Kiri Hedwig Charlotte v. Lilienfeldile
Abstract
An Frau v. Lilienfeld in Leipzig
Dorpat, 4. May 1805
Freund Seume wanderte ehegestern früh um
vier Uhr aus Dorpat. Bey der Mühle auf dem Re-
valschen Weg schied er von Krause, bey dem er lo-
giert hatte. Wir waren einige Tage zusammen. Es
waren unvergeβliche Tage. Er erzählte mir gern
von Ihnen, gnädige Frau, wie Sie seine alte Mut-
ter mit ihm besucht, u.s.w.
Durch Ihren zweyten gütigen Brief vom 30.
März, den Seume mir brachte, löste sich das Räth-
sel des an mich durch Schnorr’s Hand, ohne eine
Zeile weiter adressirten Kopfs des herrlichen
Rafael. Hr. v. Kozebue gab ihn in einem ver-
siegelten Umschlag an mich ab. Ich öffnete ihn in
der Abenddämmerung, erkannte Schnorr’s Hand
auch am untergeschriebenen Worte Rafael. Ehe
Licht gebracht wurde, ward ich abgerufen. Ich stand
in der Meinung, die Zeichnung sey von Schnorr
selbst. Wahrscheinlich schicke er sie, wie früher auf
meine Bestellung verschiedenes Andere, für das
hiesige Museum. Noch an demselben Abend er-
schien ein halbdeutscher Bedienter. Hr. v. Ko-
zebue (es hieβ blos, der fremde Herr) habe an
mich Hrn. v. Lilienfeld’s Paquet abgegeben: ich
möge es Ihm (Hn. v. Lilienfeld) schicken. Ich erwieder-
te: „Ich habe nichts für Herrn v. Lilienfeld. Wohl aber
empfing ich heute Abend durch Hn. v. Kozebue eine
versiegelte Zeichnung v. Schnorr.“ Daβ dieser
mit Ihnen bekannt sey, erfuhr ich aus seinen frü-
hern Briefen. Ich dachte also, er habe diese
Bekanntschaft benutzt, durch den nach Livland Landesuniversität, dessen Director ich zu seyn die
Ehre habe, zu schicken, damit dort neben den Arbei-
reisenden berühmten Mann seine Zeichnung ten des Meisters auch etwas von der Schülerin auf-
an das hiesige Museum gelangen zu lassen.
Überdieβ hatte Hr. v. Kozebue, den ich vorher bewahrt werde, die des Lehrers so ganz
werth ist, als er ihrer. Da übrigens nur Anfangsbuch-
selbst sprach, mir weiter nichts gesagt, als er
staben des Familiennamens auf der Zeichnung ist,
habe mir etwas abzugeben, das ihm von Frau von so fand ich unter meiner Voraussetzung das ver-
Löwenstern in Berlin an mich abzugeben aufgetra- muthete Unternehmen des Lehrers der Art, daβ,
tragen sey. gesetzt die Künstlerin fände einst bey einem Blick
Als ich nachher bey hellem Tage das Blatt schärfer
auf die hier angefangenen öffentlichen Sammlungen sich
ansah, bemerkte ich nun wohl die mit Tusch im Schat- selbst nur erwartet, sie darüber weder auf den Lehrer,
ten angebrachten Worte Charlotte L., denen Schnorr noch auf den Director des Museums zürnen dürfe. –
mit Bleistift hinzugefügt hatte: nach Schnorr. Jetzt Sie sehn, Gnädige Frau, wie stark ich in Combinatio-
war es nicht schwer, die Künstlerin zu errathen. nen bin. Lach an Sie nur. Ich gebe Ihnen schon zum zwey-
Wie kannst du aber zur Adresse dieses Bildes? Nichts ten Mal Stoff dazu. Das erste Mal durch mein Miβver-
natürlicher, als diese Frage. – Daβ ein für Hrn. ständniβ die Unterschrift Ihres ersten werthen Briefes: Char-
v. Lilienfeld bestimmtes Bild an mich adressirt lotte von Lilienfeld. – Sie sehen wenigstens, daβ der
Mann, dem Sie einige Zeilen zu schreiben die Güte
werde, muβte ohne Erläuterung mir dunkel
hatten, noch manches vom Kinde übrig behalten hat, das
bleiben. Denn leichter ist in Livland der allbe-
kannte Kammerherr v. Lilienfeld gefunden, als (so hofft er zu Gott) was auch einst noch von Er-
fahrungen seiner wartet, ihm bleiben wird, so
Morgenstern, dachte ich. Dieβ fiel mir also gar nicht
lang’ er selber ist. Zum Glück habe ich nichts geant-
ein; wohl aber dieβ: Es wäre nicht unmöglich,
wortet, als was ich mit gleichem Rechte der Mutter
daβ Schnorr, um einen Beweis zu geben, wel- oder der Tochter – gleichviel! – antworten konnte.
che Fortschritte glückliche Anlage in kurzer Zeit un-
Im einen wie im andern Fall waren es höchst
ter dem rechten Lehrer macht, das Fräulein
unbedeutende Nachrichten von Ihren hiesigen Freun-
veranlaβt habe, ihm eins ihrer Blätter zu über- den, die Sie besser von jedem Andern erhalten
lassen, für sich, den Lehrer; und daβ Er nun konnten; die ich indeβ vom Professor und Geschäfts-
aus eigenem Antrieb davon diesen Gebrauch ge- mann bloβ aus der Ursache gefodert glaubte, weil
macht habe, es dem Museum der Livländischen man diesem wenigstens Pünktlichkeit zutraute,
die man bey willkommenern Correspondenten oft in Dorpat wäre. Aber in Dorpat kann ein Künst-
vermiβt. Daβ ich in dem Augenblick, als ler ohne eine nicht unbeträchtliche Besoldung, zu-
ich die paar Zeilen hinwarf, die Herr Bause Ih- mal wenn er Weib und Kind hat, unmöglich le-
nen wird abgegeben haben, es wahrscheinlicher fand, ben. Die Universität kann, nach ihrer Verfassung,
sie wären von der Hand des Fräuleins, als von nur einen Künstler als Universitätszeichenmei-
der Hand der verehrten Mutter, hatte seinen ster und Kupferstecher besolden. Dieβ ist, wie
Grund in der Art, wie Hr. Bause des beygelegten Sie wissen, Senff schon: noch denominirt zu seiner
Briefs erwähnte; denn auch darin, daβ Hr Schnorr Stelle vom ritterschaftlichen Curatorium, dann be-
mir von seiner Art des Unterrichts – doch ich ver- stätigt von der gegenwärtigen Universitäts-Di-
wechsle die Zeiten. Schnorr darf ich nicht erwäh- rection. So sehr ich’s wünschte, Schnorr wäre
nen. Der Brief, worin er der Fortschritte gedachte, bey uns öffentlich angestellt, so sehe ich dafür doch
welche Ihre Fräulein Töchter unter seiner Leitung im zunächst keine Aussicht. Auch Parrot kann dafür
Zeichnen machten, kam etwas später, als Hr. Bausen’s jetzt nichts thun. Es thut mir wahrlich sehr leid, daβ
letzter und Ihr erster Brief. Er schrieb zugleich, die es nicht anders ist; aber es ist nicht anders. Ich wün-
eine dieser seiner werthen Schülerinnen werde sche Ihnen, gnädige Frau, und den Ihrigen die
mir in Dorpat von seiner besondern Methode glücklichste Rückkehr in Ihr Vaterland.
beym Unterricht erzählen. Der gute Mann! Er N. S.
setzte voraus, ich sey so glücklich, Ihnen Allen bekannt In einer Stunde nach Empfang Ihres Briefes war
zu seyn. Darum schrieb er seinem Freunde – denn die Zeichnung mit versiegeltem Umschlag wohlver-
ich bin sein Freund, obgleich ich ihn selber niemals, wahrt in den Händen der Frau v. Berg, die sie so-
auβer in seinen Bildern und in seinen Briefen gleich an Hn. v. Lilienfeld zu schicken versprach.
sah – gerade so. Und darum schrieb und schrei-
be ich, ungewohnt der ängstlichen Rücksichten der
Couranieng, von der ich für mich glücklicher
Weise unabhängiger lebe als die Meisten, gerade
so. Mit derselben Offenheit jetzt auch vom Haupt-
gegenstande Ihres Briefes, gnädige Frau. Frü-
her noch als Sie selbst, wünschte ich, daβ Schnorr
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