in Kuius moäi o3.8il»u8 »olutioiiem Ws i - i ^ä i verordnet, zumahlen peinlich Anklägere sich der action begeben und des Knaben bluet nicht 271 begehren. So wird Beklagter Philip Vuchemb in anmerckung seiner Jugend und Minderjährigkeit, in dem er nur 12 Jahr compliret, zwar mit der ordentlichen straef der thoetschläger vor dießmahl verschonet, annoch sol er wegen des groben be- gangenen excesses im gefengniß mit Nutten von seinem Vatter zimlicher massen gezuchtiget und nach ausgestandener straef und beschehener ernstlichen Verwarnung, sich nach diesem vor dergleichen bösen Handel zu hueten und wol vorzusehen, domit ihm nicht was ärgers widerfahren und begegnen möchte, das gefengniß erlassen worden, und sol beklagtens Vatter anstaet des Wehrgeldts der Kirchen zur straef 300 Rthlr erlegen und dem beleydigten und peinlichen Klägern an seines Sohn staett einer abbiett und dessen entleibten Sohn ein ehrlich begrabniß zu thuen schuldig sein. I m mittelst bleibet der beklagter Knab in Haft allhin, bis die leuteration erfolgt. V, R. W. Der Vatter des peinlich Beklagten hat auf 100 Rthlr, vor dem Sohn caviret und gelobet, ihn« alle zeit, wan es be- gehret wirdt, gerichtlichen einzustellen. Die Cllution ist angenommen und der Sohn des ge- fengniß erlassen worden. I m nahmen und von wegen des königl, landtgerichts Conrad Bellen, Assessor, Nelken, Assessor, Wolmar Schlippen- bach zu Nornhausen Ass, Dittei'atnr acl Lonvsntum OoiisFÜ Ioh, Flügell, Lon8Lntio P, Helmes. I^aossutatulu d. 30. 7^ llnnn 1642, Riga'). 1) Das Siegel unter Papierdeckcl, ist achtseitig, in der Mitte das Fa^ milieiiwapften, das Feld durch zwei Querballen getheilt, darüber der Hclm und zwei Flügel. Umschrift: Laiidlrichter Ernst von Mengden. (Ueber das Wappen c-tr, Klinssspur ?«, Vriefladc l, I!̂ 8), I m Juni l624 wird in Rostock iinmatricnlirt: Coniadns Vollen, NiFsn^i« I^vonus. olr, Nöchführ, Die Liuländer auf auswärtigen Universitäten. !>2 Nr, ,'>95. Ioh. von Flügeln f N><>2, Burggraf von Riga. ll>3!> wurde er zum Assessor des livl. Hofge richts ernannt, trat nber zurück als er ü>l8 Vicestindicus in Riga wurde, ,s>!M Uaudrath, cfr. Vöthfahr, Die LiUlNnder 92, Nr,'»W, iäem, Nig. Raths- 272 8 15, ä. Wahnsinn. Das im Wahnsinn resp. in Raserei (so lauten die acten- mäßigen Ausdrücke) begangene Verbrechen sollte nach den Ritterrechten keine Strafe, sondern blos einen Schadenersatz nach sich ziehen. Die beiden hierhergehörigen Urtheile stammen aus den Jahren 1696 und 97 und betreffen ein 3-faches koiuioiäiuiü, begangen von einem Wahnsinnigen, und einen in Raserei verübten Selbstmord, Neide Fälle sind im Oesel- schm Landgericht abgeurtheilt und in beiden Fällen wird das entsprechende Capitel aus dem Landlag citirt. Das Urtheil des Oeselschen Landgerichts „ in punoto eines 3-fachen Haini- «clii oonti-u, einen 6x iuwrvMo wahnsinnigen Menschen nahmens Nicolas Toscher, kraft dessen in^nisiw» von der Strafe des Hamiciäii dergestalt befreiet worden, daß seine Erben, welche von seiner Raserey gewußt und keine bessere Aufsicht auf ihn gehabt, vermöge 15 Cap. Dragm, balk , , . . wöda Landl. 9 Mark S, M. wödebort für ihn erlegeu sollen, schuldig erkannt wird, soweit die abgolutoria In^uisituiu be- treffen vom kgl, Hofgericht, doch, daß er, wenn er wieder zur Vernunft gelanget, wehrenden interv^iio zur Kirchenbuße an- gehalten werde, apvrobirt, wider In^uisiti Erben aber fol- gender Ursachen wegen leuterirt: weil sie vor begangener That eine solche Raserei von luyuisito nicht verspürt, denselben also zu verwahren nicht nöthig gehabt, viel weniger denselben aus der Verwahrung entkommen lassen und also das wider sie llllegirte Gesetz nicht zu avpliciren, so werden sie von der Geldbuße hiermit befreiet". Das citirte 15. Cap. des Landlag Tit. X I Von unuer- sehenen Todtschlägen setzt in seinem ersten Abschnitt fest, daß linie '74. Paul Helmes f Ili34 als Oberkämmerer in Riga, sein Sohn Paul wurde IN40 Beisitzer des livl. Hofgerichts und unter dem Nnmcn von Helmeisen I6 l3 in Schweden geadelt. Nöthführ, Livländcr 15>ü. Raths- linie Iliü. 273 wenn ein Mann oder Weib wahnsinnig wird, die Verwandten solches öffentlich abkündigen und eine solche Person, wenn sie ihrer habhaft werden können, eingeschlossen halten sollen, § 1 desselben Cap, handelt von Tödtung :c. seitens eines aus der Haft entkommenen Wahnsinnigen, resp, eines noch nicht in Haft gewesenen, doch muß sein Zustand den Verwandten be- kannt gewesen sein. Die Buße, die obiger § die Erben des Wahnsinnigen für eine Tüdtung zahlen läßt, beträgt 9 Mark und wenn die Abkündigung nicht zu erweifen ist, so sei die Buße um die Hälfte größer (das ist soviel gesagt als dop- pelte Buße, Cup. 3 § 1 Von vorsätzl. Verwundung), § I I handelt von der Buße, die für den Unsinnigen gezahlt wer- den soll, wenn er bei einer solchen That zu Schaden kommt. I n obigen Cap, ist also nur die Rede von der Haftung der Verwandten für die That eines Unsinnigen, dessen Zu- stand ihnen bekannt ist, daher konnte dieses Gesetz für diesen Fall nicht angewendet werden. Da ferner der Landtag keine Bestimmung für solche Fälle, bei denen den Verwandten der Zustand des Thäters unbekannt war, enthält, so hob das Hofgericht folgerichtig das Landgerichtsurtheil auf und sprach die Verwandten von jeder Hastung frei. Es wirkte eben auch damals der Wahnsinn schuldaus- schließend und befreite von jeder weltlichen Strafe, während die Kirchenbuße dem nur ox intsrvaiio Wahnsinnigen, felbst wenn er sein Verbrechen im Wahnsinne begangen hatte, nicht erspart werden konnte. I n Betreff der Folgen des in Raserei oder Melancholie begangenen Selbstmordes ist darauf hinzu- weifen, daß sich das Landgericht hier streng an die Bestim- mung des schwedischen Landlag gehalten hat. Do«. Iur. 2t. Vd, !, 1!̂ 274 Specieller Theil. Abschnitt I. Zie Uödtungsverbrechen. 8 16. Mord und Todschlag. Die Ritterrechte') straften nur das mit Absicht began- gene Verbrechen, während die fahrlässige Verletzung nur zum Schadensersatz verpflichtete, und der oasus, wenigstens bei Beschädigung fremder Sachen, ganz ohne Folgen blieb, Mord und Todschlag werden in altgermanischer Weise unterschieden, wenigstens wird eine offene, wenn auch mit Vorsatz verübte Tüdtung noch nicht als Mord, sondern als Todschlag bezeich- net und dem entsprechend behandelt. Dagegen scheint der Ge- brauch dieser Ausdrücke in der Folge schwankend zu werden. Das Wesentliche beim Mordbegriff war, wie W i l d a nachweist, die Verwerflichkeit der Gesinnung. Der Mord wird mit den schwersten Verbrechen zusammengestellt und dem ent- sprechend mit der schwersten Strafe, dem Rade, bedroht. Der Todschlllg ist im ältesten Ritterrecht nicht unter den todes- würdigen Verbrechen aufgezählt. Dem Einfluß des Sachfen- fpiegels ist es zuzuschreiben, daß der Todschlag als Ungericht behandelt und mit der Enthauptung bedroht wird. I n Reval machte der Codex von 1586 zwischen Mord und Todfchlag auch keinen wesentlichen Unterschied, indem er auch letzteren mit dem Schwerte bedrohtes. Es wurde sogar eine Tödtung aus Fahrlässigkeit im Anfang des 15. Jahr- hunderts hinsichtlich der Strafe dem Morde gleichgestellt. 1) Ä, l). F r e y m a n n , das Strafrecht der liulcindischcn Ritterrechtc in Dorp. Zeitschr. f. Rechtswissenschaft Bd. IX T. 2N!, 2) E. v, N o t t b c c k , d, alte Crimmalchronik Rcbals. Reval 1884, S, 27. 275 Mord und Tödtung im Affect wurden bis ins vorige Jahr- hundert gleich gestraft, d, h, mit dem Schwerte, und die ein- zige Unterscheidung äußerte sich in der Gxecution der Todes- strafe, welche beim Todschlag im Affect gewöhnlich auf dem Markt und nicht, wie beim Mord, in schimpflicher Weise auf dem Richtplatz unter dem Galgen stattfand. Zufällige Tödtung blieb straflos. Die C.C,C, erst unterschied im Art, 13? zwischen Mord, als vorsätzlicher vorbedachter' Tödtung, und dem Todschlag oder vorsätzlichen Tödtung im Affect, und strafte ersteren mit dem Rade, letzteren mit dem Schwerte. Was nun die Praxis in der schwedischen Periode an- langt, so kann hier vorausgeschickt werden, daß zwischen dolus, culpa und «Ä8U8, wenn auch nicht in genügender Weise, so doch unterschieden wurde. Es verschwimmt einerseits die Grenze zwischen «ulpa und oto. zmi'rioiciii oontra einen Mentzischen Erbbauern Kasfake Jahn, verdient der Erwähnung, Es ist unter den gesammelten der einzige Fall der Anwendung des Rades von unten auf, vielleicht, weil es sich in easu um die Ermordung eines Ascendenten handelte, denn für die übrigen Fälle des Verwandtenmordes finden sich gewöhnlich die genaueren Be- nennungen, als uxorioiäiuiu, Mtrioiäiuui :c, entweder allein oder neben dem Ausdruck Mriioiäiuin. Das betreffende Urtheil des Landgerichts lautet: „Daß er mit dem Rade durch Zerschlagung seiner Glieder von unten auf vom leben zu thode gebracht, der leib aufs Radt an der Heerstraßen in looo äelioti geflochten, und daß beil, womit er den ersten schlagt 280 gethan, über dem körper angenagelt werden soll" Das Hofgericht bestätigte dieses Urtheil. Ferner scheint ein Fall eines Brudermordes auf die Anwendung der C.C.C. zu deuten. Es ist folgender: „Auf angestellte peinliche Anklage Ober- aävooati üsoi Georg Wittings otra. Hans Böckelmann Leut- nandt wegen eines muthwillig verübten bruder-Mords er- kennt das kgl. Hofgericht in koo oruäeli88iiuo äsliot« cisiin. für Recht. Weil peinl. angeklagter H. B. Gottes u. Menschen Gebot, ja die natürliche Rechte und alle brüderliche Liebe aus den Augen setzend anno 1670 seinen leibl. Bruder Jochim N. vorschlich und meuchelmördischer-weise vor dessen eigenen Hof- pforten, nachdem Er ihn in freundschaft ausbitten laßen, mit der Pistohlen grausamblich übern Haussen geschossen und ent- leibet, nach solchem vollbrachten Mordt davon geritten und sich lllsoforth mit der Flucht salviret und darinnen ungeachtet der ergangenen säiotaloiwtion allhier zu erscheinen auch ordentlich dreiymahligen anschlages und abrufes, verharret und sich nicht gestellet, sonder «outnmaoitsi- außen blieben; alß wird Er wegen sothaner abscheulichen Cainsthat in die darauff ver- ordnete strafe, nemblich, wenn Er zur Handt gebracht würde, daß er in Außführung zuvorderst 2 mahl mit glüenden Zangen gerissen, hernach enthauptet und andern zum Abscheu und Exempel der Kopf auf einen stecken gesetzet, und der Körper aufs Rad gestechten werden solle. Hiermit verdamet und als ein Flüchtiger prosoribii-et :c. :c." Die C.C.C. bestimmt im Art. 13? gegen Ende, bei vorsätzlichem Mord an nahen gestppten Freunden :c., daß durch etliche Leibesstraffe als mit Zangen reißen . . . . die Todesstrafe verschärft werden follte. Die ganze Behandlung des Verwandtenmordes laßt auch eine Aehnlichkeit mit den sächsischen Oou8titutic»uen nicht in Abrede stellen. Ooustiwtio IV, 3 ') bestimmt nämlich zu- 1) H Th, Schielt«, Constitution«! Äuchirst Augusts Uon Sachsen S, 3,7. 281 nächst den Begriff der Verwandten genauer als die C.C.C, und unterscheidet sodann in Bezug auf die Strafe zwischen ll) dem an Ehegatten, Ascendenten und Descendenten, und b) dem an anderen Verwandten begangenen Morde, Für den ersteren Fall setzt sie die Strafe des römischen «uleus even- tuell die des Rades, nach Befinden mit Schärfung durch Zangenrisse fest; für den anderen Fall aber die Strafe des Schwertes, geschärft durch vorherige Schleifung zur Richtstätte, I n den Hofgerichtsvrotocollen finden sich auch einige Fälle des Brudermordes, die blos mit dem Schwert gestraft werden, 8 18, ! l . K i n d es m o r d . „ I m Vertrage mit den Oeselern vom Jahre 1241 findet sich die einzige Bestimmung über Kindestödtung'). Die Strafe besteht in 3 Oeseringen und Züchtigung. Die Mutter soll nämlich an 9 Sonntagen nackt auf dem Kirchhof gezüchtigt werden," G, v, Nottbeck fchreibt über die Entwickelung des Kindes- mordes in Revlll^): „Der Kindermord, d. h, die Tödtung eines unehelichen Kindes seitens der Mutter gleich nach der Geburt, wurde, im Gegensatz zur modernen milden criminal- rechtlichen Anschauung, in früherer Zeit als Verwandtenmord, Mrrioiäiuin, aufgefaßt und ' in Reval urkundlich fchon seit dem 15. Jahrhundert mit dem Feuertode gestraft. I m 17, Jahrhundert pflegte man jedoch auch bei diesem Verbrechen die Verbrennung durch Enthauptung zu ersetzen, nach welcher der Körper der Hingerichteten Delinquentin auf der Richtstätte verscharrt, das abgeschlagene Haupt aber oftmals auf einem Pfahl ausgestellt wurde. Ein Placat der schwedischen Regierung von 1684 brachte hierin einige Veränderungen hervor. 1) H, U, Frenmcmn, d, Ttmfrecht der lwläüdischcn Rittcrrechte S, 2. 2) E, v, Nottbcck, d, nlte Criminalchrmük Nevals S. 28. 282 Die deutsche Praxis faßte den Kindesmord als qualisi- cirtes Verbrechen auf, erst die C.C.C. fetzte mildere Bestrafung desselben im Artikel 131 fest. Sie will bestimmt diese Tödtung neugeborener, unehelicher Kinder, wenn sie von der Mutter begangen wird, nicht nach den Grundsätzen des Verwandten- mordes, sondern gelinder bestrafen. Schon daß sie dieser Tödtung im Art. 131 besonders erwähnt, da sie doch im Art. 13? allgemeine Bestimmungen über den Verwandtenmord fest- setzte, beweist, daß sie hier Besonderes bestimmen wollte, und aus der Strafe des einfachen Grtränkens, die sie dafür an- ordnet, geht hervor, daß sie diesen Mord nicht qualificiren wollte. Eine Zeit lang folgte die deutsche Praxis der Carp- zovfchen Ansicht und erkannte auf Ertränken mit den Thieren; bald aber wurde es außer Sachsen ganz allgemein, die Thiere wegzulassen, und wo es kein Wasser gab, theils auf das Rad, theils auf das Schwert, bald mit, bald ohne Schärfung zu erkennen. Nach und nach ging aber die Praxis an vielen Orten, so namentlich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Würtemberg, ganz zur Schwertstrafe über, in älterer Zeit häufiger mit, fpäter gewöhnlich ohne Schärfung, wie wol sie an manchen Orten noch lange zwischen Ertränken, Rad und Schwert schwankte. Die zu dieser Arbeit verwendeten und den Kindesmord betreffenden Urtheile lassen sich, in Bezug auf die Bestrafung und die daraus refultirende Wahrscheinlichkeit für die An- wendung eines bestimmten Rechtes, in 2 Gruppen theilen. Die Erste umfaßt die Urtheile bis 1680, dem Jahr des Er- lasses des ersten Kindesmordsvlacates, die Andere die Urtheile von da ab bis zum Jahre 1709. Wenden wir uns zunächst zu den Urtheilen vor 1680. 1) „Uf die, vom kgl. Hofgericht, aus dem zu Koken- Hausen gehaltenen Landgerichte, eingeschickten Acten und darauff den 22. Jul i k. a. eröffnete Sentenz in z»ow. eines Kinder- 283 Mord, erleutert das kgl, Hofgericht solche Sentenz dergestalt, das Thäterin die Magd Ilse mit dem Beil -vom Leben zum Tode soll hingerichtet werden, V,R, W. Dorpat den 2. Sept, 1631." 2) „ I n peinlichen Sachen wider G. O, in M o . intun- tieiäii erkennt E, E, Rath , , , , vor Recht, daß weil peinl, Beklllgtin unterschiedlich gestanden und bekannt, daß sie Märten in ihres Herrn Diensten und Brot Unzucht betrieben, ein Kind von demselben empfangen und, nachdem sie eines lebendigen und vollkommenen Mägdleins genesen, demselben ihres Vor- tuchs Schnur um den Hals geschlungen und dasselbe, als es, ihrer eigenen Bekendtniß nach, den Mund noch gerühret, also gelebet, unmenschlicher Weise in einen abschewliche Heimlichkeit geworffen und solches Kind der heiligen Taufe beraubet, aus welcher Heimlichkeit es dann auff gerichtlichen Befehl todt gnommen, daß sie also einen unchristlichen Kindermord be- gangen ; als soll sie vermöge Göttlicher und weltlicher Rechte, ihr selber zur wolverdienten Straffe, andern aber zum Schrecken, lebendig in einen Sack gestecket, ins Wasser gestürtzet und also vom Leben zum Tode gebracht werden," V. R, W. Dorvat 6, Nov. 1641 '), 3) „Was vom Landgericht wendischen Kreises den 3. Jul i abgewichenen 1656 Jahres wegen iniuisitiu B. u. d, W. iu punLw geklagten inkantioiciü und ärgerlich geführten Lebens eingekommen, leuterirt das Hofgericht nach steißiger solch gestalt, daß in^uigitin auf denen, iu aoti» befindlichen i'atiuilious, wegen ihrer begangenen Uebelthat porpstua re1c>> xatioiie billig zu strafen sey, maßen sie denn hiermit so wol des Fürstenthumbs liesiand, alß auch des gantzen Königreich's Schweden bothmäßigkeit zu ewigen Zeiten verwiesen wird. V. R, W, Revlll den 1, Julius 1657." 1) OsenbrilMn, Theorie und Praxis des Iw-, est und mrländischcu Crimmalrechts. Doiftat 1840. 2 . W. 284 4) Endlich noch ein Fall, in welchem die Beklagte eines lebendigen Kindes genesen war, es umgebracht und dadurch der Taufe entzogen hatte, sie sollte dafür mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden. Nach diesen Urtheilen scheint der Kindesmord in der Regel mit dem Tode bestraft worden zu sein. Die einzige Landesverweisung, die in einem Falle erwähnt wird, ist wol als Ausnllhmestrafe für bevorzugte Stände aufzufassen und entspricht dem Geist jener Zeit, der dem Adel sehr weitgehende Vorzüge einräumte, auch liegt darin wieder ein Beweis für die Ungebundenheit des Richters, Die Strafe des Ertränkens weist direct auf die Anwendung der C,C,C,; doch scheint auch diese Strafe nur ausnahmsweise einzutreten, während die Praxis sonst zur leichteren Todesstrafe des Enthauptens neigt, die ja auch in Deutschland bald an die Stelle des Ertränkens getreten war. Hier mag sie verhältnitzmäßig früh Eingang gefunden haben, da sich hier durchweg das Bestreben geltend machte, die strengen und grausamen Strafen der C,C,C, zu mildern. Ferner geht aus diesen Beispielen wie aus allen übrigen der Einfluß der Kirche auf das Strafrecht hervor. Esfcheint fast, als fei das Verbrechen fo fchwer strafbar, weil das be- treffende Kind durch den gewaltsamen Tod dem Schoos der Kirche entzogen worden war, ' Die zweite Gruppe der berücksichtigten Urtheile gehört dem Zeitraum von 1680—1709 an. Gerade in dieser Zeit kam das Verbrechen des Kindesmordes trotz der Strenge, mit welcher die schwedische Regierung gegen dasselbe vorging, sehr häufig vor. Ein Beleg dafür, daß die Härte der Strafe nicht das geeignete Mittel ist, um dem Uebel zu steuern. Die Kin- desmordsplacate von 1680 und 1684 richteten sich ausschließ- lich gegen die Tödtung unehelicher neugeborener Kinder, darauf weifen die Worte im ersten Placat „daß ein solch Weib, die 285 dergestalt durch unzulässige Vermischung sich schwanger befin- det", welche im zweiten wiederholt werden, wo außerdem die Mutter noch als „leichtfertiges Weibsstück" bezeichnet wird, Die Tödtung ehelicher Kinder war ja auch im Landtag Tit, von schweren Halßsachen, Cap. I I , als qualiftcirter Mord vor- hergesehen. Das zweite Placat ist eine Ergänzung des ersten und hat wie dieses einerseits den Zweck, dem Richter für „solche dunkele und zweifelhafte Fälle" eine Richtschnur zu sein, so daß er dabei in seinem Gewissen sich nicht „befchwert befindet", wenn er solche Personen zum Tode und Feuer uerurtheilt, andrerseits den Zweck, durch die strenge Bestrafung des ein- gestandenen und namentlich praesumirten Kindesmordes und durch die Publication des Placats, in den Gerichten und von den Kanzeln, abschreckend auf das Volk zu wirken und so dem Verbrechen zu steuern. Weitergehend als die C,C,C,, die verheimlichte Schwan- gerschaft und Geburt als genügende Indicien zur Anwendung der Tortur anerkannte, stellt das Placat von 1684 den prae- sumirten Kindesmord dem eingestandenen resp, bewiesenen gleich, indem es außer dem Letzteren noch als solchen bestraft, die Geburt eines durch unzulässige Vermischung erzeugten Kindes, wenn dasselbe vollkommen ausgebildet war, die Mutter aber die Schwangerschaft verheimlicht und die Frucht aus dem Wege geschafft hatte, wenn auch das frühere Leben und die erfolgte Tödtung sonst durch nichts erwiesen war. Die hierauf bezüglichen Worte des Placates lauten: „daß die Weibsperson, welche sich solcher gestalt, durch unzulässige Vermischung be- schwert befindet, und solches vor der Geburt niemand offen- bahret, Einsamkeit bei der Gebührt selbsten fuchet und nach der Gebührt es verheelet, derselben foll ihr vorgeben vor des Todes-Straffe nichts helffen, daß die Frucht todt gebohren oder nicht vollenkommen gewesen, insonderheit wenn die Frucht 286 nicht, sobald sie zur Welt gekommen, von ihr zum Vorschein gebracht, sondern auff eine oder andere Manier aus dem Wege geleget wird, so daß man an den Gliedmaßen der Frucht merklich spühren kann, ob dieselbe vollenkommen gewesen sei oder nicht", Osenb rüggen bemerkt zu diesem Placat'): „obgleich Carl X I erklärt, ein Richter könne sicher und mit gutem Ge- wissen eine praesumtive Kindesmörderin zum Tode und Feuer verurtheilen, haben doch schon seit langer Zeit mit gutem Ge- wissen die Richter alle Mittel benutzt, welche das Kindermords- placat selbst zu seiner Umgehung an die Hand giebt". Ob aber die Richter schon in der schwedischen Periode dieses ge- than haben, darüber geben die Urtheile keinen Aufschluß, Als Beleg dafür, daß seit den Kindermordsplacaten die Gerichte sich nach denselben richteten, folgen einige Beispiele aus der damaligen Zeit, So wird das Urtheil des dürpt, Landgerichts zu Lais otrll. „ M , S, tochtern pcw inkautioiäii, welches selbige zum thode des Schwerdts und daß der Körper hernach verbrannt werde condemnirt, in totuin vom Hosgericht apvrobirt. 1680". Ebenso verurtheilt das Landgericht rig. Kreises am ?. Oct- 1680 die Magd Gerde zum Thode durchs Schwerdt und daß der Körper hernach zu Asche verbrannt werde und das Hof- gericht bestätigte das Urtheil, Nas kgl. Landgericht pernauschen Kreises contra Michels Tochter Ann in poto. 2-fachen inkmtioiäii urtheilt 1702 „daß der Büttel ihr das Haupt abschlagen und nachmahls selbiges nebst dem Körper verbrennen soll". Has Hofgericht leuterirt: „daß der Inquisitin wegen dieser grausamen That und doppelten Kindermords andern zur Warnung und Bei- spiel ihr selbst aber zur wohlverdienten Strafe, zuvor die 1) Theorie u. Praxis des liv- est- u. curl, Crimincilrechts I S. 21, 28? rechte Hand an einen Pfahl und der Kopf oben aufgenagelt, der Körper aber in Asche verbrannt werden soll." § 19. 4. C u l p o s e T ö d t u n g . Die Ritterrechte sowohl, wie das fchwedifche Landrecht, stimmen insofern überein, als die culpose Tödtung nicht mit einer Capitalstrafe belegt werden sollte. Hinsichtlich der Strafe liegt aber die Verschiedenheit vor, daß das livländische Ritterrecht die Erlegung des vollen Wergeldes verlangt, das schwedische Recht nur die halbe Mannbuße, Buddenbrock bemerkt zu jener Bestimmung des Ritterrechts, „daß an Stelle des Wehrgeldes willkürliche Geldstrafen aä z>ic»8 usus ge- treten sind." I n 2 Urtheilen aus dem Jahre 1631 wird der zmuow kolllioiäii Angeklagte mit der oräiii. posua verschont, aber, des Excesses wegen, in eine Zahlung von 100 Thlr. schwed, condemnirt. I m Falle der Unvermögenheit sollte die Strafe in Arbeit aus einer Festung umgewandelt werden. I n beiden Fallen ist zum Schluß erwähnt, „doch daß er die Verwand- ten wegen ihres Interesse contentire," 1632 wird ebenfalls der Thäter „weiln ex aotis her- vorgeht, daß er nicht vorsätzliche Entleibung gethan und da- hero nr6. posua nicht zu straffen sei, in 100 Rthlr. schwe- disch dem Gericht zu zahlen" condemnirt. Von einer Zahlung an die Verwandten ist in diesem Fall nicht die Rede, was seinen Grund darin haben könnte, daß der Vater des Ge- tödteten, dem als Nächst»erwandten das Wergeld zu zahlen wäre, vom Gericht „fast als Ursache" der Tödtung angesehen wird, weil er die Cur nicht gestattet hatte. Die folgenden Urtheile in Fallen culposer Tödtung stammen aus den Jahren 1688—97. I n keinem derselben ist mehr eine Zahlung an die Verwandten erwähnt. I n einem 288 Fall (et. weiter unten) wird für die Tödtung eines Kindes der Thäter in 400 Dahl, Strafe verurtheilt, während nach den Ritterrechten die Tödtung eines Kindes keine criminelle Strafe, wohl aber die Zahlung des vollen Wergeldes zur Folge hatte. Andere Fälle und zwar mehrere fetzen für lic>- miciäiurn culposs eine gleiche Strafe fest, nämlich 10 Paar Nuthen. Es handelte sich hier um Bauern, Der die unvor- sichtige Tödtung des Kindes betreffende Fall ist folgender: „Oberftscal contra Cornet in pcto. koiuiciäii: demnach pein- licher Ankläger wie zu Recht gültig nicht erwiesen, daß An- geklagter, das im Hofe Linden erschossene Kind, aus Ueber- muth entleibet: Sondern vielmehr aus den in actis befind- lichen Umstanden zu schließen, daß Peinl, Angeklagter, ange- gesehen er nicht nur damahls mit dem erschossenen Kinde ge- schertzet, sondern auch vorher mit dessen Mutter einige Feind- schaft oder Mißverständniß nie gehabt, des Vorsatzes ein solch Unglück anzurichten, und ein unschuldig Kind, so I h n nicht erzürnen können, ums leben zu bringen, nicht gewesen; über- dem auch die Zeugen deponiren, daß derselbe, nachdem der tödtliche Schuß geschehen, also fort eine merkliche Reue seiner Unvorsichtigkeit bei sich sehen lassen, imgleichen, daß Er des vorigen Tages dem Lindenhoffchen Cubbias, Als er von ihm der Pistohlen halber befraget worden, daß sie nicht geladen waren, geantwortet; Alß wird peinl, angeklagter bey solcher bewllndtnis zwar n. puenn iioin. nräiu. absolviret. Aldiweil aber demselben „gebühren wollen, bey solchen gefährlichem Gewehr größere Vorsichtig- und Behutsamkeit zu gebrauchen, in welchem Falle, und wenn peinl, Beklagter die Pistohlen nur recht besichtiget, sowohl des acturis oOoiosi, alß des fürm rigischen Landvoigteiglichem Gerichte abgehörten Zeugen Meinung nach, dieses Unglück nicht würde erfolget fein. So wirdt dllnnen hero Beklagter, als durch dessen versehen ein Licht ausgelöschet worden, welches kein Mensch wieder an- 289 zünden kann, desfalls in 400 Dahl, S, M , Straffe, die Kirchenbusse vorbehaltlich, wie auch in Erstattung der Gerichts- kosten nach richterlicher inoäsrlltion condemnirt, V. R, W." Hieraus scheint nun hervorzugehen, daß am Anfang der schwedischen Periode bereits die culpose Tödtung mit einer außerordentlichen Geldstrafe belegt wurde, die in ihrer Höhe dem Wergeld gleich kam und dem Gericht zu entrichten war, außerdem mußten aber noch die Verwandten in der Regel befriedigt werden, wobei es den Parteien überlassen gewesen zu sein scheint, ein Abkommen unter einander zu treffen. I n späterer Zeit scheint der Vergleich mit den Verwandten des Getödteten nicht mehr obligatorisch gewesen zu sein, wenigstens wird im Urtheil seiner nicht mehr erwähnt; die den Thäter treffende Strafe scheint ganz dem Ermessen des Richters über- lassen zu sein, der dann seinerseits bei der Zumessung der Strafe die Vermögenheit des Thäters in Betracht gezogen haben mag. Die Geldstrafe scheint auch eine Vergünstigung für Personen bevorzugter Stände gewesen zu fein, da sich mehrere Fälle finden, in welchen der Thäter ein Bauer war, und in denen die Ruthenstrafe Platz griff und zwar 10 Paar Ruthen am Sonntag an der Kirchenthüre, Doch konnte auch die Rutheustrafe bis 25 Paar erhöht oder bis zu 6 Paar gemindert werden, wie Tiefenhausen angiebt. I n allen Fällen culposer Tödtung fand die Kirchensühne Anwendung, tz 20, 5- S e l b s t m o r d. Der Selbstmord soll nach dem Vertrage mit den Oesc- lern von 1255 straflos bleiben. I m Grunde erscheint er nach den Ritterrechten als ein Verbrechen, da der Anstifter zum Selbstmord einer Bestrafung unterliegt')," >) of, H, v, F r ^ y m n ! ' ! ! . d, Ttmfr, d. lwl, Ritterrechtc. S, 265,, Der», zur, Et, Bt, I, >9 290 I n Reval hinterließ, nach G, v, Nottbeck '), der Selbst- mord für die Erben des Selbstmörders keine vermögensrecht- lichen Nachtheile, sondern hatte die Abführung und Bestattung der Leiche des Selbstmörders auf dem Schindanger zur Folge, Selbstmörder, bei denen Irrsinn präsumirt werden konnte, erhielten dagegen ein ehrliches Begräbniß, Der schwedische Landtag faßte den Selbstmord als Ver- brechen auf, was aus der Behandlung desselben im Titel, von schweren Halssachen Cap, I V hervorgeht. Er bestimmt, daß die Leiche des Selbstmörders nach dem Walde geführt und auf einem Holzhaufen verbrannt werden sollte. Die Note dazu bemerkt, heutzutage wird derjenige, der sich selbst entleibt, nicht mehr verbrannt, sondern vom Scharfrichter weggebracht und entweder im Galgenberge, oder sonst ander Orten begraben. War der Selbstmörder absinnig geworden, so daß er sich vor keiner Gefahr zu hüten gewußt, so sollte er zwar in die Erde, jedoch außerhalb dem Kirchhof begraben werden. Die Erkenntnisse in Selbstmordsällen, die mir zur Ver- fügung gestanden haben, datiren aus dem Ende der schwedischen Periode und sind sämmtlich in Oesel gefällt worden, wo es mit der Ginführung der fchwedischen Gesetze besonders genau genommen wurde, wenigstens finden sich in Urtheilen aus Oesel häufig Capitel aus dem Landlag citirt, während in den Gerichten des übrigen Livland solches in der Regel nicht ge- schah, wenn nicht ausdrücklich die Anwendung des schwedischen Gesetzes von der Regierung angeordnet worden war. Es sind aber auch in den Selbstmordfällen die betreffenden Capitel aus dem Landtag angeführt und nach ihnen erkannt worden. So bestätigt das Hofgericht das zur Leuteration einge- fandte Urtheil des öselfchen Landgerichts „inhalt dessen In- 1) Die alte Cnminalchruiiit Nevals. 2 . 29, 291 <^ui8iw für eine die ihrer Sinnen, wegen der schweren hitzigen Krankheit und Raserei, nicht bemächtiget gewesen, erkandt und derselben Leiche, nach Inhalt Capitel 4 hogmählßb, (von schwären Halssachen) in L, L, und der königlichen Kirchen- ordnung gemäß auf dem armen Kirchhof nordseits, gewöhnlichem Gebrauch nach ohne einige Cere.nonieen beerdigt zu werden uerurthcilt ist," 1702. Dasselbe Landgericht urtheilt in poto. in-aplioiäii oonti-a, C, Ms, Tochter Gerte, „daß der Büttel Inquisitin abschneiden und im Busch verbrennen, oder nach jetziger Praxis im Morast vergraben soll," Das Hofgericht bestätigt das Urtheil 1696, Die C,C,C. scheint für den Selbstmord nicht angewendet worden zu sein. Nach derselben (Art, 135) zieht der Selbst- mord Rechtsfolgen nach sich, wenn er dolos begangen wurde, um sich der Todesstrafe und der Vermögensconfiscation zu entziehen, A n h a l l g. Besonders interessant ist folgender Fall einer Tödtung, in tnmultn ot i'ixa wie es im Urtheil heißt, nicht nur wegen der Erwähnung der Î ox (^m-nolia und der Verwendung des Wergeldes aä i>io8 ot ^udlico» usus, sondern besonders wegen der Aehnlichkeit der Beurtheilung eines derartigen Falles mit den Bestimmungen des sächsischen Rechtes, insbe- sondere der Constitutionen, Das Urtheil lautet: „ I n ange- stellter peinlicher Lotion königl, Oberfiscalis Kläger, an einem, gegen und wider T, und H, W,, I , I , T,, O, W, Sch, und M, G, Beklagten, am anderen Theil, wegen des in anno I(">41 in tnmultn et i-ixn. entleibten 8tn6io8on Iosephi Uts- beccn erkennet das königliche Hofgericht nach fleißiger ^oKnit. für Recht: dem nach ox lioti« und dem gerichtlich aufgenommenen «m'ntinio n,n«toi'oin oooti8 nicht haben, vom llotoi'u derselbe auch, wie fleißig er sich deswegen be- 292 mühet, nicht noiuiniret werden können, und Beklagte als oom- Iilioes tumultus et i'ixae, obgleich Ihnen solches z>oi' »enteu- tiain auferleget, denselben zu lontiren mit der Unmöglichkeit sich oxcusiret, dennoch aber das ooi-^u» äelicti offenbar, und Menschen blutt vergossen worden, welche That ohngestraffet nicht bleiben mag; Als sollen nach Verordnung der Rechte, nach dem in solcher Zweiffelhafften that die ooinpIiasZ poeua oi-äinln-ia Oorneli^ nicht beleget und angesehen werden können, Beklagte und eoin^lices tuinultn et lixao dieses mit einem Wergeld, so aä piog et ^u^licos U8U8 verwandt, auch ein theill des entleibten Eltern oder Freunden zugekehret werden solle, zu büßen, und ein Jedweder derselben Zwcyhuudert Reichsdal dem Königlichen Hoffgericht zu erlegen und gegen künftige Sommerjuridica einzusenden schuldig sein; dahero aber solche gelder von einem oder andern alsdann nicht ein- gelieffert würden, soll der ungehorsame temi»niÄi loisssatione ohnfelbar beleget werden, M, H, belangend, weiln bericht ein- kompt daß derselbe in einem treffen geblieben, wird die kanni- Latio uff denßelben Person, bis gewisser Nachricht von chm eingebracht, ob er lebendig oder todt hiermit susponäii-ct; campensati» expensis V. R, W," Die Ooiistitutio 7 ') ent- hält blos einen Zusatz zu der bekannten Bestimmung des Art, 148 der C,C,C., welcher dahin geht, daß, wenn man den Ur- heber der tödtlichen Wunde nicht erforschen könne, alle Ver- letzenden arbiträre Strafe erleiden follen. Die wittenberger Dikasterien erklärten, daß sie solchen- falls auf ein Wehrgeld erkannten, obwohl sie hierin nicht mit der älteren sächsischen Praxis im Ginklang seien. Die Oon8titutio V I I lautete: „Wenn ihrer viel auf einen zu und denselben zu todt schlagen, und man nicht wissen I) I c h l c N c r . Die Loustitutwnen Kmfiiist Augusts Um, Tachscu. S. 3!9. W3 kann, aus welches Verwundung der Verstorbene umkommen, so sol dißfalls fleissige Erkundigung des Thäters halben ge- nommen, und da wider einen inäicia, die zur scharffen Frage genugsam vorhanden, anst denselbigen die Tortur gesprochen werden, Da es aber an dem anstände, so sotten sie alle im Zweifel, mit der Tortur nicht belegt, noch auch am Leben gestrafft, sondern in willkührlige Geld-Buß, Gefängniß, neben Erlegung des Wehrgeldes, und Erstattung der Gerichtskosten verurtheilt werden, jedoch wo es sich befinde, daß Gliche nicht mit zuge- schlagen, Unschuld billich," Dasselbe bestimmen auch „Sämptliche Fürstliche Magde- burgische Ordnungen und Mandate Cavit, X X X V " die 1673 im Druck erschienen. Die Aehnlichkeit der Behandlung dieser Fälle ist so groß, daß man sich der Annahme nicht ver- schließen kann, hier das sächsische Recht wiederzufinden. Ferner ist folgender Fall einer Körperverletzung mit tödtlichem Ausgang der Anführung werth. Leider ist der Thatbestand auch hier so kurz angedeutet, daß blos Ver- muthungen ausgesprochen werden können. Ein Urtheil des Landgerichts rigischen Kreises in poto. Komioiäi^ otrll. A, I , , einen Notbenschen Bauern, welches den Inquisiten von der noen. Iioinioiä. oräia. befreit, leuterirt das Hofgericht dergestalt: „nachdem des ?rafs83ori8 und vootori» ineäioiuae Braun Mcliciurn über die von dem Oki- rulKd Vossbeck attestirte Qualität der Wunde, eingeholt, daß, weil der angeklagte den erschlagenen Buschwächter, derselbe dem Vorgeben nach, den: angeklagten im Busche sein Pferd pfänden wollen und alfo nicht in ll«ta illicita sond, in Verrichtung seines Amtes begriffen gewesen, sich nicht allein wiedersetzet, sond, auch mit einem Neil von hinten in vor- sätzlicher Weise einen solchen Schlag auf den Kopf gegeben, daß des Onirulß'ii und zweier Studiofen endlich vsriüoirten. 294 lltte8tato nach die Wunde inoui'llbe^ der geschlagene auch von Anfang bis zu seinem Absterben in äoliric, gewesen und die linke Seite gleich als wie vom Schlage gerührt unbeweglich geblieben, erwähnte Pros, Braun auch gleichfalls die Wunde inouradol erklärt, als ist derselbe daher auch mit der zwon» Iiomioid. ai'äw. zu belegen, wie er denn auch hiermit durchs Schwert vom Leben zum Tode gebracht und äeeoUn't zu werden uonclemnirt wird." Es ist möglich, daß der Thäter die Absicht gehabt hat den Buschwächter zu tödten, doch erscheint es mir ebenso wahr- scheinlich, daß er, in der Absicht sich der Pfändung zu entziehen, auf den Buschwächter losgehauen hat, ohne die directe Absicht gehabt zu haben ihn zu tödten. Die Worte „in vorsätzlicher Weise einen solchen Schlag auf den Kopf gegeben" würden dieser Annahme nicht im Wege stehen. Die Nothwehr war ausgeschlossen, da der Buschwächter in Verrichtung seines Amtes gewesen. Daß der Thäter sich sagen konnte und mußte, daß ein Schlag mit dem Beil auf den Kopf des Gegners dessen Tod herbeiführen könne, liegt außer allem Zweifel, Somit wären die Voraussetzungen für den äolus inäireetn» gegeben, welchen ich auch in diesem Falle als Bestimmungs- grund für das Hofgericht zur Verurtheilung in die poonii oi'äin. der Todtschlllger ansehen möchte. Die Lethalität der Wunde und die Waffen, mit welchen solche Wunden beigebracht waren, wurden als Judicien für den dolus angesehen, Abschn i t t I I . Sittlichkeitsverbrechen. 8 21. 1. B i g a m i e . I n den Ritterrechten ist dieses Verbrechen nicht beson- ders vorgesehen, doch läßt sich daraus, daß alle Sittlichkeits- 295 Verbrechen in damaliger Zeit sehr streng beurtheilt wurden und namentlich der Ehebruch mit Enthauptung bedroht wurde, entnehmen, daß falls dieses Delict überhaupt vorgekommen sein sollte, es wohl nicht minder streng, schon wegen des meist damit verbundenen Ehebruches, gestraft worden sein wird. I n Reual belegten die alten (̂ oclicLs dieses Vergehen mit einer Geldstrafe von 10 Mark und bei Insolvenz milder Strafe des Schuppestuhls, erst der Codex von 1586 bedrohte dies Verbrechen mit Enthauptung'), Die ausführlicheren der gesammelten Urtheile sind: 1) „ I n peinl, Sachen D, W, in assistenz kgl, Oberfiscals Klägern an einem, wider I , T, peinl, Beklagten in?«to. bi- gllmie andern theil, erkennet das kgl, Hofgericht auf einge- brachte Klage, gegebene Antwort , , , . zu recht, daß Beklag- ter seines Verbrechens und mißHandlung halber, vermöge Schwedischen rechten durchs Schwert vom leben zum Tode solle gebracht werden, V, R, W." I m Anschluß an dieses Urtheil ist weiter gesagt, daß D. W, die erste Gemahlin des I . T, sich mit ihm in eine „Transaction" eingelassen habe und solche auch abgeschlossen habe; ferner, daß sowohl I , T . für sich selbst als auch die D, W, für ihn um milde Strafe gebeten haben. Letztere namentlich „weil ihr mit ein Handvoll blutts wenig gedient" und es ihr nur darauf ankommt, daß „sie das ihrige bekehme". Der Fiscal fagt nun darauf „So ist »doch dies Transaction Mi'i superiori nichts praejudicir- lich". Nachdem dieses im Protocolle wiedergegeben, fährt es fort: „Weiln nun aber auf daß fo die heilige Justiz erfordert, und auf die gar bösen OonLLliuentien so insonderheit in diesem lande erfolgen könnten, sehen müsse, als hat man den rechten ihren gebührlichen lauff gelassen, und ist also vielgenannter T, seiner groben Mißhandlung halber mit dem Schwert vom 1, (5, v, N ^ t t b c c k , DK a. Crmi,-L!,r, Ncvals Z, 2 l . 296 leben zum Tode gebracht worden". Der Oberfiscal führt in seiner Klage gegen den T, an: „Wann denn dieses eine hohe peinl, Sache und in den geist- und weltlichrechten, wie auch dem schwedischen Lagebuch oap. 4 t. 10. Iwin in OaroU V peinliche Halßgerichtsordnung enthalten, daß solche äoliow supreino supplicio sollen gestrafft werden, alß fordert er und bittet wider solchen Verbrecher was rechtens zu erkennen und ein solch Exempel an ihm wegen eines solchen groben äelioti zu statuiren, daß andere einen Abscheu dafür tragen". Beim Citat „Cap, 4 T. 10" liegt offenbar ein Schreib- fehler vor, da weder der Stadtlag noch Landlag an der Stelle über Bigamie handelt, wol aber ersterer inCap. 3 t, 10, letzterer in Cap. V t, 9. Obiges Urtheil datirt aus dem Jahre 163? d. 25, Jan, 2) 1678 wird vom Landgericht zu Wenden der biF»uiu8 M. K. zur Enthauptung, sein zweites Weib zum Streichen am Pranger durch den Scharfrichter und nachheriger Verwei- sung aus dem gräfl, District verurtheilt. Das Hofgericht be« stätigt das Urtheil in Netreff des M. K., in Betreff des Weibes aber leuterirt es, daß sie nur im Beisein des ersten Weibes mit 12 Paar Ruthen gestrichen, nicht aber relegirt werden soll, 3) 1695 leuterirt das Hofgericht ein Landgerichtsurtheil in i>«to. intmdirter bigamie, welches den vermeintlichen di^lliuns und das betreffende Weib zu Ruthenstrafe verurtheilt: „daß nemblich derselbe weiln das äeliotuni pro siiuplioi aäuitoriu nicht allein zu halten, sondern vielmehr auf eine Bigamie hinausläuft, indem an der Vollziehung des ooi^uFÜ nichts mehr als die von ihm selbst gesuchte, aber von: Priester ver- weigerte Kopulation gemangelt, mit 20 paar Ruthen vom Scharfrichter gestrichen und darauf des Landes ewig verwie- sen werden soll. I n Betreff des Weibes bestätigt das Hofge- richt die Ruthenstrafe, Inquisit war Bauer, ^ 2 9 ^ 4) 1700 wird ein ähnlicher Fall vom Hofgericht derge- stalt leuterirt: „Daß luguisitus, weil Er , außer dem in Fellin begangenen Ehebruche, sich vor erfolgter Ehescheidung von seinem in Stralfund getrauten Weibe, mit einer anderen öffentlich verlobet, dieselbe beschwängert und auch bereits die priesterliche ouzmiktion mit selbiger gesucht gehabt, welche oopulation auch, wenn immitelst nicht das Gerüchte eingekom- men, daß sein erstes rechtes Weib annoch im Leben were, er- folget sein würde, als einer der 2 Weiber gehabt, maßen an seinem Theile nichts daran ermangelt, am Leben zu straffen sei, gestallt er denn auch hiermit seiner S ü n d e halber an- dern zum Exempel und Beispiel, ihm selbst aber zur wolver- dienten straffe zum Schwerdte damit vom Leben zum Tode gebracht zu werden condemnirt wird." 5) 1709 leuterirt das Hofgericht ein Urtheil des rigischen Landgerichts, welches den der Bigamie angeklagten Bauern I , D, zur Enthauptung verurteilt, „daß InhuisiwZ, zumahl durch die weitere uuterfuchung dennoch keine völlige Gewiß- heit heraus gebracht werden können, daß eine reelle fleischliche Vermischung des In^uisiti mit der ihm angetrauten L, ge- schehen sei, und luhuisit darauf besteht, daß er blos ob mutuuiii kHutoriuin weiln er alt und ein Bettler sei, dieses Weib geheirathet habe, «, zweua «räiuaria zu befreien sei, wie er auch hiermit befreiet wird. Dahingegen foll er durch den Büttel an« pranger ausgestrichen und darauf des Landes auf ewig verwiesen werden." Aus dem, in der oben angeführten Klageschrift des Fiscals enthaltenen Passus, in welchem er die C. C. C. an- führt, geht wiederum hervor, daß die C. C, C. auch hier zu Lande einen fo weitgehenden Einfluß auf das Strafrecht ge- übt hat, daß selbst der Fiscal, der gewissermaßen den Richter in Bezug auf die Anwendung der Gesetze zu controliren hatte, sich auf die C. C, C. berief. 298 Das Hofgericht führt im Urtheile nur das schwedische Recht an, während es doch zu Anfang dieser Periode in der Regel nur dann die schwedischen Gesetze anwandte, wenn das betreffende Gesetz auf Grund höherer Anordnung in Livland gelten sollte. Unter anderem mag der Grund hierfür die gleiche Behandlung der Bigamie in der C, C, C, und im Landlag gewesen sein, die beide die Enthauptung für dieses Verbrechen festsetzen. Nach den angeführten Urtheilen scheinen die wesentlichen Erfordernisse des Verbrechens der Bigamie gewesen zu sein, eine zu Recht bestehende Ehe, als welche auch eine, bei nach- gesuchter Scheidung, noch nicht geschiedene angesehen wurde, ferner der mit dem zweiten Gatten verübte Beischlaf und die Vollziehung der Copulation durch den Priester, Das Zusammentreffen dieser sämmtlichen Requisite in jedem einzelnen Fall, zog für den Thäter die Todesstrafe nach sich. Waren alle Requisite mit Ausnahme der priesterlichen Copulation, die aber beim Priester nachgefucht fein mußte, vorhanden, lag also cauatu» in-axiiuu» vor, so trat nach den gesammelten Urtheilen in einem Falle (3) Ruthenstrafe und ewige Landesverweisung, in einem anderen (4) Todesstrafe ein. I n letzterem Fall scheint mir der Eintritt der Todes- strafe aber dadurch begründet, daß der di^ainu» außer dem einen, wie es scheint von diesem Fall unabhängigen, Ehebruch begangen hatte; die Regel somit die wäre, daß der Versuch milder als das vollendete Telict der Bigamie bestraft wurde. I m zuletzt unter 5 angeführten Urtheil ist die Rede von einem Fall, in welchem alle Requisite bis auf den mit der 2-ten Frau vollzogenen Beischlaf vorlagen. Hier wird nicht nach dem Landtag') gestraft, der sür einen derartigen !) Landlng Cnp, V Tu , I X i n : Vn3 schwedische «and, und S!ad!- recht 17» »9. 299 Fall blos die Zahlung von 40 Dhl, S. M, verordnet, sondern der Fall wird wie die vorhergehenden wegen Mangels des einen Requisits auch als Versuch angesehen und dem ent- sprechend mit Ruthen und ewiger Landesverweisung bestraft. Aus dem ersten Urtheil geht endlich noch deutlich hervor, daß ein Vergleich zwischen dem digainns nnd dem ersten Gatten den Eintritt der Todesstrafe nicht hinderte, 8 22, 2. E i n f a c h c r E h o b r u ch. Zur Zeit der Nitterrechte wurde der Ehebruch mit Ent- hauptung bestraft, I u Reual wurden seit dem 15, Jahrhundert Geldbußen und Freiheitsstrafen «erhängt. Später griffen die im Codex von 1586 vorgesehenen Beahndungen Platz, das heißt Geldstrafe oder Ausstellung an, Pranger und Ausweisung, Nie den Ehebruch betreffenden Urtheile sind folgende: 1) „Die deni königlichen hoffgerichtc außm Trikatischcn ') Landgerichte den 24, Jan, dieses 1633 Jahres eingeschickten !iew, einen Pauren B,, deßen Eheweib noch im leben, so mit einenl anderen Weibe Ehebruch und Hurerei getrieben, und drei Kinder in Unzucht mit derselben gezeuget, betreffend, und was daselbst den 19, Jan, oiusdom erkannt worden, erleutert das königliche Hoffgericht dergestallt: das der Paur V, am pranger gestrichen werden, eine öffentliche Kirchen Sühne thun, und der Kirchen 20 Thall, Sch, erlegen soll. Das ledige Weib aber soll ihrer Verbrechuug nach an dem pranger ge- strichen, und des landes verwiesen werden, V, R, W , den 15, Märt, 1633," 1) Vic Landrichter Ware» verpflichtet zweimal jährlich am 1. Wai und am Tage »ach Michaelis Gericht zu halten, und zwar in dm wichtig- stcn Schlössern, Vgl, Pros. H a n s m a n n s Mittheilniig in TchuuaMe- richte der Gelehrten Estuischeu Gesellschaft, D^rpat 1892 2,70 n, R i c h t e r , Geschichte der rnss, OstseeftruUinzcn I I 2. 2!)2—97. 302 gar jungen Menschen ehebrüchiger Weise sich mehr mahlen fleischlich zu vermischen keine Scheu getragen, wodurch sie sich gar schwer und grob wider göttliche und weltliche Rechte ver- brochen und gesündiget, auch dadurch gedoppelte Leibes Straffe voll verdienet auch damit wirklich zu belehgen wehre; So wird sie jedennoch in der besond, Anerkennung, daß sie viele Jahre, ihren Ehestand mit einem ganz uontraotsn und un- vermögenden Kerl zugebracht, der auch seiner Gebrechlichkeit halber, Siechen-Hause unter Ronneburg gelehbet, und sein Lehben beschlossen, und dahrbenehben in der oonLiäoi'lltinn, daß dem ansehen nach ihr alß einem säugenden Weibe die exll8p6i-ii-to und verdoppelte Ruthmstrafe auszustehen zu un- erträglich fallen wi l l , und sie in Gelde die Straffe zu erleh- gen unbemittelt ist, zwei Sonntage nach einander an: Halß- Eyfen bei der Ronneburgfchen Kirche unter wehrendem Gottes- dienst zu stehen und jeden Sonntags vor öffentlicher Gemeine nur mit 10 paar Ruthen durch den Schloßexecutoren nnd den Jahn in anertennung seiner Jugend auch mit 10 paar Ruthen gestrichen zu werden «onäoinnii-t. V. R, W," 1689, Außer diesem Urtheil fanden sich noch andere aus späteren Jahren, die ganz kurz angegeben waren und mit den Bestimmungen der Strafordnung von 1653 überein- stimmten. Ob sich auf diesem Gebiete auch die Einflüsse der CCC, und in welchem Maaße, geltend gemacht haben, läßt sichn icht aus dem vorliegenden Material bestimmen. Das schwed. Recht scheint sich vielmehr bald Eingang und Geltnng auf diefem Gebiete verschafft zu haben. Als Grund dafür ist wol die, in den Landesordnungen abgedruckte, Strafordnung der Kö- nigin Christina und die, im unter 2, angeführten Urtheil, wiedergegebene „Ilssolntia in similiduZ" zu betrachten, so wie die hierdurch eingeführte mildere Bestrafung, welche gegen ein Zurückgreifen zu den früheren strenger strafenden Quellen 303 gewirkt haben mag. Welche Gründe das Hofgericht veranlaßt haben mögen, im unter 1, angegebenen Urtheil, das unter demselben Datum im Protocolle eingetragen war wie das unter 2, folgende, der küuigl, liesulutio in »iniilibus nich zu erwähnen, entzieht sich der Beurtheilung, Die Gerichte entscheiden im Allgemeinen nach den in den Strafordnungen enthaltenen Vorschriften, wobei einige Abänderungen in Bezug auf die Umwandlung der Geldstrafe in die Ruthenstrafe vorkommen, was auch mit darin feinen Grund haben kann, daß in den betreffenden Fällen blos die Landgerichtlichen Urtheile und nicht die Leuterationen des Hof-Gerichts vorliegen, die Praxis aber in den verschiedenen Gerichten eine verschiedene war. I n dem dritten der ange- führten Fälle begegnen wir einer, allerdings für dieses Ver- brechen in der Strafordnung vorgesehenen, aber anders ge- meinten Strafe, die wol wieder in Ansehung der Person des Verbrechers, eines Adeligen, angewandt wurde. Interessant sind ferner die beiden Urtheile in denen der Ehebrecher zur Alimentation der im Ehebruch erzeugten Kinder verurtheilt wird. Man sieht daraus, wie die Richter nach freiem Ermessen ihren Spruch den Verhältnissen anpassen und es dem Nerurtheilten leicht zu machen suchten, indem sie den Lanomaun zur Zahlung der ^,1in«mts in Natnra,, den Handwerker in Geld veranlassen. Auch der unter 6 angeführte Fall liefert einen Beweis für die richterliche Ungebundenheit bei Strafzumessung, Wo in dieseni Fall ein Grund für Strafschärfung nach der Straf- ordnung vorliegt, nämlich Ehebruch begangen zum zweiten Mal, sieht der Richter einen Strafmilderungsgruud darin, „daß sie viele Jahre mit einem ganz oontraoton und unver- mögenden Kerl zu gebracht , , , , und darbenehben in der oonsiäei-ation, daß dem ansehn nach ihr alß einem säugenden Weibe die oxasperirto und verdoppelte Ruthenstrafe anszu- 304 stehen zu unerträglich fallen will," und verurtheilt sie zur Ausstellung im „Hlllßeisen" und je 10 Paar Ruthen an 2 Sonntagen. I n einem anderen Fall, der in demselben Land- gericht abgeurtheilt worden, soll die Weibsperson nach ihrer Entbindung mit der üblichen „20 Paar Ruthenstrafe" belegt werden, ohne daß ihr die Gunst zu Theil wurde, obgleich sie dann auch ein säugendes Weib war, die Ruthenstrafe auf 2 Sonntage vertheilen zu dürfen. Jedenfalls geht aber daraus hervor, daß an einer Schwangeren keine Leibesstrafe executirt wurde. Nach der erwähnten Strafordnung von 1653, die sich auf frühere Resolutionen beruft, stellt sich das »implox »clui- teriuln dar, als der außereheliche Beischlaf einer in der Ehe stehenden, mit einer unverheiratheten Perfon, und zieht für den verheiratheten Theil als Strafe die Zahlung von 80 Dhl. S. M., für den unverheiratheten 40 Dhl. nach sich. I n Er- mangelung des Geldes, sollte zunächst Arbeit eintreten, falls auch solche nicht gefunden werden konnte, sollte der verheira- thete Mann 6 mal, der unverheirathete 4 mal Gassen laufen, während die Weibsperson vor der Gerichtsstubenthür mit Ruthen gestrichen werden sollte, jedoch nicht vom Scharfrichter. Den ersten Rückfall traf doppelte Geldstrafe resp, 9- maliger Gasfenlauf, den 2-ten 3fache Geldstrafe resp. 9ma- liger Gassenlauf und Relegation auf 6 Jahre, § 23, 3. I n c e s t . Die den Incest betreffenden Urtheile sind folgende: 1) „ I n Sachen des entlaufenen Blutschänders A, N, wie auch Mayes einer Dirnen oder Tochter auß Kohrtens Gesinde, welche mit obgenannten A. N., ihrer leiblichen Schwester Mann, sowol vor, alß nach gehaltener Hochzeit in Unzucht gelebt und ein Kind mit ihm gezeuget, Wirt allem Gin- und Vorbringen nach, auch in erwegung aller Umbständen, 305 und ihrer eigenen freiwilligen und beständigen bekändniß zu Rechte erkanndt: das dieselbe Blutschänderin Maye Kohrtens Tochter andern zum Abscheu, mit dem Schwerdt oder Beill vom Leben zum Tode soll gebracht werden, 8a1va tainen roioi'mntians et a^prodationc! des königlichen Hoffgerichts zn Dörpaht, , ," Das Urtheil ist unterschrieben von Engebcrt u, Mengden Landrichter und Wilhelm Mecke Assessor, Auf der Rückseite des Urtheils ist, offenbar im Hofgericht, aufge- schrieben „Ist i'08o1vii-6t." Jedenfalls ist dieses Urtheil, wie aus einer anderen Notiz hervorgeht, vom Hofgericht bestätigt worden; datirt aus dem Jahre 1633 den 8. Martins, 2) 1695, Das vernausche Landgericht oti'li. einen banern Matz in M o . mit feines Weibes Schwester Kaue begangenen Incestus, verurtheilt den Inquisit, zum Tode durchs Schwert, das Hofgericht leuterirt folgendermaßen: „daß weil die tönigl, Strafordnung wegen Blutschande sich auf diesen «asuin nicht appIioirLn läßt, die erkannte Lebensstraf kein statt habe, sond, Inhuisituij davon zu adsolviroii sei, der Sachen Umstände wegen, aber daß solch äeliotuin ouin siiuMoi -niulterio be- gangen, in 20 Paar Ruthen womit er durch deu Scharfrichter am Pranger gestrichen und des Landes ewig verwiesen werden soll, ooucleinuii't wird," 3) 1696. Die vom königlichen Landgericht auf Oefel in ^oto. iiicestuV et liäulterii otni. O, P's Wittwe Madlen aus dein Peudcschen Kirchspiel aä lentoranäom eingelangte lson- tenx, welcher nach I». NoU, Uil!2, und ist in den Livl. Lanocsorduunssen unter dem Va- tmn ihrer Publication enthalten. Am 7. Jan. UW3 wurde dieselbe laut «nein unter dem gleichen Tatmn im Hofgerichlsprutocolle enthaltene!!! Vermerk i» genannter Vchb'rde »erlese». 2) T c h l e t t e r , Coust. Kurfürst August v, Sachsen, E. 5W, '20' 308 schwägerten in gerader und im I, Grade der Seitenlinie, und dann bald lebenslängliche, bald temporäre Landesverweisung beim Incest zwischen entfernteren Verwandten und Ver- schwägerten, Auf diese Autorität Carpzov 's hin nahmen dann, weil man eben auch das neueste römische Recht für sehr zweifelhaft hielt, die Schriftsteller nach ihm und die Praxis, um eine feste Grundlage verlegen, das an, was C a r p z o u über das sächsische Recht behauptete, umfomehr, als er meinte, auch ein nichtsächsischer Richter werde hier in der Nc- folgung des sächsischen Rechtes doch wohl nicht unrecht haben, besonders aber weil man die Todesstrafe in den angeführten Fällen durch das Mosaische Recht für begrün- det hielt. Erst durch die, iu den Landesordnungen enthaltene Ver- ordnung (hl, S, M, beträgt. 309 während es sonst in die verordneten 80 Dhl, S, M, ver- urtheilt '), entzieht sich der Veurtheilung, Das Verbrechen des Incestes kam während der letzten Decennien der schwed, Regierung trotz ders trengenB estrafung verhältnißmäßig häufig vor, ß 24, 4. S c> d o in i c. Unter Sodomie verstand man zu jener Zeit, sowol die Paederastie oder Loclonna intiono 8exus, wie aus dein unten unter 1, angeführten Falle hervorgeht, als auch die Sodomie im engeren Sinne oder »oäainia ratiouo ^ouori8. I n älterer Zeit wird die unnatürliche Unzucht blos im Vertrage mit den Oeselern vom Jahre 1255 erwähnt. Den Schuldigern trifft „nach ihrer Sitte" Landesverweisung und seine Güter fallen an die Erben')," E, u, Nottbeck fchrcibt hierüber"), „dieses Verbrechen ist den: lübischen Recht fremd, Der erste Fall in unseren Quellen vom Jahre 1484 wird daselbst als ein ungewöhnlicher bezeichnet, Der folgende vom Jahre 1494 beansprucht, abge- sehen von culturhistorischem Gesichtspunkt, schon deshalb ein besonderes Interesse, weil er im Verein mit der oben er- wähnten Bestrafung eines Falschmünzers den Grund zu eine«! blutigen Kriege Russlands mit Liuland gab, Ueber- haupt pflegte man in Reval im 16, Jahrhundert dieses Ver- brechen möglichst vor dem Publicum zu verbergen. Die Strafe war der Feuertod, welcher nicht nur den Verbrecher sondern auch das Thier traf. Das canonifche Recht ord- nete die Tödtung des gemißbrauchten Thieres an, damit durch 1) C. v. T i e > e n h a u s e n in Mittheilungen aus dein Gebiete der Geschichte M ' Es!« und llurlandö I I , p, ?!, 2) H. U, Freymann, d. Strafr, der livl, Ritterrechte E, 28!, 3) E. U, Nottbeck, d, alte Criin, Lhr, Nevals 2 , 24, 310 dasselbe nicht die Erinnerung an die Unthat fortlebe. Factisch wird wol ein anderer Grund diese Maßregel hervorgerufen haben, denn nach dem alten Aberglauben schreibt man die Erzeugung der Wärwölse dem unnatürlichen Geschlechtsum- gange zwischen Menschen und Thiere zu. I m 17, Jahrhun- dert pflegte man bereits nach Milderungsgründen zu suchen, um den Deliquenten erst die mildere Todesstrafe durch's Schwert zukommen zu lassen, vordem man seinen Körper ver- brannte. Ebenso wurde das mißbrauchte Thier vorher „form Kopf todt gehauen" und dann erst verbrannt," Me Urtheile aus der schwedischen Periode sind folgende: 1) „ I n erhobener peinl, Anklage königl, Oberfis, Georg Witting otra. A, B, (ehemal. Assessor eines kgl, Landgerichts dörpt, Kreises) in pot« Zoäoniiao wird vom kgl, Hofgericht in do« tain nolautissimo delicto zurecht erkannt und ausge- sprochen, daß obwohl in Heilig-Göttlicher-fchrifft, denen natür- lichen auch löblichen königl, Schwedischen Liefländifchen und allgemeinen beschriebenen Rechten und Satzungen, solche Un- Nllthürliche, abscheuliche und in der Christenheit fürnemlich aber dieser Örter unerhörte That bey hoher Leib und LebenZ- strafe ia bey strafe des Feuers hart und ernstlich verbothen; dennoch peinlich angekagter A, B, deßen alles ungeachtet und aus den äugen setzend bereits etzliche Jahr vor dem Mosco- witischen einfllll auf einem Hoffe nicht weit von Dörpt ein solches knoiniuauels äoUotuin mit seinem eigenen Bauern nahmens Michell committiret, und nunmehr nachdem es kundt und lautier worden sich auf flüchtigem Fuße gesetzet auch da- rinnen, ob er gleich endlich per «cliotnrn zu erscheinen cittiret, dreimal angeschlagen und fürgerufen worden; ganz boßhaftig- lich verharret und sich nicht gestellet, sondern oouwinlloitoi- außen blieben; Alß wird er wegen sothaner schändlichen und gräulichen That, in die ordinarstrafe der Sodomiten hiermit 311 condemniret und verdammt und alß ein flüchtiger vrosoribii-ok.,. V, R, W, 1665, I n einem Schreiben des Hofgerichts „An den Herrn General-Majoren und Landshövding Andreas Koßkull", in welchem es um Execution bittet, heißt es „Alß wird der Herr General Major die Verordnung thun, daß die Execution noch diese Woche wertstellig gemacht, dem condenmirten (A. B,) nemblich zuforderst, das Haupt abgeschlagen und er darnach Verbrand, ihm aber solches zuvorn, sich zum thode bereit zu halten, angedeutet werden möge". 2. „Was das gräfl, Landgericht wendischen Bischofthumbs zu Wolmar den 15, May 1680 in pcto. Hoäaini»« wider eines Bewerhofschen bauern Sohn, Peter knecht namens Martz da es den selben, daß er zuförderst enthauptet und hernacher sambt dem Cörper der Kühe, wenn dieselbe zuerst mit der Keul zu Thode gebracht, verbrandt werden soll, condemnirt, erkandt und ausgesprochen, solches wird vom Hoffgericht ap- probirt." 3. Das Urtheil des königl, Oesel, Landgerichts in M o . in8nnu1atlw ßaäoiuiao oti-a. einen Jungen aus. dem Peude- schen M, C, I , wird vom kgl, Hofgcricht dahin leuterirt, „daß nach denen aus Oesell introducirten Schwedischen Ge- setzen und Gebräuchen Inquistt aus den in 8ontsntia ange- führten Actenmäßigen Urfachen vom Gerichtsprofos mit 6 Paar Ruthen gestrichen werden danegst die Kirchensühne untergehen, und sodann in dem gewöhnlichen Eisen mit ein halbjähriger publiquer Arbeit bei der Arensburgschen Festung beleget wer- den soll, V, R. W," 4. Das Urtheil der in Nitau niedergesetzten Commission, in i>«to. 8oä«mint!> welches den Inquisiten zur Todesstrafe und nachherigen Verbrennung verurtheilt, leuterirt das Hofge- richt dermaßen: „daß (im Falle oontin Krügcrsknecht Klawe), da es nicht völlig erwiesen, daß das 6s1iotuin vom Inquisi- ^ 1 2 ^ ten völlig vollbracht sei, so soll er neben der Kirchensühne zu 15 Paar Ruthen und anbei noch auf 2 Jahr aä opsi-as pu- d1ion8 die er im Halßeisen verrichten soll condemnirt sein". Die Stute soll aus dem Wege gebracht werden, 1705, Das Verbrechen der Sodomie wurde fowol nach der C. C. C, als nach dem schwedischen Landtag mit Feuer bestraft, aber sowol die deutsche Praxis als auch die schwedische (ok, Landtag Tit. IX. og,ii. X I V not« d) milderten diese Strafe, indem nach denselben der Verbrecher erst enthauptet und dann verbrannt wurde. Namentlich war es Carpzov 's Ginfluß zuzuschrei- ben, daß bei der 8oäoin. rations ssxu8 in Deutschland die Schwertstrafe eintrat, während erst im 18, Jahrhundert die Feuerstrafe für ßoäoiu. ratione ^onori» außer Gebrauch ge- kommen fein foll. Nach dem unter 1, angeführten Fall ist es nicht unmög- lich, daß auch hier, wie bei Beurtheilung anderer Verbrechens- fälle, die Praxis Deutschlands ihren Einfluß geübt hat. Es sind wenigsters neben den livländischen und schwedischen Rech- ten auch die allgemeinen beschriebenen Rechte und Satzungen im Urtheil angeführt und unter letzteren ist wol deutsches Recht zu verstehen. Für Oesel erkennt das Hofgericht aus- drücklich an, daß das Landgericht „nach denen auf Oefel in- troducirten Schwedischen Gesetzen und Gebräuchen" urtheilen soll und modisicirt dem entsprechend («t'. Landtag 1"it. I X eap. X I V gegen Ende) das Landgerichtsurtheil, das leider nicht angegeben war. Zur Consummation des Verbrechens scheint nach dem zuletzt angeführten Urtheile iinmissiu sominis verlangt wor- den zu fein, die Worte „nicht völlig vollbracht" lassen viel- leicht darauf schließen. Jedenfalls wurden diese Fälle nicht mit der poena aräiu. belegt, sondern milder gestraft. Gleich- falls fand nach den angeführten Cap, im Landlag die nrcliu, P06U3. keine Anwendung, wenn der Thäter nicht auf der That 313 ertappt worden war. Die Kirchensühne fand in allen Fällen Anwendung, wo nicht auf den Tod oder die ewige Lands- Verweisung des Thäters erkannt worden war, § 25, 5. N o t z u c h t . Sowol in Reval wie auch in Livland ist die Notzucht ein zur schwedischen Zeit selten vorkommendes Delict, I n Revlll wird es erst durch den Codex von 1586 unter Strafe gestellt'), und ist in den Acten nur ein Fall versuchter Not- zucht erwähnt. Auch in den von mir durchgesehenen Proto- collen fanden sich blos 2 Fälle versuchter Notzucht, von denen der eine zum Schluß angegeben ist. Die Strafe ist eine fehr fchwere, als Schärfung mag die Begehung am Sonntag und auf dem Kirchenwege gewirkt haben, wegen der damit ver- bundenen Entheiligung des ersteren und der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Der Fall ist folgender: „Was von königlichem Landgericht Pernowfchen Kreyses zu Fellin den 25, Februar 1680 in poto, einer am heiligen Sonntag unter der Teutschen Predigt auf königlichen freien Land- und Kirchen-straßen vorgehabten, aber nicht vollbrachten Nothzucht oti-, einen, unter Ritmeistern Vietinghoffs compagnie im Fellinschen einquartirten Reuter I , L. genant, erkannt und ausgesprochen worden, da Eß selbigen zum Staupenschlag am Pranger und ewigen Landesverweisung condemniret, darauff wird vom königlichen Hofgericht dergestalt resoluiret, daß er solch sein Verbrechen mit 2 monatlicher Hafft in xi-olnuäiwtL tkurris bei wasser und brodt büssen und hernacher der königlichen schwedischen Botmäßigkeit ewig verwiesen werden soll. Den 18, May 1680, V, R, W," 1) E, U. N >,'t t l) e ck , Die nllc Lnmiüalchronit ReUals S. 2^. I n h a l t . Seite § I, Einteilung 247 Allgemein« Theil. ß 2, I. Strafen 251 § 3. a, Todesstrafe 25,2 § 1. b. Körperstrafe,! 253 8 5. «, ssreihcitsstrafen 254 ß 6. c!. Vermüssensstrafen 256 § 7. o. Vhrenstrafcn 258 I I , Wegfall der Strafen 260 I, Nothwehr und Nothstand 260 § «. s. Nothwehr 260 ß 9. d. Nothstand 263 ß 10. 2. Vegnadigunss 263 § I I . 3. Gänzlich und Iheilweisc aufgehobene Schuld- haftigkeit 265 § 12, Ä, Taubstnmmhcit 265 ß 13. d. Trunkenheit 265 ß 11. o. Jugendliches Alter 267 § 15. g. Wahnsinn 272 Specieller Theil, Abschnitt I. Tödtungsverbrechen, 8 16. 1. Word und Todschlag 274 § !7. '_>. Vcrwandtcnmurd 279 8 18. 3. Kindcsmord 28! 8 19. 4. Vulposc Tüdüinss 287 8 20. 5. Selbstmord 289 Anhang. Abschnitt I I . SiltlichkeitsUcrbrcchei!. 8 21. 1. Bigamie 294 8 22. 2. Ehebruch 299 8 23. 3. Ineest 804 § 24. 4. Sodomie 309 § 25. 5, Notzucht 313 V. Bemerkungen zur Praxis des Rigischen Bezirks- gerichts in Elbschllftssachen. von I n früherer Zeit wurden diejenigen Urtheile der rigi- schen Stadtgerichte, in denen mehr oder weniger schwierige Fragen des Civilrechts oder des Civilproccfses zur Entschei- dung gekommen waren, in einem Priuatwerke unter Angabe des wesentlichen Theiles des Thatbestandes und der Rechts- gründe zur Kenntniß des Publikums gebracht. Diese jährlich erscheinende Präjudikatensammlung gewährte großen Nutzen, denn man konnte aus ihr nicht allein die Praxis kennen lernen, sondern konnte aus ihr auch viel Belehrung und An- regung zu eingehendem Studium schöpfen. Jetzt, nach Einführung der neuen Gerichte, ist man auf das Studium der einzelnen Gerichtsentscheidungen angewiesen, in deren Besitz man gelegentlich gelangt. Von folchen Ent- scheidungen ist uns bisher nur ein Urtheil des rigischen Be- zirksgerichts in deutscher Uebersetzung zu Gesicht gekommen, Obschon wir dasselbe genauer Durchsicht unterzogen haben, muffen wir doch gestehen, daß wir aus demselben keinerlei Belehrung zu schöpfen vermocht haben, demselben vielmehr wie einem ungelösten Räthsel gegenüberstehen, da uns nicht gelungen, zwischen dem Thatbestande und der ergangenen Entscheidung einen rechtlich begründeten Zusammenhang auf- zufinden. Nicht um diefes bereits rechtskräftige Urtheil, welches ^16 in Nachlaßsachen des verstorbenen livl, Edelmanns Caspar von Zur Mühlen am 10, Sept, 1891 erlassen worden, zu kri- tisiren, sondern in der Hoffnung, daß uns vielleicht von be- rufener Seite in einem öffentlichen Blatte Aufklärung und Belehrung zu Theil werden könnte, haben wir uns die Freiheit genommen, in den» Nachstehenden die Gründe her- vorzuheben, die uns jenes Urtheil räthselhaft erfcheinen lassen, Dasselbe zerfällt sachlich in 4 Abschnitte, 1) I m ersten Abschnitte wird festgestellt, daß der ver- storbene Caspar von Zur Mühlen seinen Wohnsitz in der Stadt Fellin gehabt, daß er außer seiner Wittwe Wilhelmine 3 eheliche Kinder, Namens Carl, Hermann und Magda hin- terlassen, daß ein Testament oder eine sonstige letztwillige Verfügung des Erblassers nicht vorhanden sei und daß daher die gesetzliche Erbfolge Platz greifen müsse. 2) Der zweite Abschnitt enthält eine sehr ausführliche Relation zahlreicher im Privatrecht (Theil I I I des Provinzial- rechts) vorfindlicher Nestimmungen über das gesetzliche Erb- recht der beerbten Wittwe, des beerbten Wittwers, der Ehe- gatten geistlichen Standes, der legitimen und illegitimen Des- cendenten und der Adoptivkinder, 3) I n dem dritten Abschnitte zieht das Gericht aus den beiden Umständen, daß der Erblasser seinen Wohnsitz in Fellin gehabt habe und daß die Erbmasse aus einem daselbst be- legenen Wohnhause, aus Werthpapieren und aus dem Nechte zur Herausgabe des Felliner Anzeigers bestehe, den Schluß, daß das Erbrecht der Wittwe und ihrer drei Kinder auf Grund der Punkte IV, V I I I und X X X der Einleitung in das Privlltrecht nach l i v l ä n d i s c h e m Land rech te zu regeln sei und daß daher a) von dem unbeweglichen Nachlaß-Vermögen der Wittwe und deren beiden Söhnen je V? zufallen, 317 während der Tochter Magda von diesem Vermögen nur V? zukomme — uud daß d) aus dem beweglichen Nachlaßvennögeu die Wittwe und die drei Kinder je '/« mit dem Rechte des fort- gesetzten Miteigenthums zu erhalten haben, 4) I m vierten Abschnitt wird der gesammte Nachlaß, insoweit er erbsteuerpflichtig ist, auf 19155 Rbl, 52 Kop, fest- gestellt, zugleich aber bestimmt, daß die Erbschaftssteuer »ur vou der Hälfte dieses Vermögcnswerthes, nämlich mit 95 Rbl, 65 Kop, zu erlegen fei, indem die andere Hälfte desselben wegen der nach den örtlichen Gesetzen unter den Ehegatten bestehenden Gütergemeinschaft der Erbschaftssteuer uicht unterliege, (llä 2) Schou gegen deu zweiten Abfchnitt drängt sich ein das Wesen der Sache freilich nicht betreffendes Bedenken auf, Da nämlich zur Entscheidung des vorliegenden Falles doch nur diejenigen Bestimmungen des Priuatrechts zur Richt- schnur dienen können, welche die gesetzliche Erbfolge der Wittwe und der aus ihrer Ehe mit dein Erblasser entsprossenen legi- timen Kinder znm Gegenstande haben, so vermag sich der Leser der Frage uicht zu erwehren: warum in dem Urtheile auf Relation auch so vieler anderer die Entscheidung des concreten Falles ganz und gar nicht berührender Gesetzesbestimmuugeu eingegangen worden? Man hat uus gegeuüber die Vermuthung ausgesprochen: das Gericht habe in dem Urtheile gewisser- maßen ein Schema zur Neurtheiluug aller denkbaren Fälle gesetzlicher Erbfolge Herstelleu wollen. Wir halten aber diese Vermuthung für durchaus unbegründet, denn im entgegenge- fetzten Falle hätte die gesetzliche Erbfolge des Fiskus und ge- wisser Korporationen und öffentlichen Anstalten nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürfen und dann sind bei Beurtheilung der gesetzlichen Erbfolge, je nach dem in concreto vorliegenden Falle, so häufig auch andere, in dem fraglichen Urtheile nicht erwähnte, Gesetzesbestimmungen zu berücksichti- 318 gen, daß das Bemühen, ein alle denkbaren Fälle gesetzlicher Erbfolge vorsehendes und an dazu offenstehender Stelle vom Gerichte auszufüllendes Schema herzustellen, wohl nur Heiter- keit erregen könnte. (aä 3), Insoweit der im dritten Abschnitt des Urtheils angegebene Punkt IV der Einleitung in das Priuatrecht von Immobilien spricht, unterstellt er dem L i v l ä n d i s c h e n La ndrechte nur diejenigen Immobilien, die, abgesehen von den Aauerlandstellen, in dem der Gerichtsbarkeit der L a n - des jus t i zbehö rden und des Vorväter Universitätsgerichts unterworfenen Bezirke belegen sind, läßt mithin die Frage offen, welchem Rechte die in den Gebieten der livländifchen Städte belegenen Immobilien unterliegen. Diese Frage ist aber in dem vom Bezirksgerichte gleichfalls angezogenen Punkte V I I I der Einleitung einfach und klar beantwortet; denn da ist unumwunden ausgesprochen, daß die in den Gebieten der Livl. S t ä d t e be legenen I m m o b i l i e n ohne Rücksicht auf den S t a n d der Eigenthümer oder Erbpfandbesitzer oder sonstigen Nutzungseigenthümer derselben dem L i v l , S t a d t rechte u n t e r w o r f e n s ind. Nach der benutzten Uebersetzung soll sich das Bezirksge- richt auch auf den Punkt X X X der Ginleitung berufen haben, was jedoch nur auf einem Schreibfehler beruhen kann, weil der Punkt X X X nur über die aus außerehelicher Geschlechts- uerbindung entspringenden Rechtsverhältnisse handelt und daher hier überhaupt nicht in Betracht kommen kann. Welchen Punkt das Bezirksgericht aber auch im Auge gehabt haben mag, immer kann in demselben eine Bestätigung der An- schauung des Bezirksgerichts nicht enthalten sein, denn der e inz ige Pnnkt der Einleitung, der über den Anfall und die Erwerbung von Erbschaften handelt, ist der Punkt X X X I V und dieser bestimmt, unter Abweichung von der allgemeinen Regel, spec ie l l für Livland, daß der Anfall und die Er- 319 Werbung der daselbst belegenen Immobilie», selbst wenn sie Nestandtheile einer Erbschaft sind, nach dem Rechte des Orts, wo sie sich befinden, zu beurtheilen seien. Könnte hiernach noch irgend ein Zweifel darüber bestehen, daß die Erbfolge der Wittwe und der Kinder des Erblassers in das in Fellin belegene Wohnhaus, nicht nach Landrecht, wie das Bezirks- gericht angenommen, sondern nach S t a d t r e c h t zu bestim- men sei, so würde solcher Zweifel durch die Art 1730 und 1897 des Privatrechts befeitigt, denn während der Art, 1780 in seiner ersten, hier allein in Betracht kommenden Hälfte wörtlich verordnet: „Nach lwl, Lllndrecht entscheidet über den Antheil den „der Wittwe an den übrigen Immobilien, außer den Land- gütern, das Gesetz, unter welchem das Immobil belegen ist, „mithin in Netreff der städtischen Immobilien das l o c a l e „ S t l l d t r e c h t —" schließt der über die landrechtliche Erb- folge der Descendenten handelnde Art, 189? mit dem Satze: „Die städtischen Immobilien werden nach Anleitung des lo- yalen S t a d t r e c h t s getheilt," Hiernach ist klar, daß die Wittwe und die drei Kinder in den beweglichen Theil des Nachlasses des weiland C, von Zur Mühlen, der als livl, Edelmann der städtischen Jurisdic- tion nicht unterlag und daher nach Art, 79 des Privatrechts mit seiner Frau n icht in Gütergemeinschaft gelebt hat, aller- dings nach Landrecht, in den unbeweglichen Theil des Nach- lasses aber nach Stadtrecht zu succediren haben — und wenn nun das livl, Stadtrecht, ausweislich der Art, 1825, 1829 und 1831 und 1938 des Privatrechts der beerbten Wittwe die lebenslängliche Nutznießung und ausschließliche Verwaltung des Nachlasses, soweit er unter der Herrschaft des städtischen Rechtes steht, zuspricht und zugleich bestimmt, daß sie, wenn sie entweder freiwillig zur Theilung mit den Kin- dern schreitet, oder dazu wegen Eingehung einer neuen Ehe 320 gezwungen ist, bei Vorhandensein nur eines Kindes die Hälfte, bei Vorhandensein von zwei oder mehr Kindern dage- gen nur ein Drittheil der fraglichen Erbmasse zu empfan- gen habe, während die Kinder an dem ihnen bei solcher Thei- lung Zufallenden ohne Rückf icht au f i h r Geschlecht zu gle ichen Theilen participiren; fo erscheint es räthselhaft, auf welcher gesetzlichen Grundlage das Bezirksgericht der Wittwe und ihren beiden Söhnen nur im Landrechte in Be- zug auf Landgüter vorgesehene, dem Stadtrecht aber völlig unbekannte SohneZtheile und der Tochter des Erblassers nur halb soviel, als der Wittwe und den Söhnen, zuerkannt habe. Ebenso wenig vermögen wir einzusehen, warum das Bezirksgericht überhaupt zur Bestimmung der den einzelnen Erben an dem Hause in Fellin gebührenden ideellen Quoten geschritten. Dies erscheint uns durchaus verfrüht und der un- gewissen Zukunft vorgreifend. Erwägt man nämlich, daß die Bestimmuug von Quoten doch nur dann möglich ist, wenn die Wittwe sich entweder freiwillig zur Theilung entfchließt oder aber sich von Neuem verehelicht, der Eintritt der einen, wie der anderen Thatfache aber völlig ungewiß ist; erwägt man ferner, daß die Quoten sich ihrem Belauf nach ändern, wenn ein oder mehrere der Kinder vor vollzogener Theilung ohne Hinterlassung von Leibeserbm mit Tode abgehen: so fragt sich, warum sich das Bezirksgericht in seinen: Urtheile nicht einfach darauf beschränkt habe, der Wittwe und den Kindern den Nachlaß einstweilen nur pro incliviso zuzuer- kennen und von Bestimmung der Quote der einzelnen Erben bis auf Weiteres abzusehen, wie von den Gerichten Liulands vor Ginführung der neuen Gerichte in Fällen der hier vor- liegenden Art immer geschehen ist. saä. 4.) Auch der in dem Urtheile enthaltenen Be- rechnung der Erbschaftssteuer vermögen wir nicht zuzustimmen, wollen aber auf diefen nebenfächlichen Gegenstand nicht eingehen Druckfrlzler in den Dorpater juristischen Studien Bd, I, Leite Zeile Anslatt: Äes ! 1!,» 7 v. o. Vor^rdnugen Verwendungen 110 , v. o. Beschlüsse, nuf, Äeschlüssc, auch, 1 v. u. wurdc «,'iirde 1!2<> >» V, o. sei» sei 5, v. u. dcnkeiiswercher dnntenswerther ,l!9 '.! v. o. nc>che,i nach !12 )̂ V, n, u<> n -,14 b. o. Vor t rässcn Per!nigcn ,2 u. 1,1. !,',,', b. u. Pl'hüs Pohls 192 1' , v. il>!n ihnen 17!» v. ist die fettgedruckte Uel'erfchnfl I I ! als I I . Uuternb- !!>eilnuss des P, !̂ auf S, 171 ,̂ u betrachten. 1̂ 1 Ii> v. o. ebenso dir fettgedruckte Uederschrifl IV als I I I . Unter abtheilnug des P. !̂,